Serie „Dortmund Rechtsaußen“ (zehnter und letzter Teil):

Die „querdenkenden“ Dortmunder_innen

Querdenker-Demo in Dortmund: Konglomerat diverser Einzelpersonen, Netzwerke und Gruppen Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger

In der Serie „Dortmund Rechtsaußen“ veröffentlichen wir Beiträge aus der gleichnamigen Broschüre des Projekts „U-Turn – Wege aus dem Rechtsextremismus und der Gewalt“. Diese gibt es auch in gedruckter Form – mehr dazu am Ende des Artikels. 

Die Corona-Pandemie sowie die gegen die Verbreitung des Virus getroffenen Maßnahmen des Staates haben massive Auswirkungen auf das Leben der Bürger_innen. Das Leben vieler Menschen wird von der Angst um die eigene und die Gesundheit von Angehörigen, Freund_innen und Kolleg_innen geprägt. Hinzu kommt die Angst vor ökonomischen Folgen durch die Pandemie und dem damit einhergehenden Verlust von Wohlstand aufgrund von Einkommenseinbußen durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit und Schließungen.

Konglomerat von verschiedenen Einzelpersonen, Netzwerken und Gruppen

Demonstration von Corona-Leugner_innen Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Zudem nehmen manche Personen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und des Infektionsgeschehens als gravierende Einschränkung von Grundrechten wahr. Die Möglichkeit zu Kritik und Protest gegen sowie zum Diskurs über die Verhältnismäßigkeit von staatlichen Maßnahmen sind dabei wichtige Bestandteile eines demokratischen Rechtsstaates.

Demgemäß werden seit den ersten Einschränkungen die Entscheidungen in den Parlamenten von einer breiten gesellschaftlichen Debatte in den Medien und der Öffentlichkeit über Wirksamkeit und Angemessenheit einzelner Maßnahmen begleitet. Neben diesem demokratischen Diskurs hat sich allerdings auch eine Bewegung entwickelt, die nicht einzelne Maßnahmen kritisiert, sondern hinter der Pandemie eine Verschwörung machtvoller Eliten wittert.

Die „Corona-Plandemie“

Diese Bewegung ist ein Konglomerat von verschiedenen Einzelpersonen, Netzwerken und Gruppen, die beispielsweise unter den Namen Querdenken, Corona-Rebellen oder Demokratischer Widerstand auftreten. Sie organisieren Kundgebungen, Demonstrationen und Spaziergänge, an denen ein heterogenes Spektrum an Menschen aus verschiedenen sozioökonomischen Milieus mit divergierenden politischen Ansichten teilnimmt.

Vor dem Korso machten die „Querdenker“ mit diesem Banner auf sich aufmerksam. Foto: Leopold Achilles für Nordstadtblogger.de

Bei den Veranstaltungen treten Esoteriker_innen, Impfgegner_innen, sich selbst als politisch „links“ verstehende Anhänger_innen der Friedensbewegung (erkennbar an Symbolen wie dem Peace-Zeichen oder der Friedenstaube) gemeinsam mit Rechtsextremen und Rechtspopulist_innen aus dem Spektrum der Reichsbürger_innen-Bewegung, AfD-Anhänger_innen sowie überzeugten Neonazis auf.

Die heterogene Szene der Pandemie-Leugner_innen eint der Glaube, dass die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid19-Pandemie Bestrebungen einer autoritären Elite sind, die sich zur Erweiterung der eigenen Macht gegen das „Volk“ verschworen habe. Es herrscht dabei Uneinigkeit darüber, welche Gruppen für diese Verschwörung verantwortlich sind und welche Interessen durch die „Corona-Plandemie“ durchgesetzt werden sollen.

Für den verschwörungstheoretischen Verein Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand handelt es sich bei den Corona-Maßnahmen etwa um einen „faschistische[n] Griff zur Macht von Internetkonzernen, Banken, Pharmalobby im Verbund mit vielen Regierungen, Parteien und korrumpierten Gewerkschaften“.

„Info“-Material der Impfgegner Foto: Leopold Achilles für Nordstadtblogger.de

Für Ken Jebsen und Attila Hildmann, zwei Stars der Verschwörungsmythen-Gemeinschaft, stecken hinter der Pandemie der Microsoft-Gründer Bill und seine Frau Melinda Gates. Diese würden gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Versklavung und Kontrolle über die Menschheit anstreben, indem sie mittels Impfungen allen Menschen Mikrochips einpflanzen und diese somit gefügig machen. Wahlweise verfolgen diesen Plan auch zionistische, bolschewistische, satanistische oder andere Gruppen, die vermeintlich das Böse darstellen.

Im Rahmen der Corona-Proteste wurden aber auch Verschwörungsmythen verbreitet, die älter als das Virus sind. Hierzu zählen beispielsweise Erzählungen über die Verbreitung der 5G-Technologie, deren Strahlung das Immunsystem des Menschen schwächen soll, oder der QAnon-Verschwörungsmythos. Diesem zufolge strebt eine globale Elite aus einflussreichen Persönlichkeiten der Democratic Party wie Barack Obama und Hillary Clinton im Verbund mit mächtigen Personen aus Staat und Wirtschaft die Weltherrschaft an, indem sie durch die Folterung von Kindern das Stoffwechselprodukt Adrenochrom gewinnen, welches angeblich Alterungsprozesse stoppen kann.

Doch warum glauben Menschen solche Verschwörungsmythen?

Demonstration von Corona-Leugner_innen Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Den beiden Expertinnen Pia Lamberty und Katharina Nocun zufolge können verschiedene psychische Dispositionen und situative Aspekte eine Affinität zum Verschwörungsglauben begünstigen. In ihrem Buch Fake Facts nennen sie hierbei u.a. das psychische Bedürfnis, unmittelbar eine eindeutige Antwort auf komplexe Sachverhalte zu erhalten und Mehrdeutigkeit und Unsicherheit zu vermeiden (Ambiguitäts- bzw. Unsicherheitsintoleranz).

Dieses Bedürfnis ist bei verschiedenen Personen unterschiedlich stark ausgeprägt. Wenn Menschen mit geringer Ambiguitätstoleranz eine sozial verunsichernde Situation wie beispielsweise einen Kontrollverlust aufgrund der Corona-Krise erleben, neigen sie eher zu Verschwörungserzählungen. Diese wirken als Bewältigungsstrategie, um mit der Unsicherheit besser umgehen zu können, indem sie leicht verständliche Antworten auf die komplexe Lage sowie häufig auch ein Feindbild liefern: vermeintlich verantwortlich für die Corona-Krise sind etwa Bill Gates, der Deep State oder jüdische Strippenzieher.

Verschwörungsgläubige können durch die Partizipation an Events der Verschwörungsszene wieder an Kontrolle über ihr Leben gewinnen, indem sie von der passiven Rolle der Einhaltung der staatlichen Maßnahmen zur aktiven Rolle des Widerstandskampfes gegen die „faschistische Corona-Diktatur“ wechseln.

Corona-Demo: Groko und Lügenpresse kriegen heute auf die Fresse, steht auf diesem Transparent. Foto: Klaus Hartmann
Corona-Demo: „Groko und Lügenpresse kriegen heute auf die Fresse“ Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Ein zweiter wichtiger Aspekt für die Affinität für Verschwörungsmythen ist den Autorinnen zufolge der Wunsch nach Einzigartigkeit und Aufwertung der eigenen Person. Verschwörungsgläubige sehen sich selbst als erleuchtete Gemeinschaft, die als einzige die Wahrheit erkannt haben. Hiermit verbunden ist die Selbstauffassung besonders kritische und freie Geister zu sein, die sich weder von den“Mainstream-Medien“ verblenden noch von der Regierung alles gefallen lassen.

Die Mehrheit der Bevölkerung wird dagegen als lethargisch und fügsam angesehen und als „Schlafschafe“ bezeichnet. Die Verschwörungsgläubigen setzen sich so in die Rolle einer mutigen Avantgarde, die bereits ihr Erweckungserlebnis erlebt hat und nun anderen dabei helfen kann, auch endlich aufzuwachen und die Wahrheit zu erkennen.

Im Telegram-Kanal des Querdenker-Ablegers in Dortmund thematisiert ein nicht unerheblicher Teil der Beiträge die vermeintliche eigene Aufgeklärtheit bzw. die Naivität des Großteils der Bevölkerung, die obrigkeitshörig jede staatliche Maßnahme akzeptieren würden.

„Widerstand 2020“ – die Corona-Proteste in Dortmund

Verbotener Corona-Protest von „Widerstand 2020“, Corona-Leugner*innen, Impfgegner*innen und Verschwörungerzähler*innen in Dortmund.
Verbotener Corona-Protest der Gruppe „Widerstand 2020“ in Dortmund Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

In Dortmund kam es seit dem Beginn der Covid19-Pandemie zu etwa 30 Protesten durch verschwörungstheoretische Strukturen und somit zu den meisten Veranstaltungen im Regierungsbezirk Arnsberg.

Den Auftakt stellte eine Kundgebung der Gelbwesten Dortmund, bei der u.a. die erste Strophe des Deutschland-Liedes über die Lautsprecheranlage gespielt wurde („Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt“), sowie ein unangemeldeter Spaziergang durch die Innenstadt von ca. 150 Personen dar, die einem Aufruf der mittlerweile aufgelösten Sammelbewegung Widerstand2020 gefolgt sind.

Im Anschluss kam es an den folgenden drei Samstagen zu teilweise angemeldeten, teilweise unangemeldeten Veranstaltungen mit jeweils 200-300 Personen, die zum großen Teil in Internetforen und -chats der Verschwörungs-Community mobilisiert wurden. Hierbei traf sich eine heterogene Ansammlung von Impfgegner_innen, linken Esoteriker_innen, Friedensaktivist_innen, Schamanen_innen, Verschwörungstheoretiker_innen, Rechtspopulist_innen sowie militanten Neonazis.

Corona-Leugner_innen Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Im Juni und Juli ist es schließlich aufgrund der staatlichen Lockerungen der Corona-Maßnahmen vorerst ruhiger um die Bürgerproteste in Dortmund geworden. In diesem Zeitraum fanden vor allem Mini-Veranstaltungen mit weniger als 50 Personen statt, die bis auf einen Vorfall für wenig Aufsehen sorgten: Bei einer Kundgebung der Initiativen Nicht ohne uns! Dortmund und Querdenken 231 Dortmund wurden Lieder der rechtsextremen Musiker_innen Julia Juls und Chris Ares abgespielt.

Zahlreiche Aktivist_innen aus Dortmund nahmen in den beiden Monaten allerdings an größeren Protestversammlungen der Corona Rebellen Düsseldorf teil, teilweise in organisatorischer Verantwortung. Für einen erneuten Aufschwung sorgten schließlich gesellschaftliche Debatten über eine „zweite Welle“ und eine Verschärfung der staatlichen Maßnahmen sowie eine bundesweit beworbene Demonstration Anfang August mit 20.000 Teilnehmer_innen in Berlin.

Angestachelt von dem vermeintlichen Erfolg in Berlin organisierte der ortsübergreifende Querdenken-Ableger Dortmund-Duisburg-Miltenberg in Dortmund (im August mit ~ 2.800 Teilnehmer_innen) und in Düsseldorf (im September mit ~ 3.500 Personen) die beiden größten Veranstaltungen in NRW.

Demonstration von Corona-Leugner_innen Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Bei der Kundgebung in Dortmund waren zahlreiche Aktivist_innen der extremen Rechten vor Ort, u.a. der völkische Videoblogger Nikolai N. („Der Volkslehrer“), der ehemalige Pro NRW-Politiker Dominik R. sowie mit der Bruderschaft Deutschland ein Zusammenschluss rechtsextremer Hooligans.

An diesem Tag kam es neben den für solche Veranstaltungen üblichen Redebeiträgen und Plakaten mit verschwörungsideologischen Inhalten zu einem Übergriff auf einen Journalisten durch den Verschwörungsideologen Oliver F. und Artur H., einen der Organisatoren der Kundgebung. Ebenfalls anwesend war zudem der Moderator von Querdenken 711 Stuttgart Nana D., der sich auf der Kundgebung als Fotograf und Entertainer betätigte und einen gemeinsamen Video-Podcast mit einem deutschlandweit bekannten Neonazi betreibt. 

Demonstration von Corona-Leugner_innen am Hansaplatz – mit offensichtlichem Bezug nach Rechtsaußen Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Die Protestbewegung ist in personeller sowie ideologischer Hinsicht zumindest in Teilen anschlussfähig für rechtsextreme Akteur_innen: Personell gibt es wie gezeigt zahlreiche Überschneidungen oder zumindest Bezüge zwischen Organisator_innen der Proteste und rechtsextremen Aktivist_innen.

Ideologisch ist die Bewegung anschlussfähig für rechtsextremes Gedankengut durch die vielen Verschwörungsmythen inhärenten antisemitischen Welterklärungen, einem weit verbreiten Geschichtsrevisionismus sowie den Hass gegenüber dem „Establishment“, wobei neben den gewählten Politiker_innen vor allem Journalist_innen die Wut der Demonstrant_innen zu spüren bekommen.

Demonstration von Corona-Leugner_innen Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Die Affinität zum Antisemitismus der Protestszene zeigt sich beispielsweise durch das an eine angebliche jüdische Weltverschwörung erinnernde Narrativ über die Gates-Foundation, den Deep State oder eine Gruppe zionistischer Bolschewist_innen, die das Corona-Virus gezielt verbreitet hätten, um mittels eines Impfstoffes die Weltbevölkerung kontrollieren zu können.

Als Geschichtsrevisionismus müssen die Relativierungen des NS-Regimes angesehen werden, wenn sich Demonstrant_innen mit Widerstandskämpfer_innen im Dritten Reich wie Sophie Scholl vergleichen oder sich in ähnlicher Weise durch die Regierung verfolgt fühlen wie die jüdische Bevölkerung im NS-Regime. So trat beispielsweise bei mehreren Protest-Veranstaltungen in Dortmund der Rapper Kompass MC auf, in dessen Lied „D.G.W.S.“ (gemeinsam mit dem Musiker Qdenka) die Corona-Maßnahmen mit der Situation in Deutschland 1933 verglichen werden und es u.a. heißt: „Die Maske nur`n Stückchen Stoff, das war der Judenstern auch“.

Corona-Leugner_innen in der Dortmunder Innenstadt Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Die Verharmlosung des Nationalsozialismus und der Shoah stellt indes keine Ausnahme dar, sondern ist stetiger Begleiter der Proteste, so trugen u.a. bei einer Querdenken-Veranstaltung am 18.10.20 in Dortmund zwei Personen einen Davidstern mit der Aufschrift „Ungeimpft“ und setzten somit ihre eigene Lage mit der Situation der jüdischen Bevölkerung im Dritten Reich gleich. Am gleichen Tag wurden mehrere Journalist_innen durch zwei Organisatoren der Kundgebung bedrängt, wie auf einem Video eines rechtsextremen Bloggers zu sehen ist.

An diesem Beispiel lässt sich anschaulich die Ablehnung der Protestierenden gegenüber den etablierten Medien bei gleichzeitiger Hinwendung zu sog. „alternativen Medien“ beobachten. Während der Versammlungsleiter Michael S. und Artur H.  sich konfrontativ gegenüber einem Journalisten des WDR verhalten, sieht man beide im freundlichen Dialog mit einem neonazistischen Medienaktivisten, der sonst bei Veranstaltungen der Partei Die Rechte aktiv ist.

Dortmunder Nazis suchen Anschluss an die Bewegung

Das damalige Ratsmitglied der Neonazis, Michael Brück, bei einem Versuch, eine Kundgebung der Impfgegner_innen zu instrumentalisieren. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Die organisierte Neonazi-Szene in Dortmund versuchte die Anschlussfähigkeit der Protest-Bewegung an rechtsextreme Einstellungsmuster zu nutzen, um die eigenen nationalistischen Positionen über ihr übliches Zielpublikum hinaus zu verbreiten.

Dabei agierte die Partei Die Rechte durchaus mit taktischer Raffinesse: Statt die Protestierenden allzu schnell mit ihrer rechtsextremen Weltanschauung zu konfrontieren und dabei bei demokratisch gesinnten Demonstrierenden möglicherweise Abgrenzungsversuche zu provozieren, empfahl der Bundesverband der Partei im Mai in einem Aufruf an alle Nationalisten, die eigenen Positionen „zielgruppengerecht“ zu verbreiten und ansonsten die Kundgebungen mit technischem Equipment und juristischem Fachwissen zu unterstützen.

Dementsprechend versuchten die Aktivisten auch nicht, die Demonstrationen in der Dortmunder Innenstadt politisch zu vereinnahmen, sondern beschränkten sich auf das Verteilen von Grundgesetzen, die Kontaktaufnahme mit Protestierenden und die Tätigkeit als rechtsextreme Journalisten für die eigenen Medien.

Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

An den vier Kundgebungen im Mai beteiligten sich jeweils bis zu 30 Rechtsextreme, darunter der Bundesvorsitzende Sascha Krolzig, der damalige Stadtrat Michael Brück, der damalige Oberbürgermeisterkandidat Bernd Schreyner, die meisten Kandidaten für die diesjährige Kommunalwahl sowie einige Aktivisten aus der örtlichen Kameradschaftsszene.

Die Parteifunktionäre stellten sich derweil friedlich dar und forderten auch wiederkehrend ein friedliches Auftreten in ihren Medien, um neue potenzielle Wählerstimmen unter den Protestierenden gewinnen zu können. Entgegen dieser Linie kam es indes zu einer Hetzjagd durch rechtsextreme Aktivisten auf einen Journalisten der Nordstadtblogger sowie einen gewalttätigen Übergriff auf zwei Journalisten des WDR, von denen einer leicht am Kopf verletzt wurde.

Reporter Christof Voigt filmte für den WDR und wurde attackiert.
Reporter Christof Voigt filmte für den WDR und wurde attackiert. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Die Dortmunder Neonazi-Kader beschränkten sich indes nicht auf die Teilnahme an Veranstaltungen in Dortmund, sondern sie nahmen bundesweit an mehreren größeren Demonstrationen teil, vor allem bei den Massenveranstaltungen in Berlin. Zudem mobilisierte Die Rechte ebenso wie die NPD und die neonazistische Kleinstpartei Der III. Weg für eine Querdenken-Demonstration am 07.11.20 in Leipzig. An dieser nahmen hunderte Neonazis und rechtsextreme Hooligans teil, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten und Jagd auf Journalist_innen machten. Über Lautsprecher angeheizt wurden sie dabei u.a. durch den Bundesvorsitzenden Sven Skoda sowie den ehemaligen Stadtrat Michael Brück der Partei Die Rechte.

Eine größere Anzahl Dortmunder Neonazis versammelte sich außerdem bei einer Querdenken-Kundgebung am 06.12.20 in Düsseldorf. Anwesend waren hierbei u.a. der als Deutschland-Vertreter der mittlerweile verbotenen rechtsterroristischen Vereinigung Combat 18 geltende Robin S. sowie Alexander Deptolla, der Organisator des rechtsextremen Kampfsport-Events Kampf der Nibelungen. Bereits bei der Anreise der Dortmunder Neonazis kam es durch diese zu einem gewalttätigen Übergriff auf eine Personengruppe in Duisburg, die gegen die Querdenken-Veranstaltung demonstrieren wollte. In Düsseldorf traf die Dortmunder Delegation dann auf weitere Rechtsextremisten der NPD, des III. Weges, der Bruderschaft Deutschland sowie der Hooligans gegen Salafisten.

Die AfD sieht keine Verschwörungstheorien, nur demokratischen Bürgerprotest

Demonstration von Corona-Leugner_innen Foto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Die Dortmunder Ratsfraktion der AfD befürwortete zunächst die staatlichen Maßnahmen wie die Geschäftsschließungen und die „medizinisch notwendige Einschränkung der persönlichen Bewegungs- und Versammlungsfreiheit“. Zeitgleich versuchte sie, die Krise zu nutzen, um eigene nationalistische Positionen zu verbreiten und die politischen Kontrahent_innen zu diskreditieren.

So appellierte Matthias Helferich, Fraktionsgeschäftsführer der AfD Dortmund und stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes NRW, an den Mut zu nationalstaatlichen Lösungen: „Während das EU-Staatenbündnis in der Krise vollkommen versagt, mausert sich die Nation allerorts zum Krisenmanager.“ Steuereinbußen aufgrund der Corona-Pandemie sollen dem Fraktionsvorsitzenden Heiner Garbe zufolge durch Abschiebungen ausreisepflichtiger Migrant_innen sowie Senkung der Kosten für Integrationsmaßnahmen für Roma finanziert werden.

Indes muss auch gesagt werden, dass sich bei den offiziellen Verlautbarungen der AfD zwar populistische Statements finden, aber keine Verschwörungsmythen verbreitet werden. Dennoch sucht die Fraktion, insbesondere durch die Person Helferich, die Nähe zu verschwörungsideologischen Strukturen und Veranstaltungen. So war Helferich bei mehreren großen Querdenker-Veranstaltungen, so im August in Dortmund und gemeinsam mit dem NRW-Vorsitzender Rüdiger Lucassen in Berlin sowie im Dezember in Düsseldorf.

AfD-Bundestagskandidat Matthias Helferich hat sich in der Partei viele Feinde gemacht. Foto: Alex Völkel
Der damalige AfD-Bundestagskandidat Matthias Helferich war häufiger auf Demos zu Gast. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Bezeichnend ist hierbei, dass Helferich bei den Veranstaltungen keinen Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und die Anwesenheit von Neonazis zur Kenntnis nehmen will, sondern in den Protestierenden lediglich Personen sieht, die „aus Sorge vor einem zunehmenden Freiheitsverlust, Kritik an einzelnen Infektionsschutzmaßnahmen oder der Verhältnismäßigkeit des Lockdowns auf die Straße gehen und für ihre Position streiten.“ Somit handelt es sich ihm zufolge bei der Thematisierung rechtsextremer Tendenzen bei den Veranstaltungen um „Beschimpfungen von Bürgern, die Sorgen und Ängste auf die Straße treiben, durch ein abgehobenes Establishment.“

Bei der Kundgebung in Düsseldorf hat Helferich schließlich ein Video gedreht und auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht, um den Querdenkenden eine Stimme zu geben. In diesem behauptete er: „Nazis, Reichsbürger und Antisemiten traf ich nicht – wohl aber besorgte Mütter, Ärzte und Selbständige.“ Die ca. 300 anwesenden Neonazis und rechte Hooligans von Die Rechte, Combat 18, NPD, des III. Weges, der Bruderschaft Deutschland sowie der Hooligans gegen Salafisten hat er anscheinend übersehen.

Die fehlende Abgrenzung der Querdenkenden

Gegenprotest zum „Querdenken“-Autokorso in Dortmund am 9. März 2021 Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Der Dortmunder Querdenken-Ableger ist innerlich gespalten in Bezug auf das Engagement von Neonazis bei den Protesten. Bei der Kundgebung im Dezember 2020 in Düsseldorf distanzierte sich der Querdenken Dortmund-Initiator und Anmelder der Kundgebung Michael S. von den anwesenden Neonazis, dies aber vorwiegend aufgrund deren martialischen Auftretens. Ein anderer Redner auf der Bühne entgegnete, man wolle „niemanden vor den Kopf stoßen, der sich den Zielen von Querdenken anschließt“.

Doch nicht nur die Reaktion auf die Neonazis vor Ort war gespalten, sondern auch jene im Netz. In der öffentlichen Telegram-Gruppe von Querdenken 231 Dortmund mit über 1000 Mitgliedern wurde im Anschluss der Kundgebung kontrovers über die Distanzierung diskutiert. Während erkennbare rechtsextreme Diskutant_innen die Distanzierung als Affront gegen sich auffassten, versuchten andere zu schlichten und betonten die Pluralität der Bewegung. Man solle sich nicht spalten lassen und alle seien willkommen, die die Ziele der Querdenker teilen, so der Tenor dieser Fraktion.

Am Ende einigte man sich schließlich darauf, dass die Distanzierung ein Fehler und eine Überreaktion gewesen sei. Die Neonazis und rechten Hooligans hätten aufgrund ihrer schwarzen Vermummung nicht eingeordnet werden können und deswegen auf Frauen und Kinder beängstigend gewirkt.

Man wünschte sich demnach ein offeneres und fröhlicheres Erscheinungsbild der Neonazis bei Querdenken-Veranstaltungen, deren Gesinnung solle allerdings keine Rolle spielen. Die wenigen Stimmen, die eine Abgrenzung von „jeglicher Form gewaltbereiter/extremistischer Links- oder Rechtsradikalität“, wie es auf den Werbeflyern für die Veranstaltung hieß, einforderten, wurden dabei übergangen.

Verschwörungsmythen als Tätigkeitsfeld der Radikalisierungsprävention

„Querdenken“-Autokorso und Gegenprotest in Dortmund am 9. März 2021 Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Die Zusammensetzung der Corona-Protestbewegung in Dortmund sowie in Deutschland allgemein muss als heterogen angesehen werden, wobei die Affinität zum Verschwörungsdenken die Klammer bildet, welche die verschiedenen Milieus im Netz und auf den Straßen vereint. Die Strukturen können somit nicht als geschlossen rechtsextrem angesehen werden, wobei es allerdings ideologische Schnittmengen und personelle Bezüge zur extremen Rechten gibt.

Das Radikalisierungspotenzial der Bewegung ist aber auch unabhängig von dem Einfluss rechtsextremer Strukturen enorm: Events der Szene, vor allem die Teilnahme an Massendemonstrationen, können als emotionalisierender Katalysator wirken, die Menschen in eine alternative Wirklichkeit ziehen, in der sie sich nur noch über alternative Medien informieren und mit Gleichgesinnten austauschen. Widersprechende Informationen zur eigenen Weltsicht werden dann sukzessive ausgeblendet und schließlich gar nicht mehr wahrgenommen.

Auto-Korso auf dem Wall Foto: Leopold Achilles für Nordstadtblogger.de

Entgegen des Selbstanspruches besonders kritisch und reflektiert zu sein, wird die Welt in Gut und Böse, in Mainstream und Widerstand aufgeteilt, und alles Negative im eigenen Leben auf die Machenschaften finsterer Eliten und das Schweigen des Mainstreams zurückgeführt. In der Gewissheit, selbst im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, werden politische Positionen von anderen Menschen nicht mehr ernst genommen, sondern lediglich als Ausdruck mangelnden Wissens oder Reflexionsvermögens gedeutet.

Der Verschwörungsideologie ist somit ein zutiefst antidemokratisches und antipluralistisches Moment inhärent. Zusammen mit dem in der Verschwörungs-Community grassierenden Antisemitismus und der Akzeptanz rechtsextremer Akteur_innen ergibt sich eine hochexplosive Spannung, welche sich bei mehreren rechtsterroristischen Anschlägen in den letzten Jahren und beispielsweise bei dem Sturm auf das Kapitol in Washington D.C. durch Verschwörungsideologen, Rechtsextremist_innen und QAnon-Anhänger_innen entladen hat.

Antisemitismus gibt es in vielen Varianten - bei Anti-Israel-Protesten wie auch bei „Querdenkern“. Foto: David Peters
Antisemitismus gibt es in vielen Varianten – bei Anti-Israel-Protesten wie auch bei „Querdenkern“. Foto: David Peters für Nordstadtblogger.de

Bisher ist ein Großteil der Protestbewegung in Deutschland zwar noch nicht durch Gewalt aufgefallen und begnügt sich hauptsächlich mit angemeldeten Veranstaltungen, aber die Gefahr, dass Einzelne oder Teile der Community zur Tat gegenüber diejenigen schreiten, die sie für die Strippenzieher_innen der vermeintlichen Verschwörung halten, sollte nicht unterschätzt werden. Friedliche Demonstrationen werden nicht allen genügen, die davon überzeugt sind, dass ihnen bald ein Chip zur Gedankenkontrolle eingepflanzt wird.

Pädagogische Akteur_innen sind deswegen gefordert, die Radikalisierungsprävention im Feld der Verschwörungsmythen als Tätigkeitsfeld ihres professionellen Handelns zu begreifen. Sie benötigen hierfür Wissen über die psychischen Mechanismen, die Verschwörungserzählungen für manche Menschen als Bewältigungsstrategie in bestimmten Lebenslagen attraktiv erscheinen lassen, sowie über deren Verbindung zu antidemokratischen und antisemitischen Weltdeutungen. Zudem sollten sie sich in Fortbildungen Kompetenzen im Umgang mit Anhänger_innen von Verschwörungsmythen aneignen.


Mehr Informationen zur Broschüre:

        • Die Stadt Dortmund wurde in den letzten Jahrzehnten wiederholt mit rechtsextremen Gewalttaten konfrontiert, die zum Teil bis hin zum Mord führten.
        • Daher ist neben der Beratungstätigkeit auch die Aufklärung über die Strukturen der rechtsextremen Szene notwendig und Teil des Schutzes prospektiver Opfer rechtsextremen Terrors.
        • Aus diesem Grund informiert die vorliegende Broschüre des Projekts „U-Turn – Wege aus dem Rechtsextremismus und der Gewalt“ , die wir auf nordstadtblogger.de als Serie veröffentlichen –  über Strukturen und aktuelle Entwicklungen des organisierten Neonazismus. 
        • Die Broschüre „Dortmund Rechtsaußen – eine Bestandsaufnahme“ kann kostenlos über info@u-turn-do.de bezogen werden.

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