Der Gründer des „Taranta Babu“ Hasan Şahin (1946 -2024) ist tot:

Der Kämpfer für Integration, Bildung, Literatur und eine bessere Welt wird Dortmund fehlen

Hasan Şahin konnte nicht nur das 45-jährige Bestehen seines Kulturzentrums feiern, sondern auch noch zwei Auszeichnungen für sein Lebenswerk entgegennehmen. Foto: Katrin Pinetzki

Ein Nachruf von Horst Delkus

Es gibt Menschen, die folgen einem Motto. Manchmal ein Leben lang. Hasan Şahin war so ein Mensch. Sein Lebensmotto entnahm er einem Gedicht des türkischen Dichters Nazim Hikmet. „Die Einladung“. Darin heißt es: „abzuschaffen die Knechtschaft des Menschen über den Menschen; das ist unsere Einladung.

Leben! – Einzeln und frei, wie ein Baum,
und brüderlich, wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.

Seine Einladung sprach Hasan an alle aus, die in seinen Buchladen mit Café kommen wollten, um zu lesen, zu hören, zu diskutieren und ein Glas Wein oder einen Tee zu trinken. Bücher verkaufen war eher zweitrangig.

Denn Hasan war kein Buchhändler im kaufmännischen Sinne. Jedoch ein großer Freund und Förderer von Literatur, auch der politischen. Wer zu ihm in den Laden kam, bekam schon mal ein Buch geschenkt. Und gelegentlich einen Tee in seiner Teestube.

Mehrfach war das Literaturcafé Taranta Babu im Klinikviertel Ziel von rechtsextremen Attacken. Foto: Leopold Achilles

Hier im „Taranta Babu“ war Hasans Zuhause, hier erfüllte er sich seinen Traum von einem anderen, besseren Leben. Mit Lesungen, Vorträgen und Konzerten. Und mit konsequenter Beharrlichkeit, immer wieder am Rande der wirtschaftlichen Existenz. Auch, als er die letzten Jahre kaum noch sehen konnte.

Selbst Angriffe von Neonazis auf sein kleines Zentrum, zuletzt vor zwei Jahren, konnten ihn nicht entmutigen. Hasan machte weiter, feierte im Mai noch das 45-jährige Jubiläum dieser zur Institution gewordenen Einrichtung am Alfons-Spielhoff-Platz im Dortmunder Klinikviertel.

Mit vielen Freundinnen und Freunden, Live-Musik und dem Sprechchor des Dortmunder Theaters. Dem Namensgeber des Platzes, dem ehemaligen Dortmunder Kulturdezernenten Alfons Spielhoff (von 1962 bis 1974), hätte es gefallen.

Nazim Hikmets Buch „Briefe an Taranta Babu“ als Namensgeber

Hassan Şahin hatte das „Taranta Babu“ 1979 mit zwei Freunden gegründet. Er gab seinem Buchladen und dem später angegeliederten Cafe den Namen einer Frau. Angeregt von Nazim Hikmets Buch „Briefe an Taranta Babu“, erschienen 1935.

Hasan Şahin wird fehlen! Foto: Katrin Pinetzki

Es enthält 13 Briefe, die der äthiopische Kunststudent Benerci in der faschistischen Mussolini-Zeit aus Rom an seine Geliebte Taranta Babu in der Heimat schrieb. Hikmet bearbeitete die Briefe literarisch und gab diese Mischung aus Lyrik und Prosa heraus. „Taranta Babu`ya Mektuplar“, so der türkische Titel, zählt zu den schönsten Werken in türkischer Sprache.

Hasan konnte nicht nur das 45-jährige Bestehen seines Kulturzentrums feiern sondern auch noch zwei Auszeichnungen für sein Lebenswerk entgegennehmen: den Literatur-Taler 2024, einen undotierten Ehrenpreis für herausragende Verdienste auf dem Gebiet der Literaturförderung in Nordrhein-Westfalen, verliehen im September vom LiteraturRat Nordrhein Westfalen.

Wenig später erhielt Hassan den Ehrenring der Bezirksvertretung Innenstadt West. Geehrt wurde insbesondere sein jahrzehntelanges Engagement für die Vermittlung interkultureller Literatur im Ruhrgebiet.

Mitbegründer der ersten Initiative zur Förderung von Migrantenkindern in Dortmund

Hasan Şahin war kein gelernter Buchhändler. Er hatte in Istanbul, wo er auf der Prinzeninsel aufwuchs und sein Vater am Hafen eine Teestube besaß, Fotografie studiert, engagierte sich in der politischen Linken, der türkischen 68er Bewegung, wurde nach dem Militärputsch vom 12. März 1971 unter dem Kriegsrecht verhaftet und gefoltert, floh nach Marseille, kehrte nach Aufhebung des Kriegsrechts wieder in die Türkei zurück.

Ein Fotoposter von Hasan Sahin aus Mitte der 1970er Jahre, als in Dortmund in einem Reprostudio arbeitete. Mit Nomadenkindern aus Ostanatolien im Vorder- und Nomadenzelten im Hintergrund. Dazu ein Zitat von Nazim Hikmet: „Schöne Tage werden wir sehen, Kinder, schöne, sonnige Tage…“. Archivbild: Sammlung Horst Delkus

Dort lernte er 1974 eine Dortmunder Studentin aus Dorstfeld kennen, zu der er hinzog. In eine Wohnung am Dorstfelder Hellweg, die er vom Schreiber dieser Zeilen übernahm. Hasan lernte Deutsch und engagierte sich bald in seiner neuen Heimat. Gemeinsam mit Pädagogen und Pädagoginnen, einigen Freunden aus Italien, Griechenland und Chile gründete er die erste Initiative zur Förderung von Migrantenkindern in Dortmund.

Damals noch überwiegend aus griechischen Familien sogenannter „Gastarbeiter“. Der Verein betrieb, ausschließlich ehrenamtlich und ohne irgendeine Förderung, ein kleines Zentrum vor den Toren der Westfalenhütte in der Dortmunder Nordstadt in der Oesterholzstraße.

1979 gegründete Hasan dann die Buchhandlung „Taranta Babu“, die er später um ein Cafe und 2008 gemeinsam mit seiner 2015 verstorbenen Christiane und Freunden vom Trägerverein um einen Veranstaltungsraum erweiterte.

Hasan Şahin starb am vergangenen Samstag im Alter von 78 Jahren. Er wurde das, wonach er und sein geliebter Dichter Nazim Hikmet sich immer gesehnt haben: ein großer freier Baum, in einem Wald von Menschen.

Wir werden dich vermissen, Hasan. Gute Reise!

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