Er war keine neun Monate alt, als seine Mutter 1992 mit ihm ins Flugzeug von Skopje nach Düsseldorf stieg, um vor dem grausamsten Krieg nach 1945 zu fliehen. „Für meine Familie und mich war es die einzige Chance auf Leben, da der Jugoslawienkrieg für viele Menschen aufgrund von ethnischen Säuberungen den Tod bedeutet hätte“, sagt der Nordstädter Elvedin Goljica.
Familie gehörte der ethnischen Minderheit der Goranci im heutigen Kosovo an
So gilt das Massaker von Srebrenica vom Juli 1995 als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Bereits abgeschlossene Prozesse vor internationalen Gerichten haben gezeigt, dass die Verbrechen nicht spontan erfolgten, sondern systematisch geplant und durchgeführt wurden.
2007 bewertete der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (UN-Kriegsverbrechertribunal) in Den Haag das Massaker von Srebrenica als Genozid.
Elvedin Goljica gehört der ethnischen Minderheit der Goranci im heutigen Kosovo an, die im besagten Krieg zwischen die Fronten geriet. Sie wurden und werden auch heute noch sowohl von den Serben als auch von den Albanern diskriminiert: Während des Jugoslawienkrieges hatten viele Goranci an der Seite Serbiens gekämpft, obwohl sie albanisierte Nachnamen haben und Muslime sind.
Einige Goranci fühlen sich auch heute noch mit der serbischen Regierung in Belgrad mehr verbunden als mit der heutigen kosovarischen Zentralregierung in Pristina, was auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen ist.
„Ich bin ein echter Dortmunder Jung,
ein echter Nordstädter“
„Seit meinem ersten Lebensjahr lebe ich schon in der Dortmunder Nordstadt. Hier bin ich aufgewachsen. Ich bin ein echter Dortmunder Jung, ein echter Nordstädter“, so Elvedin Goljica.
Während der Grundschulzeit und vor allem nach dem Wechsel auf das Gymnasium bemerkte er, dass seine Eltern oft Begriffe verwendeten, die sie ihm selbst nicht wirklich erklären konnten.
Durch die häufigen Besuche bei der Ausländerbehörde und die häufigen Entschuldigungen für den Schulunterricht stellte er fest, dass er sich von den anderen Kindern in seiner Klasse unterschied.
Seine Eltern sprachen mit ihm und mit seinen Geschwistern nicht darüber, dass sie politische Flüchtlinge waren. Jedes Mal waren seine Eltern mit Todesangst zur Ausländerbehörde gegangen, hatten nicht gewusst, was mit ihnen passieren würde, waren teilweise in Lethargie und Resignation verfallen. Aber sie hatten alles unternommen, damit sich er und seine Geschwister in Dortmund wohl und heimisch fühlten.
„Fast zehn Jahre durften wir Deutschland und viele Jahre sogar NRW nicht verlassen“
„Am 11. September 2001 – jenem Tag, als der terroristische Angriff auf das World Trade Center verübt wurde – haben wir endlich den erlösenden Brief von unserem Anwalt erhalten. Fast zehn Jahre durften wir Deutschland und viele Jahre sogar NRW nicht verlassen“, so Elvedin Goljica melancholisch.
„Keinem Menschen bin ich in meinem bisherigen Leben so dankbar wie unserem Rechtsanwalt Günther Wegmann. Obwohl er vielleicht letztlich nur seinen Job als Anwalt gemacht hat, war er es, der es meiner Familie und mir ermöglicht hat, in Deutschland dauerhaft bleiben zu können. Ich weiß nicht, wie ich ihm das jemals zurückgeben kann“, so Elvedin Goljica überglücklich.
Im Jahre 2002 war er das erste Mal im Kosovo und hat sich wie im Krieg gefühlt. Spätestens da hat er festgestellt, welches Glück er hatte, in Deutschland aufgewachsen zu sein. Mit zunehmendem Alter hat er den Jahre andauernden Leidensweg seiner Eltern begriffen und war felsenfest entschlossen, sich in Deutschland erfolgreich zu integrieren.
Nordstädter hat sich im Studium dem wichtigen Thema Bildungsaufstiege gewidmet
Nach der Schullaufbahnempfehlung für das Gymnasium hat er sich als einer der Leistungsträger seines Jahrgangs entpuppt und damit begonnen, sich in seiner Schule ehrenamtlich zu engagieren.
Im Jahre 2011 hat er erfolgreich sein Abitur abgelegt und sein Studium kürzlich mit „sehr gut“ abgeschlossen. Das Thema seiner Bachelor-Arbeit war ihm eine Herzensangelegenheit: Bildungsaufstiege.
Während seines Bachelorstudiums hat er zahlreiche Praktika in der öffentlichen Verwaltung gemacht und durfte auch ein Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, D.C. (USA) machen.
Dabei nutzte er natürlich die Chance, andere US-amerikanische Städte zu besuchen.
„Als Wahlkampf war, habe ich immer gerne mitgeholfen, aber als ich gefragt wurde, ob ich Wahlhelfer sein möchte, musste ich immer ablehnen, da ich noch kein deutscher Staatsbürger war. Das war ziemlich frustrierend!“ so Elvedin Goljica rückblickend.
Seit 2012 ist Elvedin Goljica deutscher Staatsbürger
Nach einem langen Einbürgerungsverfahren wurde er im Jahre 2012 eingebürgert und ist „heute sehr glücklich darüber, deutscher Staatsbürger“ zu sein, da er endlich wählen und Wahlhelfer sein darf.
Während seines Praktikums im NRW-Arbeitsministerium hatte ihn seine damalige Referatsleiterin dazu ermutigt, sich für ein Stipendium zu bewerben, da sie aufgrund seines ehrenamtlichen Engagements und seiner Leistungen im Studium positiv überrascht gewesen war – trotz katastrophaler Startbedingungen.
„Ich habe mich beworben und darauf gehofft, dass es klappt. Alle Bewerbungsrunden hatte ich gemeistert und es stand noch das letzte Gespräch in Bonn an. Dort empfing mich ein älterer Herr und sagte mir, dass er am nächsten Tag nach Pristina fliegen wird. Er war sichtlich überrascht, dass ich den Balkan so gut kenne und auch über meinen Werdegang“, so Elvedin Goljica.
Stipendiat der Deutschlandstiftung Integration im Stipendienprogramm „Geh Deinen Weg“
Kurz vor Weihnachten kam der „große Brief“. Er wurde Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und konnte sein Glück kaum fassen – auch heute noch realisiert er das alles nicht.
Seit 2015 ist er auch Stipendiat der Deutschlandstiftung Integration im Stipendienprogramm „Geh Deinen Weg“.
„Aktuell suche ich noch nach einem geeigneten Mentor. Aber wer es letztlich wird, darüber habe ich mir noch keine finalen Gedanken gemacht, aber bekannte Namen aus Dortmund habe ich definitiv im Kopf“, so Elvedin Goljica nachdenklich.
Der Lebenslauf von Elvedin Goljica zeigt, dass es auch unter schwierigsten Bedingungen möglich ist, sich in Deutschland erfolgreich zu integrieren. „Auch wenn es in diesem Land in einigen Bereichen Handlungsbedarf gibt, liebe ich es trotzdem. Denn Deutschland ist längst meine Heimat geworden, vor allem unsere Stadt Dortmund“, so Elvedin Goljica.
Dennoch hat es ihn jetzt über den „Großen Teich“ verschlagen: „Es ist das zweite Mal, dass ich in den USA bin, aber in Kalifornien bzw. Los Angeles ist es noch einmal ganz anders als an der Ostküste“, berichtet er.
In Washington D.C. und in New York war der Nordstädter bereits früher. „Hier leben so viele unterschiedliche Menschen: Die verschiedenen Etablissements und die Sprachvielfalt sind atemberaubend.“
Praktikum beim Deutschen Generalkonsulat in Los Angeles
Aktuell ist er Praktikant beim Deutschen Generalkonsulat in Los Angeles. „Ich durfte ein langes und intensives Gespräch mit dem Generalkonsul führen, der von meinem Werdegang fasziniert ist.“
Er hat sich mittlerweile mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekannt gemacht, die ihn in die Arbeit eingebunden haben. „Ich habe mit einer Delegation des Konsulats das berühmte Museum of Tolerance besucht und mit ihnen anschließend den Tag in der Cheesecake Factory ausklingen lassen.“
„Selfie-Fan“ – Sein Selbstbildnis mit Angela Merkel brachte ihn in die Zeitungen
Auch die Kanzlerin hat der junge Migrant bereits getroffen – dies brachte ihm Bilder in vielen Zeitungen. Denn Goljica ist – wie die Bilder zeigen – ein „Selfie-Fan“. Sein Selbstbildnis mit Angela Merkel lichteten auch andere ab.
Während seines Praktikums beim Auswärtigen Amt war Tag der offenen Tür bei der Bundesregierung. Er wollte sich unbedingt das Bundeskanzleramt anschauen. „Auf einmal kam die Kanzlerin, hielt im Ehrenhof eine kurze Rede und begann Richtung Kanzleramt zu gehen“, berichtet der Nordstädter.
„Ich zückte mein Handy heraus und dann kam sie auf mich zu: Ich knipste mit meinem Handy das Foto, sie klopfte mir zwei-, dreimal auf die Schulter, nickte herzlich, lächelte mich an und ging weiter“, berichtet Elvedin Goljica lachend. Eine ziemlich lustige Geschichte: „Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“.
Offene Zukunftspläne: Aber irgendetwas mit Politik sollte es schon sein
„Wohin für mich die berufliche Reise hingeht, weiß ich nicht so genau. Das ist aber für Bildungsaufsteigerinnen und Bildungsaufsteiger ziemlich typisch“, sagt der Weltenbummler.
„Aufgrund meiner bisherigen Tätigkeiten kann ich mir die Politik oder auch den Staat als zukünftigen Arbeitgeber gut vorstellen, aber auch gegenüber anderen Unternehmen, das heißt der freien Wirtschaft, bin ich keinesfalls abgeneigt“, so Elvedin Goljica.
„Als ich im Jahre 2014 ein Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung gemacht habe, hatte mir mein damaliger Vermieter, ein pensionierter ranghoher US-Staatssekretär, gesagt: „You’ll be president one day! Keep on!“
„Ich bin offen für vieles und mal schauen, wohin die Reise für mich weitergeht. Aber aktuell genieße ich California und bald die Ostküste“, betont Goljica.