Immer dann, wenn im Zuge von Baumaßnahmen neue Bodeneingriffe erforderlich sind, ist auch die Bodendenkmalpflege der Stadt Dortmund von Beginn an mit in die Planung involviert. So auch bei der geplanten Errichtung neuer Wohnhäuser am Pleckenbrink in Wickede. Eine überaus seltene Entdeckung im Rahmen der dort durchgeführten archäologischen Grabung ist für die Denkmalbehörde von Dortmund der Grund, diese spannenden Ergebnisse nun als Denkmal des Monats März vorzustellen.
Hoffnung auf Bodendenkmäler „unter Flur“: Topographie und historische Kartenwerke
Bereits früh im Planverfahren für das Bauvorhaben am Pleckenbrink setzte sich die Denkmalbehörde mit der Deutsche Reihenhaus, Bauherrin des Vorhabens, in Verbindung um den Umgang mit möglichen Bodendenkmälern auf dem Plangebiet zu klären. Denn die Auswertung der historischen Kartenwerke zeigte, dass das Areal, abgesehen von kleineren neuzeitlichen Eingriffen, keine tiefreichenden Bodeneingriffe erfahren hatte.
Stattdessen wurde die Fläche im 19. und 20. Jahrhundert mit bis zu zwei Meter mächtigen Schichten aus Lösslehm „aufgefüllt“. Damit war ein entscheidendes Kriterium für den Erhalt von Bodendenkmälern „unter Flur“ erfüllt. Neben dem äußerst fruchtbaren Lössboden, der überall am Nordhang des Dortmunder Rückens vorzufinden ist, ergab die Auswertung zudem, dass hier einst ein Quellhorizont vorzufinden war.
Im Ergebnis konnte festgestellt werden: Das zukünftige Baugebiet war geradezu dazu prädestiniert, dass sich die Menschen in der Vorgeschichte hier ansiedelten um Ackerbau und Viehzucht zu treiben. Die Lage an der seit Jahrtausenden existierenden Ost-West-Handelsroute, dem Hellweg, ermöglichte zudem die Anbindung an ein überregionales Austausch- und Handelsnetz.
Diese Fakten waren für die Denkmalbehörde Grund genug, um vor dem Baubeginn eine archäologische Untersuchung durchführen zu lassen. Eine Entscheidung die sich lohnen sollte.
Meterdicke Lehmschichten? Industrialisierung liefert Antwort
Bereits in der Vergangenheit waren Baumaßnahmen auf den Nachbargrundstücken durch die Denkmalbehörde begleitet worden. Doch mangels einer Unterkellerung waren die dabei durchgeführten Bodeneingriffe nicht tief genug, um ungestörte Kulturschichten zu erreichen.
Stattdessen konnten lediglich moderne Planierschichten aus (Bau-)Schutt sowie darunter liegende teils weit über einen Meter dicke und nahezu sterile Lösslehmpakete, also umgelagerte Mineralböden, beobachtet werden. Während derartige Schutthorizonte keine bemerkenswerte Besonderheit in den Ruhrgebietsstätten darstellen, so gaben die Lehmpakete ein Rätsel auf.
Hatte man hier im 20. Jahrhundert im Zuge der Flurbereinigung tiefere Mulden aufgefüllt? Wohl kaum, denn diese Schichtabfolge war keine kleinräumige Erscheinung, sondern konnte bei allen Erdarbeiten beobachtet werden. Auch das Bodengutachten zu der nun projektierten Fläche durch das Deutsche Reihenhaus belegte einen derartigen Schichtabbau für das gesamte Baugebiet.
Ein absoluter Glücksfall für die Archäologie
Doch wer hatte die Motivation und vor allem die erforderliche Infrastruktur um solch große Mengen an Sediment mit einem Ochsenkarren, einem Pferdegespann oder einem motorisierten Gefährt zu bewegen. Die Antwort findet sich in der Geschichte der Region.
Denn mit der fortschreitenden Industrialisierung nahm der Bedarf an Ziegeln für die Industrie, aber auch für die Wohnbebauung exponentiell zu. Überall entstanden Ziegeleibetriebe, die in einfachen Feldbrandmeilern oder später beispielsweise in Ringöfen die dringend benötigten „Backsteine“ brannten.
Um an den für die Ziegelproduktion erforderlichen Lehm zu gelangen, mussten meistens die oberen Erdschichten abgetragen werden, wodurch große Abraummengen entstanden. Offensichtlich hatte man die große Fläche am Pleckenbrink genutzt, um diese Sedimente hier abzulagern. Ein absoluter Glücksfall für die Archäologie, wie sich nun herausstellte.
Vorgeschichtliche Siedlungszeugnisse in zwei Meter Tiefe
„Wir haben hier vorgeschichtliche Siedlungszeugnisse in zwei Meter Tiefe“. Das war die Meldung, die der Archäologe Dr. Senczek der Firma Archaeologie.de am 22. September 2021 an die Stadtarchäologie in Dortmund meldete. Wenig später stand fest, in allen Suchschnitten, die die Fachleute mit einem Bagger auf der großen Fläche angelegt hatten, fanden sich Besiedlungsspuren in Form von dunklen Verfärbungen im „gewachsenen“ Boden.
Neben den üblichen Verdächtigen, also den sogenannten Pfostengruben oder (Abfall-)Gruben, die eine jede vorgeschichtliche Siedlungsstelle auszeichnen, erregte aber ein übergroßer, amorpher Grubenbefund die besondere Aufmerksamkeit. Neben der Form und der Größe, unterschied sich die Grube besonders durch die dunkle und sehr homogene torfige Verfüllung.
Neben Gefäßresten und Tierknochen enthielt die Füllung auch mehrere sogenannte Silexartefakte, also Klingen und eine Pfeilspitze aus Feuerstein. In etwa 1,80 Meter Tiefe, im Bereich der Grubensohle zeigte sich eine feingliedrige Bänderung in der Füllung, die viele Schalen von etwa zwei bis vier Millimeter großen Schneckentieren enthielt. Offensichtlich musste diese Grube über längere Zeit wasserführend gewesen sein.
Geborgene Funde decken eine Zeitspanne von 2.800 Jahren ab
Während die geborgenen Gefäßreste aus der Grube am ehesten in einen eisenzeitlichen (800 v. Chr. bis zur Zeitenwende) Zeithorizont datiert werden können, passen die Silexklingen und besonders die kleine Pfeilspitze aus Feuerstein in die Übergangsphase vom Neolithikum (Steinzeit) zur Bronzezeit. Damit decken allein die geborgenen Funde aus der Grube eine Zeitspanne von circa 2.800 Jahren ab.
Derzeit laufen die naturwissenschaftlichen Untersuchungen an den Knochenfunden, den Schnecken und Sedimentproben. Sollten die Ergebnisse der 14C-Datierungen tatsächlich eine ähnlich lange Nutzungsdauer dieser Grube bestätigen, so wäre das eine Sensation.
Üblicherweise hatte eine vorgeschichtliche Siedlungsstelle eine Lebensdauer von wenigen Generationen. Waren die Gebäude baufällig, lieferte der ausgelugte Boden nicht mehr genug Ertrag oder war der angrenzende Wald stärker abgeholzt, fand eine Neugründung in einer gewissen Entfernung statt.
Wasser als Grundlage allen Lebens – Ein Parallelfund in der Reichshofstraße
Doch um was handelt es sich bei dem Befund und warum wurde die Grube offensichtlich über einen so langen Zeitraum „offen gehalten“? Die Antwort auf diese Frage liegt knapp sechs Kilometer weiter westlich am Hellweg. Bereits 2015/16 konnten Archäologen an der Reichshofstraße einen ähnlichen Grubenkomplex dokumentieren, der aufgrund seiner torfigen Sedimente und den darin enthaltenen Schneckenschalen als Wasserstelle interpretiert wurde.
Die archäologischen Funde, es waren einige Keramikscherben und Silexartefakte sowie ein kleiner Reibstein, datierten die Fachleute in die Bronzezeit. Doch die Radiocarbondatierung lieferte ein Ergebnis, das aufhorchen ließ: Offensichtlich war dieser Grubenkomplex eine über 4.000 Jahre offene Wasserstelle die fast 1.500 Jahre durch den Menschen genutzt und gepflegt wurde. Auch für den vorgestellten Grubenbefund vom Pleckenbrink darf eine Funktion als Wasserstelle angenommen werden.
Sowohl die Wasserstelle an der Reichshofstraße, wie auch der nun jüngst dokumentierte Wassergrubenbefund sind ein Beleg für die sehr frühe und dauerhafte Nutzung der siedlungsgünstigen Lagen entlang des Hellwegs.
Übrigens: bei der Fortsetzung der Schachtarbeiten konnten mindestens zwei weitere derartige Gruben im Planum dokumentiert werden. Eine weitere wichtige Parallele zu dem spannenden „Wassergrubenkomplex“ von der Reichshofstraße.