Für das Jahr 2021 mussten in Nordrhein-Westfalen (NRW) insgesamt 213 rechte, rassistische, antisemitische und andere menschenfeindlich motivierte (kurz: rechte) Gewalttaten mit mindestens 339 direkt betroffenen Menschen registriert werden. Damit ist ein Anstieg rechter Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr um 7,6 Prozent feststellbar. Rassismus ist mit 62,4 Prozent wie auch in den Vorjahren das am häufigsten erfasste Tatmotiv, gefolgt von Angriffen gegen politische Gegner*innen mit 16,0 Prozent sowie sozialdarwinistisch motivierte Taten mit 8,0 Prozent und antisemitisch motivierte Angriffe mit 5,6 Prozent.
Rassismus ist laut der Beratungsstellen das häufigste Tatmotiv
Körperverletzungsdelikte machten 2021 mit 74,2 Prozent der Angriffe den höchsten Anteil aus, darunter mindestens 69 gefährliche Körperverletzungen und eine versuchte Tötung. Die meisten Angriffe wurden in den urbanen Ballungszentren registriert, darunter Köln (32), Düsseldorf (23), Dortmund (19) und Essen (14).
„Der leichte Rückgang rechts motivierter Gewalttaten in den Jahren 2018 bis 2020 bot aufgrund kontinuierlich hoher Zahlen keinesfalls Anlass zur Entwarnung: Das Jahr 2021 zeigt dies in erschreckender Hinsicht, weil die Zahl der Angriffe wieder stieg und um 7,6 Prozent höher als im Vorjahr liegt“, macht Magdalena Lentsch von der Beratungsstelle BackUp deutlich.
Die im Bereich der politisch motivierten Kriminalität rechts (PMK-rechts) sowie der allgemeinen Kriminalitätsstatistik dargestellten abnehmenden Tendenzen können die beiden Beratungsstellen des Bundeslandes NRW mit ihrem spezialisierten Blick demnach nicht bestätigen.
„Rassismus als das häufigste Tatmotiv ist ein gesamtgesellschaftliches und allgegenwärtiges Phänomen, dessen Existenz keinesfalls auf einen extrem rechten Randbereich reduziert werden kann“, so Fabian Reeker von der Opferberatung Rheinland (OBR), „Rassismus ist eine gewaltvolle Alltagserfahrung, welche die Lebensführung von Betroffenen zentral prägt. Rassistisch motivierte Angriffe stellen darauf basierend eine krisenhafte Zuspitzung dieser alltäglichen Erfahrungen dar“, so der Projektleiter der OBR weiter.
Deutlicher Anstieg motivierter Gewalttaten gegen Wohnungslose
Für das Jahr 2021 wurde mit insgesamt 17 Fällen erstmals ein deutlicher Anstieg sozialdarwinistisch motivierter Gewalttaten gegen wohnungslose Menschen durch die spezialisierten Beratungsstellen registriert.
„Mit mindestens 20 direkt betroffenen Personen ist ein deutlicher und besorgniserregender Anstieg sozialdarwinistisch motivierter Angriffe im Jahr 2021 zu verzeichnen“, konstatiert Niklas Weitekamp von der OBR, „Sozialdarwinismus stellt ein zentrales Ideologieelement rechter Gewalt dar, dessen Existenz aufgrund der gesellschaftlichen Ausgrenzung der Betroffenen oftmals öffentlich nicht wahrgenommen wird“, so der Beauftragte für Recherche und Monitoring der OBR weiter.
Beispielhaft zu nennen sei hier eine Serie von mindestens zehn Angriffen in Köln, bei denen wohnungslose Menschen sowie deren persönliche Habseligkeiten wie Schlafsäcke mit Farbe übergossen und damit massiv beschädigt wurden: „Die Taten wirken geplant, die Betroffenen wurden willkürlich ausgewählt, teils im Schlaf überrascht und ihre Schutzlosigkeit wurde ausgenutzt. Die Angriffe lassen Ungleichwertigkeitsideologien sichtbar werden und basieren auf der Abwertung wohnungsloser Menschen“, so der OBR-Verantwortliche.
Angriffe gegen politische Gegner:innen vor allem im Dortmund
Unverändert das zweithäufigste Motiv rechter Gewalttaten stellen Angriffe gegen politische Gegner*innen mit 16,0 Prozent dar. „Betroffene sind verschiedenen Bedrohungsszenarien ausgesetzt, die auf verschiedene Art und Weise einschüchtern sollen.
Beispielhaft dafür ist die Veröffentlichung von Wohnanschriften, Fotos oder Videoaufnahmen von Aktivist*innen durch extrem rechte Akteur:innen, um bestimmte Personen gezielt als Angriffsfläche in den Fokus zu rücken“, konstatiert Lisa Schulte von der Beratungsstelle BackUp.
In keiner anderen Stadt in NRW fanden mehr Angriffe gegen diese Personengruppe statt als in Dortmund. „Für Dortmund konnte auf Grundlage der uns vorliegenden Erkenntnis keine deutliche Abnahme an Angriffen festgestellt werden, vielmehr ein weiterhin hohes Maß an rechter Gewalt, unter anderem ausgeübt durch nach wie vor aktive, organisierte und gewaltbereite Täter:innenstrukturen“, stellt die Mitarbeiterin von BackUp fest.
Von Pandemieleugner:innen ausgeübte Gewalt
Das zweite Pandemiejahr war geprägt von Protesten gegen damit einhergehende staatliche Schutzmaßnahmen. Diese Proteste gingen einher mit Gewaltdelikten durch Pandemie-Leugner*innen: ein neuer Phänomenbereich mit zum Teil alten Ideologiefragmenten rechter Gewalt.
Dazu Fabian Reeker: „Neben mehr als 60 Verdachtsfällen, in denen Verschwörungserzählungen, Antisemitismus und Sozialdarwinismus als mindestens motivbegleitend angenommen werden müssen, konnten insgesamt zwölf Angriffe im Kontext der COVID-19 Pandemie konkret als rechte Gewalttaten verifiziert werden.“
Beratungsorgansisationen fordern Solidarität mit Betroffenen
Die kontinuierlich hohen Zahlen rechter Angriffe in NRW und die Zunahme teils schwerer Gewalttaten im Jahr 2021 zeichnen ein erschreckendes und besorgniserregendes Bild und erfordern gesellschaftliches Handeln.
Dazu resümieren die Beratungsstellen BackUp und OBR: „Allzu häufig verblassen die Erfahrungen von Betroffenen rechter Gewalt vor dem Hintergrund ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung und werden in der Öffentlichkeit nicht angemessen berücksichtigt. Solidarität mit Betroffenen vonseiten der Zivilgesellschaft und politischen Verantwortungsträger*innen sind somit zentrale Voraussetzung, um rechter Gewalt und Menschenverachtung begegnen und gesellschaftliche Veränderungen bewirken zu können.“
Reader Comments
Ein Demokrat
> Der „nationale Widerstand“ wurde verboten und entstand als Partei „Die Rechte“ neu. Warum erwecken Polizei und Justiz den Eindruck, dass der Parteienstatus der „Rechten“ diese legalisiert? Und man nichts machen kann? Parteienstatus hatte auch die FAP, die in Dortmund von Siegfried Borchardt geführt wurde und die dann von den Innenmistern verboten wurde. Ein Parteistatus kann mit Erfolg in Frage gestellt werden, und zwar dann wenn es sich faktisch
> um keine Partei, sondern um eine Nachfolgeorganisation einer verbotenen Organisation handelt.
> Warum erwecken die Behörden den Eindruck, die Szene in Dorstfeld sei geschwächt und es fehle an Führungsfiguren, wo doch mit Matthias Helferich sogar ein Bundestagsabgeordneter zu ihr gestoßen ist. Er bekannte sich
> zu den „Dorstfelder Jungs“, will ihnen Geld geben. Mit einem früheren Feuerwehrchef hat die Dorstfelder Szene eine weitere bedeutende Führungsfigur.
> Warum berichten die Medien nicht, dass es eine neue Form der neonazistischen Organisiertheit gibt und zwar auch in Dortmund: Die Charts von Soldaten, Polizisten und Reservisten mit rechtsterroristischen Bezügen? Mit Kontakten zur Terrorszene in Meck.Vorp. Warum drucken sie brav, was der Innenminister ihnen senden lässt. Das Innenministerium löst das Problem jedoch nicht, es ist Teil des Problems.
Palästinensische Organisationen dürfen nicht demonstrieren, weil es denkbar ist, dass einzelne Teilnehmer sich antisemitisch äußern. Mit der selben Begründung müssten doch Neonazis auch zu verbieten sein. Warum werden die Neonazidemonstrationen dennoch genehmigt?
Mit demokratischen Grüßen (Name und Anschrift sind der Redaktion bekannt)