SPD-Landtagsfraktion ließ Pflegefachkräfte reden

Forderung nach 35-Stunden-Woche und sicherem Dienstplan

Die SPD-Landesfraktion hatte zur Diskussionsrunde zum Thema „Neustart in der Altenpflege in NRW“ geladen. Foto: SPD Dortmund

Von Susanne Schulte

Die gesprochenen Worte waren deutlicher als die im Aktionsplan der SPD Landesfraktion zur Reform des Gesundheitssystems aufgelisteten zehn Punkte: Forderten die Diskutant:innen der Runde am Montagabend im Kongresszentrum der Westfalenhalle, den privaten Träger:innen von Krankenhäusern und Pflegeheimen per Gesetz den Gewinn zu schmälern, versprechen die Sozialdemokrat:innen im Aktionsplan ein wenig lau: „Wir werden: Eine Bundesratsinitiative zur Reform des Fallpauschalensystems anstoßen“ und „Erfahrungen aus der Corona-Krise in die Krankenhausplanung einbeziehen und uns gegen einen Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft einsetzen“.

v.l. Josef Neumann, Altenpflegefachkraft Katja Jung, Nadja Lüders, Anja Butschkau und Hans van Dormalen. Foto: SPD Dortmund

Zu dieser Informations- und Diskussionsveranstaltung hatte die Landesfraktion Nordrhein-Westfalen Katharina Wesenick eingeladen, bei ver.di zuständig für die Beschäftigten in den Branchen Gesundheit und Soziale Dienste, die Altenpflegefachkraft Katja Jung, den ehemaligen Senior:innenzentrumsleiter Hans van Dormalen und ihren gesundheitspolitischen Sprecher Josef Neumann.

Die Moderation hatten die Dortmunder Landtagsabgeordneten Anja Butschkau und Nadja Lüders übernommen. Knapp 30 Gäste folgten im Saal den Ausführungen, zehn hatten sich laut Angaben der Veranstalterin online zugeschaltet.

Die Pflegekasse diktiert den Personaleinsatz

Altenpflegefachkraft Katja Jung berichtete von ihrem Arbeitsalltag. Foto: SPD Dortmund

Nachdem Katja Jung von ihrem Arbeitsalltag berichtet hatte – in der Pflege sei man eng besetzt und habe „viele versteckte Aufgaben“, darunter auch manchmal den der Friseurin, und es fehle die Zeit für ausgiebige Gespräche mit den Angehörigen -, machte Hans van Dormalen die Rechnung auf, warum dies so ist.

Für 100 der Pflege bedürftiger Menschen aller Pflegestufen sehe das heutige Pflegekassen-System 36,6 Angestellte vor. Da sieben Tage die Woche gearbeitet wird, die Beschäftigten eine Fünf-Tage-Woche haben, bleiben pro Tag für drei Schichten 26 Pflegekräfte im Einsatz.

Davon fallen wieder 30 Prozent wegen Urlaub, Fortbildung und Krankheit aus, also erscheinen 18 Menschen in den Dienstplänen, geteilt durch drei Schichten bleiben sechs Personen übrig. Und 40 Prozent deren Arbeit sei nicht die am Menschen, sondern am Schreibtisch.

Josef Neumann ist gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW. Foto: SPD Dortmund

„Die eigentlich staatliche Daseinsvorsorge ist Teil des Marktes geworden“, knüpfte Josef Neumann an. „Jedes dritte Heim wird von privaten Trägern betrieben, weil es lukrativ ist.“ Er plädierte für einen Neustart der Gesundheits- und Pflegepolitik. Renditen von 17 bis 20 Prozent seien durchaus üblich in den privaten Unternehmen.

Katharina Wesenick von ver.di sagte: „Es ist ein Unding. Erst unterfinanziere ich ein System und unterwerfe es dann maximalem Profit.“ 100.000 Pflegekräfte kämen sofort zurück, wenn die Arbeitsbedingungen gut wären. „Wir wollen, dass der Profit in der Altenpflege weitestgehend minimiert wird.“

Auf die Frage von Nadja Lüders, wie man das hinbekäme, meinte Van Dormalen, er wolle „realistisch bleiben. Auch die nächste SPD geführte Landesregierung wird es nicht schaffen, die Pflege den Privaten zu entreißen.“ Man müsse jetzt scharfe Instrumente einsetzen, damit die Privaten sich zurückziehen würden, da keine Profite mehr zu machen seien.

Hans van Dormalen kennt sich in der Branche aus. Er leitete zwei Seniorenzentren der AWO. Foto: SPD Dortmund

Da stimmte ihm Neumann zu: Die Gewinne müssten in den Häusern bleiben für Renovierungen und Personal. Das Geld müsse im System bleiben und dürfe nicht als Aktiengewinn ausgezahlt werden.

Aus dem Publikum kam die Anmerkung, dass vor allem an die Frauen zu denken sei, von denen ein großer Teil in Teilzeit arbeite, was im Rentenalltag die Altersarmut bedinge. „Die haben vielfach den Glauben an die Politik verloren.“

Man müsse mehr auf die Frauen schauen, auch auf die, die zuhause pflegen, wie auf die, die bei ambulanten Diensten beschäftigt seien. Dass die Pflegearbeit traditionell eine weibliche sei, sei auch die Grundlage für das schlechte Gehalt, stimmt Hans van Dormalen zu.

ver.di fordert Whistleblower-Schutz für Beschäftigte in der Pflege

Katharina Wesenick von ver.di nahm per Videoschalte an der Veranstaltung teil. Foto: SPD Dortmund

Die 35-Stunden-Woche, gesicherte Dienstpläne, eine gesetzlich begrenzte Rendite waren Forderungen aus der Runde im Saal. Von Katharina Wesenick, die per Video zugeschaltet war, kam eine weitere: Die Arbeitsbedingungen in der ambulanten Pflege müssten intensiv angeguckt werden und es brauche einen Whistleblower-Schutz für Frauen und Männer, die aus ihrem Arbeitsalltag erzählen würden.

Die ambulanten Pflegedienst seien oft kleine Unternehmen, da gebe es keinen Betriebsrat. Deshalb brauche es hier effektive staatliche Kontrollen. Da hakte Neumann ein: Die Kontrolle ambulanter Pflegedienste sei so selten wie ein Sechser im Lotto. „Wo wenig Kontrolle ist, ist viel Missbrauch.“

Und er wagte noch einen Ausblick: Wegen der Schließung von wenig lukrativen Abteilungen wie Kinder-, Jugend- und Frauenmedizin „werden wir ein Fiasko erleben in den nächsten Jahren.“

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