Immer wieder finden sich bei dem Bau eines Gebäudes oder einer Straße Zeugnisse vergangener Epochen und Kulturen. Auch bei Arbeiten im eigenen Garten oder auf dem Feld könnten solche Funde auftauchen. Unter anderem auch aus Gründen der Unwissenheit werden diese wichtigen Funde nicht immer der Denkmalbehörde gemeldet, sodass wichtige Informationen unwiederbringlich verloren gehen. Am Muttertag entdeckte ein Junge beim Spielen eine 6.000 Jahre alte Spitzklinge aus der Jungsteinzeit. Ein herausragender Fund. Das Verhalten des Finders und seiner Familie vom Zeitpunkt des Auffindens bis hin zur Meldung des Fundes, war so beispielhaft, weshalb sich die Denkmalbehörde dazu entschlossen hat, den Fund und den Umgang damit im Denkmal des Monats Juli vorzustellen.
Eine Erlebniswelt vor der Haustür – Der richtige Weg – die Fundmeldung bei der Denkmalbehörde
Für viele Kinder ist es ein Paradies, wenn die Natur mit Wiesen, Wäldern und kleinen Bächen direkt vor der Haustür ist und zu immer neuen Abenteuern einlädt. Schon oft hatte Till mit seiner Schwester und seinen Freunden an dem Hang in dem Wald gespielt, Unterschlüpfe und kleine Aussichtsplattformen errichtet oder an dem schmalen, das Grundstück querenden Bach, Staudämme errichtet.
Am Muttertag lud das schöne Wetter zu neuen Taten ein und Till arbeitete wieder an einer moosgepolsterten Plattform als etwas zwischen den Blättern und Tannennadeln am Waldboden seine Aufmerksamkeit auf sich zog: Ein seltsamer Stein, der zur Hälfte noch im Waldboden verborgen lag. Neugierig betrachtete er mit seiner Schwester den etwa 9,8 cm langen und knapp 4 cm breiten Fund. Der Stein wurde offensichtlich durch Menschenhand bearbeitet und schien irgendeine Funktion gehabt zu haben. Die Eltern wurden also um Rat gefragt und Tills Vater war schnell klar: Es muss sich um einen archäologischen Fund handeln, der sicherlich einige Jahrhunderte oder vielleicht sogar Jahrtausende alt ist.
Wer sich selbst an seine Kindheit zurückerinnert, der weiß, von den zahlreichen Experimenten mit den unterschiedlichen Materialien. Auch Steine werden dabei gern auf(einander) geschlagen oder zum Hämmern genutzt. Intuitiv handelte der Vater von Till richtig und nahm den Fund fürs Erste in seine Obhut, um eine Beschädigung an dem Objekt zu verhindern. Auch die Fundstelle beließ man unangetastet. Am Abend wurden einige Fotos vom Fundstück angefertigt und die Denkmalbehörde informiert, mit dem Gedanken, dass die Archäologen den spannenden Fund weiter bestimmen und zeitlich einordnen können.
6.000 Jahre alt – eine Michelsberger Klinge – serielle Produktion und steinzeitlicher Handel
Und tatsächlich, die Begeisterung bei den Fachleuten ist groß, denn bei Tills Fund handelt es sich um eine sogenannte Spitzklinge aus Silex (Feuerstein), die einmal die Klinge eines Dolches bildete. 6.000 Jahre ist der Fund alt und datiert in das Jungneolithikum, also in die Jungsteinzeit. Durch die bilaterale flache Retusche ist der Feuerstein spitz zugearbeitet. Am flachen Ende ist deutlich der sogenannte Bulbus erkennbar.
Dabei handelt es sich um einen flachen Buckel, der beim Abschlagen des Klingenrohlings vom Kernstein, dem Nukelus, entsteht. Die Machart des Artefaktes ist charakteristisch für die „Michelsberger Kultur“, eine Kultur, die in der Jungsteinzeit existierte und die sich neben den Messer- und Dolchklingen, flachnackigen Beilen auch durch die typischen spitzbodigen Gefäße und flachen Schalen mit geknickter Wandung kennzeichnete.
Auch im Raum Dortmund sind Vorkommen von Feuersteinen verzeichnet, die im Zuge der Eiszeiten durch die Gletscher von Norden bis nach Westfalen geschoben wurden. Doch diese Spitzklinge hatte man nicht aus diesem Steinmaterial gefertigt. Tatsächlich wurde der Werkstoff für diese Klingen in Südholland in großem Stile abgebaut und an Ort und Stelle in serieller Produktion hergestellt. Von dort aus verhandelte man die Klingen über den europäischen Kontinent.
Denn bereits damals, also um 4.000 vor Christus existierten weitreichende und gut funktionierende, den europäischen Kontinent überspannende, Handelsnetze. So gelangte diese, aus westeuropäischem Silex hergestellte Spitzklinge auf dem Handelsweg nach Dortmund. Aus dem westfälischen Raum sind zahlreiche Spitzklingen bekannt. Die Parallelfunde stammen beispielsweise von den großen Erdwerken bei Soest, Coesfeld und Osterwick.
Nachhaltige Nutzung – Der Neugier widerstehen – Das eigene Nachgraben zerstört wichtige Informationen
Ursprünglich waren die Dolchklingen bis zu 20 cm lang. Der tägliche Gebrauch führte jedoch dazu, dass hin und wieder eine Spitze abbrach. Die Klinge war dadurch jedoch nicht unbrauchbar, sondern musste lediglich nachbearbeitet und eine neue Spitze „zurechtgeschlagen“ werden. So schrumpfte eine Spitzkling mit der Zeit, bis eine weitere Bearbeitung beziehungsweise eine Nutzung nicht mehr möglich war. Erst dann wurde der Gebrauchsgegenstand entsorgt. Gut denkbar ist es daher auch, dass auch der hier vorgestellte Fund bereits einige Zeit in Nutzung und womöglich einmal 15 bis 20 Zentimeter lang war.
Doch wie kam es dazu, dass der 6.000 Jahre alte Fund auf dem Waldboden an dem Hang gefunden wurde und nicht versteckt unter einer mächtigen Erdschicht lag? Denkbar ist, dass ein Starkregen oder auch die landwirtschaftliche Nutzung zu einer Freilegung der Silexklinge auf dem oberhalb des Hanges gelegenen Geländesporn geführt hat. Vermutlich ist die natürliche Erosion ursächlich für die nachfolgende Verlagerung des Fundes bis zu seinem Auffindungsort. Derartige Fundstücke werden auch als Lesefunde bezeichnet, denn es fehlt der Fundzusammenhang.
Dennoch war es richtig, nicht der enormen Neugier zu erliegen und im Boden nach weiteren Zeugnissen zu suchen, sondern die Fundstelle in unverändertem Zustand zu belassen. So konnte die Denkmalbehörde eine Bewertung des Fundortes vornehmen und hätte im Bedarfsfall, gern gemeinsam mit Till und seiner Familie, eine archäologische Dokumentation durchgeführt.
Die Denkmalbehörde sorgt für die wissenschaftliche Auswertung und Dokumentation – der Fund bleibt beim Finder
Wie bei jedem archäologischen Fund übernimmt die Denkmalbehörde auch die Spitzklinge für die wissenschaftliche Auswertung und Dokumentation. Dabei wird ein Eintrag in ein GIS-System erstellt, um den Fund zu verorten. Womöglich sind aus dem Umfeld bereits weitere Fundmeldungen bekannt. In diesem Fall könnte das Artefakt in einen größeren Kontext eingebunden werden.
Das Objekt erhält eine individuelle Fundnummer, wird fotografiert und nach fest definierten, landesweiten Standards gezeichnet. Auch die Untersuchung der Spitzklinge auf alte Anhaftungen und Abnutzungsspuren, die womöglich mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind, veranlasst die Denkmalbehörde. Alle Informationen werden gesammelt und in einer Akte zu dem Fund zusammengeführt. Nach der Beendigung der Untersuchung wird die Spitzklinge jedoch nicht bei der Denkmalbehörde magaziniert.
Till wird als ehrlicher Finder seine Klinge zurückerhalten. Sie soll einen „Ehrenplatz“ in seinem Elternhaus erhalten, soviel hat er schon verraten. Erst wenn Till mit seiner Familie von Dortmund wegziehen sollte oder er den schönen Fund verkaufen möchte, wird die Denkmalbehörde aktiv und wird versuchen das Stückchen Dortmunder Geschichte in der Stadt zu halten. So verhält es sich im Übrigen bei 99,9 Prozent der in Dortmund gemachten Funde.
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