SERIE „Kunst im öffentlichen Raum“: Wer wird repräsentiert?

„Die Gestaltung des öffentlichen Raums ist Ausdruck des Selbstverständnisses einer Stadt“

Applaus vom Team der Initiator:innen bei der Enthüllung der Gedenktafel für die Frauenrechtlerin und Bildungspionierin Marie Reinders. Stadt Dortmund / Roland Gorecki

Die Dortmunderin Marie Reinders (1867 bis 1911) stritt für Frauenrechte und setzte sich für die Bildung von Mädchen ein. Eine Gedenktafel in der City erinnert seit Anfang Oktober an ihr Engagement. Es ist der zweite „FrauenOrt“ in Dortmund und er soll helfen, andere Geschichte(n) im öffentlichen Raum sichtbar zu machen, als bisher. An wen wollen und sollen wir uns zukünftig erinnern? Und: wer entscheidet darüber?

Verdiente Würdigung und mehr Sichtbarkeit für Frauen

Marie Reinders gilt als Bildungspionierin. Mit der Mädchen-Mittelschule gründete sie eine Schulform, die in Westfalen im 19. Jahrhundert einzigartig war und die es jungen Frauen überhaupt erst ermöglichte berufstätig zu werden.

Die Dortmunderin Marie Reinders (1867 bis 1911) war Bildungspionierin und Streiterin für die Gleichberechtigung. © Stadt Dortmund

Eine Realschule in Dortmund-Hörde wurde bereits nach ihr benannt, nun kommt eine Gedenktafel am Hansaplatz hinzu. Denn dort – genauer in einem Gebäude in der damaligen Schwarze-Brüder-Straße 14 – startete am 24. April 1901 gegen alle Widerstände der Unterricht.

Verdient ist diese Würdigung – das finden zumindest alle Anwesenden bei der Enthüllung. Die Initiative wird getragen vom Gleichstellungsbüro der Stadt Dortmund, das sich in Kooperation mit dem Verein „Kunst und Kultur im Kaiserviertel e.V.“ und der Bürger:innen-Initiative Frauendenkmale für diese Tafel eingesetzt hat.

Es ist bereits der zweite „FrauenOrt NRW“ in Dortmund nach dem Denkmal für Henriette Davidis in der Kaiserstraße und „es könnten noch viel mehr sein“, ginge es nach Heike Wulf vom Kaiserviertel-Verein. Die Autorin und Stadtführerin kennt sich aus mit der Dortmunder Geschichte und sie hätte da noch einige Ideen, welche tollen Frauen gewürdigt werden sollten. ___STEADY_PAYWALL___

„Wir wollen eine Lücke in der Wahrnehmung schliessen“

Murielle Guéguen, Vorstandsmitglied im FrauenRat NRW, sind die Impulse aus der Bevölkerung sehr wichtig. Die Initiative vertritt landesweit mehr als zwei Millionen Frauen und hat sich vorgenommen 50 FrauenOrte bis 2025 in NRW zu etablieren.

Murielle Guéguen, Vorstand FrauenRat NRW, mit der Gedenktafel für Marie Reinders Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

„Wir wollen eine Lücke in der Wahrnehmung schliessen“, erläutert Guéguen das Engagement, denn ob Straßenname oder Denkmal – Frauen und ihre Leistungen sind aus ihrer Sicht im Stadtraum noch zu wenig repräsentiert. Schade, findet sie das, dann „diese Frauen können uns als Inspiration dienen.“

Die Initiative FrauenOrte gibt es bundesweit und während es in anderen Bundesländern noch zögerlich voran geht, sind die NRW-Frauen bereits am Limit. „23 Orte haben wir schon markiert, 17 weitere beschlossen und für die letzten 10 Plätze haben uns sehr viele Bewerbungen erreicht“, so Guéguen. An Heldinnen scheint also kein Mangel.

Denkmäler, Kunstwerke, Brunnen, Fassadengestaltung, Gedenktafeln – die Gestaltung des öffentlichen Raums ist vielfältig. Wer bestimmt eigentlich, was angeschafft wird? Was kostet der Unterhalt? Wer kümmert sich darum? Und ist überhaupt noch Platz für Neues? Nordstadtblogger fragt nach.

Die Gestaltung des öffentlichen Raums ist verhandelbar

Wieso gibt es dann – Schätzungen zu Folge – allein in Deutschland 700 Denkmäler zu Otto von Bismarck, aber nur 200 Denkmäler zu Frauenfiguren? Fragt man Barbara Welzel von der TU Dortmund zu Prinzipien der Gestaltung des öffentlichen Raums, geht es schnell auch um Frage der Demokratie.

„TalentScouting“: Projekt für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Prof. Dr. Barbara Welzel
Prof. Dr. Barbara Welzel Klaus Hartmann | Nordstadtblogger

Kunstwerk, Denkmal, Straßennamen – da ist die Professorin für Kunst erst einmal nicht so streng, denn prinzipiell habe jede Gestaltung Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Und wie der öffentliche Raum gestaltet wird und wer und was dort präsent ist – das müsse zwingend miteinander verhandelt werden. Welzel: „Nur Diktaturen setzen  ihre einseitigen und widerspruchsfreien Narrative im öffentlichen Raum durch.“

Einmischung ist also erforderlich und wandelt sich das Verständnis einer Gesellschaft, seien auch die Repräsentationen im öffentlichen Raum neu zu diskutieren, Das heißt nicht, dass nun wiederum alles andere abgeräumt werden muss.

„Sicher gibt es da auch eine Schmerzgrenze, aber wir haben die Möglichkeit uns darüber auszutauschen und ein aus heutiger Sicht vielleicht fragwürdiges Denkmal neu zu kommentieren“, so Welzel.

 Eine Vielstimmigkeit, die sich der Vergangenheit bewusst ist

Was geschieht mit den Überbleibseln der kolonialen Vergangenheit? Wie stehen wir zu Heldenkult und Kriegserinnerungen? Wer sollte aus heutiger Sicht gewürdigt werden? All das muss offen diskutiert werden, Welzel fordert eine Vielstimmigkeit, die sich der Vergangenheit bewusst ist und warnt vor vorschnellen Aktionen.

Immer wieder Opfer von Vandalismus: Schlafender Löwe im Westpark zum Gedenken an die Gefallenen des 1. Weltkriegs Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Dabei gelte es auch die Unversehrtheit der Objekte zu bewahren, denn Beschmierungen haben für sie den Status einer Privatmeinung: „Widerstand war auch immer Denkmalschutz, um die Vielstimmigkeit zu schützen“ erinnert Welzel.

Am Ende spiegelt sich für sie in der Gestaltung des öffentlichen Raums das Selbstverständnis einer Stadt. Unbequemes gehört dazu, Kunstwerke und Fassaden, und beispielsweise auch Parkbänke.

„Bietet die Stadt ihren Bürger:innen Aufenthaltsqualität jenseits von Kommerz oder überlassen wir die Gestaltung Unternehmen, die zunächst an Gewinnmaximierung interessiert sind?“, fragt Welzel. 

Die Grundsatzfrage „Wem gehört der öffentliche Raum?“ beantwortet sie klar mit „uns allen“. Und nur wer seine Anliegen hier auch repräsentiert sehe, fühle sich zugehörig und als Teil des Gemeinwesens.

Bereits der Prozess ist Teil des Denkmals für die Gastarbeiter:innen

Zugehörigkeit zum Ausdruck bringen und eine Debatte anstoßen – das war auch das Anliegen von Dominik de Marco, Mitglied der SPD-Ratsfaktion.  Bereits 2021 stellte er den Antrag auf die Errichtung eines Denkmals für die Gastarbeiter:innen, um deren „Leistung zu würdigen und als Teil des kollektiven Gedächtnisse“ zu begreifen.

„Aber wer bin ich, darüber zu entscheiden, wie so etwas aussieht?“, so de Marco. Für ihn war klar, dass der Prozess unter Beteiligung vieler Menschen, vor allem selbst Betroffener, gestaltet werden muss. Ein vielschichtig besetzter Beirat versammelt die ganz unterschiedliche Menschen und Perspektiven auf das Thema. Hinzu kommen Erzähl-Cafés, bei denen alle Bürger:innen ihre Ideen einbringen können und „dieser ganze Prozess ist bereits ein wichtiger Teil des Denkmals“, erklärt de Marco.

Aktuell ist man mit der Suche nach einem Standort und der Ausschreibung für die Künstler:innen beschäftigt. Anfang 2025 sollen die Gestaltungsvorschläge vorliegen. Dass sich Denkmal dann auf dem Hansaplatz zur Tafel von Marie Reinders gesellt und in der Nähe neue Parkbänke aufgestellt werden, ist übrigens reine Spekulation.

Weitere Informationen:

  • frauenorte-nrw.de
  • Informationen über das Leben und Engagement von Marie Reinders bietet noch bis zum 24. Oktober eine Ausstellung in der Berswordt Halle, Südwall 2-4. Der Eintritt ist frei.

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Reaktionen

  1. Cornelia Wimmer

    Denkmäler, Gedenktafeln, – ja, alles schön und gut und berechtigt. Aber vor allem respektvollen Erinnern muss der Platz als Platz erst einmal funktionieren.
    „Der Stadtraum ist als öffentlicher Raum Teil des öffentlichen Grundeigentums. Damit unterliegt der Stadtraum einer stadtgesellschaftlichen Verantwortung. Bei der Stadtgestaltung ist der Mensch in den Fokus zunehmen. (…)
    Eine qualitätvolle Gestaltung von Stadträumen lässt Orte der Kommunikation und Begegnung entstehen. Der öffentliche Raum hat auch eine demokratische Funktion zu erfüllen, so dass Orte politischer Diskussionen und gesellschaftlichen Miteinanders zu entwickeln sind…“ das schreibt der Masterplan Plätze der Stadt Dortmund, dem man nur zustimmen kann. Und entwickelt an anderer Stelle, dass Plätze mit Aufenthaltsmöglichkeiten OHNE Konsumzwang ausgestattet werden sollen.
    Und diesbezüglich ist in Dortmund viel Luft nach oben. Wer würde die oben beschriebenen Kriterien aktuell erfüllt sehen am Hansaplatz, am Friedensplatz, am Platz von Rostov an Don, am Platz von Buffalo, an den Plätzen von Netanya, von Leeds, Xi’an, und – im Norden – am Mehmet-Kubaşık-Platz, am Kurt-Piehl-Platz, am Franz-Jacobi-Platz… Wo überhaupt in Dortmund gibt es solche Plätze? Am ehesten lässt noch die Kleppingstraße erahnen, wie solches gelungenerweise ausehen könnte. Die ist zwar kein Platz, aber ein wenig funktioniert sie als solcher.

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