Der tragische Tod des suizidgefährdeten 16-jährigen Flüchtlings Mouhamed Lamine Dramé, der unter fragwürdigen Umständen durch Schüsse der Polizei starb, beschäftigte nach der Bezirksvertretung der Nordstadt nun auch den Dortmunder Stadtrat. Dort stehen planmäßig unter Punkt 2 „Angelegenheiten von besonderer Bedeutung und öffentlichem Interesse“ auf der Tagesordnung. Doch der Tod des Jungen gehörte nicht dazu. Die Diskussion fand unter „TOP 10.9“ statt – der 75. Tagesordnungspunkt, selbst noch nach der Umbesetzung in Gremien des Rates. Daher fand sie beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – was vielleicht auch besser war. Denn der Rat zeigte sich sehr gespalten. Die demokratischen Fraktionen konnten sich im Vorfeld auf kein gemeinsames Papier einigen – so dass konkurrierende Anträge von SPD und Grünen sowie die Resolution der Bezirksvertretung (Link am Ende) auf dem Tisch lagen.
Die Grünen fordern eine unabhängige Beschwerdestelle zur Polizeigewalt in Dortmund
Den Anfang macht Ingrid Reuter von der Fraktion 90/ Die Grünen: „Wir sind erschüttert darüber, dass am 8. August ein junger Mensch, der sich zu uns geflüchtet hat, der sich hier ein besseres Leben vorgestellt hat, bei seinem Polizeieinsatz erschossen wurde. Wir müssen alles dafür tun, dass so etwas nie wieder passieren kann und wir müssen alles dafür tun, dass sich alle Menschen in Dortmund sicher fühlen können.“
Die Grünen fordern den Polizeipräsidenten und den Innenminister auf, rassistische Einstellungen bei der Polizei noch entschiedener zu bekämpfen. Zudem möchten sie, dass alle Anstrengungen unternommen werden, damit das verlorene Vertrauen in die Polizei wiedergewonnen wird. Das Gesicht der Polizei müsse zudem vielfältiger werden, sagt Reuter. Die Polizei brauche mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in ihren Reihen.
Die Grünen fordern zudem eine unabhängige und niederschwellige Beschwerdestelle beim Land zu Polizeigewalt und dass die Stelle eines oder einer eigenen unabhängigen Antirassismus-Beauftragten in Dortmund eingerichtet wird. „Damit wollen wir betroffenen Menschen und ihrem Recht auf Gleichberechtigung und Gleichbehandlung das richtige Gewicht verschaffen“, sagt Reuter.
Die CDU will keine voreiligen Schlüsse oder Vorverurteilungen
Dortmunds CDU-Parteichef Sascha Mader – selbst im Hauptberuf Polizist – betont, dass auch die Polizei nicht unberührt von dem Tod des 16- Jährigen sei. „Da wir nichts über die Ergebnisse der Ermittlungen wissen und die Polizei durch die Staatsanwaltschaft beurteilt werden soll, unterstützt die CDU keine der vorliegenden Resolutionen.“
Die Diskussionen und Forderungen fand er falsch und hielt sie für verfrüht: „Wenn ich jetzt Arzt wäre würde ich sagen: Ohne eine Diagnose zu kennen, werden hier Lösungen favorisiert. Die sehen wir nicht“,so Mader.
Das BVT kritisiert den Vorstand des Integrationsrates
Das Bündnis für Vielfalt und Toleranz (BVT) forderte, dass Polizist:innen für solche Fälle besser qualifiziert, die Einsatzvorschriften für Maschinenpistolen überarbeitet und der Einsatz von Bodycams vorgeschrieben werden müssten.
Außerdem sprach BVT-Vertreter Emre Gülec seinen Dank gegenüber Oberbürgermeister Thomas Westphal und Stadtdirektor Jörg Stüdemann aus. Diese hatten am 12. August 2022 am Totengebet für den verstorbenen Mouhamed Lamine Dramé teilgenommen.
Auch viele Mitglieder des Integrationsrates hatten daran teilgenommen, nicht aber der Vorsitzende des Integrationsrates und seine Stellvertreter:innen. Das kritisierte Gülec scharf: „Bis jetzt habe ich auch keine Stellungnahme vom Vorstand des Integrationsrates über diesen schrecklichen Vorfall gehört. Das bedauere ich als ein ehemaliges Integrationsratsmitglied und Vorstandsmitglied sehr“, so Gülec.
Für die FDP ist der Stadtrat der falschen Ort für die Debatte
Michael Kauch von der Fraktion FDP/Bürgerliste machte deutlich, dass die Debatte um den Tod des Jungen Mouhamed D. nicht in der Sitzung des Rates gehalten werden sollte.
„Wenn man sagt, wir wollen das politisch aufarbeiten, dann stellt sich die Frage, welches denn das richtige Gremium ist. Die politische Kontrolle über die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat der Innenausschuss des Landtags. Die haben nämlich auch Zugang zu Informationen, die möglicherweise zunächst einmal intern sind“, so Kauch.
Deswegen plädierte er dafür, Resolutionen und politische Schlussfolgerungen, die die NRW-Polizei beträfen, auf der Ebene des Landtags zu diskutieren. „Die Grünen, die hier auch Antragsteller sind, sind Teil der Landesregierung und können diese Fragen in Düsseldorf meiner Sicht nach viel seriöser diskutieren, als wir das hier in Dortmund können“, so Kauch.
Ratsmitglieder:innen sollen keine „einseitigen“ Schuldzuweisungen machen
Kauch wunderte sich zudem, warum noch keine Sondersitzung des Dortmunder Polizeibeirates stattgefunden hat – denn sie seien als Brücke zwischen Stadtgesellschaft und Sicherheitskräften zuständig. Auch die Mitglieder des Beirats könnten eine Sitzung einberufen – dafür müsse man nicht auf den Polizeipräsidenten warten.
Zudem kündigte er an, dass seine Fraktion keiner der beiden Resolutionen zustimmen könne: „Wir werden beiden Resolutionen nicht zustimmen, weil sie aus meiner Sicht an mehreren Stellen Annahmen machen, die wir nicht beweisen können.“
Abschließend richtet er sein Wort an die Mitglieder des Rates: „Von Mitgliedern dieses Rates erwarte ich, dass die einen Beitrag leisten zur Verständigung und nicht, Öl ins Feuer zu gießen, indem man einseitige Schuldzuweisungen macht.“
Die Linke+ kritisiert, dass es keine gemeinsame Resolution gab
Utz Kowalewski der Fraktion „Linke+“ stimmt zwar zu, dass die Aufarbeitung des Falles die Aufgabe der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und der Polizeibehörde in Recklinghausen sei. Doch wies er auch darauf hin, dass die Vorgehensweise der Polizei Misstrauen bei den Bürger:innen hervorgerufen hat.
„Wir werden heute die Resolution aus der Innenstadt Nord zum Antrag erheben. Das ist eine interfraktionelle Resolution, die ist dort mit großer Mehrheit abgestimmt worden. Da waren ,Die Grünen‘ dabei, da war ,Die Partei‘ dabei, da war die SPD dabei, da war die Linke dabei. Ich bedauere es sehr, dass es nicht gelungen ist, für diese Ratssitzung die interfraktionelle Resolution auf den Weg zu bringen. Das tut der Sache glaube ich nicht gut“, merkte Kowalewski an.
Er bat die Ratsmitglieder:innen darum, zumindest die Resolution der Nordstadt zu übernehmen, die er zu einem Antrag erhob. Das wäre allerdings nicht nötig gewesen – schließlich hatte die Bezirksvertretung ja die Resolution an den Rat geschickt. Dort wurde sie mit den Stimmen von Grünen, Linke+ und „Die Partei“ beschlossen – gegen CDU, FDP/Bürgerliste und AfD. Die SPD-Ratsfraktion enthielt sich, obwohl die Nordstadt-SPD selbst an der Resolution mitgearbeitet und einstimmig dafür votiert hatte.
Ratmehrheit für Resolutionen der BV Nord und den SPD-Antrag
Die SPD konnte der Resolution der Partei „die Grünen“ nicht in allen Punkten zustimmen. Daher bat Anna Spaenhoff (SPD) um Zustimmung zur Resolution ihrer Fraktion. Obwohl sie in weiten Passagen identisch mit dem Papier der Grünen war, fehlte hier u.a. die Forderung nach einem unabhängiger/n Antirassismusbeauftragte:n in Dortmund.
Die Mehrheit des Rates stimmte für die Resolutionen der Bezirksvertretung Nord und den Antrag der SPD. Außerdem war die Mehrheit gegen die Resolution der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Die AfD betreibt bzw. fordert im Rat eine Täter-Opfer-Umkehr
Vor dem Tagesordnungspunkt „Tod von Mouhamed Lamine Dramé“, kam der Antrag „Solidarität mit unserer Polizei – Täter nicht zu Opfern machen“ der AfD-Fraktion zur Aussprache. Darin fordert sie, dass die Vorwürfe des „strukturellen Rassismus“ gegen die Polizei zurückgewiesen werden sollten und eine Vorverurteilung der betroffenen Polizisten zu unterlassen sei.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich garnierte das mit Vorwürfen und betrieb erneut eine Täter-Opfer-Umkehr: So fabulierte er von einer immer „selbstbewussteren afro-muslimischen Parallelgesellschaft“, „leidvollen Alltagserfahrungen von Einheimischen mit Migrantengewalt“ und „deutschen Opfern fremder Täter“, die in Deutschland keine Lobby hätten.
Die Fassungslosigkeit vieler Ratsmitglieder brachte Katrin Lögering (Grüne) zum Ausdruck: „Wie unfassbar zynisch ist dieser Antrag. Wenn Sie nichtvergleichbare Fälle miteinander vergleichen, mit dem einzigen Zweck, People of Colour zu diskreditieren, dann hat es einen Grund: Der Grund ist Rassismus.“
„Ich bin ich sehr sicher, dass kein demokratisch aufrichtiger Polizist in der Frage rund um den Tod von Mouhamed auf diesen miesen niederträchtigen Versuch der AfD reinfallen wird“, ergänzte Anna Spaenhoff (SPD). Der Rat stimmte mit großer Mehrheit gegen den Antrag der AfD.
Reader Comments
GRÜNE mit klarer Haltung im Rat: Der Tod von Mouhamed Dramé wird Konsequenzen haben (PM)
Auf Vorschlag der GRÜNEN wurde der Tod von Mouhamed Dramé auf die Tagesordnung des Rats gesetzt. In ihrer Rede erklärte Fraktionssprecherin Ingrid Reuter, dass die letzten Wochen gezeigt hätten, dass viele Menschen, insbesondere Migrant*innen und People of Colour das Vertrauen in die Polizei verloren haben und sie aufgrund ihrer Erfahrungen als in Teilen rassistisch wahrnehmen. Ziel müsse es nun sein, das Vertrauen in die Polizei wiederzugewinnen, damit sich alle Menschen in Dortmund sicher fühlen können. Dazu gehört auch, dass das Gesicht der Polizei vielfältiger werden muss, die Polizei braucht mehr People of Colour und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.
Ingrid Reuter: Erfolg zentraler GRÜNER Forderungen
„Der Rat hat nun mit Unterstützung der GRÜNEN für eine Resolution aus der Bezirksvertretung Innenstadt-Nord klargestellt, dass er die Forderung nach einer lückenlosen und nachvollziehbaren Aufklärung unterstützt“, erklärt Ingrid Reuter, Fraktionssprecherin der GRÜNEN. „Auch wenn es immer noch in Teilen der Bevölkerung rassistisches Gedankengut gibt, so hat dies gerade bei unserer demokratischen Polizei absolut nichts zu suchen. Deshalb fordern wir GRÜNE den Polizeipräsidenten und das Land auf, rassistische Einstellungen bei der Polizei zu untersuchen und noch entschiedener zu bekämpfen. Insbesondere der Beschluss zur Einforderung einer unabhängigen Beschwerdestelle bei Polizeigewalt und Rassismus beim Land sowie einer/eines Antirassismus-Beauftragten bei der Stadt Dortmund ist für uns GRÜNE ein großer Erfolg. Am Ende gab es damit eine Mehrheit für die Forderungen unserer GRÜNEN Initiative.“
Şaziye Altundal-Köse: Die Communities haben neuen Mut und werden nicht mehr verstummen
In ihrer Rede im Rat beschrieb Ratsmitglied Şaziye Altundal-Köse den neu gewonnenen Mut vieler Migrant*innen, für ihr Recht auf Gleichbehandlung und Gleichberechtigung einzutreten. „Wir haben aktuell eine hochsensibilisierte und aufgewühlte Community von Migrant*innen. Uns GRÜNEN war es wichtig, dass wir auch im Rat Klarheit erzielen, wie die demokratischen Fraktionen zu unserer bunten Stadtgesellschaft stehen. Es muss unser aller Ziel sein, dass alle Menschen Vertrauen in die Polizei haben. People of Colour und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sollen durch die Polizei geschützt und nicht verdächtigt werden. Wann, wenn nicht jetzt, wollen wir diese Forderungen endlich umsetzen?“
#Justice4Mouhamed: Aufruf zur bundesweiten Demo am 19. November in Dortmund (PM)
Es gibt 1000 Mouhameds – Sie verdienen Gerechtigkeit! –
Am 08.08.2022 tötete die Polizei Dortmund den 16-jährigen Mouhamed
Lamine Dramé in der Nordstadt. Mouhamed, der aus dem Senegal nach
Deutschland geflüchtet war, war in einer psychischen Krise. Bereits 2
Tage zuvor hatte er Hilfe in der psychiatrischen Klinik der LWL gesucht
und war wieder heimgeschickt worden. An seinem Todestag hatten die
Betreuer*innen seiner Wohngruppe Angst, er könnte sich selbst
verletzten. Deshalb riefen sie die Polizei. Als die Polizei eintraf, saß
Mouhamed in der hintersten Ecke eines Innenhofs. Er war keine Gefahr für
irgendjemanden. Dennoch entschied sich die Polizei, den Hof zu stürmen.
Sie griffen Mouhamed mit Pfefferspray an. Als er dann aufstand, schossen
sie mit zwei Tasern und einer Maschinenpistole auf ihn. Mouhamed starb
kurz darauf im Krankenhaus.
Der Tod von Mouhamed Lamine Dramé hat uns alle erschüttert.
Bemerkenswert sind die Solidarität und die Rufe nach Aufklärung nach den
Ereignissen vom 8.8.2022. Denn diese Geschichte ist bei Weitem kein
Einzelfall. Seit der Wiedervereinigung sind alleine durch Schusswaffen
mindestens 318 Menschen in Polizeieinsätzen getötet worden. Der Großteil
der Todesfälle durch Polizeibeamt*innen (bspw. der Tod von Oury Jalloh)
ist bis heute nicht hinreichend aufgeklärt, geschweige denn
aufgearbeitet worden.
In Dortmund hat der Verlust von Mouhamed verschiedene migrantische und
politische Gruppen zusammengeführt. Gemeinsam wollen wir zur
bundesweiten Demonstration aufrufen.
Mouhameds schreckliches Schicksal ist nur eines von tausenden. Sie alle
verdienen Aufklärung und Gerechtigkeit. Kommt mit uns auf die Straße, um
den Opfern zu gedenken. Lasst uns gemeinsam stark gegen die herrschende
Gewaltpraxis von Diskriminierung und Rassismus der Polizei
demonstrieren.
Unsere Solidarität und Unterstützung gilt allen Angehörigen, welche
Menschen in Polizeieinsätzen verloren haben und allen Betroffenen von
Polizeigewalt, vor allem Opfern von anti-Schwarzer und rassistischer,
misogyner, sexistischer, homo- und transfeindlicher, ableistischer,
klassistischer Diskriminierung.
Zur weiteren Planung möchten wir euch weiterhin zu einem digitalen
Planungstreffen einladen am 16.10. um 14.00 Uhr, um gemeinsam den Tag
vorzubereiten.
Unterstützt uns am 19.11.22, um ein Zeichen für alle Opfer und für die
Gerechtigkeit, die sie verdienen, zu setzen. Bitte teilt diesen Aufruf
und den Sharepic auf Euren Kanälen.
JUSTICE4MOUHAMED
Bei Fragen oder Hinweisen wendet euch gern über
solidaritaetskreismouhamed@riseup.net an uns.
Solidaritätskreis Mouhamed
Afrikanische Community Dortmund
Initiative Erinnern. Verändern Dortmund
Initiatve Oury Jalloh
Initiative Amed Ahmad
NRDPL Dortmund
Autonome Antifa 170
Club Santé
VKII
Bündnis Tag der Solidarität / Kein Schlussstrich Dortmund
Feministisches Kollektiv Dortmund
Radio Nordpol
Black Pigeon
DIDF Dortmund
DIDF Jugend Dortmund
Unterstützt unsere Spendenaktion:
https://www.betterplace.org/de/projects/113747-aufruf-zur-bundesweiten-demonstration-am-19-11-22-in-dortm
Mit den Spendeneinnahmen werden die Kosten für die geplante Großdemo in
Dortmund beglichen (Druckkosten, Anmietung Technik und Bühne).
Pressemitteilung des Vorstands des Integrationsrates der Stadt Dortmund (PM)
Der Vorstand des Integrationsrates ist auch noch Wochen nach dem tragischen Tod von Mouhamed D. zutiefst betroffen. Wir möchten uns angesichts der Tatsache, dass aus dem erschütternden Tod eines 16-jährigen Jungen politisches Kapital geschlagen wird, folgendermaßen äußern:
Der Tod von Mouhamed D. manifestiert aus unserer Sicht ein gesamtgesellschaftliches Versagen. Unser Appell ist, Mouhamed D. im Tod nicht seine Würde zu nehmen und nicht zu versuchen, in seinem Namen die Gesellschaft in Dortmund zu spalten.
Es ist für uns unabdingbar, dass sich solch eine Tragödie nicht wiederholen darf. Wir fordern zur Vermeidung ähnlich gelagerter Fälle in der Zukunft die Einführung konkreter Maßnahmen und insbesondere die Überprüfung des Umgangs mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen. Besondere Aufmerksamkeit obliegt dabei vor allem der notwendigen psychologischen Betreuung. Das Jugendamt der Stadt Dortmund muss mehr Fachkräfte beschäftigen, die die Muttersprache der Jugendlichen beherrschen, um somit das entsprechende Vertrauen aufbauen zu können und um erforderlichenfalls Brücken zu weiteren relevanten Einrichtungen, wie Kliniken, bauen zu können. Insbesondere gilt das für – nach unserem Kenntnisstand – fehlende Kräfte mit entsprechender Herkunft aus Afghanistan, Syrien und Subsahara-Afrika.
Angesichts der aktuellen Debatten und Äußerungen von Menschen, die von Racial Profiling und ähnlichen menschenverachtenden Praktiken betroffen waren und sind, erachten wir es zudem als dringend geboten, dass die Polizei mit den Vertreter*innen der betroffenen Communitys ins Gespräch kommen muss, z. B. in Form eines wiederkehrenden „Runden Tisches“.
Ebenso sehen wir es als unerlässlich an, dass auch das Land NRW und der Innenminister des Landes den Fall zum Anlass nehmen, um weitere Untersuchungen anzustellen und darzulegen, wie es um den strukturellen Rassismus steht. Denn dieses strukturelle Problem muss von allen Seiten angegangen und schon in der polizeilichen Ausbildung thematisiert werden.
Der Vorstand des Integrationsrates der Stadt Dortmund:
Leonid Chraga, Irina Bürsinghaus, Berna Celebi, Monica Kasler-Frantzeskaki
Podiumsdiskussion „Polizeigewalt und Rassismus im System?“ (PM)
Der VMDO e.V. und die VHS Dortmund laden ein zur Podiumsdiskussion „Polizeigewalt und Rassismus im System?“ am Freitag, 28.10.2022, 18-20 Uhr, in den Räumen der VHS Dortmund, Kampstr. 47,
mit:
· Dr. Elizabeth Beloe, Vorstandsvorsitzende des BV NeMO
· Prof. Dr. Kemal Bozay, IU Internationale Hochschule
· Prof. Dr. Karim Fereidooni, Ruhr-Universität Bochum
· Gregor Lange, Polizeipräsident Dortmund
· Moderation: Deniz Greschner, Universität Osnabrück
Hintergrund der Veranstaltung sind die tödlichen Schüsse auf den 16jährigen Geflüchteten Mouhamed D. am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt. Der Polizeieinsatz wurde verbreitet als unverhältnismäßig wahrgenommenen und löste vielfach Empörung aus. Die Stimmen zu institutionellem Rassismus in Polizeistrukturen ebenso wie die Forderungen nach unabhängigen Ermittlungen und unabhängigen Studien zu institutionellem Rassismus bei der Polizei sind lauter geworden.
Bei der Podiumsdiskussion sollen das tragische Ereignis ebenso wie die darauffolgenden Reaktionen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Studien eingeordnet werden. Dabei soll über Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze im Kontext von Umgang mit Diversität/Rassismus bei der Polizei, aber auch allgemeiner institutionellem Rassismus in Behörden gesprochen werden. So zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen, dass rassistische Einstellungen in deutschen Behörden keine Ausnahme darstellen (Quelle s.u.).
Auf dem Podium diskutieren ausgewiesene Expert:innen: Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange, Dr. Elizabeth Beloe, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands BV NeMO, ein Dachverband von rund 800 säkularen und integrativ wirkenden Migrantenorganisationen, die beiden Rassismusforscher Prof. Dr. Kemal Bozay und Prof. Dr. Karim Fereidooni. Moderiert wird das Gespräch von der Soziologin und Migrationsforscherin Deniz Greschner.
Mehr zum Thema:
Studie des IAQ (2022): „Institutioneller Rassismus in Behörden – Rassistische Wissensbestände in Polizei, Gesundheitsversorgung und Arbeitsverwaltung“,
https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00075145/IAQ-Report_2022_02.pdf
Vertrauen in die Polizei stärken: Intensiver Dialog mit der Zivilgesellschaft (PM)
Gemeinsame Presseinformation mehrerer Organisationen
der Zivilgesellschaft und des Polizeipräsidiums Dortmund
Nach einer gemeinsamen Stellungnahme mit Forderungen an die Polizei führen einige Organisationen aus der Dortmunder Zivilgesellschaft seit November 2022 einen intensiven Dialog mit der Polizei darüber, wie das Vertrauen in die Polizei gestärkt werden kann. Anlass für diesen intensivierten Dialogprozess war der tragische Einsatz am 08. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt, in dessen Verlauf der 16-jährige senegalesische Flüchtling Mouhamed Dramé getötet wurde.
Mehrere soziale Träger – darunter Migrantenselbstorganisationen – überwiegend aus der Nordstadt, wie unter anderem der Rat der muslimischen Gemeinden in Dortmund (RMGD), als Vertreter der Islamischen Religionsgemeinschaften in Dortmund, die im Verbund der sozial-kulturellen Migrantenvereine (VMDO) organisierten Institutionen, einige städtische Einrichtungen und das Polizeipräsidium Dortmund erkannten nach Kritik an der Polizei einen großen Gesprächsbedarf und gingen aufeinander zu, um die Kritik von unterschiedlichen Positionen heraus zu analysieren und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.
Vertreterinnen und Vertreter aus rund 15 Organisationen nehmen an diesem weiterhin andauernden Dialog teil. Polizeipräsident Gregor Lange gründete für diese Zusammenarbeit die Arbeitsgruppe Dialog, die sich aus Beschäftigten aller Direktionen des Polizeipräsidiums zusammensetzt. Als Leiter der AG Dialog benannte er den Leiter des Leitungsstabs, Kriminaldirektor Paul Albers.
Die Dortmunder Sozialwissenschaftlerin Deniz Greschner moderierte die Gespräche, die beim VMDO im Haus der Vielfalt, im Fritz-Henßler-Haus und im Dietrich-Keuning-Haus stattfanden. „Das Interesse an diesen Gesprächen war auf beiden Seiten von Beginn an sehr groß. Aus dem respektvollen Umgang und den konstruktiven Diskussionen kann jetzt etwas Gutes hervorgehen – was sehr wichtig ist, denn ein weiterhin gutes Vertrauensverhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Polizei ist unabdingbar für das Zusammenleben in unserer Stadt“, lautet das erste Fazit der Sozialwissenschaftlerin.
„Es geht darum, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen, dafür eng zusammenzuarbeiten und gemeinsam Perspektiven zu entwickeln“, sagt Fatma Karacakurtoglu vom 2015 gegründeten Verein „Train of Hope“, der mit unterschiedlichen Angeboten Geflüchtete in der Nordstadt unterstützt, über das Ziel der Gespräche.
Zum Dialog mit den Verbänden sagt Polizeipräsident Gregor Lange: „Bürgerorientierung und damit auch Bürgernähe sind eine wichtige Voraussetzung für ein starkes Vertrauen in die Polizei. In allen persönlich geführten Gesprächen mit sehr engagierten Menschen aus Migrantenorganisationen in Dortmund habe ich nicht nur Kritik gehört, sondern auch ein starkes Interesse an einem vertrauensvollen Verhältnis zur Polizei gespürt. Die vielen Stimmen und Blicke von außen in die Polizei haben uns in den vergangenen Monaten weit voran gebracht. Für diesen intensiven Dialog und die Angebote der Verbände für eine enge Zusammenarbeit mit uns bin ich sehr dankbar.“
In den bisherigen Gesprächen ging es u.a. um die Themen Beschwerdemanagement, Fortbildung (Antirassismus, Diversität), Netzwerkarbeit in der Nordstadt, Umgang mit psychisch kranken und z. B. durch Flucht traumatisierten Menschen, Erkennen von rechtsextremistischen Haltungen und Racial Profiling. Die Organisationen stellten dazu ihre Positionen dar. Die Polizei informierte über bereits bestehende Konzepte u.a. in Aus- und Fortbildung. Die Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft nannten aus ihrer Sicht notwendige Ansatzpunkte zur Veränderung und Weiterentwicklung. Die Netzwerkpartnerinnen und -partner und die Polizei werden im März 2023 erste Ergebnisse und Vereinbarungen präsentieren. Erste Maßnahmen wurden bereits umgesetzt:
So hat das Polizeipräsidium Dortmund unmittelbar nach dem tragischen Einsatz vom 8. August 2022 als erste Reaktion das neue Gesprächsformat „Talk with a Cop“ in der Nordstadt eingerichtet, um unmittelbar vor Ort mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen.
Gespräche mit Institutionen der Zivilgesellschaft führt die Polizei zu unterschiedlichen Themen bereits seit vielen Jahren. Anlass für die aktuellen Gesprächsformate sind Kritik an der Polizei und der Einsatz am 8. August 2022, bei dem der 16-jährige geflüchtete Jugendliche getötet wurde. Einen wichtigen Impuls für den jetzt gestarteten Dialog gab eine vom Planerladen koordinierte gemeinsame Stellungnahme von insgesamt 30 zivilgesellschaftlichen Trägern, von denen ein Teil nun in den laufenden Dialog eingebunden ist.
Neben den landesweiten Aus- und Fortbildungskonzepten der Polizei NRW zum Umgang mit psychisch auffälligen Personen hat das Polizeipräsidium Dortmund als eine erste Reaktion auf den Einsatz vom 8. August 2022 Dienstunterrichte etabliert, in denen erfahrene Führungskräfte Einsatzkräfte im Umgang mit psychisch auffälligen Personen schulen und sensibilisieren. Seit kurzem informiert die Dortmunder Polizei auf ihrer Internetseite die Bürgerinnen und Bürger mehrsprachig über das behördeneigene Beschwerdemanagement.
An den drei größeren Gesprächsrunden nahmen teil:
Veye Tatah (AfriDO), Doh Formusoh (Africa Positive), Levent Arslan (Dietrich-Keuning-Haus), Manfred Kossack (Stadt Dortmund / Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie), Stefanie Alkier-Karweick (Evangelische Polizeiseelsorge), Leonid Chraga (Integrationsrat der Stadt Dortmund), Kenan Küçük und Zeynep Kartal (Multikulturelles Forum), Tülin Kabis-Staubach und Paulina Freund (Planerladen), Karina Breiling, Sven Borchert und Roland Schulze-Hobeling (Projekt Ankommen), Amir Aletic und Dr. Masen Al Nahlaoui (Rat der muslimischen Gemeinden in Dortmund), Fatma Karacakurtoglu und Selda Ilter-Siarin (Train of Hope), Aysun Tekin (Unternehmen.Bilden.Vielfalt), Matel Ba und Armel Djine (VKII Ruhrbezirk), Saziye Altundal-Köse (VMDO). Diese Institutionen repräsentieren teilweise weitere Vereine und Verbände.