Menschen die aufgrund ihres Aussehens abgelehnt werden und Betriebe die offen diskriminieren – eine traurige Realität, die heutzutage noch präsent ist. Beim vierten „Young Talk“ im Dietrich-Keuning-Haus in der Dortmunder Nordstadt hatten junge Menschen die Chance, ihren Unmut gegenüber den Betrieben, aber auch Beratungsstellen Luft zu machen.
YoungTalk: Eine Plattform auf der junge Menschen für sich einstehen können
Jugendliche hatten die Möglichkeit in einer offenen Diskussion mit Dirk Vohwinkel, Leitung der Ausbildungsberatung der Industrie- und Handelskammer (IHK), Björn Woywod, Abteilungsleiter der Ausbildungsberatung der Handwerkskammer (HWK) und Yvonne Becker, Berufsberaterin bei der Bundesagentur für Arbeit, über die Chancengleichheit im Ausbildungsmarkt zu sprechen. ___STEADY_PAYWALL___
Einer der Teilnehmer ist Melih Pires. Er ist gekommen, um sich für die Rechte der Auszubildenden, gegen Diskriminierung und mehr Chancengleichheit einzusetzen.
„Ich habe viel gesehen und in meiner Vergangenheit und Ausbildung viele Erfahrungen gemacht“, sagt Pires, „Zwar bin ich kein Auszubildender mehr. Doch möchte ich mich für die Auszubildenden einsetzen.“
In Workshops hatten die zwischen 14 und 27 Jahre alten Teilnehmenden die Gelegenheit, sich intensiv über ihre individuellen Erfahrungen und Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt auszutauschen. Den Austausch haben die jungen Teilnehmer:innen genutzt, um konkrete Forderungen für verbesserte Bedingungen zu formulieren. Diese haben sie den Gästen im „Talk“ dann vorgetragen.
Jugendliche kritisieren die Beratungsstellen
Von den jungen Menschen kam auch einiges an Kritik gegenüber den Beratungsstellen: Online-Tests, die man nur als Fachmann absolvieren könne, Beratungskräfte, die ihre „Schützlinge“ nicht ausreichend beraten und Betriebe, die offen diskriminieren würden.
„Wir werden da aktiv mit den Firmen Kontakt aufnehmen und hinwirken, dass das geleistet wird. Insbesondere was die Online-Tests , aber insbesondere was das Angebot von Praktika anbelangt“, versichert Vohwinkel.
„Aber auch die Sache, eben nicht auf den Nachnamen, nicht auf die Postleitzahl, wie auf das Kopftuch, den Ohrring oder das Tattoo zu achten“, wolle man thematisieren.
Ihm sei bewusst, dass es wie ein schwacher Trost klingt, doch sehe er Hoffnung: „Da wir ganz viele freie Stellen haben und ganz viele Bewerber, denke ich schon, dass wir in dieser Zeit gute Möglichkeiten haben viele Betriebe, die es vielleicht unbewusst noch machen auf die richtige Seite zu ziehen“, sagt der Vertreter der IHK.
Einer der Jugendlichen erzählt von seiner schlechten Erfahrung mit der Beratungsstelle und wie er zum Ende hin ohne Ausbildung blieb.
Yvonne Becker, Berufsberaterin bei der Bundesagentur für Arbeit geht auf ihn ein und bietet ihm an sich von ihr beraten zu lassen. Doch ist das Misstrauen gegenüber den Beratungsstellen schon zu groß. Er lehnt ab.
Auch bei den anderen Jugendlichen macht sich dieses Misstrauen bemerkbar. „Da müssen wir noch viele Bretter bohren. Auch wir von der IHK“, gibt Vohwinkel zu.
Diskriminierungsfälle in den Betrieben, die der IHK nicht bekannt seien
Die Vertreter:innen der Beratungsstellen wurden auch mit Einzelfällen konfrontiert, in denen Betroffene aufgrund ihres Kopftuches oder ihrer Hautfarbe abgelehnt wurden. Vohwinkel offenbart, dass der IHK diese Fälle nicht bekannt seien.
Das sorgte für Empörung unter den Jugendlichen: „An wen wenden sich Azubis denn konkret wenn sie diskriminiert werden?“, kommt aus den Reihen der jungen Menschen.
Vohwinkel zeigte die Einsicht, dass noch viel Arbeit geleistet werden müsse. Er versichert den Jugendlichen, dass die IHK sich den Fällen direkt annehme und mit Betrieben ins Gespräch gehe.
Doch sagt er auch: „Es gibt scheiß Unternehmen, die mit Menschen noch so umgehen. Ich möchte für euch lieber Unternehmen finden die nicht so ticken.“ Aus dem Talk nimmt sich Pires mit, dass es wichtig ist miteinander zu sprechen und aufzuzeigen was falsch läuft. „Wenn man hört, dass der IHK kein Diskriminierungsfall bekannt ist, muss man denen aufzeigen, dass es ohne Ende Diskriminierung gibt“, sagt er.
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Das deutsche Antidiskriminierungsgesetz wird 18 – Kein Grund zum Feiern! Diskriminierungsfälle in Deutschland nehmen stetig zu – Bundesregierung verschleppt versprochene Reform (PM Planerladen)
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wurde am 18. August 18 Jahre alt. Das Gesetz weist seit Inkrafttreten massive Schutzlücken auf, trotzdem fand in dieser Zeit keine umfassende Reform statt. Obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart, setzt die Regierung die Reform nicht um.
Deutschlands rechtlicher Diskriminierungsschutz liegt weit unter dem Standard anderer europäischer Länder. Am 18.08.2024 wurde das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) volljährig, steckt aber nach wie vor in den Kinderschuhen. So wurden in 18 Jahren, in denen sich Deutschland gesellschaftlich verändert hat und es mehr Kenntnisse über Diskriminierung und Ausschlüsse gibt, die gesetzlichen Schutzlücken nicht geschlossen. Der Diskriminierungsschutz hält mit den gesellschaftlichen Entwicklungen nicht Schritt. Die Bundesregierung vereinbarte im Koalitionsvertrag erstmalig eine umfassende Reform.
„Die Bundesregierung zuckt seit drei Jahren mit den Schultern, trotz kontinuierlich steigender Diskriminierungszahlen und rechter Bedrohung. Dabei ist die Lage ernst: Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein sind Menschen der Überzeugung, dass sie bestimmte Gruppen diskriminieren und ihnen ihr Existenzrecht absprechen dürfen. Dies widerspricht demokratischen Prinzipien und dem Grundrecht auf Nicht-Diskriminierung”, sagt das Bündnis AGG-Reform Jetzt!
So verzeichnete die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in den letzten fünf Jahren eine Verdopplung der Beratungsanfragen zu Diskriminierung. Zivilgesellschaftliche Beratungsstellen berichten ebenfalls über einen kontinuierlichen Anstieg der Diskriminierungsfälle. Ohne den versprochenen Fortschritt im Diskriminierungsschutz werden Betroffene mit der erlebten Diskriminierung allein gelassen. Das AGG ist nicht wirksam, der Mangel an Schutz für Betroffene von Diskriminierung und die Hürden bei der Rechtsdurchsetzung werden kontinuierlich von Betroffenenorganisationen und Beratungsstellen kritisiert. Kollektive Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten für Antidiskriminierungsverbände, die Erweiterung der Diskriminierungsmerkmale sowie des Anwendungsbereichs gehören zu den zentralen 11 Forderungen des Bündnis AGG-Reform Jetzt!
„Wenn sich über 100 Organisationen aus unterschiedlichsten Bereichen, aus ganz Deutschland, auf 11 Forderungen für die AGG-Reform einigen können, dann ist es ein Armutszeugnis für Deutschland, wenn drei Koalitionsparteien keinen Konsens zustande bringen und der Mut für mehr Fortschritt fehlt. Diskriminierung ist kein ‘Nischenthema’, sondern betrifft einen Großteil der Gesellschaft.“, sagt Rebecca Kronsteiner (Berliner Fachstelle für Arbeitsmarkt und Antidiskriminierung und Mitglied im Bündnis AGG-Reform Jetzt!)
„18 Jahre Bestand aber ohne Novellierung… auch uns ist nicht zum Feiern zumute, denn wir bekommen im Rahmen unserer über zwanzigjährigen Arbeit mit, welche Grenzen das Gesetz hat.
Diskriminierungskategorien wie Herkunft, Sprache oder sozialer Status fehlen, auch einen Schutz vor Diskriminierung durch Nachbar*innen oder Hausmeister*innen und anderen Dienstleistern des Vermietenden findet sich nicht. Dies sind nur einige der Schutzlücken, die das AGG im Bereich Wohnen aufweist. Diese müssen dringend entfernt werden“ fordert die Planerladen gGmbH.