Von Susanne Schulte
Einmal im Jahr, stets am Karfreitag, versammeln sich ihnen zu Ehren und zum Gedenken hunderte von Menschen am Mahnmal in der Bittermark: An die 300 Männer und Frauen – Widerstandskämpfer*innen und Zwangsarbeiter*innen – wurden kurz vor Kriegsende 1945 in der Bittermark und im Rombergpark von den Nazis ermordet. Am 4. April 1958 kamen zur ersten Erinnerungsstunde 10.000 bis 15.000 Besucher*innen zusammen, hatte Wolfgang Asshoff in alten Zeitungen nachgelesen. Der Beauftragte des Rates der Stadt Dortmund für die Bittermark hielt heute zum letzten Mal in dieser Funktion eine Rede. Das Amt übernimmt seine Nachfolgerin Herdemertens.
Den geplanten Bau der Gedenkstätte sahen Ende der 1950er Jahre viele Dortmunder nicht gerne
Bereits bei diesem ersten gemeinsamen Karfreitagsgedenken, so Asshoff, sei eine Delegation aus Frankreich dabei gewesen, und die habe in den folgenden Jahrzehnten nie gefehlt.
1958, wo viele sich nicht erinnern, keine Verantwortung übernehmen wollten, sei der geplante Bau des Mahnmals – „die bedeutendste europäische Gedenkstätte für die Zwangs- und Arbeitsdeportierten“ – heftig kritisiert worden.
Zu groß, zu teuer, zu hässlich hätten damals die Gegner*innen gesagt. 1960 wurde das Mahnmal bei der Karfreitagsfeier eingeweiht.
Wolfgang Asshoff wünschte sich, der Kirchentag würde mit einer Veranstaltung zum Mahnmal gehen
Die Gedanken der Redner*innen in den ersten Jahrzehnten hätten einen sehr persönlichen Charakter gehabt. Die Männer und Frauen waren selbst Überlebende gewesen. Heute seien es die Botschafter der Erinnerung, junge Menschen, die die Geschichte nicht vergessen machten. Man müsse sich stets der Gefahr bewusst sein, dass der alte Geist immer noch lebendig sei.
Asshoff kritisierte kurz vor Ende seiner Ausführungen auch den Evangelischen Kirchentag. Beim letzten Kirchentag im Ruhrgebiet seien die Organisatoren sofort bereit gewesen, auch eine Veranstaltung an „diesem Denkmal“ durchzuführen. „Und das vermisse ich dieses Mal.“
Von den 300 in Bittermark und Rombergpark ermordeten Frauen und Männern sind die meisten namenlos
Wie in den letzten Jahren moderierten die Botschafter*innen der Erinnerung die Feier.
Heute waren es die 21jährige Auszubildende Joyce Schröder und der 26jährige Student Jannis Gustke. Ihre Mitstreiter*innen lasen gleich zu Beginn die Namen der rund 300 Karfreitagsopfer vor, die bekannt sind. Die meisten der Ermordeten sind namenlos.
Zwischen den einzelnen Namensblöcken trug Thorsten Trelenberg seine Gedanken vor, Gedanken, die die Verfolgten auch gehabt haben könnten. Währenddessen gingen die Vertreter*innen der Verbände und Vereine um das Mahnmal herum zur Kranzniederlegung.
„Wir denken an die, die getötet worden sind, und damit leben sie weiter“
Oberbürgermeister Ullrich Sierau mahnte in seiner Rede, dass Respekt und Erinnerung nicht verblasen dürften und sagte in Anlehnung an ein Brecht-Zitat: „Wir denken an die, die getötet worden sind, und damit leben sie weiter.“
Gerade heute, wo es in vielen Ländern, auch in Deutschland, Bestrebungen gebe, Europa zu zerstören, sei es wichtig, „dass wir zusammenstehen“. Europa sei die Antwort auf die beiden großen Kriege im 20. Jahrhundert gewesen.
Er würdigte den Einsatz von den Menschen, die die Erinnerungen wach halten, wie Wolfgang Asshoff. Eine Stadt brauche Persönlichkeiten wie diesen Mann.
OB Ullrich Sierau begrüßt das Mahnmal für die Zwangsarbeiter, das auf der Museumsinsel stehen soll
80.000 Zwangsarbeiter*innen hätten in Dortmund arbeiten müssen, davon ein Viertel in der Schwerindustrie. Er sei froh, dass in Hörde jetzt das Denkmal für die Frauen und Männer auf der Museumsinsel einen Platz finden solle. Man müsse Sorge dafür tragen, „dass der offenbar fruchtbare Schoß“ für nationalsozialistische Ideen nicht wieder solche Verbrechen über Europa bringe.
Nicole Godard: Die Werte, für die die Widerstandskämpfer*innen in den Tod gingen, müssen weiter verteidigt werden
Madame Nicole Godard, die Vorsitzende des Verbandes der Zwangs- und Arbeitsdeportierten, hielt ihre Rede auf Deutsch. Sie fragte: „Warum haben wir nach mehr als 70 Jahren noch so viel Interesse daran, die Verantwortung zu übernehmen?“ und gab die gleich die Antwort: Es sei natürlich, sich an seine Wurzeln zu erinnern. Erinnerung bedeute aber auch, die Notwendigkeit der Wahrheit zu erkennen.
Und die Werte, für die die Widerstandskämpfer*innen und Zwangsarbeiter*innen, die Widerstand geleistet hätten, sich eingesetzt hätten, weiter zu verteidigen. „Das Vergessen wird größer. Wir müssen achtsam sein.“ Damit das Vergessen nicht größer wird, nehmen zwölf Botschafter*innen der Erinnerung aus Dortmund am 28. April in Paris am nationalen Gedenktag in Frankreich für die Deportierten teil.
Ernst Söder: Parteien, die neofaschistische Umtriebe anheizen, dürfen nicht verharmlost werden
Ernst Söder vom Förderverein Steinwache – Internationales Rombergpark-Komitee machte auf den Schwur den Buchenwald aufmerksam, der heute genau vor 74 festgehalten wurde:
„Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Parteien, die neofaschistische Umtriebe anheizten, dürften nicht verharmlost werden.
Das Lied der Moorsoldaten sang dieses Mal nicht der Kinderchor vor, sondern Boris Walter
Der Kinderchor der Chorakademie und die Posaunenchöre aus Dortmund umrahmten die Veranstaltung musikalisch. Die Botschafter*innen der Erinnerung führten einen „Tanz der Erinnerung“ auf, den Monica Fotescu-Uta mit ihnen einstudiert hatte.
Boris Walter, ein Musiker aus der Nordstadt, sang mit den jungen Frauen und Männern nach einer jüdischen Melodie ein Lied über Martha Gillesen, eines der Opfer der Karfreitagsmorde, dessen Text alle gemeinsam geschrieben hatten.
Das Lied der Moorsoldaten sangen diesmal nicht die Jungen und Mädchen aus dem Kinderchor vor, sondern Boris Walter mit seiner Gitarre. Die Gäste der Veranstaltung sangen mit.
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„Tanz zum Gedenken“ – von Monica Fotescu-Uta und den Botschafter*innen der Erinnerung. Videos: Karsten Wickern
„Die Moorsoldaten“ gesungen von Boris Gott (Walter) und den Botschafter*innen der Erinnerung.
FOTOSTRECKE: Gedenkfeier Bittermark und Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf 2019:
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
Heinrich-Czerkus-Lauf gegen Krieg, Faschismus und Rassismus – Gedenken am Mahnmal in der Bittermark
Reader Comments
Ulrich Sander
„Wir wollen nicht das Europa, wie es war, sondern wie es heute ist“, sagte eine Sprecherin der Botschafter der Erinnerung. Sie hat nicht bedacht an diesem Karfreitag, dass am Gründonnerstag zuvor, das Europaparlament beschloss, die EU de facto in ein waffenstarrendes Militärbündnis umzuwandeln. Nein, das Europa wie es ist, will ich nicht. Und was heißt Europa? Da muss doch zumindest Russland mitgedacht werden, gegen das die EU Stimmung macht. Diese Kritik und den Einwand, dass zwar gerechterweise die Botschafter der Erinnerung gewürdigt wurden, aber nicht die vielen anderen jungen Menschen in unserer Stadt, die sich ganzjährig stark machen gegen Neonazis und für die antifaschistische Erinnerungsarbeit, möchte ich dem Bericht von Susanne Schulte ergänzend anfügen. Jedoch vor allem: Dank für die würdige und bewegende Veranstaltung und die Leistung der Botschafter der Erinnerung. Ein Tipp: Nächstes Jahr sind es 75 Jahre her – und dann wird es sinnvoll sein, nicht nur die französischen Freunde, sondern auch Vertreter/innen der anderen Länder zu Wort kommen zu lassen, die Opfer in der Bittermark und im Rombergpark zu beklagen haben, so die Russen, Italiener, Ukrainer, Niederländer, Belgier und die Opfer aus Jugoslawien.
Ulrich Sander, Dortmund
Hanfried Brenner
Die Ausführungen von Ulli Sander kann ich nur unterstreichen. Zu ergänzen wäre vielleicht, dass im Vorfeld für das nächste Bittermark-Gedenken eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit nötig ist, damit es wieder mehr Teilnehmer werden.