Ein Vergehen, das nicht in Vergessenheit geraten darf: Die jährliche Gedenkveranstaltung erinnert an die jüdischen Opfer der Novemberpogrome im Jahr 1938. So auch auf dem Wilhelmplatz in Dortmund-Dorstfeld. Es wird ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt – ein unerlässlicher Schritt, denn trotz stetiger Bildungsarbeit ist antisemitisches Gedankengut nach wie vor präsent. Besonders seit dem Terroranschlag auf Israel im Jahr 2023 nehmen antisemitische Anfeindungen und Bedrohungen merklich zu.
Redebeiträge und Schüler:innenprojekte zur Gedenkfeier am Wilhelmplatz
Eine Vielzahl an Menschen versammelte sich am Donnerstagnachmittag (7. November 2024) vor dem jüdischen Mahnmal in Dortmund-Dorstfeld. Sie drücken so ihre Solidarität gegenüber den jüdischen Opfern der Pogromnacht 1938 aus – „Gemeinsam gegen das Vergessen”, wie auch das Motto der Gedenkfeier lautet.
Bürgermeister Norbert Schliff, Astrid Cramer, die Bezirksbürgermeisterin der Innenstadt-West, Rabbiner Avigdor Nosikov und Adrian Ben Shlomo aus der Jüdischen Kultusgemeinde waren unter den Teilnehmer:innen, die sich mit Reden an das Publikum wendeten.
Zusätzlich stellten Schüler:innen der Martin-Luther-King-Gesamtschule, des Reinoldus- und Schiller-Gymnasiums sowie des Leibniz-Gymnasiums Beiträge in Form von Gedichten oder Musikstücken vor.
Ein historischer Abschnitt, der nicht in Vergessenheit geraten darf
Rund 86 Jahre ist es her, dass das NS-Regime organisierte Gewaltmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung vornahm. Jüdinnen und Juden erlebten Angriffe und Deportationen. SA-Angehörige plünderten, demolierten und brannten ihre Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen nieder. Die Nacht vom 8. auf den 9. November stellt den Startschuss der organisierten Vernichtung des jüdischen Lebens in Deutschland dar.
„Eine Nacht, die die dunkelsten Seiten der Menschheit offen legte. Auch in Dortmund brannten Synagogen, unter anderem die große Synagoge in Hörde und jüdische Mitbürger verloren ihr Zuhause und ihr Leben“, erinnert Schliff.
„Es ist wichtig, an diese schrecklichen Taten zu erinnern. Und deshalb ist unsere heutige Gedenkveranstaltung nicht nur ein Zeichen der Trauer und der Vergangenheit, nein, sondern auch ein Weckruf für die Gegenwart und für die Zukunft”, richtet sich der 1. Bürgermeister an die Anwesenden.
Anfeindungen in Deutschland führen zu großem Unbehagen
Ein Weckruf für die Gegenwart und Zukunft, wie Schilff es betitelt, bezieht sich unter anderem auf ein aktuelles Ereignis: Der Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Reaktionen auf den Überfall machen den Bestand von antisemitischem Gedankengut in der Gesellschaft deutlich: Der Bundesverband RIAS e.V. vermerkte in den ersten 34 Tagen seit dem Kriegsbeginn etwa 29 antisemitische Vorfälle pro Tag in Deutschland. Im Vorjahr lag der Jahresdurchschnitt noch bei knapp sieben Vorfällen pro Tag.
Für Shlomo sind Anfeindungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Deutschland ein Problem, mit dem er täglich konfrontiert ist. „Ich bin es gewohnt“, berichtet er in einem Redebeitrag auf der Gedenkfeier vor dem Mahnmal. Fassungslos ist er dennoch über das Sicherheitsempfinden der jüdischen Bevölkerung in Deutschland seit dem Kriegsbeginn.
„Ich las und hörte auch sinngemäß den Satz mehr als einmal, ‘in Israel fühle ich mich als Jude sicherer als hier in Deutschland’. (…) In Israel herrscht Krieg. Fast täglich wird Israel mit Raketen beschossen (…). Menschen sterben oder werden verletzt. Und Juden fühlen sich dort sicherer als hier? Wie kann das sein?” greift Shlomo in seiner Rede auf.
Organisationen setzten sich mit Projekten gegen Antisemitismus ein
Zahlreiche Organisationen nahmen ebenfalls an den Gedenkfeier teil. Noch bevor die öffentlichen Redebeiträge die Gedenkstunde füllten, konnten sich Interessent:innen zu den Projekten der Organisationen informieren. Auf dem Wilhelmplatz positionierten sie ihre Stände, die in verschiedenen Formen die Themen Nationalsozialsozialismus, Gedenken und Antisemitismus aufgriffen.
Neben der Mahn-und Gedenkstätte Steinwache, das Projekt U-Turn, ADIRA, RIAS und der CVJM e.V waren auch der Jugendring Dortmund, der Verein „Omas gegen Rechts” und der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Dortmund vertreten.
Der Jugendring Dortmund brachte dafür ein interaktives Projekt mit. Mit Putzzeug konnten Interessent:innen zwei Stolpersteine, die exemplarisch bereitgestellt wurden, reinigen.
Was viele Personen nicht wissen: Stolpersteine sind Mahnmale, die an das Schicksal verstorbener Menschen der NS-Zeit erinnern sollen und in der Stadt verteilt sind, erklärt Fabian Karstens vom Jugendring. Das Bewusstsein wird so über die kleinen Gedenktafeln geschaffen.
Der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Dortmund zog mit einem Banner, quer über dem Platz, die Aufmerksamkeit auf sich.
Lebensverkürzte oder schwer erkrankte Kinder hätten zur NS-Zeit nicht überlebt, erzählt Dagmar Petzgen vom Kinderhospiz. „Sie waren wertlos für das Leben (…) Es hat alle getroffen. Die Juden brauchten jedoch nicht mal was dafür zu machen”.
Der Kampf gegen Antisemitismus muss weiter gehen
Trotz beständiger Anfeindungen der jüdischen Gemeinschaft appellieren die Redner:innen für den fortbestehenden Kampf gegen den Antisemitismus. „Die Erinnerung darf nicht nur ein Akt der Trauer oder der moralischen Pflicht sein.
Sie muss lebendig bleiben, aktiv in unserem Handeln, in der Art, wie wir gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und in der Art, wie wir uns gegen jede Form von Hass stellen” spricht Shlomo.
„(…) Werden Sie aktiv, werden Sie wütend und kämpferisch, werden Sie laut, nur dann können wir alle gemeinsam etwas verändern.” Und auch Rabbiner Avigdor Nosikov spricht davon, im Namen der jüdischen Bevölkerung, die „moralische Pflicht, den Mut nicht zu verlieren”.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
Mehr auf dazu auf Nordstadtblogger:
Gegen Antisemitismus und für mehr Dialog: jüdische Geschichte und Vielfalt sichtbar machen
Über jahrhundertealte Ressentiments und die endlose Geschichte des Judenhasses
SERIE „Ein Jahr nach dem 7. Oktober“: Der Überfall der terroristischen Hamas auf den Staat Israel
Reaktionen
„Mit Erinnerungskultur ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen: Handwerkskammer und Stadt Dortmund erinnern in der Steinwache an die Reichspogromnacht (PM)
Kammerbezirk. Anlässlich des Jahrestages der Reichspogromnacht besuchten Vertreterinnen und Vertreter der Handwerkskammer (HWK) Dortmund sowie der Stadt Dortmund gemeinsam die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache. Ziel des Besuchs war es, an die Geschehnisse der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zu erinnern und ein Zeichen gegen Antisemitismus und für ein friedliches Miteinander zu setzen.
Gemeinsames Erinnern in der Gedenkstätte Steinwache
Die Steinwache, ehemals eine Polizeiwache, dient heute als Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus und als Lernort für zukünftige Generationen. Durch die Ausstellung und die Zeugnisse der Vergangenheit soll an die Schrecken und das Leid erinnert werden, das die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber auch viele andere Verfolgte in dieser Zeit erlitten. Mit einer Führung durch das Haus sowie anschließenden Gesprächen und Diskussionen setzten die Vertreterinnen und Vertreter der HWK Dortmund, der Handwerksjunioren sowie der UnternehmerFrauen im Handwerk gemeinsam mit dem Sonderbeauftragten des Oberbürgermeisters für Vielfalt, Toleranz und Demokratie ein Zeichen gegen das Vergessen.
Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund: „Die Reichspogromnacht ist ein düsteres Kapitel in der deutschen Geschichte, dessen Mahnung uns auch heute noch wachrütteln muss. Als Handwerkskammer Dortmund sehen wir uns in der Verantwortung, mit unserer Erinnerungskultur ein Zeichen gegen Antisemitismus und für ein friedliches Miteinander zu setzen. Gerade im Handwerk stehen Werte wie Respekt, Toleranz und Solidarität im Vordergrund. Dies möchten wir besonders in dieser Zeit betonen.“
Auch Friedhelm Evermann, Sonderbeauftragten des Oberbürgermeisters für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, hob hervor: „Die Stadt Dortmund ist sich ihrer historischen Verantwortung bewusst und setzt sich aktiv für die Aufklärung und gegen das Vergessen ein. Die Erinnerung an die Opfer der Pogromnacht und an das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, bleibt ein wichtiger Teil unseres städtischen Engagements. Dafür setzen wir heute ein gemeinsames Zeichen mit dem Handwerk der Region.“