Von Sonja Neuenfeldt.
Die „Kommerzialisierung stationärer Pflegeeinrichtungen“ war das Thema einer Fachtagung im Dietrich-Keuning-Haus, zu der der Seniorenbeirat der Stadt Dortmund eingeladen hatte. Über dieser Veranstaltung stand ein Zitat von Gustav Heinemann als Motto: „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder umgeht.“
Ziel: Besseres Verständnis des Ist-Zustandes in der stationären Altenpflege
Stellvertretend für Oberbürgermeister Thomas Westphal begrüßte die Sozialdezernentin Birgit Zoerner die Teilnehmer:innen der Fachtagung im Dietrich-Keuning-Haus.
Im Anschluss daran sprach ebenfalls die stellvertretende Vorsitzende des Dortmunder Seniorenbeirates, Gertrud Löhken-Mehring, ein paar einleitende Worte. Desweiteren führte sie als Moderatorin durch die Abfolge der Fachvorträge und die gesamte Veranstaltung. ___STEADY_PAYWALL___
Die Beiträge zielten auf ein besseres Verständnis des Ist-Zustandes in der stationären Altenpflege und eine Sensibilisierung für damit verbundene Probleme.
Sie sollten zudem Impulse geben für unbedingt notwendige Gespräche und die Ideenfindung in Arbeitsgruppen und Fachgremien, damit humane Altenpflege nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft gesichert wird.
In ganz Europa ist zu beobachten, dass internationale Finanzkonzerne und Finanzinvestoren sowie sogenannte „Private-Equity“-Gesellschaften die Pflegewirtschaft für ihren Cash-Flow und Vermögensaufbau entdeckt haben. „Geschäftsmodelle“ privatwirtschaftlicher Unternehmen, welche große Ketten von Pflegeheimen verwalten, beleuchtete als Vortragsgast Harald Schumann, investigativer Journalist und Redakteur beim Tagesspiegel.
„Kapital-Haie“ – Ausbeutung privatwirtschaftlicher stationärer Pflegeeinrichtungen…
Harald Schumann ist durch seine Recherchen und die Recherchen der Mitglieder des journalistischen Teams „Investigate Europe“ überzeugt: Die Absicht der Gewinnerzielung privatwirtschaftlicher Betreiber geht auf Kosten der Pflegebedürftigen und auch der Pflegekräfte. Letztlich belastet das auch unsere Sozialsysteme.
Für ihn bedeutet das eine unverschämte materielle Ausnutzung durch „Kapital-Haie“, die die von ihnen verwalteten Pflegeheime lediglich als Renditeobjekte missbrauchen.
Ein begehrlicher Markt, den sich in Europa wenige Unternehmen der Privatwirtschaft untereinander aufteilen, so Schumann. Doch er meint schließlich mit einer gewissen Portion Genugtuung, dass manchmal kritischer Journalismus wichtig ist und verweist darauf, dass z.B. das Unternehmen Orpea nach seinem rasanten Höhenflug an der Börse aktuell wieder so viel bzw. so wenig wert ist wie ursprünglich im Jahr 2012.
Freie Wohlfahrtspflege als Träger sind ein positiver Gegenentwurf
Martin Peis, Abteilungsleiter „Senioren, Gesundheit & Soziales“ des Caritasverbandes für das Bistum Essen e.V. stellte das Beispiel eines Verbandes der Freien Wohlfahrtspflege als Betreiber stationärer Pflegeheime vor. Zunächst erläuterte er das Selbstverständnis der Freien Wohlfahrtspflege. Nach dem Grundgesetz besteht unmittelbar ein Zusammenhang zwischen Demokratie und Sozialstaat.
Gemäß dem Prinzip der „Subsidiarität“ gilt eine Zurückhaltung staatlicher Eingriffe, wenn die Umsetzung gesetzlicher sowie gesellschaftlicher Aufgaben bzw. Vorgaben auch anders gewährleistet ist. Dabei sollte die Kompetenz zur Regulierung immer „so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig“ angesiedelt sein.
Diesbezüglich verwies Peis auch auf die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege“ und die mit ihr zusammenarbeitenden Spitzen-Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. Diese fungieren sowohl als Interessenvertreter, als auch als Dienstleister mit etwa 93.000 Einrichtungen bundesweit. Dabei zählt das Gemeinnützigkeitsprinzip.
Nicht staatliche Organisationen haben die Möglichkeit, Pflegeheime kostengünstiger und näher am Klienten zu betreiben – zum Wohl notleidender und gefährdeter Menschen sowie der Allgemeinheit. Marktwirtschaftliche Erwägungen und Gewinnerzielung sind hier, wenn überhaupt, nur von relativer Bedeutung.
Kommerz und stationäre Pflege – Was macht die Politik?
Um diese Frage an die Politik zu richten, hätte der Seniorenbeirat gerne einen Vertretenden des Bundestages zu Wort kommen lassen. Laut Frau Löhken-Mehring ist es aber nicht gelungen, eine Rückmeldung zu diesem Anliegen aus Berlin zu bekommen. Erfreulich findet sie, stattdessen kurzfristig ein Mitglied des Landtages für einen Vortrag gewonnen zu haben.
Kurzfristig nahm sich Lisa-Kristin Kapteinat (SPD), wiedergewähltes Mitglied des NRW-Landtages, Zeit für einen Vortrag zur politischen Einschätzung der Problematik.
„Es gilt, den Mangel an Pflegefachkräften für die stationäre Pflege zu beseitigen – Pflegekräfte zurück zu gewinnen.“ Es gibt, so Kapteinat, rund 300.000 ausgelernte Pflegekräfte, die bereit wären, in die stationäre Pflege zurück zu kehren.
Jedoch müssten dafür erst die Rahmenbedingungen anders werden. Das heißt, es müsste neben Erleichterungen der Tätigkeiten vor allem möglich sein, die Arbeitszeit der persönlichen Lebenssituation anzupassen anstatt alles dem Job in der stationären Pflege unterordnen zu müssen. Zeitlich, aber auch finanziell müsste es besser passen.
Vorbereitet sein auf den gesellschaftlichen Strukturwandel
„Das Ansehen und die Wertigkeit der Arbeit in Pflegeheimen sollten erhöht werden. Jedoch sind eine Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen sowie eine Erhöhung des dafür verfügbaren Geldes im System schwierig, nur einen engen Rahmen gibt es. Die Pflegekosten werden aber definitiv steigen.“ Das ist das Fazit Kapteinats.
Auch in Dortmund steigt der Bedarf an stationären Pflegeplätzen – und wird es durch den demografischen Wandel weiter tun. Der Seniorenbeirat der Stadt Dortmund sieht schon jetzt Handlungsbedarf. Es ist dringend nötig, dass Vertreter der betroffener Interessensgruppen schon jetzt gemeinsam an Konzepten arbeiten, damit jetzt und in Zukunft eine humane Altenpflege gesichert wird.
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Digitale BiZ-Info-Veranstaltung „Pflege: akademisch!“ in der kommenden Woche (PM)
In der kommenden Woche informiert das BiZ auf digitalem Weg zur Berufswahl. Eine Teilnahme ist mit PC, Tablet oder Smartphone mit stabiler Internetverbindung problemlos möglich.
Mittwoch, 8. Juni 2022, Beginn 15:30 Uhr: Pflege: akademisch!
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem BiZ Recklinghausen und dem BiZ Bochum
Der Pflegeberuf gehört zu den ältesten Berufen der Welt und stellt in unserem Versorgungsalltag eine unverzichtbare Größe dar. Kaum ein Beruf ist vom aktuellen Wandel unserer Gesellschaft so beeinflusst wie der Pflegeberuf – und das nicht erst seit Corona! Der medizinische Fortschritt, die steigende Zahl betagter Menschen, die an immer komplexeren Krankheitsbildern leiden – Faktoren wie diese erfordern neue, moderne Konzepte in der Pflege und damit auch Pflegekräfte mit akademischer Ausbildung.
Die Hochschule für Gesundheit Bochum bietet seit 2010 Studiengänge im Bereich der Pflege an – für AbiturientInnen und bereits examinierte Pflegekräfte. Die Inhalte der theoretischen Lehre in Vorlesungen und Seminaren werden verknüpft mit der praktischen Ausbildung und Arbeit in Krankenhäusern, Senioreneinrichtungen, Fachkliniken und Sozialstationen. Ergänzend wird intensiv in den so genannten „Skills-Labs“ gearbeitet, in denen mittels moderner Patientensimulatoren eine große Bandbreite an pflegerischen Alltagssituationen nachgestellt und stressfrei eingeübt werden können.
Lisa Weißgerber klärt als Studiengangskoordinatorin über die Möglichkeiten des Pflege-Studiums auf und stellt den Studiengang B.Sc. Pflege in seinem Ablauf vor. Um den Einwahllink zu erhalten ist eine Anmeldung erforderlich per E-Mail an Dortmund.BiZ@arbeitsagentur.de, bitte dabei angeben: Vor- und Nachname sowie die eigene Telefonnummer. Wir versenden per Mail zeitnah zum Veranstaltungstermin den Link zur Teilnahme sowie die nötigen technischen Details.
Regionalbüro Dortmund unterstützt Interessierte, die selbstständig pflegebedürftige Menschen Zuhause betreuen wollen (PM)
Das Regionalbüro Dortmund Alter, Pflege und Demenz bietet allen Interessierten, die junge oder alte Menschen mit einem Pflegegrad zu Hause betreuen und sich damit selbstständig machen wollen, seine Unterstützung an.
Die Angebote können mit der Pflegekasse über den Entlastungsbetrag von 125 Euro, der allen Menschen mit einem Pflegegrad zusteht, abgerechnet werden.
Das Regionalbüro hilft auf dem Weg in die Selbstständigkeit, begleitet die Anbieter*innen von Unterstützungsangeboten fachlich und vernetzt sie untereinander.
Dieses selbstständige Engagement für hilfsbedürftige Menschen spricht sowohl Akteur*innen mit Berufserfahrung in der Betreuung von Menschen in Pflegeeinrichtungen als auch Quereinsteiger*innen an.
Das Regionalbüro Dortmund in Trägerschaft der Stadt Dortmund ist Teil der gemeinsamen Initiative zur Strukturentwicklung der Landesregierung und der Pflegekassen NRW.
Interessierte wenden sich an das Regionalbüro unter Telefon 50-25932 oder per Email th.rosenberg@rb-apd.de.
Aktionstag Besuch vor der Tür am 7. September 2022 – Christinenstift in Dortmund macht mit (PM)
Als Zeichen gegen die Überlastung der Langzeitpflege lässt das Christinenstift am 07.09.2022 in der Zeit von 15:00 bis 17:00 Uhr Besuche draußen im Garten stattfinden. Gemeinsam mit den Angehörigen weist die Einrichtung auf die prekäre Personalsituation hin. In einem offenen Brief fordert das Christinenstift vom Bund eine Verringerung der Bürokratie und eine dauerhafte und sichere Refinanzierung der coronabedingten Mehraufwendungen.
Infektionsschutz ist nicht allein Aufgabe der Pflege. Bürokratie und fehlende Refinanzierung belasten die Einrichtungen. Während die Corona-Schutzverordnungen in den Einrichtungen der Langzeitpflege mit dem geänderten Infektionsschutzgesetz weiterhin umgesetzt werden müssen, ist deren Refinanzierung in Teilen ausgelaufen. Träger, wie das Christinenstift, Eisenmarkt 2-6, 44137 Dortmund, befürchten, dass Zusatzaufgaben dauerhaft vom Einrichtungspersonal gestemmt werden müssen. Auf mehr Bürokratie folgt weniger Personal und damit weniger Zeit für die Versorgung von Pflegebedürftigen.
Am 8. September 2022 stimmt der Bundestag über das geänderte Infektionsschutzgesetz ab. Einrichtungen der Langzeitpflege müssen weiterhin zeitintensive Maßnahmen zum Infektionsschutz, wie Einlasskontrollen, Zertifikatskontrollen und Dokumentation der Vorgänge, umsetzen. Bis Juni 2022 konnten Pflegeeinrichtungen die Aufwendungen, die durch die Umsetzung der Corona-Maßnahmen entstanden, sowie coronabedingte Mindereinnahmen über den Pflegerettungsschirm geltend machen. Das ist durch das Auslaufen des Rettungsschirms nicht mehr möglich.
Zusätzliche Aufgaben erschweren ohnehin prekäre Personalsituation. Das Christinenstift sagt: „Während Corona in der Mitte der Gesellschaft keine Rolle mehr zu spielen scheint, ist die Pandemie in der Pflege noch lange nicht vorbei. Unsere Mitarbeitenden arbeiten seit zweieinhalb Jahren über ihr Limit hinaus. Die Vorgaben durch das ab Oktober geltende geänderte Infektionsschutzgesetz erzeugen einmal mehr Bürokratie und belasten unsere Beschäftigten. Wir fordern eine Entlastung der Pflege durch die dauerhafte und sichere Refinanzierung von Corona-Schutzmaßnahmen.
Es braucht außerdem eine gesamtgesellschaftliche und politisch geförderte Solidarität. Der notwendige Schutz vulnerabler Personen ist nicht allein Aufgabe der Langzeitpflege.“