„Demokratie in Bewegung“ – über Grenzen hinaus denken, statt sich vom Rechtspopulismus Themen diktieren zu lassen

Mit der Demonstration am Samstag (13.10.) wollte „Demokratie in Bewegung“ Zeichen setzen. Fotos: Thomas Engel

Von Lisa König

Während sich der Rechtspopulismus auf dem Vormarsch wähnt, formiert sich seit Chemnitz auch aus der bürgerlichen Mitte heraus Widerstand. Den festgefahrenen Nationalismus in Europa wollen sich viele nicht mehr gefallen lassen. Deshalb gibt es seit letztem Jahr die Initiative „Demokratie in Bewegung“, die bundesweit tätig ist. In Dortmund gab es an der Katharinentreppe eine Demonstration der AktivistInnen.

„Demokratie in Bewegung“: bürgerschaftliches Engagement gegen Eindimensionalität von Rechts

„Und selbst wenn alles scheiße ist, du pleite bist und sonst nichts kannst, dann sei doch einfach stolz auf dein Land. Oder gib die Schuld ein paar anderen armen Schweinen. Hey, wie wäre es denn mit den Leuten im Asylbewerberheim“, schallt aus den Lautsprechern oberhalb der Katharinentreppe.

Seit April 2017 fordert die bundesweite Organisation ein Update für unsere Demokratie.

Diese Songzeilen von Kraftklub leiten die Kundgebung in der Dortmunder Innenstadt ein. Unter dem Motto „Gegen Nationalismus, für ein gemeinsames Europa“ hatte die Partei „Demokratie in Bewegung“ zum Mitmachen aufgerufen.

„Demokratie“, die ohne Bewegung eigentlich nicht sein kann, der fehlt es offenbar genau daran. Aus Sicht der OrganisatorInnen sind zwar viele Menschen nicht einverstanden mit der Richtung, die die aktuelle Politik nimmt. Trotzdem gäbe es nur vereinzelt Protest und Widerspruch. Das möchte die Partei  ändern.

Mit 400 Mitgliedern bundesweit ist sie keine besonders große Organisation. Doch mit Online- Abstimmungen sollen noch viel mehr Menschen an den Entscheidungen teil haben können. Sehr basisdemokratisch, viel online – aber, anders als bei den Piraten, sehr auf Awareness und Gleichberechtigung ausgerichtet – sagt ein Kenner der radikaldemokratischen Bewegung am Rande der Kundgebung.

Klare Ansage: „Dortmund war nie, ist nie und wird niemals Eure Stadt sein.“

Für Veranstaltungseröffner Sebastian kommt es nicht in Frage, Nazis in der Regierung einfach hinzunehmen.

Als erster Redner und quasi Veranstaltungsmanager stellt sich „Sebastian“ vor. Nur mit Bedauern erfüllt er seine Pflicht, indem er die Auflagen für die Kundgebung vorliest.

Das aber ist nur Vorgeplänkel, vielleicht auch aus Unerfahrenheit über typische Polizeiauflagen. Was er über das übliche „Nazis-Raus“ besonders sagen möchte: „Wir werden immer gegen Euch stehen, egal wann, egal wo.“

Nicht diktieren könnten Nazis, wann Gegenprotest auf den Straßen stattfände. Allein: „Dortmund war nie, ist nie und wird niemals Eure Stadt sein.“ Zum ersten Mal seit 1953 säßen wieder Nazis im Bundestag, träumten immer noch davon, „gemeinsam mit Führer für Reich und Vaterland zu streiten“. Es drohe, dass sie zweitstärkste Kraft im Land werden könnten. Dazu gibt es eine klare Absage: „Nazis in der Regierung, da sage ich: nicht mit uns!“

Die Lösung könne „niemals wieder in Volk und Vaterland liegen“, „niemals wieder Entmenschlichung von irgendwelchen Gruppen“. Hier stünde man gemeinsam gegen den Nationalismus, die Lösung hieße „Europa“. Und zwar eines der Vielfalt, Demokratie und Solidarität – als die beste Chance gegen den aufkommenden Nationalismus.

Marco Bülow: Knackpunkt sind soziale Themen – mit dem Turbokapitalismus geht es so nicht weiter

Marco Bülow, Bundestagsabgeordneter der SPD, will wieder eigene Themen auf die Agenda setzen.

„Ich war auch bei den Demos im Hambacher Forst dabei. Da hatte jeder Baum einen eigenen Polizisten. Warum dann nicht auch jeder Nazi?“ wirft Marco Bülow in die Runde. Er ist Bundestagsabgeordneter der SPD und verfolgt „Demokratie in Bewegung“ schon seit ihrer Gründung.

Man müsse es den Nazis wieder schwer machen, die Straße zu erobern. Außerdem dürfe man ihnen nicht mehr Wort und Themen überlassen. „Das erste Thema seit langem, das nicht von den Nazis vorgeschrieben wurde, war der Hambacher Forst. Wir müssen uns auch wieder auf unsere eigenen Themen konzentrieren, vor allem die Probleme im sozialen Bereich.“

„Es gehört aber auch zur Diskussion mit dazu, dass wir uns fragen müssen: Warum sind sie so stark geworden in Deutschland? Es reicht nicht nur, uns ihnen entgegen zu stellen. Wir müssen über unser System sprechen, über unsere Demokratie und das Sozialsystem.“ Dabei müsse er auch sich selbst, seiner Partei und anderen demokratischen Parteien vorwerfen, dass sie „versagt haben“. Sonst hätte die AFD nicht so stark werden können. Es gäbe nicht nur Nazis, sondern auch viele verwirrte Leute oder Protestwähler.

„Wir haben unser System in allen Lebensbereichen ökonomisiert. Das macht die Menschen nicht zuversichtlich. In Deutschland werden Menschen geboren, die nie arbeiten müssen und immer Millionäre sein werden. Auf der anderen Seite gibt es vier Millionen Menschen, die arbeiten und davon nicht leben können. Zwei Millionen Kinder leben in Armut. Und das, obwohl unser Land so reich ist. Da müssen wir uns schon fragen, ob wir nicht etwas falsch gemacht haben.“

Marco Bülow: Es kann nicht sein, dass BürgerInnen nur noch Konsumfunktion sind

Auch das Einhorn ist sichtlich nicht begeistert von den aktuellen Entwicklungen im Land.

Worum es ginge, so Bülow: den Neoliberalismus zu bekämpfen, alternativ ein sozialeres Modell vorzuweisen und den Menschen eine gute Zukunft aufzuzeigen. Im Interview mit den Nordstadtbloggern betonte er, dass er hauptsächlich aus persönlichen Gründen an den Demos teilnehme.

„Es muss sich etwas ändern. Wir brauchen ein System, in dem die Macht nicht mehr bei wenigen Politikern liegt, die alles beherrschen. Wir Bürger werden nur noch als Verbraucher gesehen, unsere Probleme dringen gar nicht mehr zu den Mächtigen durch.“ Zu diesem Zeitpunkt sei es wichtig, dass sich Leute engagieren. Nur noch zu wählen und mal bei Protesten mitzumachen, könne die aktuelle Entwicklung nicht mehr aufhalten. „Das kann sonst eine richtig üble Richtung einschlagen. Ich möchte nicht mehr Zeiten wie in der Weimarer Republik erleben, in der die Nazis die Meinungshoheit in der Gesellschaft haben.“

Große Aktionen wie in Berlin könnten das Thema am besten in die Medien bringen. „Aber es muss überall Protest geben. Auch in den Dörfern müssen Leute auf die Straße gehen.“

Michael Fromm: Europa muss in der Erfahrung der Menschen wieder positiv präsent sein

Für Michael Fromm vom Bundeskollektiv DiEM25 kann eine Lösung nur mit Europa gefunden werden.

„Ich bin dankbar dafür, dass es noch einige Menschen gibt, die ihre Stimme erheben“, betont Michael Fromm. Er ist Mitglied des Bundeskollektivs „Democracy in Europe Movement 2025“ (DiEM25).

„Es gibt enorme Probleme in Europa, die Werte der Französischen Revolution gehen langsam unter. Europa sammelt zwar seine Kräfte, doch wir wissen nicht so recht, wie wir sie einsetzen sollen. Die Antieuropäer wissen es schon.“ Europa sei ein nüchternes Projekt geworden. Wichtige Dinge seien auf der Strecke geblieben. „Trotzdem bleibt es die beste Chance, die wir haben. Die Menschen müssen wieder erleben, dass Europa ihr Leben leichter macht.“

Veranstalter der Demonstration war „Demokratie in Bewegung NRW“. Die Partei ist bundesweit vertreten und besteht seit dem April 2017. Nach eigenen Angaben waren unter anderem der Brexit oder Trumps Wahl zum Präsidenten Schockereignisse, die zur Gründung geführt hätten. „Es wurde klar, dass wir etwas tun müssen, um dem entgegen zu wirken“, bestärkt Landessprecherin Sara Gomes. „Grundsätze unserer Partei sind: Vielfalt, Weltoffenheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Transparenz, Zukunftsorientiertheit und Nachhaltigkeit.“

Sara Gomes: Schlimmer als Nazis sind Menschen, die (weniger dumm sind und) nichts dagegen tun

Sara Gomes, Landessprecherin von „Demokratie in Bewegung“, will die Rechten nicht gewinnen lassen.

Die Strukturen von „Demokratie in Bewegung“ unterscheiden sich von denen anderer politischer Organisationen. Denn jeder kann das Programm mitbestimmen, so die Idee.

Dabei ist es egal, ob jemand zum Vorstand gehört oder Neuling ist – alle können und sollen ihre Ideen einbringen. Bei diesem Initiativprinzip zählt jede Stimme gleich. Konkret können sogenannte „BewegerInnen“ online über Initiativen abstimmen und selbst welche vorstellen.

Zwischen 2.000 und 3.000 von ihnen gibt es mittlerweile bundesweit. Tatsächliche Mitglieder, die bei der Organisation helfen und Ämter bekleiden, sind etwa 400 Menschen.

„Nazis sind dumm und es ist schlimm, dass es sie gibt. Aber noch schlimmer sind die Leute, die nichts dagegen tun“, betont Sara Gomes. Sie ist die Landessprecherin der Partei „Demokratie in Bewegung“. „Ich weiß, dass die Mehrheit in Deutschland gegen Diskriminierung ist. Aber warum seid ihr so leise? Was muss noch passieren, damit mehr Leute sich engagieren?“

Sie selbst kommt aus Portugal und lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Einer der Gründe, warum sie sich bei der „Demokratie in Bewegung“ engagiert: Ohne doppelte Staatsbürgerschaft kann sie nicht wählen oder sich aufstellen lassen. „Ich lebe noch nicht lange genug in Deutschland. Eine doppelte Staatsbürgerschaft bekommt man meistens erst ab acht Jahren. Aber ich will nicht einfach nur zuschauen und nichts tun.“ Denn die Entwicklung momentan mache ihr große Angst. „Ich habe überlegt, zurück nach Portugal zu gehen. Aber dann haben die Scheiß-Rechten gewonnen. Das lasse ich nicht zu.“

Gegen Hass und Gewalt: ein Europa der Vielfalt kann nur frei und friedlich sein

Wer selbst tätig werden wollte, konnte den „Barnstorfer Apell für ein Europa der Vielen“ unterzeichnen.

Mit einer Mitmachaktion wollen die Veranstalter ein Zeichen setzen. Es steht allen BesucherInnen frei, den Barnstorfer Appell für ein Europa der Vielen zu unterzeichnen.

Der Name ist dem kleinen Ort in Niedersachsen gewidmet, in dem die Idee zu den Inhalten des Appells entstand. Darin fordern die Beteiligten „ein Europa der Freiheit, des Friedens und der Toleranz, entgegen Hass und Gewalt“. Der Appell soll anschließend an die Ratshäuser gegeben werden, um ein Zeichen zu setzen.

Die Demo in Dortmund war Teil einer europaweiten Demonstration. In über 60 Städten wurden Menschen dazu aufgerufen, ihre Stimme gegen den Nationalismus zu erheben. Unter  anderem in Städten wie Berlin, Mailand und Toulouse. Ziel der Demonstrationen war es, fünf Millionen EuropäerInnen auf die Straße zu bringen. Auch wenn der 13.10. eine einmalige Sache war, ist man sich in Dortmund sicher: Es muss noch mehr folgen.

Weitere Informationen zum Thema:

  • Internetpräsenz „Demokratie in Bewegung“,   hier:
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