
In Dortmund gibt es viele drängende Probleme – viele davon haben mit Armut zu tun. Denn ob Obdachlosigkeit oder Wohnungsknappheit, gesellschaftliche Einsamkeit, unzureichende Kindertagespflege und zu wenig Kitaplätze, geringe Rente oder (zu) teure Mobilität – fehlende finanzielle Ressourcen und Arbeitslosigkeit verschärfen die Probleme. Das reaktivierte Netzwerk „arm_in_Arm“ in Dortmund setzt sich für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit ein.
Chancengleichheit unabhängig von Herkunft, Status oder finanziellen Möglichkeiten
Die Allianz besteht aus Wohlfahrtsverbänden, Mietervereinen, Kirchen und Gewerkschaften. Gemeinsam kämpfen sie für bezahlbares Wohnen, gute Bildung, faire Löhne und eine solidarische Stadtgesellschaft. Das Netzwerk bündelt Kräfte, um politische Entscheidungen zu beeinflussen und soziale Fragen zu beantworten.

Gemeinsam hat das Netzwerk nun Forderungspapiere für die Kommunalpolitik entwickelt, um soziale Themen bei der kommenden Kommunalwahl zu priorisieren. Ziel ist es, dass alle Menschen in Dortmund unabhängig von Herkunft, sozialem Status oder finanziellen Möglichkeiten die gleichen Chancen auf ein gutes Leben haben.
Die DGB-Vorsitzende Jutta Reiter gründete einst das Netzwerk „arm_in_Arm“. Sie starb im Januar 2025. Reiter kämpfte unermüdlich für soziale Gerechtigkeit und gegen Faschismus und Ausgrenzung. Ihr Engagement bleibt ein Vorbild und Ansporn für die weitere Arbeit des Netzwerks, das dazu aufruft, gemeinsam für eine gerechtere und sozialere Stadt zu kämpfen.
Mittlerweile ist jedes dritte Dortmunder Kind von Armut bedroht
Ein wichtiger Meilenstein soll dabei die Kommunalwahl sein. Im September wird das Stadtparlament neu gewählt. Die Parteien arbeiten derzeit an ihren Kommunalwahlprogrammen. Das Netzwerk „arm_in_Arm“ hat daher ein sozialpolitisches Forderungspapier erarbeitet und den demokratischen Fraktionen im Rathaus übergeben.
AWO-Geschäftsführer Tim Hammerbacher als Sprecher der Wohlfahrtsverbände und Klaus Waschulewski vom DGB übergaben das 20-seitige Papier an Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) und die Vertreter:innen der Ratsfraktionen von SPD, Grüne, CDU und „Die Linke+”.

„Armut begegnet uns überall – von den Kleinsten bis zu den Senioren”, machte Hammerbacher bei der Übergabe in der Bürgerhalle deutlich. Er begrüßte, dass sich die Stadt Dortmund die Bekämpfung der Armut auf die Fahnen geschrieben hat – doch dieses Engagement brauche mehr Nachdruck: War vor wenigen Jahren noch jedes fünfte Kind in Dortmund von Armut bedroht, sei es mittlerweile jedes dritte.
Und auch immer mehr Senior:innen seien von Armut bedroht und auf „Grundsicherung im Alter“ angewiesen: „Wenn man im Alter ein Pflegeheim braucht, wird fast jeder zum Hilfeempfänger“, verwies Hammerbacher auf die explodierenden Kosten der Pflege.
Soziale Gerechtigkeit als Herzensangelegenheit des DGB
DGB-Sekretär Klaus Waschulewski erinnerte an Jutta Reiter und machte deutlich, dass der jüngst verstorbenen DGB-Vorsitzenden neben den Themen aus der Arbeitswelt auch die soziale Gerechtigkeit sehr am Herzen lagen. „Daher ist es auch ein Auftrag für uns als DGB und uns als Netzwerk, weiter am Ball zu bleiben.“

1996 kam das Thema erstmals auf die Tagesordnung, zur ersten Dortmunder Armutskonferenz. „Viele, die heute dabei sind, waren auch damals dabei”, verwies er auf die Aktiven im Netzwerk und die leider immer noch große Aktualität der Anliegen.
„arm_in_Arm“ habe schon zur letzten Wahl ein Papier zum Thema Wohnen erstellt: „Es war ein Pflichtenheft für die Stadt, wie man Menschen in bezahlbaren Wohnraum bringt“, erinnerte Waschulewski.
Damals wie heute ist das Thema bezahlbares Wohnen ganz oben auf der Agenda. Daher beteiligen sich auch mehrere Netzwerkpartner von „arm_in_Arm“ am „Housing Action Day”, wo sie erneut Mieterrechte und bezahlbares Wohnen in den Mittelpunkt stellen werden.
Verstärktes Engagement für bezahlbaren Wohnraum und gegen Mietwucher
Das ist auch der Grund, warum der Mieterverein Dortmund Mitglied von „arm_in_Arm“ ist: „Wir haben auch früher schon im Netzwerk mitgearbeitet. Denn Wohnen ist etwas ganz Elementares”, betonte Dr. Tobias Scholz. Bezahlbare Wohnungen in Dortmund zu finden, werde immer schwieriger. Die Leerstandsquote sei gering, ebenso wie die Zahl der Sozialwohnungen.

„Früher hatten wir mal knapp 100.000 Sozialwohnungen – jetzt weniger als 20.000“, verdeutlichte der Geschäftsführer des Mietervereins. Und das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht: Bis auf 13.000 könnte die Zahl in wenigen Jahren sinken. Das Problem: Große Wohnungsbestände seien in der Hand von Aktiengesellschaften und Hedgefonds, die vor allem Geld rausziehen wollten.
Daher sei es umso wichtiger, kommunale Gesellschaften wie die DOGEWO und die Dortmunder Stadtentwicklungsgesellschaft zu stärken, so Scholz. Sie müssten verstärkt bezahlbaren Wohnraum schaffen: große preiswerte Wohnungen für große Familien fehlten, ebenso wie bezahlbare kleine. Politisch sei es wichtig, die Ausbeutung von Mieter:innen zu stoppen und den Mietwucher zu beenden. „Da muss der Bund mehr tun” – Scholz ist sich bewusst, dass die Ratsfraktionen hier wenig ausrichten können.
Doch auch die Stadt kann etwas tun, sagte er mit Blick auf Versorgungssperren, wenn Vermieter:innen ihre Vorauszahlungen nicht weiterleiten würden: „Da ist auch die Stadt involviert und wir würden uns wünschen, dass die DEW auf dieses Mittel verzichtet. Ein Absturz ins Bürgergeld darf nicht zwangsläufig zu Umzügen führen”, so der Chef des Mietervereins.
Im Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit braucht es mehr und nicht weniger Geld
Ein Schlaglicht auf die ansteigende Arbeitslosigkeit und die sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit in Dortmund warf die IGM-Bevollmächtigte Ulrike Hölter. „Es gibt sehr viele Gründe, warum Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit verbleiben oder hineinkommen. Daher braucht es auch unterschiedliche Antworten, um wieder auf dem 1. Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“

Doch aktuell drohe das Gegenteil: „Qualifizierungsmaßnahmen werden zurückgefahren und passgenaue Arbeit wird in Frage gestellt. Wir haben die Sorge, dass keine Besserung eintritt“, sagte Hölter auch mit Blick auf „Ideen der neuen Koalition. Härtere Sanktionen finde ich fraglich”, betonte sie und kritisierte die Kürzungen beim Bürgergeld. Die Menschen müssten gefördert und nicht noch stärker in die Armut getrieben werden.
Außerdem brauche es auch mehr Qualifizierung, damit die Integration von Zugewanderten (noch) besser klappe. „Ich sehe große Chancen durch die Integration von Zuwander:innen in den Arbeitsmarkt – aber nur, wenn besondere Mittel zur Verfügung stehen“, betonte die IG Metall-Chefin. Zudem brauche es mehr Anstrengungen gegen Jugendarbeitslosigkeit. Hilfen bei der Suche von Ausbildungsplätzen und eine anschließende Übernahme seien das beste Mittel gegen Armut und den Fachkräftemangel.
Hölter begrüßte das Ziel der Kommunalen Arbeitsmarktstrategie, bis 2030 die Arbeitslosigkeit in Dortmund unter acht Prozent zu drücken: „Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir schauen, wie wir das passgenau hinbekommen. Wir müssen eine Kommission zur Kommunalen Arbeitsmarktstrategie bilden, in der Verwaltung und Politik gemeinsam mit der Stadtgesellschaft daran arbeiten, Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen“, schrieb die Gewerkschafterin den Politiker:innen ins Stamm- und Parteibuch.
Armut und Altern in dieser Gesellschaft als Herausforderungen
Ein anderer Gewerkschafter – mittlerweile im Rentenalter – warf ein Schlaglicht auf die Lage der Senior:innen in Dortmund. Er erinnerte an die Wiedereröffnung des Rathauses vor einem Jahr, als die Gäste die Rede des bekannten Journalisten Heribert Prantl beklatschten. „Ich habe mir zwei Punkte herausgepickt: Armut und Altern in dieser Gesellschaft”, erklärte Manfred Sträter. „Zu den Ausgegrenzten gehören aber nicht nur viele Alte, sondern auch viele Junge”, sagte er mit Blick auf die statistischen Daten: „Es gibt zu viele arme Alte und zu viele arme Junge. Und zu viel Armut im reichen Deutschland und in Dortmund.“

Das grundsätzliche Problem einer gerechteren Gesellschaft könne man natürlich nicht allein auf kommunaler Ebene lösen, aber viele Probleme von alten Menschen könne man angehen. Dazu gehöre die Schaffung von mehr barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum. „Das ist ein erhebliches Problem für Alte oder für Menschen mit Behinderung.”
Für Stärker ist das ein ganz wichtiger Punkt. „Wir haben im Papier Forderungen aufgeführt, die die Kommunalpolitik angehen soll und kann.” Vergleichsweise wenig finde sich dagegen zum ebenso relevanten Thema der Pflege, da die Kommune hier wenig machen könne. Doch auch hier gäbe es große Herausforderungen und Probleme: „Selbst wenn es kein konkreter Handlungsauftrag für den Rat ist, ist es dennoch eine wichtige Geschichte”, betonte der Gewerkschafter.
Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft statt Alt gegen Jung
„Früher hatten die Menschen Angst vor dem Tod, heute haben sie Angst vor dem Älterwerden”, sagte Sträter. Dabei hatte nicht nur Pflege und Demenz im Blick, sondern auch fehlende Mobilität. „Die Menschen müssen in unserer Stadt mobil sein. Aber Haltepunkte im ÖPNV, die nicht barrierefrei sind, schließen Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe aus.“
Das gelte auch für Gesundheitsvorsorge und Freizeitgestaltung: „Wir haben ein erhebliches Problem mit Einsamkeit. Da können wir gemeinsam etwas tun”, appellierte Sträter an die anwesenden Vertreter:innen von Rat und Verwaltung. Auch wenn er für den Seniorenbeirat kandidiert hatte, warb Sträter dafür, bei allen Aufgaben und Problemen, nicht die Älteren gegenüber den Jungen zu bevorzugen, sondern gemeinsam etwas für das Gemeinwesen zu schaffen.

Daran knüpfte auch OB Thomas Westphal an, als er das Forderungspapier entgegen nahm. Er bedankte sich für die wichtige Arbeit des Netzwerks und wollte verschiedene Punkte des Papiers als integratives Thema sehen. „Ich bin froh, dass es das Netzwerk gibt und das es aktiv bleibt.”
Westphal versprach: „Über die Themen werden wir im Wahlkampf auf ganzer Breite reden. Es schützt uns vor medialen Verengungen wie auf Bundesebene, wo viele Themen, die Menschen bewegen, nicht vorkamen und wo man bei anderen belogen wird.“ Er verkniff sich auch nicht den erneuten Seitenhieb, dass man zusammen dafür sorgen müsse, „dass die Zechprellerei des Bundes und des Landes aufhört, dass die immer etwas bestellen, was die Kommunen bezahlen müssen“, so der SPD-Politiker.
„Wir wollen nicht Arme bekämpfen, sondern Armut“

Utz Kowalewski von der Fraktion „Die Linke+“ war froh über den sozialpolitischen Aufschlag des Netzwerks: „Wir werden das Papier mit unserem Kommunalwahlprogramm abgleichen. Das Thema Armut nimmt bei der Linken ohnehin den größten Stellenwert ein”, betonte der Fraktionsvorsitzende.
„Wir wollen nicht Arme bekämpfen, sondern Armut. Wenn wir über den öffentlichen Raum sprechen, haben wir das ganz massiv”, spielte er auf die Diskussionen der vergangenen Monate an, als es um Obdachlosigkeit und Drogensüchtige in der City ging. „Es ist gut, dass es das Bündnis gibt, der Fokus auf Armut gesetzt wird und wir da Bündnispartner haben”, so Kowalewski.

Auch der sozialpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Thomas Bahr, bedankte sich für das Papier. Von Selbstkritik wollte er nicht sprechen, räumte aber ein, dass alle Parteien „die Bodenhaftung verlieren, weil sie nicht mehr so viele Mitglieder haben. Wir haben heute eine andere Welt, umso wichtiger ist es, dass Akteure wie Sie uns auch dieses Basiswissen liefern, vergleichend zu dem, was wir wahrnehmen”, dankte Bahr den Verbänden und Initiativen.
Die CDU wolle mit den Betroffenen, Verbänden und Initiativen zusammen arbeiten: „Ich denke, dass in Dortmund an vielen Schrauben gedreht wird, um die Probleme zu mindern. Aber die Möglichkeiten sind so begrenzt, dass die Änderungen oft nur marginal in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden“, bedauerte der CDU-Politiker. Auch das Thema Barrierefreiheit werde weiter angegangen: „Die Politik bemüht sich um Verbesserungen, aber nicht immer mit durchschlagendem Erfolg.“
„Dass, was den Armen hilft, hilft auch allen anderen Bewohner:innen“

Ingrid Reuter (Grüne) sah in dem sozialpolitischen Forderungspapier einen wichtigen Impuls. Gemeinsam verfolge man das „Ziel einer solidarischen Gesellschaft – ökologisch und solidarisch” und es gäbe viele Schnittmengen: „Dass, was den Armen hilft, hilft auch allen anderen Bewohner:innen. Barrierefreiheit ist für viele Menschen wichtig – nicht nur für Menschen mit Rollator, sondern auch für Menschen mit Kinderwagen.“
„Danke für die geballten Informationen. Wir werden genau analysieren, was wir da in unsere zukünftige Arbeit aufnehmen wollen. Das wird umfassend durchgespielt und geprüft“, kündigte die Grünen-Politikerin an.

Daran knüpfte auch Fabian Erstfeld von der SPD-Fraktion an. Der haushaltspolitische Sprecher freute sich schon auf die künftigen Infrastruktur-Millionen aus Berlin. „Die Gelder, die wir bekommen, werden wir nicht nur in Gebäude, sondern auch in soziale Infrastruktur investieren“, kündigte der SPD-Politiker an.
„Auch unser Anspruch ist die solidarische Stadt. Eine Stadt zeigt ihr wahres Gesicht, wenn sie zeigt, wie sie mit Benachteiligten umgeht und ob sie ihnen Chancen gibt”, so Erstfeld. Daher werde auch die Dortmunder SPD beim Wahlprogramm genau schauen, wie sie die sozialpolitischen Forderungen beherzigen könne.
Hier gibt es das Papier als PDF zum Download: Broschuere arm_in_Arm

Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
Reaktionen
Till Strucksberg
Hervorragend, dass es dieses Netzwerk in Dortmund gibt und auf die Wunden zeigt, die die Sozialpolitik in diesem Land schlägt. Völlig richtig, dass die IGM-Bevollmächtigte Ulrike Hölter den Blick auf die Bundesebene richtet, wo CDU und SPD gerade dabei sind, die Situation der Ärmsten weiter zu verschlechtern. Um so bitterer, dass Vertreter dieser Parteien prominent in diesem Bericht und dem Bild auftauchen, die verantwortlich für diese Schweinereien sind. Lobende Worte für das Papier des Netzwerkes anstatt die Mitglieder dieser Parteien dazu aufzurufen, dass dieser Koalitionsvertrag nicht angenommen wird.