Kundgebung in Dortmund widmete sich am Samstag den Opfern

Fünf Jahre nach den Anschlägen in Hanau: Gedenken mit abnehmender Aufmerksamkeit

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov kamen beim Anschlag ums Leben. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Fast fünf Jahre sind vergangen, seit bei einem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund ums Leben kamen. Seitdem wird der Opfer jedes Jahr mit Gedenkveranstaltungen gedacht. Auch in Dortmund fand am 15. Februar 2025 eine Kundgebung statt. Doch scheinen die Auswirkungen rechtsextremer Gewalttaten zunehmend in den Hintergrund zu rücken, während der Widerstand gegen rechte Politik weiterhin hoch bleibt.

„An die Ermordeten in Hanau zu gedenken, bedeutet für uns auch, zu mahnen“

Es war eine Nacht in der hessischen Mittelstadt Hanau, die den Menschen in Deutschland vor Augen führte, wie präsent Rassismus und Rechtsextremismus nach wie vor in der Gesellschaft sind. Am 19. Februar 2020 erschoss der 43-jährige Tobias R. am Hanauer Heumarkt und am Kurt-Schumacher-Platz neun Frauen und Männer, ehe er in seine Wohnung zurückkehrte, seine Mutter und anschließend sich selbst erschoss.

Der jüngste Anschlag in München weist islamistische Motive auf, von denen sich der Verein ausdrücklich distanziert. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Die Tatorte waren dabei kein Zufall. Vielmehr ging der Täter strategisch vor, denn die Orte wurden besonders von Menschen mit Migrationshintergrund besucht, die er bewusst als Opfer auswählte.

Dazu gehörten unter anderem Gastronomiebetriebe, eine Shisha-Bar und ein Kiosk. Seither wird jährlich an die Opfer des rechtsextremistischen Anschlags gedacht. Auch in Dortmund fand eine Kundgebung statt, die vom Bezent e.V. organisiert wurde – einem Verein in Dortmund, der der „Föderation Demokratischer Arbeitervereine – DIDF“ angehört.

„An die Ermordeten in Hanau zu gedenken, bedeutet für uns auch, zu mahnen. Zu mahnen, dass so etwas nicht wieder passiert. Aber auch fordern wir nicht nur bei der Kundgebung, sondern auch darüber hinaus, dass der 19. Februar 2020 vollumfänglich aufgeklärt wird“, teilte Nursen Konak vom Bezent e.V. bereits vor der Kundgebung mit.

Rückläufige Teilnehmerzahlen bei Gedenkveranstaltungen zum Anschlag

Doch bereits im Vorfeld berichtete Konak von einer Beobachtung hinsichtlich der aktuellen Thematisierung des Anschlags auf Hanau: „Was wir sehen, sind Jugendliche, die auch dieses Jahr wieder diese Demonstration bundesweit organisieren. Das ist positiv, doch die Teilnahme an den Kundgebungen wird weniger“, so Konak.

Anja Butschkau (SPD-MdL) ist Vorsitzende der AWO Dortmund. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

„Noch im letzten Jahr, nach der Correctiv-Recherche, bei der im gesamten Land drei Millionen Menschen gegen den Rechtsruck auf die Straßen gegangen sind, konnten wir am 19. Februar nicht so viele Menschen zählen.“

Während im Jahr 2021 noch rund 500 Menschen an einer Kundgebung zum Gedenken teilnahmen, war die Anzahl der Teilnehmer am vergangenen Samstag auf dem Platz der Deutschen Einheit auf eine überschaubare Menge von schätzungsweise 50 Personen zurückgegangen.

Darunter waren Sonja Lemke von der Partei  „Die Linke“ Dortmund und die SPD-Landtagsabgeordnete Anja Butschkau als Vorsitzende der AWO Dortmund.

Die Anzahl der Teilnehmer:innen fiel in diesem Jahr geringer aus als im Jahr 2021. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

„Der rassistische Anschlag von Hanau hat uns vor fünf Jahren alle erschüttert und entsetzt. Es war ein Tag, der uns die Schrecken von Hass und Gewalt vor Augen geführt hat. Heute ist ein Tag der Erinnerung, aber auch ein Tag der Mahnung, der Solidarität und des Kampfes gegen Rassismus“, so Butschkau.

„Ein Tag, der uns zeigt, Brandmauern dürfen nicht fallen. Ausgrenzung und Diskriminierung müssen aufs Schärfste bekämpft werden“, so die AWO-Vorsitzende auf der Kundgebung.

Versagen der Behörden und Polizei als zentraler Kritikpunkt

Ein Schlüsselaspekt, der in der diesjährigen Kundgebung in Dortmund jedoch nicht angesprochen wurde, ist das vorgeworfene Versagen von Polizei und Behörden im Zusammenhang mit dem Anschlag. An dem besagten Abend waren die Notrufleitungen überlastet, wodurch viele Anrufe nicht entgegengenommen wurden und wichtige Informationen zu spät an die Einsatzkräfte weitergegeben wurden.

Bereits 2021 gab es eine Kundgebung in Dortmund. Klaus Hartmann | Nordstadtblogger

Zudem dauerte es rund fünf Stunden, bis die Polizei das Haus des Täters stürmte, was ihm genügend Zeit gab, seine Mutter und sich selbst zu töten.

An einem der Tatorte, der „Arena Bar“, verhinderte der verschlossene Notausgang die Flucht der Opfer. Weshalb es zu einer Verriegelung kam, ist bislang nicht vollständig geklärt.

Kritisiert wurde auch die Waffenerlaubnis des Täters trotz auffälligen Verhaltens. Zudem hatten einige beteiligte Polizisten Verbindungen zu rechtsextremen Chatgruppen, was zur Auflösung des betroffenen SEKs führte. Auch für Konak sorgt der Verlauf des Abends für Unverständnis, wie sie im Voraus mitteilte: „Noch immer ist nicht klar, warum es zu einem großen Polizeiversagen kommen konnte.“

Lückenhafte Aufklärung über rechtsextreme Gewalttaten bei Jugendlichen

Auch wenn seit dem Anschlag in Hanau die Rechtsextremismus-Debatte in Deutschland verschärft geführt wird, erzählt Konak, dass Jugendliche heute nur bedingt aufgeklärt sind: „Was wir sehen, ist, dass viele Jugendliche, wenn wir an Schulen sind und Workshops zum Thema Rassismus und Rechtsruck durchführen, bis dato nichts vom NSU gehört haben. Wir finden, dass dieses Thema vielmehr auch im Unterricht Raum finden muss. Denn rechte Anschläge prägen die Gesellschaft. Der rechte Terror sollte kein Thema sein, das vertuscht wird.“

Stilles Gedenken für das Dortmunder NSU-Opfer Mehmet Kubaşık in der Nordstadt (Archivbild). Foto: Alex Völkel für nordstadtblogger.de

Dabei sei es besonders für diese Altersgruppe wichtig, ausreichend aufgeklärt zu werden. Denn laut dem Verfassungsschutz setzen rechtsextreme Gruppierungen vermehrt auf Propaganda über soziale Netzwerke, um genau dort Jugendliche zu erreichen.

Gemäß einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2023 stimmten allein 12 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen 18 und 34 Jahren rechtsextremen Einstellungen zu. Auffallend dabei ist, dass die Verharmlosung des Nationalsozialismus und die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen in dieser Altersgruppe deutlich häufiger vorkamen als bei anderen.

Rechte Politik wirkt sich auf das Stimmungsbild vieler Migrant:innen aus

Brandmauern, die nicht fallen dürfen – mit dieser Formulierung bezog sich Anja Butschkau in ihrer Rede auf der Kundgebung auf die zunehmende Präsenz rechter Politik in Deutschland. Konkret wird die „Brandmauer“, die bislang die demokratischen Parteien vom Rechtspopulismus der AfD trennte, seit dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion unter Friedrich Merz zur Migrationspolitik als gefallen betrachtet. Dieser Antrag konnte nur mit Unterstützung der rechtspopulistischen AfD und der FDP durchgesetzt werden, was letztlich auch zu einer Abstimmung über das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“ führte.

Bei der letzten Demo gegen Rechts in Dortmund nahmen rund 2900 Menschen teil. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Auch wenn die Abstimmung letztlich keine Mehrheit fand, bekommen Menschen mit Migrationshintergrund den Rechtsdruck in der Gesellschaft und Politik schon seit geraumer Zeit zu spüren. „Die rassistische Politik und Hetze gehen nicht spurlos an Migrant:innen vorbei.

Sie können in ihnen etwas auslösen, meist Ängste vor der Zukunft oder aber auch vor dem Hier und Jetzt. Hier ist auch wichtig zu erwähnen, dass es nicht nur um die AfD geht, es geht auch nicht nur um die Zeiten des Wahlkampfes“, erläutert Konak.

„Wir wissen, dass die Hetze, der Rassismus und die Spaltungsversuche auch dem rechten Terror dienen“ – rechter Terror, der letztlich neun Menschen in Hanau das Leben gekostet hat. Doch bleibt die Frage offen, ob Hanau nicht zunehmend in Vergessenheit zu geraten droht, während der Diskurs um den Rechtsruck weiterhin steigt.

Weiterführende Informationen: 


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

Unterstütze uns auf Steady

 Mehr auf dazu auf Nordstadtblogger:

Drei Jahre nach dem rassistischen Attentat in Hanau: Gedenkveranstaltung in der Innenstadt

Nach gescheitertem Merz-Antrag: Eine weitere Demo in Dortmund setzt Zeichen gegen Rechts

Trotz Regen und Kälte: Dortmund demonstriert gegen Rechts(d)ruck in der deutschen Politik

Eine engagierte Diskussion über Demokratie, Gewerkschaften, Rassismus und soziale Medien

 

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert