Von Klaus Winter
Des einen Freud‘, des anderen Leid: Die Bauarbeiten zur Umgestaltung des Ost- und Schwanenwalls in eine fahrradfreundliche Verkehrszone behindern täglich massiv den stadtzentrumsnahen Autoverkehr. Doch was ungezählte Autofahrer:innen seit dem Frühjahr schlicht nervt, erfreut die Stadtarchäologie ebenso wie die stadtgeschichtlich interessierten Dortmunder:innen. Denn bei den Bauarbeiten stießen die Archäolog:innen in diesem Jahr immer wieder auf wirklich bemerkenswerte Relikte der mittelalterlichen Dortmunder Stadtbefestigung.
Erst vor wenigen Wochen gab es einen aufsehenerregenden Fund
Noch keine zwei Monate ist es her, dass der Fund von Strebpfeiler-Fragmenten am Schwanenwall gemeldet werden konnte. Die Pfeiler aus bis zu 400 kg schweren, mit Steinmetzzeichen versehenen Steinblöcken stützten die Stadtmauer an ihrer stadtauswärts gelegenen Seite. ___STEADY_PAYWALL___
Der Fund der Strebpfeiler im Sommer des Jahres war überraschend, weil sie in keinem Kartenwerk verzeichnet waren. Bei der neuesten Entdeckung ist das nicht der Fall. Denn der Standort des Schwanenturms war bekannt.
Im Rahmen der Bauarbeiten konnte jetzt das Fundament des Schwanenturms freigelegt werden. Der Turm war einer von vierzehn an der Dortmunder Stadtmauer. Zusammen mit den sechs Stadttoren machten sie die Stadtbefestigung zu einem Bollwerk.
Heinrich Scholle hatte konkrete Vorstellungen vom Schwanenturm
Der Historiker Heinrich Scholle hatte sich durch intensive Forschungen in den 1980er Jahren um die Darstellung eines realitätsnahen Bildes der Stadt Dortmund im Jahre 1610 bemüht. Er veröffentlichte 1987 seine „maßstäbliche Rekonstruktion des Stadtbildes“ in Buchform.
Das heute im Museum für Kunst und Kulturgeschichte zu sehende Stadtmodell fußt auf seiner Forschung. Scholle hatte auch den maßgeblichen Anteil an der Rekonstruktion des Adlerturms am Ostwall.
Zum Schwanenturm vermutete Scholle, dass er einen quadratischen Grundriss mit sieben Meter Seitenlänge hatte. Bis zur Dachkante soll der Turm 15 Meter und bis zur Spitze des Turmhelms 23 Meter hoch gewesen sein.
Kuckelketor, Schlangenturm und eine Schleuse waren die Nachbarn des Schwanenturms
Ingmar Luther (Archäologe der Unteren Denkmalbehörde), Sylvia Uehlendahl (Leiterin des Tiefbauamts) und Arnulf Rybicki (Dezernent für Bauen und Infrastruktur) stellten den Fund jetzt der Öffentlichkeit vor.
Der Schwanenturm hatte seinen Platz zwischen dem Kuckelketor und dem Schlangenturm. Die Umrisse des Kuckelketores sind heute im Bürgersteig hervorgehoben. Über den Schlangenturm gibt es keine neuen Erkenntnisse, denn die aktuellen Bauarbeiten tangierten seinen Standort nicht.
Direkt gegenüber dem Schwanenturm gab es eine Schleuse, durch die eventuell Abwässer aus der Stadt unter dem vorgelagerten zweiten Mauerring nach außen geführt wurden. Diese These zu belegen, ist noch eine nicht erledigte Aufgabe.
Wachmannschaft hatte nur wenig Platz im Schwanenturm
Der Schwanenturm lässt sich nun präziser fassen. Sein Fundament misst 7,10 x 5,50 Meter und es könnte noch bis zu 2,50 Meter tief im Boden erhalten sein.
Die Turmmauern sind 1,60 bis 1,70 Meter stark. Daraus ergibt sich, dass für das Wachpersonal im Turm nicht sehr viel Bewegungsfreiheit vorhanden war – gerade einmal 13,58 Quadratmeter pro Etage!
Am Fundort stoßen 13./14. und 19./20. Jahrhundert aufeinander
Das Fundament des Schwanenturms ist unvermutet gut erhalten. Leicht zu erkennen ist, dass der Turm erst an die Mauer gesetzt wurde, als diese längst stand. Das wird ersichtlich aus den Baufugen, die keinerlei Verzahnung von Turm und Mauer erkennen lassen.
Der Schwanenturm wurde 1832 niedergelegt und sein Standort in der Folge zumindest teilweise mit dem Wohnhaus Schwanenwall 45 überbaut. Die aktuelle Ausgrabung zeigt auch, dass der Keller des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Hauses das Turmfragment mit einbezogen hat: Kellerboden und Oberkante des Fragments liegen ziemlich genau auf einem Level.
Die Frage ist, wie die Turmfundamente erhalten werden
Die frisch freigelegten Fundamente des mittelalterlichen Schwanenturms sollen erhalten bleiben. Sie sind zweifellos ein wichtiges Zeugnis der Dortmunder Stadtgeschichte. Das Problem ist, dass die Fundamente in der Trasse des im Bau befindlichen Radweges liegen.
Ideen sind also gefragt, wie beide Interessenschwerpunkte einvernehmlich verknüpft werden können. Eine erste Antwort auf diese Fragestellung könnte eine Brücke sein, die die Radfahrer:innen über die Ausgrabungsstelle führt. So bleibt diese sichtbar, ohne dass der Radweg unterbrochen würde.
Die Stadt ist für andere Lösungsvorschläge offen. Die Untere Denkmalbehörde und das Tiefbauamt werden hier zusammenarbeiten. Man kann sich für die Entscheidungsfindung auch noch etwas Zeit lassen.
Wichtig ist jetzt die Sicherung der Fundstelle
Aktuell wichtig ist die Sicherung des Fundes vor Umwelteinflüssen. Die Fundamente liegen zur Zeit frei und sind der Witterung ausgesetzt. Der jahrhundertealte Mörtel ist bereits ausgewaschen. Der Frost des bevorstehenden Winters kann dem Mauerwerk beachtliche Schäden zufügen.
Eine 30 Zentimeter starke Sandschicht soll auf die Ausgrabungsstätte aufgetragen werden. Diese wird mit einer Vliesschicht abgedeckt. Darauf wird Flüssigboden gegossen. Die Arbeiten sollen noch im Laufe dieser Woche beginnen.
Wenn ein Konzept vorliegt, dass die Präsentation des Schwanenturm-Fundaments innerhalb der Fahrradstraßen ermöglicht, können die Schutzschichten vergleichsweise einfach entfernt werden.