Von Claus Stille
„Fachkräfte sichern – Minijobs aufstocken“ war das Thema der Veranstaltung der DGB Region Dortmund-Hellweg im Wichernhaus in der Nordstadt. Der Hintergrund: Im Rahmen eines Projektes „Mehrwert schaffen – Minijobs umwandeln“ wird in Dortmund an der Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gearbeitet.
Erfolgreiches Projekt „Mehrwert schaffen – Minijobs umwandeln“
Das Projekt ist von Erfolg gekrönt. Bislang konnten mehr als 1700 Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt werden. In der begleitenden Evaluation konnte viele Aspekte den Mehrwert einer solchen Umwandlung für alle Beteiligten – Beschäftigte wie Unternehmen – aufzeigen.
Beeindruckend stellte sich heraus, dass sich Wert und die Qualität der Arbeit infolge der Umwandlung verbessern lässt.
Im Wichernhaus war ein Personenkreis von Fachleuten erschienen, welche in der Praxis mit der Thematik konfrontiert ist. Darunter befanden sich auch Mitarbeiterinnen aus Jobcentern.
Die Vorstellung des Projektes und die Einführung in das Thema lag in den Händen der Vorsitzenden des DGB Dortmund, Jutta Reiter.
Minijob-Umwandlung schafft sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
Den Part von Detlef Janke-Erler vom Jobcenter Dortmund, der zum Projekt sprechen sollte, musste Jutta Reiter übernehmen, da besagter Referent krankheitsbedingt nicht erscheinen konnte.
Das Projekt, erklärte Jutta Reiter, lehne sich quasi an die DGB-Initiative „Strategie 2020“ an.
Ziel der Initiative ist es, „Gute Arbeit“ zu haben, ressourcenschonend zu produzieren, dass Investitionen in Bildung und die Daseinsvorsorge generiert werden, welche Arbeitsplätze schaffen.
In Nordrhein-Westfalen, auch in Dortmund sei eine Steigerung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zu konstatieren. Dazu habe gewiss auch das zu diskutierende Projekt beigetragen, ist sich Reiter sicher.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund habe allein für Dortmund errechnet, dass – wenn Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt würden – 17 000 neue, solcher Arbeitsplätze zu schaffen wären.
Mit Broschüre „Fest in die Zukunft“ engagiert für die Umwandlung von Minijobs geworben
Jutta Reiter hatte ausrechnen lassen, dass allein durch Minijobs der Stadt Dortmund eine hohe Zahl an Sozialbeiträgen verloren geht. Man kam mit dem Einzelhandel, der Gewerkschaft ver.di und Jobcentern zur Erkenntnis: Minijobs sind keine Lösung.
Dennoch konnte sich die Dortmunder DGB-Chefin nicht mit ihre Forderung durchsetzen, Minijobs generell abzuschaffen. Immerhin gelang es auch mittels eines Plakates sowie der Broschüre „Fest in die Zukunft“ die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Stellen wirkungsvoll zu bewerben.
Zuvor war feststellt worden, dass in Dortmund im Vergleich zu NRW und sogar zu Gesamtdeutschland, die Zahl der Minijobs exorbitant stark gestiegen war. Was mit politischen Entscheidungen im Zusammenhang stand.
Dortmund galt gar als „Hauptstadt der Minijobs“. Der DGB hatte die Kreishandwerkerschaft und andere Verbände angesprochen. Die signalisierten ihrerseits Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Aus verschiedenen Gründen heraus entstand die Bereitschaft zur Umwandlung von Minijobs
Das Dortmunder Jobcenter erkannte die Möglichkeit, viele der 16.000 Langzeitarbeitslosen der Stadt in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen. Eine strategische Arbeitsgruppe unterschiedlicher Akteure ging ans Werk.
Arbeitgeber aus verschiedenen Branchen und die Firmen nach solchen sortiert nahm man mit ins Boot. Mit der Zeit habe sich der innere Drang etwas zu verändern auch in unterschiedlichen Drücken Bahn gebrochen, durchaus – auch aus verschiedenen Gründen heraus – und zur Bereitschaft geführt, Minijobs umzuwandeln.
Jutta Reiter: „Die Knochenarbeit, die hatte das Jobcenter.“ Dieses habe nicht nur seine Kunden überzeugen müssen, umgewandelte Minijobs anzunehmen. „Die mussten auch die Arbeitgeber behandeln.“
Nicht nur Umstrukturierungen und Arbeitsbereichszusammenlegungen habe das zur Folge gehabt. Auch ganz andere Arbeitsplätze seien so entstanden.
Eine durchaus positive Bilanz des Dortmunder Projekts
1892 Minijobs habe man in der Anfangszeit in Voll- bzw. Teilzeitarbeitsstellen umwandeln können. In den ersten Jahren konnten sogar 50 Prozent Minijobs in Vollzeitstellen überführt werden.
Später sei es dann logischerweise schwieriger geworden. Da habe man ja die meisten gutwilligen Arbeitgeber schon abgegrast gehabt, so die Erklärung der DGB-Vorsitzenden. Immerhin habe man über gesamten Zeitraum des Projektes hinweg 37 Prozent der Minijobs in Vollzeit umwandeln können und 63 Prozent in Teilzeit.
„Alleinerziehende Mütter, die häufig keine Chancen am Arbeitsmarkt sehen, außer eben Minijobs, lagen uns sehr am Herzen“, so Reiter. 27 Prozent der Minijobs, die umgewandelt werden sollten, waren für diesen Personenkreis vorgesehen.
Ebenso sind ältere Personen berücksichtigt worden. Noch immer bestehe bezüglich der Problematik ein ziemlich hoher Aufklärungsbedarf.
Dem Bundesrechnungshof, welcher wegen der Kosten des höheren Personalbedarfs beim Jobcenter auf der Matte stand, habe klargemacht werden müssen, dass das Projekt gesellschaftlich letztlich eher Geld spare.
Jutta Reiter nannte das Projekt erfolgreich. Hauptsächlich habe man Menschen helfen wollen, die zusätzlich zum Job noch hätten aufstocken müssen.
Die wissenschaftliche Projektbegleitung recherchierte bei Minijobbern und Unternehmern
Dr. Cordula Sczesny von der Soziale Innovation GmbH SI research & consult, die das zur Diskussion stehende Projekt begleitete, hat zu diesem Behufe in Branchen und Betrieben in den Blick genommen.
Minijobber wurden befragt. Von denen gibt es in NRW fast zwei Millionen. „Dreimal das Westfalenstadion voll machen allein die Minijobber im NRW-Einzelhandel“, so malte Cordula Sczesny Statistik plastisch aus.
Dass die meisten Minijobber Frauen sind, schrieb die Referentin dem noch immer anzutreffenden traditionellen Rollenmustern zu, wonach der Ehemann der Ernährer der Familie ist.
In diesem Zusammenhang kritisierte Dr. Cordula Sczesny das Ehegattensplitting, was ebenfalls nicht unerheblich dieses Verhalten fördere. Die zutage geförderten Erkenntnisse der Recherche stammen noch aus der Zeit vor der Einführung des Mindestlohnes.
Für nicht wenige, die zum Minijob griffen, kam heraus, war das einfach „die missliche Alternative“ zu einer sozialversicherungspflichtige Stelle, die sie partout nicht fanden.
Viele Frauen wie Männer gaben an, sich über den Minijob den Wiedereinstieg in den alten Job erhofft zu haben. Die Betriebe wiederum kämen bei Personalbedarf fast nie auf die Idee, einen schon beschäftigten Minijobber, der ja den Betrieb kennt, aufzustocken.
Andere Minijobber erklärten diese Variante zwecks Zuverdienst zu nutzen. Auch familiäre Gründe seien angeführt worden. Die Frauen arbeiten im Service oder Reinigungsgewerbe. Die Männer „fahren, packen oder stellen zu“.
Nach der Umwandlung stieg das Entgelt – Fehlendes Unrechtsbewusstsein bei bestimmten Unternehmern
Nach der Umwandlung der Minijobs stieg das Entgelt bei gleicher Tätigkeit. Jetzt allerdings kommen Sozialbeitragsabzüge dazu. Ein Minijobber gab an, gar nicht mehr zu wissen, wie viel er nun pro Stunde bekomme: „Ich glaube wir hatten erst die Stunden besprochen und dann das Gehalt.“
Bei manchen Arbeitergeber sei kein Unrechtsbewusstsein zu erkennen. Ein Unternehmer antwortete auf Befragung: „Das ist so, das was die Kollegen so zahlen. Man tauscht sich ja aus.“
Eine andere Unternehmeräußerung in Sachen „Gerechtigkeit“ schlägt den Fass den Boden aus: „Das wäre ja unfair (dem Minijobber) so viel zu bezahlen, wie den Festen. Die kriegen ja noch Leistungen vom Amt. Die anderen müssen ja allein von ihrem Gehalt leben. Das wäre nicht fair. Das könnte ich den Mitarbeitern so nicht verkaufen. Da muss es schon einen Unterschied geben.“
Gute Auswirkungen nach Einführung des Mindestlohns – deutlich mehr Geld für Beschäftigte
Der Mindestlohn in Bezug auf die Minijobs hatte gute Auswirkungen. Vor dessen Einführung gab es 5,5 Millionen Jobs, die unter 8,50 Euro bezahlt wurden.
Ab Januar 2015 fielen 4 Millionen unter das Mindestlohngesetz. Die verbliebenen 1,5 Millionen fallen unter Ausnahmeregelungen (Friseure, Zeitungszusteller, Praktikanten etc.).
In Dortmund und Umgebung befragte man telefonisch 880 Betriebe. Jedes zweite (!) Unternehmen habe gar nicht konkret beantworten können, warum es eigentlich Minijobs habe.
Nach dem Motto: „Wir haben das immer schon so gemacht.“ Dabei, stellte Cordula Sczesny heraus, sei das überhaupt nicht wirtschaftlich günstiger.
Minijobs umzuwandeln kann sich für Unternehmen durchaus lohnen
Etwa um gute MitarbeiterInnen zu binden. Gerade auch im Einzelhandel und im Hotel- und Gaststättengewerbe. Dazu kann es nötig sein, verschiedene Tätigkeiten betreffs einer Arbeitskraft zu bündeln.
Aber es gibt auch Minijobber die gar nicht aus diesem Arbeitsverhältnis weg wollen. Was oft mit der Rollenverteilung oder Rollenklischees zu tun habe. Manche Frauen glaubten die Lebensabsicherung über den Mann halte ein Leben lang. Steuerliche Fehlanreize spielten da ebenfalls eine Rolle.
Ein Dortmunder Cafébesitzer favorisiert, entsprechend gefragt, ohnehin umgewandelte Minijobs: „Bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten schlafe ich viel besser.“
Die Minijobber bedürften mehr Aufklärung. Man müsse mit ihnen arbeiten. Da zeigte sich Dr. Szcesny überzeugt davon. „Damit sie aus dieser Falle Minijob herauskommen.“
Nicht wenige Minijobber sehnten sich nach einer Umwandlung: „Damit ich endlich vom Jobcenter weg bin!“
Handlungshilfen können bestellt bzw. aus dem Internet heruntergeladen werden
Entsprechende Handlungshilfen (mit branchenspezifischen Beispielen bestückt) mit Rechnungsbeihilfen wurden herausgebracht und können bei der Soziale Innovation GmbH in Form von Broschüren bestellt oder aus dem Internet herunterladen werden. Sie sind hilfreich für Unternehmer wie Arbeitnehmer.
Eine wichtige Anmerkung der Referentin: „Der Minijobber ist nur günstiger, wenn ich mich nicht an gesetzliche Regelungen halte.“ Und flexibler als diese seien dann eher auch Teilzeitkräfte. Auch dieses oft gehörte Unternehmerargument geht also ins Leere.
Projekt war ein hartes Stück Arbeit: Dicke Bretter von unten her bohren – Stück für Stück
Jutta Reiter ergänzte: Die Recherchen hätten früher Vermutungen, dass Minijobs keine fairen Arbeitsverhältnisse seien bestätigt.
Wenn man es jedoch nicht gelinge, durch Gesetzgebung eine solche Ungleichheit in den Beschäftigungsverhältnissen zu verändern, müsse man es eben von unten her sozusagen durch das Bohren dicker Bretter Stück für Stück angehen.
Selbst Otto Kentzler, ehemaliger Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, der früher die Notwendigkeit von Minijobs quasi wie eine Monstranz vor sicher hergetragen habe, hätte seine Meinung inzwischen geändert.
Denkprozesse in Gang gesetzt worden
„Wir haben in dieser Stadt und darüber hinaus Denkprozesse in Gang gesetzt. Und das haben wir miteinander getan“, so die DGB-Chefin. Diese sind wissenschaftlich unterfüttert. Das erörterte Projekt erhielt von der DGB-Chefin verbal das Siegel „Win-win-Situation“ aufgedrückt.
Selten habe man einen Vortrag über Statistik gehört, kam Lob für Dr. Szcesny aus der Zuhörerschaft, der so interessant und verständlich gewesen sei.
Insgesamt wurde der Begriff „Minijob“ aus dem Publikum heraus als diskriminierend gegeißelt. So werde dieser auch von so Beschäftigten empfunden. Eigentlich müsse der Begriff vorm Gesetzgeber gestrichen werden.
Dr. Cordula Szcesny ist auf dem weiteren Weg „DGB-beschirmt“
Belohnung dafür kam dann auch in Form eines roten DGB-Regenschirms und eines Handtuchs des Gewerkschaftsdachverbands. Dortmunder DGB Vorsitzende Jutta Reiter überreichte beides an Cordula Szcesny.
„Wir wollen dich beschirmen, dass du auch weiter die Frauen aus der Arbeitswelt vertrittst. Und du weißt, wenn wir als DGB was machen, dann ist immer alles in trockenen Tüchern“, sagte Reiter zum Abschluss.
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