Es steckt viel Liebe und vor allem viel Handarbeit in den Puppen und Lätzchen, den Taschen und Handyhüllen. Betriebswirtschaftlich würde sich die Produktion nicht rechnen. Doch darum geht es ja auch nicht in der „Rackerstube“ an der Münsterstraße. 14 Jugendliche bereiten sich hier auf eine Lehrstelle vor und holen teilweise noch nebenbei ihren Schulabschluss nach.
Der Umgang mit Kunden und der Nähmaschine steht auf dem Aufgabenplan
Unter ihnen ist auch Vasilä (20) aus Rumänien. Er ist seit 2014 in Deutschland und hat die Fachoberschulreife. Eigentlich wollte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann machen. „Aber da gibt es eine hohe Konkurrenz und es wird Abitur gefordert. Daher habe ich mich für Plan B entschieden – Einzelhandelskaufmann“, sagt er selbstkritisch.
In der „Rackerstube“ will er nun seine Sprachkenntnisse verbessern, Erfahrungen im Umgang mit KundInnen und dem Kassensystem sammeln, um seine Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu erhöhen. Dass er nun ein Bügeleisen in der Hand hat, Wäsche wäscht oder selbst an der Nähmaschine sitzt, stört ihn nicht. „Nähen und Bügeln ist absolut ‘was Neues für mich. Aber ich habe mich ziemlich zügig angepasst. Aber mit den Mädels kann ich mich nicht vergleichen“, sagt er lachend.
Mit der Nähmaschine schon deutlich schneller ist Jovana (18). Eigentlich hatte sie einen Ausbildungsplatz als Friseurin in Aussicht. Doch dafür hätte sie umziehen müssen und stand dann letztendlich ohne Jobperspektive da. Daher hat sie sich auch für die „Rackerstube“ entschieden. „Nähen macht mir viel Spaß, der Verkauf auch“, sagt die junge Frau, die vor fünf Jahren aus Mazedonien nach Dortmund gekommen ist.
Gerade arbeitet sie an einem Babylätzchen: Vom Entwurf bis zur Umsetzung ist es ihr eigenes Werk. Sie hat sich das Motiv gesucht, dieses in Schnittmustern umgesetzt und anschließend verarbeitet. Professionelle Tipps bekommen sie von ihren Anleiterinnen: Damenschneidermeisterin Katrin Sänger von der dobeq und Chantal Baumann – sie ist Maßschneidermeisterin und staatlich geprüfte Modedesignerin – von Grünbau.
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wichtiger als handwerkliches Geschick
Doch nicht die große Kunst und das handwerkliche Geschick, sondern Basisqualifikationen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und der freundliche zwischenmenschliche Umgang mit Team und Kundschaft sind hier von Bedeutung, um erste Erfahrungen im Berufsleben zu sammeln. Das ist besonders wichtig, denn die Teilnehmenden würden ohne Hilfe den Sprung in Arbeit nicht schaffen.
Die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen mit produktionsorientiertem Ansatz (kurz BvB-Pro) für 16- bis 24-jährige Jugendliche verstehen sich als berufsvorbereitendes Angebot insbesondere für junge Menschen mit komplexem Förderbedarf. Die BVB-Pro Produktionsschulen stellen in ihren Werkstätten marktfähige Produkte her oder bieten mit ihren Arbeitsbereichen Dienstleistungen für reale Kunden an.
Die TeilnehmerInnen sind hierbei von A bis Z in betrieblich strukturierte Prozesse eingebunden. Daher werden die Kleider- und Spielzeugspenden – sie sind für die Arbeit der „Rackerstube“ unerlässlich – auch als Wareneingang behandelt. „Bestandsaufnahme, waschen, kontrollieren, ausbessern, bügeln und auszeichnen gehören dazu“, erklärt Katrin Sänger.
Seit dem Frühjahr hat die Rackerstube eine neue Heimat in der Nordstadt
Seit Februar 2015 gibt es dieses Angebot – zunächst allerdings in einer Seitenstraße in Hörde. In der Nordstadt ist die „Rackerstube“ – als Nachbar der Commerzbank am Münsterplatz – erst seit dem Frühjahr.
Neben dem Verkauf von neuer und Second-Hand Baby-und Kinderbekleidung, lernen die Teilnehmenden den Umgang mit der Nähmaschine und dem Bügeleisen. Unter fachkundiger Anleitung entstehen in der Schneiderwerkstatt schicke Produkte und Accessoires.
Gleichzeitig arbeiten sie daran, ihre schulischen Voraussetzungen sowie ihre Ausgangslage für einen regulären Ausbildungsplatz zu verbessern. „Ein Ausbildungsplatz ist das allerhöchste Ziel. Es gelingt nicht allen Jugendlichen – das hängt vor allem auch von der Eigenintiative ab“, weiß Sozialarbeiterin Melanie Keiter (Grünbau).
In dem Jahr in der Produktionsschule geht es auch darum, Routine für den Ausbildungs- und Arbeitsalltag zu schaffen – 39 Stunden pro Woche sind sie im Laden oder der Berufsschule. „Manche schaffen es noch nach neun Monaten nicht, sich krankzumelden oder haben Probleme mit den zwei Tagen Berufsschule“, berichtet Keiter. Im Projekt können sie ihren Hauptschulabschluss nach Klasse 9 nachholen. „Für 80 Prozent unserer TeilnehmerInnen ist das relevant.“
TeilnehmerInnen von BVB Pro bekommen Hilfe bei Schule und Bewerbung
Die jungen Leute erhalten auch Hilfe bei Problemen, bei Bewerbungen und bei der Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche. Außerdem stellen sie durch ihre erfolgreiche Teilnahme an der Produktionsschule unter Beweis, dass sie willens und in der Lage sind, eine Ausbildung zu absolvieren.
Der dritte Jahrgang ist derzeit in der Qualifizierung. Sie können einen Kassenpass sowie einen Nähführerschein machen. Die gemachten Erfahrungen sind gut. Denn die Jugendlichen entscheiden sich nach einer ersten Orientierung für einen Werkbereich.
„Die Rückmeldungen sind gut. Einige machen anschließend Schule, einige sind in der Ausbildung, andere in einer Einstiegsqualifizierung oder einem soziales Jahr“, erklärt Lothar Ridder, dobeq-Projektleiter von BvB pro. Das ist so gewollt – schließlich geht es ja um den Anschluss nach dem Abschluss.
INFOBOX:
- Die Rackerstube ist dem Fachbereich Handel zugeordnet und wird innerhalb der Bietergemeinschaft BvB-Pro „Plan B – Wir packen es an!“ von der GrünBau gGmbH und der dobeq GmbH in Kooperation durchgeführt.
- In weiteren Gewerken wie dem Baugewerbe, dem Hotel- und Gaststättengewerbe, der Veranstaltungstechnik, der Farbe- und Raumgestaltung, der Metalltechnik, dem Fahrradrecycling und dem Gemüsebau stehen in Dortmund 90 TeilnehmerInnenplätze zur Verfügung.
- Federführend wird die BvB-Pro von der Werkhof-Projekt gGmbH organisiert. Neben den beiden Bildungsträgern dobeq und Grünbau ist auch die Stadt Dortmund am Projekt beteiligt.
- Die BVB-Pro Maßnahme wird vom Land NRW und der Bundesagentur für Arbeit Dortmund finanziert.