Kontinuierlich werden in der City Meter für Meter die neuen Fernwärmeleitungen der DEW21 verlegt. Die Schachtarbeiten finden auf äußerst geschichtsträchtigem Boden statt, weshalb die Bodeneingriffe stets durch Archäolog*innen begleitet werden, die die Zeugnisse vergangener Epochen und Kulturen dokumentieren und bergen. Auf diese Weise werden bei den Arbeiten nach und nach spannende Relikte des alten Dortmund aufgedeckt. Nun ist ein fast 100 Meter langes, überwiegend gut erhaltenes Stück Stadtmauer im Boden am Ostwall aufgetaucht, rund 60 Meter sind davon freigelegt und daher momentan auch zu sehen. Aus Respekt vor der Vergangenheit nehmen die Leitungen für die klimaneutrale Zukunft nun einen neuen Verlauf – und der war gar nicht so leicht zu finden.
Um den Fund zu erhalten, ist die Verlegung der Fernwärmetrasse notwendig
Am Ostwall stießen die Fachleute der Firma „Archäologen Linnemann, Quenders und Partner“ im Zuge der Baumaßnahme jüngst im Bereich der Viktoriastraße auf das etwa 60 Meter lange Stück der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Es handelt sich um die Hauptmauer der Befestigungsanlage.
Eigentlich war erwartet worden, dass sich die Mauer etwas weiter östlich, unter dem Grünstreifen befindet, das ließen zumindest die vorliegenden Kartenwerke vermuten. Doch die etwa 1,80 Meter breite Mauer ist bereits ab 0,4 bis 0,5 Meter „unter Flur“ bis zu einer mittleren Tiefe von 2,0 bis 2,2 Meter erhalten und liegt exakt in der Linie der geplanten Fernwärmetrasse.
Zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung, also wahrscheinlich um 1200 nach Christus, wies der Umfang der Stadtmauer fast 3,3 Kilometer auf und schützte den etwa 81 Hektar großen Stadtkern. Für den Bau der Mauer, die in romanischer Zweischalentechnik errichtet wurde, nutzen die Dortmunder den anstehenden Ruhrsandstein, den sie aus den umliegenden Steinbrüchen brachen.
Bereits 2018 war man auf die Vormauer der Befestigungsanlage gestoßen
Zwischen den aus mächtigen Steinquadern bestehenden Mauerschalen, wurde eine Mischung aus Bruchsteinen und Mörtel eingefüllt. Dies verlieh dem Bollwerk seine enorme Stabilität.
Stadteinwärts war vor die etwa neun Meter hohe Mauer ein Erdwall angeschüttet, der wiederum durch eine kleine Stückmauer gesichert war. Vor der großen Stadtmauer befand sich der zwölf bis 18 Meter breite Hauptgraben, dem die circa fünf Meter hohe Vormauer sowie der Vorgraben und ein mit Palisaden geschützter Weg folgten.
Immer wieder konnten im Zuge der zahlreichen Baumaßnahmen Ausschnitte des mittelalterlichen Befestigungswerks freigelegt und dokumentiert werden. Bereits 2018 war es den Archäologen gelungen im Rahmen der großen Tiefbaumaßnahme auf dem Ostwall zwischen Ostentor und Adlerturm die Vormauer des mittelalterlichen Befestigungswerkes nachzuweisen.
Über lange Strecken dokumentierten damals die Fachleute die etwa 0,9 bis ein Meter breite und teilweise noch bis zu 2,4 Meter mächtige Mauer und rekonstruierten deren Verlauf. Zusammen mit den jüngsten Ergebnissen von der Hauptmauer lassen sich erstmalig größere Strukturen der Befestigungsanlage in einen Zusammenhang bringen, die Ergebnisse interpolieren und für die weitere Trassenplanung nutzen.
Behutsames Vorgehen, um das Bodendenkmal zu bewahren
So vollziehen die beiden Mauern im Abstand von etwa 16,5 Meter von der Olpe bis zum Ostentor einen schwachen Bogen nach Westen, der seinen Höhepunkt im Bereich des Baukunstarchives hat. In Richtung Adlerturm biegen die Mauern wieder leicht nach Osten hin ab und verlaufen unter dem Grün- bzw. Mittelstreifen.
Die neuen Erkenntnisse zu Grunde gelegt, wären durch die Fortsetzung der Fernwärmetrasse in ihrem ursprünglich geplanten Verlauf wohl weitere 35 Meter der Hauptmauer freigelegt und insgesamt nahezu 100 m des eingetragenen Bodendenkmals zerstört worden.
In enger Abstimmung wurde mit allen Beteiligten (DEW21, Stadtentwässerung, Grünflächenamt, Tiefbauamt und Denkmalbehörde) eine Lösung gesucht, die einerseits den Schutz und den Erhalt der Stadtmauer gewährleistet und andererseits die Arbeiten am neuen Fernwärmenetz nicht behindern.
Auf der einen Seite sind die ausgeprägten Wurzelbereiche der Bäume am Ostwall „im Weg“. Sie dürfen nicht berührt werden. Denn abgerissene, gebrochene und zersplitterte Wurzeln bilden Eintrittspforten für Pilze, Bakterien und Viren.
Diese können Infektionen und Fäulen hervorrufen, die durch Zerstörung oder Blockierung von Leitungsbahnen den Baum in seiner Wasseraufnahme behindern, das Holz zersetzen oder in Form von Welkepilzen die Blätter schädigen, auf diese Weise also die Photosynthese behindern.
Die Lebenserwartung von Bäumen nimmt rapide ab. Auch viele Jahre nach einer Baumaßnahme kann sich eine Schädigung noch auf die Standfestigkeit auswirken.
Kompromiss: Kleiner bereits beschädigter Mauerteil muss weichen
Die Fernwärmeleitungen dürfen aber auch den Abwasserkanälen nicht zu nahe kommen – hier gelten festgelegte Abstandsregelungen, weil an bestehenden Abwasseranlagen durchaus mal die Notwendigkeit einer Reparatur in offener Bauweise gegeben sein kann.
Allein für die Ausschachtung der Baugrube wird immer ein gewisser Mindestabstand zu allen anderen Leitungstrassen benötigt, auch um einen schadhaften Kanal entsprechend heben zu können.
Im Regelfall wird bei Baumaßnahmen immer ein Abstand von ca. drei Metern nach rechts und links des Kanals eingehalten, die sogenannte Rohrleitungszone. Im Falle der Stadtmauer verzichtet die Stadtentwässerung Dortmund auf die vollen drei Meter zu beiden Seiten. Um die Mauer erhalten zu können, wird ein Abstand von 1,50 bis 1,75 Meter akzeptiert.
Die Lösung ist nun ein Versprung der Fernwärmeleitung auf die andere Straßenseite, damit um die Stadtmauer herum gebaut werden kann. Für die Umleitung muss ein kleiner Teil der Mauer (etwa fünf Meter) weichen. Dafür konnte eine Stelle ausgewählt werden, an der die Stadtmauer in der Vergangenheit durch ältere Bauarbeiten bereits beschädigt worden war.
Ein Stück Geschichte für Zuhause: Entnommene Steine sollen voraussichtlich versteigert werden
Die entnommenen Steine der alten Stadtmauer sollen jedoch nicht zerstört werden. Vielmehr arbeitet die Stadt Dortmund als Eigentümerin derzeit an der Idee, sie einzeln an interessierte Dortmunder*innen abzugeben. Ein großer Stadtmauerstein für den Vorgarten oder ein kleiner in der Wohnzimmervitrine – in jedem Fall etwas ganz Besonderes.
Je nach Größe könnten sie in mehreren Kategorien zu Beträgen von z.B. 30 bis 80 Euro für einen guten Zweck im Bereich Denkmalschutz versteigert werden. Die Untere Denkmalbehörde im Stadtplanungs- und Bauordnungsamt würde die weitere Organisation in ihre Hände nehmen. Im Stadtgebiet gibt es diverse Vereine oder Initiativen, die sich mit ganz verschiedenen Denkmälern beschäftigen und die sich über eine Zuwendung für ihre konkreten Projekte freuen würden.
Welche Projekte am Ende unterstützt würden und ob es vielleicht auch mehrere Initiativen sein könnten, muss bei der weiteren Planung erst noch geklärt werden. Dabei wird sich auch zeigen, auf welche Weise eine solche Versteigerung am besten organisiert werden könnte. Bis dahin ist den Steinen ein Lagerplatz auf einem Betriebshof der DEW21 sicher.
DEW nimmt aus Respekt vor der Stadtgeschichte Mehraufwand in Kauf
Für DEW21 bedeutet die Realisierung der „Umleitungstrasse“ einen deutlichen Mehraufwand und eine zeitliche Verzögerung der Fertigstellung. Dies nimmt DEW21 aber aus Respekt vor der Geschichte Dortmunds gerne in Kauf.
Durch die Umlegung der Fernwärmetrasse ist es nun möglich, ein wichtiges und großes Stück Stadtgeschichte für die kommenden Generationen zu erhalten. Die Stadtmauer wird am Ende der Bauarbeiten wieder im Boden verschwinden. Sie ist auf diese Weise vor Umwelteinflüssen geschützt und bleibt für die nachfolgenden Generationen erhalten. Für künftige Bauarbeiten ist sie durch ihre Kartierung und die Aufnahme in das Bodenkataster der Stadt geschützt.