Einsamkeit trifft psychisch Kranke doppelt hart 

SERIE (9): Assistenzagentur hilft Betroffenen mit ambulanten Angeboten

Das „Café Leuthardstraße“ ist ein Baustein der Einsamkeitsvermeidung. Foto: Alexander Völkel

Wenn über Einsamkeit gesprochen wird, wird schnell über Einsamkeit im Alter oder unter Jugendlichen gesprochen. Eine Gruppe, die überproportional davon betroffen ist, sind aber Menschen mit psychischen Erkrankungen. Um sie kümmert sich die Assistenzagentur der AWO.

Netzwerke als Schlüssel gegen Einsamkeit

Sie ist aus dem ambulant betreuten Wohnen für Menschen mit geistiger Behinderung. entstanden Aber die psychischen Erkrankungen sind seit Jahren auf dem Vormarsch. Daher hat sich die AWO seit 2010 auf diese Zielgruppe ausgeweitet. Psychisch und suchterkrankte Menschen machen mittlerweile den größten Teil der Klient*innen aus – oft mit einer doppelten Diagnose.Im Gegensatz dazu gibt es durch den medizinischen Fortschritt weniger Menschen mit geistiger Behinderung.

Die Assistenzagentur kümmert sich um 350 Personen, mittlerweile sind davon mittlerweile drei Viertel der Klient*innen mit psychischen Thematiken wie Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie. Melden kann sich Jede*r, bei der oder dem mindestens sechs Monate eine Diagnose wie Depression vorliegt.

Diese Betroffenen haben zu einem großen Teil auch mit Einsamkeit zu kämpfen. „Wir reden daher immer von Einsamkeitsvermeidung – das ist unser Schlagwort bei jeder Konzeption für ein Hilfsangebot“, berichtet Marie Eckle, Leitung der Assistenzagentur. „Der Ansatz ist systemisch: Wir ermitteln die Bedarfe. Eine Person sollte in ein Netzwerk eingebunden werden. Das ist das Hauptaugenmerk. Wir bilden Netzwerke gegen Einsamkeit.“

Einsamkeitsvermeidung als Ziel der offenen Angebote

Dabei sind die Betreuer:innen für viele Klient*innen „fast schon der Nabel der Welt – sie sind oft die einzige Bezugsperson“, weiß Eckle. Daher sei es wichtig, sich fachlich gut aufzustellen. Dabei geht es auch um Nähe und Distanz. Aber auch um Supervision – Mitarbeitendenschutz ist ein ganz wichtiges Thema in der sozialen Arbeit.

Marie Eckle leitet die Assistenzagentur der AWO in der Leuthardstraße. Foto: Alexander Völkel

Ein Großteil der betreuten Menschen wohnt alleine, in der eigenen Wohnung. Dazu gibt es noch 20 Wohngemeinschaften. „Menschen, die psychisch eingeschränkt sind, wünschen sich zwar Kontakte, aber es fällt ihnen nicht leicht“, weiß die Lieterin der Assistenzagentur. „Leben in einer WG klingt zwar  romantisch, ist es aber nicht. Da muss viel Arbeit geleistet werden. Es gibt viele Konfliktpotenziale, wenn man vorher lange alleine war.”

„Dabei ist es nicht wichtig, welche Diagnose eine Person hat. Ob eine geistige Behinderung oder eine psychische Erkrankung, sie können voneinander profitieren“, weiß Eckle aus jahrelanger Arbeit im ambulanten Rahmen der Einsamkeitsvermeidung. wer lange Jahre alleine lebt, neigt vielleicht in Verwahrlosung und hat keine sozialen Kontakte mehr, außer mal an Bude oder im Laden. „Jetzt erst mal in WG zu funktionieren und wieder sozial verträglich zu sein ist eine sehr sensible Thematik.“

Bei Einsamkeit dominiert das Gefühl der Wertlosigkeit

Die Isolierung ist ein Symptom fast jeder psychischen Erkrankung. Doch bis zu einer entsprechenden Diagnose kann es Jahre dauern – und wenn man sie hat, steht auch nicht automatisch ein Therapieangebot zur Verfügung. Bis dahin sind die meisten privaten Netzwerke verschwunden. Familie, Freunde und auch der eigene Arbeitsplatz sind da meist schon weg.

Die Gedankensprirale kreist: „Ich funktioniere nicht mehr, ich bin selbst schuld. Die Schuld ist ein wichtiges Thema.“ Symbolfoto: depositphotos.com

Bei Einsamkeit dominiert daher das Gefühl der Wertlosigkeit: „Der psychisch Erkrankte ist alleine nicht mehr in der Lage, adäquat zu handeln”, weiß Eckle. Die Gedankensprirale kreist: „Ich funktioniere nicht mehr, ich bin selbst schuld. Die Schuld ist ein wichtiges Thema“, weiß sie von ihren Klient*innen. Isolation ist die Folge, die Person zieht sich in sich zurück und versucht mit sich selbst zu kommen. Doch das klappe meist nicht.

Eckles Botschaft: „Die Betroffenen sind nicht selbst schuld, sondern krank!“ Wenn die Diagnose kommt, kommt kurz die Erleichterung. Doch dann braucht es weitere Bausteine – Hilfsangebote, Netzwerks und handelnde Akteure, die oft ein Leben lang helfen, die Menschen aufzufangen. „Da kommen wir mit ins Spiel“, weiß Eckle.

Assistenzagentur versteht sich als Sprachrohr für Betroffene

Die Assistenzagentur gehört zum Feld der „Eingliederungshilfe“ – den Begriff mag Eckle nicht und findet ihn fürchterlich. Aber der Gedanke ist, dass bei einer Person der Bedarf ermittelt wird und die eigenen Bedürfnisse. Das gehört zur Hilfeplanung, „damit du für dich und auch für die Gesellschaft wieder funktionierst. Hilfe, wieder eingegliedert zu werden“.

Das Café Leuthardstraße ist ein Ort für Hilfe und Kontakte, wenn es in den eigenen vier Wänden zu eins ist. Foto: Alexander Völkel

Das Hilfsangebot ist limitiert: Normal hat eine Begleitperson nur drei bis fünf Stunden pro Woche pro Klient*in zur verfügung. Das muss reichen, damit eine Person in der Lage ist oder bleibt, wieder alleine in einer Wohnung zu leben.

Die Hilfen können sehr unterschiedlich sein: Ein Anruf, damit die Person auch aufsteht, das Öffnen von Briefen, Begleitung bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Ganz wichtig sind auch sogenannte Entlastungsgespräche. Das sind zumeist zwischenmenschliche Ratschläge, aber fachlich fundiert. Oder man spricht mit dem Netzwerk, zum Beispiel Familie oder Vermieter. „Wir sind ein Sprachrohr, aber brauchen eine Mitwirkung.“

Das Café kann soziale Kontakte und ein günstiges Mittagessen bieten

Ein zusätzlicher Baustein ist das „Café Leuthardstraße“: Auch hier geht es um Einsamkeitsvermeidung. Möglich ist die Arbeit u.a. durch eine Bezuschussung durch die „Aktion Mensch“. Entstanden ist der Gedanke während der Corona-Pandemie, wo die Personen, die schon wenig soziale Kontakte hatten, dann gar keine mehr hatten. Im Café gab es unter strengen Auflagen noch Hilfen und ein warmes Essen.

Der Caféwagen lockt Menschen sehr niederschwellig in die Leuthardstraße – und schafft Begegnungen. Foto: Alexander Völkel

Mittlerweile wurde das Café weiterentwickelt und weitergeführt mit Kooperationspartnern. z.B. mit „Community Music“ vom Konzerthaus. Das Angebot steht auch Nachbarn offen. Von großer Bedeutung ist auch der Kaffeewagen: „Er ist so elementar wichtig”, weiß Eckle.

Denn hier kommen Bauarbeiter vorbei oder  Menschen, die in die Stadt gehen. Aber auch eigene Klientinnen und Mitarbeitende. „Da kommst Du ins Gespräch – nicht tiefsinnig, aber ein erster Kontakt. Hier entstehen Anknüpfungspunkte.

Doch im Café gibt es neben einem kostengünstigen Mittagessen – sechs Tage die Woche gibt es hier ein warmes Essen für nur 2 Euro pro Mahlzeit vielfältige Angebote: Gemeinsames Kochen, Kreativangebote und gemeinsame Sportmöglichkeiten – alles sehr niederschwellig. Zudem gibt es Angebote für verschiedene Zielgruppen, zum Beispiel für Mutter-Kind oder nur für Frauen. Bei allem steht die Einsamkeitsvermeidung im Mittelpunkt. Hier bekommen sie das, was ganz viele psychisch Kranke nicht mehr haben – soziale Kontakte.

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