Bürgerforum Nord trifft Süd zum Thema „Raum für alle?! – unsere Orte, unsere Plätze“
„Raum für alle?! – unsere Orte, unsere Plätze“ war das Thema des 32. Bürgerforums Nord trifft Süd.
Im Großen Saal der Auslandsgesellschaft fanden sich etwa 25 Menschen ein, um über dieses Thema zu diskutieren, sich auszutauschen und neue Projekte kennenzulernen.
Der öffentliche Raum ist ein wertvolles Gut. Umso wichtiger erscheint es, dass öffentliche (Frei-)Flächen, die allen Bewohner*innen der Stadt für sich und ihre Aktivitäten und Bedürfnisse nutzen nicht weiter schrumpfen. Der Druck durch Partikularinteressen, zunehmender Bebauung, Verkehrsflächen, kommerzielle und privatisierte Nutzungen nimmt zu, was die Zuteilung und Zugänglichkeit des städtischen Raumes bedroht. Wem gehört die Stadt? Welche Möglichkeiten bietet eine Stadt wie Dortmund seinen Bewohner*innen, Orte für sich und Andere zu schaffen? Welche Herausforderungen und Konflikte gilt es zu bewältigen? Aber auch welche Allianzen, Kooperationen und Projekte können entstehen, wenn sich Menschen ihren Raum zurückerobern?
Über diese Fragen sprach der Moderator Kay Bandermann mit den geladenen Gäst*innen aus verschiedenen Teilen Dortmunds. Nach einer kurzen Begrüßung durch Martin Eder vom Planerladen, berichtete zuerst David Skaliks über die Aktivitäten und Erfahrungen der Skateboardinitiative Dortmund mit DIY-Stadtgestaltung, neuen Kooperationen und der Neubespielung ungenutzter Brachflächen.
Erste praktische Erfahrungen mit selbstorganisierter Stadtgestaltung sammelte die Initiative ab 2018, als sie von der Stadt Dortmund angefragt wurde, die große Brachfläche direkt westlich des Dortmunder U’s zu bespielen. Dort gestalteten sie nach und nach die Skatelandschaft Utopia nach eigenen Bedürfnissen und auch ästhetischen Vorstellungen. Nachdem die Nutzung des Platzes aber wie vereinbart 2020 endete, stellte sich die Frage nach einem neuen ‚eigenen‘ Ort, um gemeinsam zu skaten und sich auch in die Stadtentwicklung einzubringen.
Zusammen mit den Urbanisten und der Emschergenossenschaft konnte rasch ein neuer, bisher ungenutzter Raum gefunden werden: ein brachliegender Platz unter der OWIIIa (‚Mallinckrodtbrücke‘) direkt am Emscher-Radweg. Hier gestalten, bauen und werkeln sie bis heute an eigenen Ramps, Halfpipes und Elementen, die sie teilweise auch in Kooperation mit anderen Künstler*innen aus der Skate-Szene designten. Dabei wurde der Gruppe zunehmend wichtiger, den Raum für mehr Menschen zu öffnen und nicht nur für die eigene Szene.
Als Teil des Projekts „Transurban“, das alternative Stadtentwicklung in NRW thematisierte, veranstalteten sie im Sommer 2021 in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Dortmund ein vierwöchiges Festival, dessen Programm neben gemeinsamen Skaten auch Konzerte sowie Workshops und Gesprächsrunden bzgl. alternativer und kreativer Stadtentwicklung und Raumaneignung umfasste.
Mittlerweile kann die Örtlichkeit auch von anderen Gruppen kostenfrei für eigene Veranstaltungen gemietet werden – auch dies ist ein Versuch, den selbstgestalteten Raum mit möglichst vielen Menschen zu teilen und für diese zugänglich zu machen. Die Initiative sieht sich auf einem guten Weg, dieses Ziel sowie den langfristigen Erhalt des Ortes zu gewährleisten: neben einem Pachtvertrag für 10 Jahre konnten mittlerweile auch zwei 450-Euro-Stellen geschaffen werden, um den Ort auch langfristig zu betreuen und so den geschaffenen Raum „organisch wachsen zu lassen“, wie David Skaliks betonte.
Als nächste Podiumsgäste wurden Vertreterinnen des Offenen Zentrums in der Nordstadt mit zwei angedockten Initiativen vorgestellt. Das Offene Zentrum ist ein selbstverwaltetes Ladenlokal in der Schleswiger Straße, das verschiedenen Initiativen aus der Nachbarschaft ein Zuhause bietet und seit knapp drei Jahren besteht. Gegen eine Spende kann der Raum von verschiedenen Gruppen aus der oder für die Nachbarschaft genutzt werden, wie z.B. zur Hausaufgabenbetreuung und Computerkurse. Dabei wird jedoch auch darauf geachtet, dass die Angebote der links-feministischen Ausrichtung des Kollektivs nicht widersprechen: Eine interne Satzung bestimmt, welche Gruppen willkommen sind, z.B. dass Angebote diskriminierungsfrei sein müssen.
Neben der Räumlichkeit sind auch zwei Initiativen hier angedockt: Die Wohnungslosenhilfe face2face und der Gemeinschaftsgarten Alsengrün. Jenny Saß von face2face berichtete von der schwierigen Lage der vielen wohnungslosen Menschen in Dortmund. An vielen Orten würden sie vertrieben, obwohl sie eben auf den öffentlichen Raum angewiesen seien.
Besonders im Winter werden warme Schlafplätze benötigt, was die wenigen Notunterkünfte in Dortmund bei weitem nicht abdecken können. face2face versucht diese Menschen niedrigschwellig zu unterstützen. Die ehrenamtlich engagierten jungen Menschen ziehen dafür jeden Sonntag mit Fahrradanhängern durch die Innenstadt und suchen wohnungslose Menschen an ihren Plätzen auf. Sie unterstützen mit Essen, Getränken und sonstigen Spenden, und kommen so mit den Obdachlosen ins Gesprächen. Insbesondere während der Pandemie sind sie so zu wichtigen Ansprechpartner*innen und Bezugspersonen geworden.
Ihre Arbeit weist darauf hin, wie wichtig öffentliche Räume für vulnerable Gruppen sind und für manche Menschen immanent lebensnotwendig. Zum Abschluss wies Jenny Saß noch auf die Bürgerinitiative Schlafen statt Strafen hin, welche auf Diskriminierung und Vertreibung obdachloser Menschen in der Innenstadt durch einen vom Cityring beauftragten Sicherheitsdienst aufmerksam macht.
Eine andere Initiative, die ungenutzten Stadtraum wiederbelebt, ist der Gemeinschaftsgarten Alsengrün, ganz in der Nähe des Offenen Zentrums. Auf einem ehemals brachliegenden Spielplatz wird hier seit ca. zwei Jahren gemeinsam gebaut, gepflanzt und gegossen. Doro Gangnus berichtete, dass es ihnen dabei nicht nur um das Gärtnern und Gemüseanbauen an sich geht, sondern darüber hinaus einen freien und offenen Begegnungsraum für die Nachbarschaft zu schaffen, in dem jede*r willkommen sei. Der Ort wird zudem mit Events bespielt, wie z.B. Kleider-Tausch-Partys oder Open-Air-Kinoabende. Gerade in Corona-Zeiten ist die Bedeutung von frei zugänglichen Grünflächen in der Stadt besonders sichtbar geworden, nur wenige Menschen, insbesondere in der Dortmunder Nordstadt, verfügen über einen eignen Balkon oder Garten.
Doro Gangnus gab sich auch durchaus selbstkritisch, die momentan aktiven Nutzer*innen des Gartens seien größtenteils „weiß und akademisch“, die Gruppe jedoch das Ziel habe, einen Raum für alle zu schaffen. Um dies zu ermöglichen und zu stärken, sollen auch zukünftig weitere Kooperationen wie beispielweise mit Grundschulen oder anderen sozialen Projekten, die den Garten regelmäßig nutzen, etabliert werden.
Kinder- und Jugendliche stehen auch im Graffiti-Projekt des Treffpunkt Stollenpark im Fokus. Christopher Gourlay begeistert sich seit den frühen 1990ern für Graffiti, einer Zeit, in der in Dortmund regelmäßig bunt bemalte Züge („rollende Wände“) durch den Hauptbahnhof fuhren.
Seit seiner Kindheit malt und sprayt er begeistert selbst und bringt heute interessierten Kids aus dem Stadtteil im Alter zwischen 14 und 21 Jahren das Handwerk mit der Spraydose näher. Er berichtete, dass die meisten von ihnen keinerlei Vorerfahrungen hätten und sich hier gemeinsam in einem neuen kreativen Bereich ausprobieren könnten.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten gibt es mittlerweile auch in Dortmund mehr öffentliche Freiflächen und legale Wände, an denen gemalt werden darf. Beispielweise ist seit diesem Sommer am Dortmunder Hafen die längste „Wall of Fame“ Europas zu finden, an der sich auch die Jugendlichen des Stollenparks austoben können. Christopher Gourlay möchte aber nicht nur hier, sondern gerne in naher Zukunft auch im Stadtteil selbst zusammen mit den Jugendlichen bleibende Eindrücke hinterlassen. Hier können sie zur Ruhe kommen und ihre eigenen Perspektiven auf die Stadt und das Zusammenleben ausdrücken. Denn „auch Buchstaben und Characters können Geschichten erzählen“ und so dabei direkt mit den Menschen im öffentlichen Raum kommunizieren.
Zuletzt wurden zwei Akteure auf dem Podium begrüßt, die sich mit dem Thema einer gerechteren Mobilität auseinandersetzen. Denn fast überall im öffentlichen Raum ist ein Verkehrsmittel besonders dominant vertreten: das Auto. Daher setzt sich die Gruppe Kidical Mass für deutlich mehr und sicherere Radwege ein.
Nach Vorbild der Critical Mass, bei der sich mindestens 16 Radfahrer*innen spontan zusammenfinden und gemeinsam über die gesamte Fahrbahnbreite verteilt durch die Stadt radeln (nach Straßenverkehrsordnung bilden 16 Radfahrer*innen und mehr zusammen eine Einheit als geschlossener Verband), organisiert die Gruppe Kidical Mass regelmäßig gemeinsame generationenübergreifende und als Demonstration angemeldete Fahrradfahrten durch die Stadt, um auf die ungleiche Verteilung von Raum in der Stadt aufmerksam zu machen und sich ihren Raum im Straßenverkehr zurückzuerobern.
Gerade Kinder und Jugendliche sind auf sichere Straßen und Radwege angewiesen um sich selbstständig und unfallfrei durch die Stadt zu bewegen. Peter Fricke berichtete, dass zu Spitzenzeiten mitunter bis zu 1400 Teilnehmende unterwegs seien und so ein eindrucksvolles Zeichen dafür sind, wie und von wem der öffentliche Raum in Zukunft mehr genutzt werden könnte und möchte. Dazu müsse in Dortmund allerdings noch einiges passieren, da bisher nur ein kleiner Bruchteil der geplanten Erweiterungen und Neuerschließungen von Radwegen umgesetzt worden ist.
Auch Olaf Greve der NaturFreunde Kreuzviertel kam auf das Thema öffentlicher Wege zu sprechen. Die NaturFreunde Kreuzviertel sind eine seit 1986 bestehende politische Freizeitbewegung, die aus einer Nachbarschaftsinitiative im Kreuzviertel hervorgegangen ist und sich auf vielfältige Weise im Quartier engagiert. Auf den Konflikt um den Weg zwischen südlicher Innenstadt und dem Naherholungsgebiet Bolmke durch die Westfalenhallen angesprochen, betonte Olaf Greve die große Bedeutung dieser Anbindung für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen, da dies eben ein wichtiger Weg in Richtung Freibad, Westfalenstadion sowie eben dem beliebten Naherholungsbiet sei. Das Konfliktpotential um diesen Raum und dessen Bedeutung wurde auch durch einige Diskussionsbeiträge seitens der Zuhörer*innen deutlich.
Der Abend hat gezeigt, wie wichtig und teilweise konfliktbehaftet der öffentliche Raum und dessen Nutzung für viele Menschen in Dortmund ist und mit wie viel Energie, Freude, Motivation und Engagement die verschiedenen Initiativen und Gruppen dafür kämpfen, dass diese Räume weiterhin bestehen und existieren können.