Diskriminierung und Depriviligierung von Roma in Europa: Ein interkulturelles Symposium über kommunale Gegenstrategien

Gut besucht war das Symposium „Roma in Europa“ im Dortmunder U. Fotos: Alex Völkel
Gut besucht war das Symposium „Roma in Europa“ im Dortmunder U. Fotos: Alex Völkel

Von Thomas Engel

Anlässlich des vierten Roma-Kulturfestivals Djelem Djelem fand am Montag, 9. Oktober 2017, im Dortmunder U die wichtigste Veranstaltung statt: Erstmals lud die Veranstaltergemeinschaft zu einem großen Symposium. Das Thema: „Roma in Europa – der Kampf für ein würdiges Leben“. Beteiligt waren neben Fachleuten aus Wissenschaft und Politik vor allem NGO’s der Roma aus der Bundesrepublik sowie aus Süd- und Südosteuropa.

Hintergrund des Symposium: Stärkere Migrationsbewegung von Roma

Roma-Selbstorganisationen aus Südosteuropa stellten ihre Projekte und Strategien vor.
Roma-Selbstorganisationen aus Südosteuropa stellten ihre Projekte und Strategien vor.

Vor dem Hintergrund einer stärkeren Zuwanderung von Roma aus Bulgarien und Rumänien seit 2014 im Zuge der EU-Integration vor allem in die Großstädte NRW’s zielte das Format des Symposiums nicht so sehr darauf ab, über die Roma in Europa und ihre spezifischen Problemlagen zu sprechen.

Vielmehr sollte es ein Forum interkulturellen Austausches und – idealtypisch – Raum für einen Diskurs mit den durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU Zugewanderten bereitzustellen.

In verschiedenen Gesprächsrunden mit Roma aus Selbstorganisationen und kommunalen Politikern des Ruhrgebiets wurde denn auch schnell deutlich, wo aktuell entscheidende Probleme vor Ort liegen, um die durch die Roma-Migration der letzten Jahre entstandenen spezifischen Integrationsprobleme in den Kommunen bewältigen zu können.

Das Grundproblem in den Kommunen: Wissen und Geld fehlen

Stichwort: Wissen. Die konkreten Kenntnisse der lokalen Politik über die Roma, ihre Werte, Traditionen und Einstellungen sind fragmentarisch, mindestens aber ausbaufähig. Ohne ein profundes Wissen aber über die aus Süd- und Südosteuropa stammenden Roma und ihre soziale Lage können kaum sinnvolle Integrationsmittel bereitgestellt werden.

Auch Bildungsfragen wurden diskutiert.
Auch Bildungsfragen wurden diskutiert. Foto: Pascale Gauchard

So bemängelte die Beigeordnete für Jugend, Soziales, Bildung und Kultur der Stadt Hagen, Margarita Kaufmann, dass den örtlichen Stellen häufig grundlegende Informationen über die Lage der rund 5000 neu zugewanderten Roma fehle.

Es hapert am Wissen über deren Wohn- und Arbeitssituation sowie deren Bildungsvoraussetzungen. Zudem fehle es schlicht an sozialen Kontaktpersonen, zumal es anders als bei Flüchtlingen nur wenige Freiwillige im Bereich der Roma-Betreuung gäbe. Und zu wenig professionelle soziale Hilfsangebote. Denn:

Stichwort: knappe finanzielle Ressourcen. „Uns fehlen hinten und vorne die Mittel“, stellte Margarita Kaufmann plakativ fest. Damit steht sie nicht allein; das Problem betrifft nahezu alle Kommunen mit signifikanter Roma-Zuwanderung.

„Kommunen sind der Reparaturbetrieb“, sekundiert Daniela Schneckenburger, Jugend- und Schuldezernentin der Stadt Dortmund, würden aber bei den Integrationskosten allein gelassen. Deutlich wurde sofort: Die Kommunen sind bezüglich der Integrationskosten von Roma schlicht überfordert.

Daher wird in der abschließenden Erklärung des Dortmunder Symposiums die Bundesregierung unmissverständlich aufgefordert, „sich ab dem Jahr 2018 für die Dauer von fünf Jahren an der Finanzierung der Integrationsfolgekosten (Kinderbetreuung, Beschulung, berufliche Ausbildung, soziale Versorgung), in den bundesdeutschen Kommunen zu beteiligen.“

Besondere Problemfelder der Integration südosteuropäischer Migranten

 Prof. Elizabeta Jonuz
Prof. Elizabeta Jonuz

Stichwort: Bildung, schulische wie berufliche Ausbildung, sowie die soziale Versorgung überhaupt. Europaweit besuchen 50 Prozent der Roma-Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen sechs und 24 Jahren keine Schule, betonte Prof. Elizabeta Jonuz von der Hochschule Hannover.

Sie ist eine der wenigen Roma überhaupt, die an einer Universität lehren. Der Anteil der SchulabrecherInnen ist unter Roma unverhältnismäßig hoch.

Viele Roma-Kinder, die eine Schule besuchen (sollten), hatten zuvor vielleicht noch nie die Gelegenheit, ein Buch in den Händen zu halten; ihre Fehlzeiten in den Schulen sind höher als die anderer Kinder. Hier braucht es „kultursensible Wege in der Bildung“, fordert Daniela Schneckenburger.

Vielfalt der Roma-Kinder: Nicht nur auf Defizite, sondern auch auf Stärken schauen

Das Jugendamt Dortmund hat eine mobile Beratungsstelle für Armutsflüchtlinge eingerichtet.
Das Jugendamt Dortmund hat eine mobile Beratungsstelle für Neuzuwanderer eingerichtet.

So würden in Dortmund besondere Angebote für Roma-Kinder geschaffen. Statt Ethnisierung stünde die Frage im Vordergrund: „Was brauchen diese Kinder?“ Und: Es sei wichtig, die Vielfalt der Roma-Kinder wahrzunehmen, ihre Stärken, statt nur auf die Defizite zu schauen.

Ob Ethnisierung sozialer Hilfen auf kommunaler Ebene überhaupt sinnvoll sei, um sie der besonderen Lage der Roma besser anzupassen, wurde auf dem Symposium ausführlich diskutiert.

Dies wurde vor allem von den Verantwortlichen der Kommunalpolitik mit dem Hinweis abgelehnt, es müsse dort geholfen werden, wo es nötig sei, andernfalls bestünde die Gefahr, bei durch eine Ethnisierung von Hilfen Ausgeschlossenen antiziganistische und andere Ressentiments zu erzeugen.

Gelingende Integration vs. Antiziganismus

Stichwort: Integration. Europa kann nur gelingen, wenn die Integration der aus Süd- und Südosteuropa Zugewanderten gelingt. Soll diese gelingen, darüber waren sich die TeilnehmerInnen des Symposiums einig, muss es zu einer stärkeren gesellschaftlichen Teilhabe der zugewanderten Roma kommen.

Symposium Roma in Europa im Dortmunder U - Roma-Kulturfestival Djelem Djelem
Die für Integration zuständige NRW-Staatssekretärin Serap Güler sprach ein Grußwort.

Dies bedeutet eine Stärkung der Roma durch Selbstorganisation. Aber auch, dass viele dieser von Roma gegründeten Initiativen, die sich während des Symposiums kurz vorstellten, offen für alle Menschen sind.

Stichwort: struktureller Antiziganismus. Sinti und Roma bilden in der EU die größte ethnische Minderheit, nämlich ca. sechs Millionen. Auch in der Bundesrepublik sind sie als solche anerkannt.

Dagegen zitiert Elizabeta Jonuz den Direktor der EU-Agentur für Grundrechte M. O’Flaherty, der noch vor einigen Monaten unumwunden diagnostizierte: „Unsere offenkundige Unfähigkeit in Europa, die Menschenrechte unserer Roma Gemeinschaften zu achten, ist inakzeptabel. Das Ausmaß an Deprivation, Ausgrenzung und Diskriminierung der größten Minderheit in Europa stellt rechtlich wie politisch ein schweres Versagen in der EU und ihren Mitgliedsstaaten dar.“

Beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft gehörten Roma zu den größten Verlierern

Romani Rose ist Vorsitzender des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland.
Romani Rose ist Vorsitzender des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und Schirmherr der Veranstaltung, wies in seinem Grußwort darauf hin, das Symposium vermittele eine klare politische Botschaft gegen den Antiziganismus.

In einer Zeit, in der in Südosteuropa für Roma teilweise noch apartheidsähnliche Zustände herrschten, sie in Ghettos segregiert kaum Zugang zu Einrichtungen des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen haben, Zwangsvertreibungen an der Tagesordnung sind.

Beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft dort seien die Roma einer der größten Verlierer. Vor dem Hintergrund ihrer Lage in Südosteuropa wandte sich Romani Rose deutlich gegen die Abschiebepraxis der Bundesrepublik und ihre Annahme, es handele sich bei den betroffenen Staaten um sichere Herkunftsländer.

Eine kurze Debatte gab es über den Begriff des „Antiziganismus“. Der Einwand gegen diese Begriffsverwendung lautete: Roma bezeichnen sich als „Roma“, nicht als Zigeuner. Daher müsse korrekterweise vom „Antiromanismus“ als eine Form des Rassismus gesprochen werden. Dagegen wurde allerdings argumentiert: das Wort „Zigeuner“ ist nicht nur diskriminierend belegt, sondern auch eine Selbstbezeichnung von Sintis.

Alltägliche Diskriminierungen von Roma

Wichtiger als solche Debatten über den politisch korrekten Präzisionsgebrauch sprachlicher Ausdrücke war: Die Teilnehmer des Symposiums erzielten Einigkeit, dass gerade Roma mit der ihnen eigenen und sich von der Mehrheitsgesellschaft augenfällig unterscheidenden Tradition besonders häufig Opfer rassistischer Diskriminierungen werden.

Roma in der Mallinckrodtstraße Dortmund
Roma in der Mallinckrodtstraße: Sichtbarstes Zeichen der Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien.

So belegt eine von Elizabeta Jonuz zitierte Studie aus dem Jahre 2012, dass 81 Prozent der deutschen Sinti und Roma schon einmal Diskriminierungen erfahren haben: bei Behörden, bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, der Gesundheitsversorgung, in der Nachbarschaft und Freizeit.

Wird irgendwo eine Straftat begangen, ist es gerade in deprivilegierten Milieus nicht unüblich, dafür eine bestimmte Ethnie, nämlich die noch Schwächeren, die Roma unter Verwendung von eingefleischten Vorurteilen und Stereotypen verantwortlich zu machen.

In der Abschlusserklärung wird auch deshalb ausdrücklich empfohlen, „für das Ruhrgebiet ein Romano Than, ein Haus für die Europäischen Roma aufzubauen.“ Eine Institution mithin als Teil funktionierender Integrationsstrukturen, die als Empowerment der Roma-Community fungieren kann und gleichzeitig offen und konzipiert ist für interkulturelle Begegnungen zum Abbau fremdenfeindlicher Einstellungen und Intoleranz.

Kulturelles Rahmenprogramm der Vielfalt im Dortmunder U

Roma sind ein Teil europäischer Kultur. Verstreut über viele Nationen, ist ihre Kultur entsprechend vielfältig. Das kulturelle Rahmenprogramm des Symposiums zeugte davon.

Musikalische Rap-Würze von „Iko und Purse“, HipHop-Breakdance von „U.K. Style Revolution“ und orientalische Weltmusik von „Mah-e Manouche“, deren Homepage der (bezüglich des Schicksals der Roma vielsagende) Satz ziert: „Heimat ist eine vagabundierende Fata Morgana“.

Ein insgesamt gelungenes Symposium, das gezeigt hat, wo im Einzelnen Probleme der Integration von Roma auf kommunalpolitischer und sozialplanerischer Ebene, aber auch Lösungsansätze für diese Defizite liegen.

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