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Von Susanne Schulte
Das Arbeitszimmer von Jutta Uellenbeck in Hostedde ist ein Archiv Dortmunder Heimatgeschichte. Ihr Großvater Wilhelm Knorr, Baumeister und Ziegeleibesitzer, war aktiv dabei, als viele die Stadt prägende Häuser und Siedlungen entstanden. „Meine Mutter hat immer erzählt, dass er einen Teil des Baus des Althoffblocks beaufsichtigt hat samt der Gaststätte Volmarsteiner Platz“, erzählt die 91-jährige Frau, die alles gesammelt hat, was an Papieren und Dokumenten ihrer Familie die zwei Weltkriege und die Jahrzehnte danach überdauert hat. Auch beim Bau der Lenteninsel sowie an weiteren vor allem Backsteingebäuden in der östlichen und nördlichen Innenstadt leitete er die Arbeiten. Ein Foto zeigt ihn vor dem Luftschacht Rote Fuhr in Grevel, der ebenfalls unter seiner Aufsicht entstand.
Die erste Dortmunderin machte ihren Führerschein 1925
Wilhelm Knorrs Tochter Luise Knorr, die Mutter von Jutta Uellenbeck, beansprucht ihren eigenen Platz in der Stadtgeschichte. Sie war die erste Frau in Dortmund, die ihren Führerschein bestand. Das war im Mai 1925. Jutta Uellenbeck zeigt den Originalführerschein ihrer damals 20-jährigen Mutter. „Mittlerweile ist er in zwei Teile zerfallen“, sagt sie. Was ja kein Wunder ist nach mittlerweile 100 Jahren. Zur Sicherheit hat die Hostedderin von wichtigen Unterlagen Kopien gemacht. Auch vom Führerschein.
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Zurück zum Großvater. Wilhelm Knorr, 1875 im schlesischen Nenkersdorf bei Glogau geboren, machte eine Maurerlehre und ging anschließend nach Berlin zum Studium zum Baumeister. Im Ruhrgebiet suchte man damals viele Arbeitskräfte, um Kohle abzubauen und Brücken wie Bahnlinien aufzubauen. So kam auch Wilhelm Knorr nach Hamm, der für eine dort ansässige Firma an der Zugstrecke von Hamm nach Lünen-Süd und weiter nach Oberhausen den Brückenbau beaufsichtigte.
Mittagspause machte er oft auf einem Hof in Lerche bei Hamm, bei dem Ehepaar Schlüter. Deren Tochter Friederike wird Knorrs Ehefrau. Das junge Paar zieht nach Derne, erst an die Altenderner Straße, später an die Friedensstraße, später Hostedder Straße, wo Wilhelm Knorr ein Grundstück gekauft hatte und dort ein hochherrschaftliches Haus für die Familie bauen ließ – mit einem Badezimmer und später noch einer Koksheizung.
Knorr leitete den Bau vieler Siedlungen und Gebäude
Mittlerweile hatte er sich selbstständig gemacht, verlud Koks für die Zeche Preußen und begann, im Auftrag für Wohnungsbaugesellschaften die Arbeiten für ganze Siedlungen zu leiten.
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In der Inflationszeit, so sah Jutta Uellenbeck später bei der Durchsicht der vielen Dokumenten, hatte die Firma 464 Mitarbeitende beschäftigt. So viele Lohnzettel fand sie im Nachlass. Ihr Großvater starb 1937, da war seine Enkeltochter noch keine vier Jahre alt.
Der Schwiegersohn Erich Feeth übernahm die Geschäfte. Er war Architekt, hatte die Bauschule Idstein besucht und war somit auch vom Fach. Er musste während des folgenden Krieges nicht an die Front, sehr zu seiner Erleichterung, erzählt die Tochter, kam aber dann 1944 im November beim schweren Bombenangriff auf Dortmund ums Leben.
Der preußische Innenminister Carl Severing war Gast in Hostedde
Nach dem Krieg wurde der Betrieb nach und nach aufgegeben, die Ziegelei in Lünen-Hostmar verkauft. Von dem regen sozialen Leben ihrer Mutter und Großeltern zeugen viele Fotos, die auch in unterschiedlichen Heimatbüchern und -broschüren abgedruckt sind wie dem dicken Nachschlagewerk zur Geschichte der Dionysiuskirche.
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Jutta Uellenbeck hat nichts weggeworfen. Weder den Kraftfahrzeugbrief für einen Daimler-Benz mit 50 PS, Baujahr 1929, noch die Lebensmittelmarken, weder den in den Jahren des herrschenden Nationalsozialismus geforderten Ariernachweis, noch ihren 90 Jahre alten Teddy.
Auch die Briefe des preußischen Innenministers Carl Severing, der Anfang der 1920-Jahre häufig bei Knorrs nächtigte, wenn bei Auseinandersetzung zwischen Industrieunternehmern und den Belegschaften ein Schlichter gefordert war, hütet sie in einem der vielen Ordner.
Der SPD-Politiker schrieb noch einige Jahre nach dem Krieg an Jutta Uellenbecks Mutter Luise Knorr, erzählte von seiner Familie und seinen Lebensumständen und ging auf ihre Briefe ein.
Ob es daran liegt, dass ihre Familie selbst in die Geschichte eingebunden war, oder weil sie sich einfach für ihre Umgebung interessiert – Jutta Uellenbeck nimmt regelmäßig an den Treffen des Geschichtskreises Scharnhorst teil, der alle zwei Wochen donnerstags zusammenkommt. Und häufig bringt sie aus ihrem reichhaltigen Archiv Fotos und Schriftstücke mit, die intensiv und interessiert angeschaut und durchgeblättert werden.
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