Die Schulbedarfsplanung für die Nordstadt treibt nicht nur den Kommunalpolitiker:innen Sorgenfalten auf die Stirn: Denn trotz aller Bemühungen reichen die Plätze im Dortmunder Norden nicht. So müssen im kommenden Schuljahr zahlreiche Erstklässler:innen in andere Stadtteile fahren. Auch im weiterführenden Bereich sieht es nicht besser aus. Hinzu kommen die Kinder und Jugendlichen, die gar nicht beschult werden. Die Bezirksvertretung diskutierte daher einen ganz Straiß an Themen.
Zahlreiche Kinder müssen in anderen Stadtteile gefahren werden
Zum Schuljahr 2023/24 beginnt voraussichtlich für 5.947 Kinder das Schulleben (Stand: 28. März 2023) – im Vorjahr waren es bei Anmeldeschluss 5485. Einige Grundschulen können nicht alle angemeldeten Kinder aufnehmen. Kindern, die an ihrer Wunschschule keinen Platz erhalten können, wurde eine Alternative in der Nähe ihres Wohnortes geboten.
Eine besondere Situation hat sich in diesem Jahr an den Grundschulen im Stadtbezirk Innenstadt-Nord ergeben. 64 Kinder, die an den dortigen Schulen angemeldet wurden, können leider ihre Wunschschule nicht besuchen. Dies gilt vor allem für Anmeldungen an der Albrecht-Brinkmann- und der Oesterholz-Grundschule. Darüber hinaus erwartet der Fachbereich Schule weitere Anmeldungen zugezogener und schulpflichtiger Kinder im laufenden Schuljahr.
Aus diesem Grund schafft die Stadt Dortmund kurzfristig zusätzliche Schulplätze am Standort Gneisenaustraße 60, der ehemaligen Lessing-Grundschule. Diese bezieht in den Osterferien ihren Neubau an der Fichtestraße, so dass das Alt-Gebäude frei wird. Dort können zum Schuljahr 2023/24 dann 100 Erstklässler:innen sowie Seiteneinsteiger:innen zur Schule gehen. Die Schule an der Gneisenaustraße wird ein Teil-Standort der Libellen-Grundschule.
Zusätzlich bietet die Stadt Dortmund Familien, deren Kinder nicht an einer Nordstadt-Grundschule aufgenommen werden können, die sichere Schulbus-Beförderung zu Grundschulen in anderen Stadtbezirken. An 12 Schulstandorten, an denen es eine starke Nachfrage gab und räumlich möglich war, werden zusätzliche Eingangsklassen gebildet.
„Kinderlandverschickung“ erschwert soziale Kontakte und Schulleben
Mit den vorliegenden Zahlen und Informationen ist Julia Rüding (Die Partei) nicht zufrieden: „Es ist nicht ersichtlich, welche Kinder wo noch rumschwirren. Was ist mit denen? Sie werden nirgends aufgeführt. Und was passiert, wenn die Eltern nein sagen, die Kinder zwei Stunden durch die Stadt fahren lassen.“
Auch ihre Fraktionskollegin Cornelia Wimmer (Die Linke) ist unzufrieden: „Mehr Genauigkeit in Sachstandsbeschreibung wäre schön. Es ist uneindeutig. Sind es 100 oder 400 Kinder, die unversorgt sind. Das wäre zielführend zu wissen.“ Die unversorgten Kinder quer durch die Stadt zu fahren, könne nicht die Lösung sein.
„Es kann nicht sein, dass Kinder aus der Nordstadt bis Hombruch und nach Berghofen gekutscht werden. Sie müssen dann eine Stunde früher aufstehen“, so Wimmer. Das erschwere aber auch die Elternarbeit und soziale Kontakte.
„Ich bin entsetzt, wie hoch die Zahl der Kinder ist, die gefahren werden müssen – und die, die nicht beschult sind. Wir haben eine Schulpflicht und haben ein Recht auf Beschulung – auch wenn sie gefahren werden“, betont Brigitte Jülich, auch wenn dies nicht gut für sozialen Kontakte sei.
Fraktionsübergreifend wurde eine ausführliche Berichterstattung in der nächsten BV-Sitzung gewünscht — auch zu Kindern, die im Nachhinein kommen, weil sie nicht angemeldet wurden. Katrin Lögering (Grüne) wünschte sich daher die zuständige Dezernentin bzw. das Schulamt einladen.
Fehlende Schulplätze: „Selbst bei Einzelfällen ist das eine Katastrophe“
Julia Rüding fehlt ein Konzept: Ein Auffangkonzept, wo 15 Kinder für viel Geld gefördert würden, wenn hunderte Plätze fehlen, sei nicht zielführend. Ihr seien Fälle bekannt, wo Kinder zwei Jahre auf einen Schulplatz gewartet hätten. „Selbst bei Einzelfällen ist das eine Katastrophe. Wenn man erst mit neun oder zehn Jahren eingeschult wird, wird das Kind das nie mehr aufholen können“, fürchtet sie.
„Dass 400 Kinder keinen ,eigentlich vorgeschriebenen’ Schulplatz bekommen, ist eine Katastrophe. Das gesamte soziale Gefüge, was eine Schule mitbringt und was das soziale Leben ausmacht, wird für 400 Schüler platt gemacht“, findet Thomas Oppermann (SPD).
„Ich sehe zwar ein umfangreiches Bauprogramm, aber keinerlei geartete Strukturen, die das auffangen. Wir sollten nachdenken, eine Gesamtgrundschule zu schaffen, statt einzelne Gruppen in anderen Stadtteilen herumzuschicken“, so Oppermann.
„Der Vorschlag mit einer Berichterstattung ist richtig, aber da geht wieder Zeit ins Land. Wir brauchen eine Lösung: Meinetwegen können wir aus mobilen Einheiten eine provisorische Grundschule erstellen, auf einem Platz, der schon über Infrastruktur verfügt. Auf dem Fredenbaumplatz oder einem anderen Areal. Alles andere ist eine Form von Kindesmisshandlung“, so Wimmer.
Die CDU-Fraktion ist irritiert über Wortwahl und Kritik
Über die Wortwahl war Dorian Marius Vornweg (CDU) irrtiert: „Bei Kindesmisshandlung würde ich Anzeige erstatten. Sie nehmen das so leichtfertig in den Mund. Wenn sie den Tatbestand erfüllt sehen, erstatten sie Anzeige gegen die Dezernentin. Ich sehe mich bemüßigt, die Schulverwaltung zu schätzen – die Grünen freut es sicherlich.“
Die Verwaltung habe ein umfangreiches Schulraumprogramm gestartet. Aber die zukünftigen Schüler:innenzahlen seien völlig ungewiss – so ließen sich Schulräume kaum planen. So könne keine Kommune und kein Bundesland Schulbau planen. Mit den Konsequenzen würden aber die Kommunen allein gelassen.
Den Vorschlag von Containern sah Vornweg skeptisch: „Wir sind doch die allerersten, die sagen, dass das keine schöne Lernumgebung ist. Daher fällt es mir schwer, die Schulverwaltung für alle Widrigkeiten in Haftung nehmen zu wollen.“
Die Beschulung der Kinder in anderen Stadtteilen gefalle ihm auch nicht. Aber es sei „etwas schwarz-weiß gemalt, dass das ganze Leben der Kinder zerstört wird“. Wenn die Beschulung so durchgeführt werde, sei das zwar unbequem, aber besser, als wenn keine Lösung gefunden werde.
„Kinder in anderen Stadtteilen zu unterrichten ist doch eigentlich einen Bonus“, sagte der CDU-Politiker mit Blick auf den Kontakt zu muttersprachlich deutschen Kindern aus anderen Stadtteilen. Davon sei allerdings keine Rede: „Die Gruppen sind nicht gemischt“, verdeutlichte Brigitte Jülich (SPD).
Nordstadt-BV fordert eine sofortige Container-Schullösung
Auch wenn langfristig das Schulbauprogramm helfe, brauche es jetzt aber Lösungen für das kurzfristige Problem. „Wir haben genügend Raum, er ist nur falsch verteilt.“
Die Idee, Flächen für Container zu suchen, begrüßte Marco Unterauer (Grüne): „Jetzt Flächen für Container zu suchen, war beim Flüchtlingsthema binnen von Wochen möglich. Es muss möglich sein, binnen von vier Monaten eine provisorische Schule zu bauen. Ich glaube, dass ist möglich und von Verwaltung schaffbar“, so der Grünen-Politiker.
Bevor Grundschulkindern zugemutet würde, in alte Grundschulen weit entfernt zu fahren, schlug Hans-Georg Schwinn (Grüne) eine anderer Lösung vor.
„Ich kann mir auch einen Ringtausch vorstellen, dass stattdessen 9. oder 10. Klassen oder die Sekundarstufe 2 fahren. Denen ist das zuzumuten. Ich weiß, dass das auch mit Aufwand verbunden ist. Aber das ist vielleicht einfacher als eine Containerschule. Das sollte man durchaus auch prüfen“, so Schwinn.
Cornelia Wimmer machte deutlich, dass sie mit ihrer scharfen Wortwahl die Stadt nicht angreifen wolle: „Es liegt mir fern, die Stadt des bösen Willens zu bezeichnen oder der Säumigkeit. Die Stadt hat unglaubliche Probleme zu bewältigen. Ich habe schon Verständnis, dass das sehr schwere Aufgaben sind.“ so Wimmer.
Kritik: Geschwisterregelung wird bei Schulplatzvergabe nicht mehr berücksichtigt
Doch die Kritik, Kinder in anderen Stadtteilen zu beschulen, verteidigte sie „So werden Schulkarrieren empfindlich gestört. Eltern werden diese Form von Beschulung nicht nachvollziehen können. Das führt zu Schulabsentismus – Kinder werden dann gar nicht mehr in die Schule gehen“, fürchtet sie.
Auf einen anderen Missstand verweist zudem Julia Rüding: Die Aufnahme bzw. Ablehnung der Kinder sei ausschließlich nach der Entfernung entschieden worden. Auf „Geschwisterkonstallationen“ werde überhaupt nicht mehr Rücksicht genommen. So müssten Eltern nun dafür sorgen, dass ihre Kinder zeitgleich an verschiedenen Grundschulen ankämen.
Daher waren die Nordstadt-Politiker:innen nicht sonderlich zufrieden mit den Vorlagen zum Thema Schule: „Wir nehmen die Vorlage widerwillig zur Kenntnis“, kommentierte Bezirksbürgermeisterin Hannah Rosenbaum (Grüne). Das werden die Berichterstatter:innen der Verwaltung in der kommenden Sitzung der Bezirksvertretung sicher zu hören bekommen…
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