Gastbeitrag von Horst Delkus
Für den Hausbau im Ruhrgebiet und in Westfalen lieferte – neben dem Wald mit seinem Bauholz – der Boden das wichtigste Baumaterial: tonhaltiger Lehm. Im sogenannten Feldbrand zu Ziegeln gebrannt. Mancherorts, zum Beispiel in Niederaden bei Lünen, gibt es noch eine Straße, die daran erinnert: Am Feldbrand. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach Ziegeln erheblich: Häuser, Zechen und Fabrikanlagen mussten gebaut werden. Auch jede Menge Schornsteine. Und auf Dächer kamen rote Dachziegel. Neben Kohle, Eisen und Stahl (und Bier) gewann der Bereich Steine und Erden wirtschaftlich immer mehr an Bedeutung. Backsteine hatten Hochkonjunktur. Jahrzehntelang.
Durch die Erfindung des Ringofens von der Saisonarbeit zur Dauerproduktion
So hatte der Dortmunder Verkaufsverein für Ziegelfabrikate, ein als Aktiengesellschaft organisiertes Ziegelei-Kartell 1920 41 Mitglieder. Und bis vor dem 2. Weltkrieg gab es allein in Dortmund noch 18 Ziegeleien. Anfangs war eine solche Ziegelei nicht selten der Nebenwerwerb eines Landwirtes.
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Später gingen Ziegeleien auch aus Baugeschäften hervor oder wurden von diesen aufgekauft. Die Arbeit war oft nur eine saisonale, vor allem von Wanderzieglern aus dem Lippischen. Denn gebrannt, besser gesagt: „gebacken“, wurden Ziegel zunächst nur in den warmen Sommermonaten.
Ununterbrochen gebrannt werden konnten Ziegel erst mit der Konstruktion eines Ringofens durch Friedrich Eduard Hoffmann (1818 – 1900). dessen Brennverfahren sich rasch durchsetzte. So gab es um 1870 im Deutschen Reich etwa 1000 solcher Ringofen-Ziegeleien. Weitere kamen hinzu. Auch in Lanstrop, was damals eine kleine westfälische Landgemeinde bei Dortmund war, mit zahlreichen Bauernhöfen und jahrhundertlang geprägt durch das ehemalige Rittergut Haus Wenge.
Der sogenannte Emschermergel diente als Grundlage zur Ziegelherstellung in Lanstrop
Lanstrop, eine der ältesten Siedlungen in Westfalen, liegt auf einer nach Norden abfallenden Bodenwelle, die allmählich in die die Lippeniederung übergeht. Hier hat sich im Lauf der Erdgeschichte eine blaugraue, waagerechte Tonmergelschicht abgelagert, der sogenannte Emschermergel.
Sie erstreckt sich von Altenderne ostwärts über Hostedde und Grevel bis nach Lanstrop. Diese Mergelschicht liegt unter einer eiszeitlichen Grundmoräne, welche wiederum mit einer Schicht Lößlehm an der Oberfläche überzogen ist.
Die Ziegelei Lahr im Westen von Lanstrop an der Roten Fuhr 169a wurde 1891 vom Ziegeleitechniker Wilhelm Lahr als Ringofen-Ziegelei gegründet. Bei diesem Ziegeleitypus waren um einen Kamin zehn bis 20 Brennkammern angeordnet. In einem Kreis oder einem Oval.
Das Verfahren zur Herstellung von Ziegeln, Dachpfannen und Drainagerohren war in etwa folgendermaßen: Der Lehm und der Ton wurde in der Ziegelgrube abgebaut und anschließend zu Rohlingen gepresst. Die Lehmgrube befand sich in der Regel direkt neben der Ziegelei und war über Gleise mit ihr verbunden.
Was einst Pferde erledigten übernahmen zunehmend Diesellok-Maschinen
Anfangs zogen noch Pferde die mit Lehm gefüllten Loren. Seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kamen mehr und mehr kleine Dieselloks zum Einsatz, die sogenannten Feldbahnen. Die gepressten Ziegel wurden zunächst einige Tage getrocknet und anschließend in den Brennkammern eingemauert. Dann begann der Brennvorgang, für den die Ziegelbäcker die Kammern von oben mit Kohle beschickten.
„Gut Brand!“ hieß es nun. Nach dem erfolgreichen Brennen der Ziegel, bei dem das Feuer innerhalb von zwölf bis 15 Tagen einmal rings durch den Ofen wanderte, ließ man sie ein paar Tage abkühlen. Die fertigen Ziegel wurden jeweils heraus genommen und durch getrocknete ungebrannte ersetzt. So konnte man kontinuierlich Ziegel backen. Im Vergleich zum klassischen Feldbrand wurde die Produktivität der Ziegelherstellung in den Ringöfen erheblich gesteigert.
Doch zurück zu unserer Ziegelei in Lanstrop: Die Gründung war erfolgreich. Im Jahr 1898 schloss sich die Ziegelei Lahr dem Branchenverband an, dem „Deutschen Verein für Fabrikation von Ziegeln, Thonwaren, Kalk und Cement“. 1901 beschlossen „die Ziegeleien Treck in Horstmar, Lahr in Lanstrop und die Besitzer der Derner Thonwerke (…) sich zu einem Verkaufsverein zu verbinden.“
Gründung eines regionalen Kartells und Übernahme einer Dampf-Ziegelei
Mit anderen Worten: Sie bildeten ein erstes regionales Kartell mit Preisabsprachen. Dieses wuchs an. Die Kartell-Rundschau, eine Monatsschrift für Recht und Wirtschaft im Kartell- und Konzernwesen vermeldete 1905 die Gründung des Lünen-Kamener Verkaufs-Vereins für Ziegelei-Fabrikate, einer GmbH mit einem Stammkapital von 86.500 Mark. Ihr Geschäftszweck:
Der Alleinankauf und Alleinverkauf der von den Ziegeleien von Lünen, Kamen, Lanstrop, Derne, Bork und Umgebung hergestellten Erzeugnisse sowie die Beteiligung mit Kapital an Unternehmungen gleicher Art.
Neben der Ziegelei Lahr an der Roten Fuhr im Südwesten von Lanstrop gab es in diesem Ort noch eine weitere Ziegelei: Im Osten, an der Lanstroper Straße 283 Richtung Methler. Die Tonindustrie-Zeitung vermeldete hier 1901 die Gründung einer Dampfziegelei: „Inhaber ist der Landwirt Diedrich Ostermann zu Lanstrop.“
Der muss wohl bald darauf verstorben sein. Denn in der Hausakte findet sich als Eigentümerin in einem Antrag aus dem Jahre 1909 auf Errichtung eines Ziegeleiwohnhauses mit Wohn- und Schlafräumen für die Ziegelbäcker – das alte war abgebrannt – seine Frau, die „Witwe D. Ostermann“. Später dann hat Wilhelm Lahr auch diese Ziegelei übernommen. Wann sie stillgelegt wurde, ist nicht bekannt. Auf einer Groß-Dortmund-Karte von 1931 ist sie jedenfalls noch eingezeichnet.
Übernahme der Ziegelei Lahr durch die Brüder Griethe nach dem Zweiten Weltkrieg
Über den Ziegeleigründer Wilhelm Lahr und seinen Compagnon, Bruder Heinrich, wissen wir so gut wie nichts. Wilhelm Lahr wohnte in Lanstrop, später wohl in Courl (Kurl). 1903 baute er in Husen das Gast- und Wohnhaus „Haus Lahr“, das heute noch eine beliebte Gaststätte in diesem Dortmunder Vorort ist.
Von Wilhelm Lahr ist weiterhin überliefert, dass er in Lanstrop – bis zur Eingemeindung nach Dortmund im Jahr 1928 eine selbständige preußische Landgemeinde – auch Gemeindevorsteher war. In diesem Amt schrieb er am 7. Dezember 1912 einen Beschwerdebrief an das Wasserwerk Unna, das den Lanstroper Wasserturm gebaut hatte und bei der Rohrverlegung den Weg von Grevel nach Lanstrop „arg verdorben“ hatte: „Es ist schon mehrfach Klagen darüber gekommen, und ich bin veranlasst worden, Ihnen zu ersuchen, doch sofort die Löcher wenigstens mit Steinschutt auffüllen zu lassen.“ Was auch geschah.
Über die Entwicklung der Ziegelei Lahr während des I. Weltkrieges und der Weimarer Republik ist uns bis jetzt nichts bekannt. Die Quellenlage verbessert sich erst wieder mit dem Jahr 1936, als Otto und Hans Griethe die Ziegelei Lahr – offenbar vom Vater Otto Griethe – zum 1. Januar 1937 übernehmen. Das Unternehmen O. Griethe & Co. war ein mittelständisches Unternehmen aus Dortmund.
Teils schwere Beschädigungen oder totale Zerstörung der Anlagen während des Krieges
Es bestand aus einem Baugeschäft in der südlichen Dortmunder Innenstadt, einem Bimssteinwerk am Hafen sowie der Ringofenziegelei in Lanstrop und beschäftigte damals 82 Arbeiter, zwei kaufmännische und vier technische Angestellte. Bei einem Umsatz im Durchschnitt der Jahre 1935/36 von rd. 100.000 Reichsmark.
Eineinhalb Jahre vor Kriegsbeginn investierten die Brüder Griethe noch in den „Neubau eines Maschinenraumes auf unserer Ziegelei in Dortmund-Lanstrop. Das Gebäude wird errichtet zur Aufnahme je eines Beschickers und Kollerganges.“ Dann,1939, wurden die Ziegelei in Lanstrop sowie das Bimssteinwerk am Hafen stillgelegt und das Baugeschäft eingestellt. Vermutlich, weil die Söhne den Betrieb nicht weiter führen konnten, da sie in den Krieg ziehen mussten.
Während des Krieges wurde das Bimssteinwerk am Dortmunder Hafen zerstört und die Lanstroper Ziegelei durch Bomben schwer beschädigt. „Die Ziegelei wurde zunächst“, heisst es in einer IHK-Stellungnahme aus dem Jahr 1952, “von den Gesellschaftern wieder aufgebaut, mußte aber dann verpachtet werden, da die beiden Inhaber der oHG, Otto und Hans Griethe, erst spät aus der Gefangenschaft zurückgekommen waren, kein Permit mehr bekommen konnten.“
In den 50er Jahren übernehmen die Brüder Griethe erneut den Betrieb und führen ihn in eine Blütezeit
Die Brüder Griethe hatten also keine Betriebserlaubnis erhalten und mussten daher ihre Ziegelei samt dem 17.500 qm großen Betriebsgelände verpachten. Für vier Jahre – bis Ende 1952 – an die Zeche Haus Aden in Bergkamen, die bis in dieses Jahr hinein von den Besatzungsmächten beschlagnahmt war und von diesen kontrolliert wurde.
In die zerstörte Infrastruktur der Ziegelei hatten sie allerdings noch kräftig zu investieren: Vertraglich war mit Haus Aden vereinbart, dass sie als Verpächter „die durch Feindangriffe hervorgerufenen Reparaturen an der Ziegelei auf eigene Kosten durchführen“ mussten.
Doch dann, im Mai 1953, konnte Otto Griethe der Industrie- und Handelskammer Dortmund mitteilen: „Ab 1.1.53 ist die Ziegelei wieder in Betrieb genommen, mein Bruder Hans hat die Geschäftsführung, er wohnt auf der Ziegelei in Dortmund-Lanstrop.“ Hans Griethe führte die Ziegelei als alleiniger Geschäftsführer 14 Jahre lang, bis zur Stilllegung im Jahr 1966.
Unter seiner Geschäftsführung in den Jahren des sogenannten Wirtschaftswunders, erlebte die Lanstroper Ziegelei noch einmal eine Blütezeit: 1956 waren auf der Ziegelei 35 Arbeiter beschäftigt, davon drei gelernte. Der Maschinenpark bestand aus zwei Baggern, einer Diesellok, 14 Loren, sowie einem Beschicker, Koller, Transportband, D-Wellenmischer, Presse und einem Abschneider. Der Antrieb der Maschinen allerdings erfolgte – bis auf den Beschicker – nicht elektrisch sondern – man staune – noch mit Dampfmaschinen. 1954 betrug der Umsatz 350.000 DM, ein Jahr später schon 450.000 DM.
Stilllegung der Ziegelei in den 60er Jahren aus noch nicht geklärten Umständen
Die Lanstroper Ziegelei war auch in den fünfziger Jahren ein Saisonbetrieb: mit „Pressbetrieb“ vom 15. März bis zum 15. November und „Ofenbetrieb“ vom 1.April. – 20. Januar eines jeden Jahres. 1961 gab es, bei relativ stagnierendem Umsatz in den Jahren 1959/60 in Höhe von 550.000 DM, bereits deutlich weniger Beschäftigte: 21 Arbeiter, sowie einen kaufmännischen und einen technischen Angestellten.
1962 sollte noch einmal kräftig investiert werden. In einen neuen, ölbefeuerten Ziegeltrockenschuppen. „Um unsre Kunden im Dortmunder Raum ganzjährig beliefern zu können, sind wir,“ heisst es im Bauantrag, „neben anderen Modernisierungsmaßnahmen, genötigt, kurzfristig eine Anlage zur künstlichen Trocknung von Rohziegeln (grossen und kleinen Gittersteinen) zu erstellen.“
Da das Grundstück der Ziegelei außerhalb des bebauten Ortsteils von Lanstrop liegt, nach dem Flächennutzungsplan kein Baugebiet und nach dem Baustufenplan Außengebiet ist, musste die Stadt Dortmund ihre Entscheidung abwägen. Sie war eindeutig: „Weil es sich hier um Erweiterung einer vorhandenen Anlage handelt, und die Errichtung dieser Anlage für die Bauwirtschaft Dortmunds von Wichtigkeit ist, soll für dies Bauvorhaben eine Teilbaugenehmigung erteilt werden.“ Im Oktober dann war die Heizanlage fertiggestellt und konnte benutzt werden.
1966 wurde die Ziegelei unter noch nicht geklärten Umständen stillgelegt und die Anlagen abgerissen. Die Lehmgrube war über Jahre ein beliebter Kinderspielplatz. Sie wurde später als „wilde Müllkippe“ verfüllt. Im September 1969 beantragte das Verbundbergwerk Gneisenau der Harpener Bergbau-Aktien-Gesellschaft den Abbruch des „Wohnhauses mit Stall“ der ehemaligen Lanstroper Ziegelei – „wegen akuter Einsturzgefahr“. Und damit endet auch – nach fast 80 Jahren – die Geschichte der Ziegelbäckerei von Lanstrop.
Reader Comments
Klaus Winter
Ein schöner Beitrag zu einem bisher nur wenig beachtetem Kapitel unserer Geschichte. Da freut man sich auf mehr!
Dieter Wehrbein
Bottrop, 2.1.2021
Bin heute auf diesen interessanten Beitrag gestossen!
Mein Grossvater August Krüger, natürlich ein Lipper, war seit Anfang der 50er bis 1966 Ziegelmeister „auf Lanstrop“ bis zu seiner Pensionierung.
Massive Bergschäden am Ringofen haben letztlich zur Stillegung des Werkes geführt.
Ringofenziegeleien waren zu der Zeit schon nicht mehr wettbewerbsfähig.
Hans Peter Griethe
Mein Name ist Dr.-Ing. Hans Peter Griethe. Ich bin auf der Ziegelei groß geworden, habe dann an der RWTH Aachen Bauingenieur studiert. Mein Vater hat mich noch vor dem Abi (Max-Planck Gymnasium Dortmund) gefragt, ob ich den Betrieb weiterführen wolle. Ich habe zugesagt und er hat Investitionen getätigt. Im Verlauf des Vorexamens hat der Bergbau von Grevel aus die Kohle Richtung Kurl aus geräumt. Daraufhin sackte das gesamte Gebiet ab, so daß der Bereich der Ziegelei Einzugsgebiet für das Oberflächenwasser wurde und Maßnahmen zur Sicherung des Ringofens getroffen wurden.
Hans Peter Griethe
Sehr geehrter Herr Wehrbein, ich habe Ihren Großvater persönlich gekannt. Er hat mir als ich mit Gelbsucht im Bett lag eine Schaukel vor das Küchenfenster gebaut. Ansonsten war er mein Ansprechpartner wenn ich irgendwas gebraucht habe. Auch erinnere ich mich an seinen großen Verdruß, als er einmal seinen Lottoschein nicht abgegeben und diesen am Montag mit einem wohl erheblichen Gewinn auf der Werkbank fand.
Brigitte Hindemitt
Brigitte Hindemitt
Ich habe von 1962 bis 1971 mit den 4 Kinder der Familie, die im alten Wohnhaus lebte gespielt.
Selbst das alte Wohnhaus war interessant. Die Ställe waren eingerissen und außer ein paar Balken
gab es kein Dach mehr. Abenteuerspielplatz. Die Kiesgrube wurde zur Wilden Müllkippe.
Wir Kinder haben Schrott sortiert und Ziegelsteine saubergeklopft und haben so unser Taschengeld
verdient.
Von der Rote Fuhr und der Wasserfuhr gingen wir zu Fuß zur Schule und waren die ersten in dem neuen
Schulgebäude. Highlight war natürlich als Willy Brandt die Siedlung Neue Heimat einweihte.
Christian Engels
Ich bin auf der Suche nach einem Vorbild für die alte Ziegelei, die als Vorbild für die „Vorstadtkrokodile“ diente. Ich weiß nicht, wann Max von der Grün nach Lanstrop gezogen ist. Deshalb frage ich: Kann es diese Ziegelei sein? Oder eine andere?