Autorin Asha Hedayati im Gespräch über die staatliche Verantwortung im Schutz von Frauen

Lesung zum Buch „Die stille Gewalt“ im Kolpinghaus mit Podiumsdiskussion

Das Buch von Asha Hedayati ist bereits 2023 erschienen. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Warum lassen sich Frauen auf gewalttätige Männer ein, bleiben jahrelang in solchen Beziehungen oder trennen sich erst sehr spät? – Fragen, die Frauen, die Partnerschaftsgewalt ausgesetzt sind, täglich gestellt bekommen. Für Asha Hedayati steht fest: Das gesamte gesellschaftliche System erschwert es Frauen, sich zu trennen, wenn es nicht sogar die Gewalt in Teilen begünstigt. Im Rahmen einer Lesung aus ihrem Buch „Die stille Gewalt“ zeigte sie auf, wie staatliche Strukturen im Bereich des Gewaltschutzes für Frauen Lücken aufwiesen, um anschließend mit Besucher:innen und Vertreter:innen verschiedener Dortmunder Institutionen in den Diskurs zu treten.

„Die strukturellen Auswirkungen wirken still und leise“

Es waren überwiegend Frauen, die sich am vergangenen Mittwochabend im Saal des Kolpinghauses versammelten, um an Hedayatis Lesung aus ihrem Buch teilzunehmen. Organisiert wurde die Veranstaltung unter anderem vom Multikulturellen Forum e.V., der Dortmunder AWO sowie der Stadt Dortmund. Die Autorin, die zugleich Anwältin für Familienrecht ist, erlebt täglich in ihrem Berufsleben, wie häusliche Gewalt ein tief verankertes, strukturelles Problem darstellt, wie sie es in ihrem Buch darlegt.

Asha Hedayati ist Rechtsanwältin und Autorin aus Berlin. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

„Die strukturellen Auswirkungen der systemischen Verhältnisse sind nur in ihren Symptomen messbar. Die Ursachen hingegen sind kaum mit Zahlen zu erfassen. Patriarchale Prägungen, sexistische und rassistische Einstellungen oder unbewusste, misogyne Grundannahmen sind nicht auf Skalen zu verorten und werden selten unmittelbar zum Ausdruck gebracht. Sie wirken still und leise“, waren die Einstiegsworte ihres Buches, aus denen sie anfänglich vorlas.

„Frauen müssen sich nur den richtigen, friedfertigen Partner suchen, dann wird alles gut, dann werden sie nicht erniedrigt, geschlagen und getötet. Eigenverantwortung und Auswahlverschulden. Das ist bequem für die Gesellschaft, so muss man sich nicht engagieren und bequem für den Staat, so muss er sich nicht damit befassen, welche strukturellen Gründe die Gewalt begünstigen und den Schutz verhindern.

Vielleicht dient diese Haltung auch dem Selbstschutz, denn sonst müssten wir uns alle mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es jede Frau treffen könnte und auch damit, dass es Menschen gibt, die von diesen Strukturen und der systematischen Gewalt profitieren.“

Das BKA verzeichnet eine stetige Zunahme an Partnerschaftsgewalt

Bereits 2023, dem Jahr, in dem das Buch veröffentlicht wurde, berichtete Hedayati von steigenden Zahlen zur Partnerschaftsgewalt gegenüber Frauen. So wurde alle drei Tage eine Frau in Deutschland von ihrem aktuellen oder früheren Partner getötet, und fast täglich findet ein versuchter Mord statt. Im Jahr 2021 seien insgesamt 115.314 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt gewesen, wie Hedayati beschrieb.

Zahlreiche Personen waren bei der Lesung anwesend. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Laut ihren Angaben stammen diese Zahlen vom BKA. Dass die Tendenz weiterhin steigt, bestätigen die aktuellen Daten. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 wurden 155 Frauen durch ihren (Ex-)Partner getötet, also im Durchschnitt alle zwei Tage. 132.966 Frauen waren von Partnerschaftsgewalt betroffen. Zudem gab es 938 versuchte oder vollendete Tötungsdelikte an Frauen, von denen 360 tödlich endeten.

Auch die Zahl der sexualisierten Gewaltakte stieg im Vergleich zum Vorjahr um 6,2 Prozent auf insgesamt 52.330 Fälle. „Die Zahlen werden seit 2015 erhoben und steigen seitdem kontinuierlich. Aber warum ändert sich daran nichts? Was muss noch passieren? Und wo bleibt der Aufschrei?“, fragte die Autorin.

Rassistische Stereotype, die sich auch in der Partnerschaftsgewalt widerspiegeln

Gewalt gegen Frauen findet sich in allen sozialen Schichten und Milieus wieder, wie Hedayati deutlich aus ihrer Erfahrung beschrieb. Gleichermaßen hätten bestimmte Personengruppen einen geringen Zugang zu Schutz, zu denen armutsbetroffene, sozial benachteiligte, behinderte oder migrantische Frauen gehören. „Migrantische Frauen sind teilweise wirklich prekär situiert und können sich schlechter trennen, weil wir Aufenthaltsgesetze haben, die den gewalttätigen Partnern Macht verleihen“, erläuterte die Autorin.

Claudia Ebbers arbeitet bei der Frauenberatungsstelle in Dortmund. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Zugleich machte sie auf eine Personengruppe aufmerksam, die aus ihrer Sicht häufig außer Acht gelassen wird: „Weiße, deutsche Frauen aus wohlhabenden Haushalten: Dem gewalttätigen Ex-Partner aus solchen Haushalten wird diese Gewalt oft weniger zugetraut.“

Zurückzuführen sei dies unter anderem auf rassistische Stereotype, wie Hedayati erklärte: „Männer of Color wird Gewalt eher zugetraut, während es bei eloquenten weißen deutschen Männern wie Pädagogen, Lehrern, Richtern unheimlich schwierig wird.“

Ein Phänomen, das auch Claudia Ebbers von der Frauenberatungsstelle Dortmund bestätigen konnte. „Das sind Fälle, die wir auch aus der Beratung kennen. Auch deutsche oder weiße Frauen sind betroffen und oft ist es für sie schwerer, über die erlebte Gewalt zu sprechen. Wenn der Partner sehr eloquent ist, wird es besonders schwer, sich zu wehren und deutlich zu machen, wie die Gewalt wirkt und dass er sie ausübt. Viele sagen: Ich habe überhaupt keine Chance, dass mir geglaubt wird.“

Gefühl des Macht- und Kontrollverlustes treiben die Gewalt

Häufig spiele dabei das Streben nach Macht und Kontrolle eine zentrale Rolle, weshalb Männer Gewalt gegenüber Frauen ausüben, erklärte Hedayati. Besonders deutlich wird dies unter anderem daran, dass rund 23 Prozent der von Gewalt betroffenen Frauen erstmals Partnerschaftsgewalt im Kontext von Schwangerschaft oder der Geburt des Kindes erleben, wie die Autorin im Buch beschreibt.

Die Zahl an Partnerschaftsgewalt nimmt jährlich zu. Foto: Franca Ziborowius

Durch die veränderte Lebenssituation der Paare erleben Männer erstmals einen Macht- und Kontrollverlust, dem sie versuchen, mit Gewaltausübung entgegenzuwirken. Doch eine Trennung in einem solchen Lebensabschnitt ist für Frauen nicht risikofrei. Besonders die Phase nach der Trennung stellt für Frauen aus gewaltvollen Beziehungen die größte Gefahr dar, wie Julia Bockrath vom Frauenhaus erklärte.

Zugleich macht der Kindesvater häufig von seinem Recht Gebrauch, sofortigen Umgang mit dem Kind einzufordern, sobald die Frau mit ihrem Kind ins Frauenhaus geflüchtet ist. Durch diesen fortgesetzten Kontakt zum Täter bleiben die Frauen weiterhin seiner Gewalt und Kontrolle ausgesetzt.

Ein weiterer Punkt sei der finanzielle Druck, der als alleinerziehende Mutter aufkäme. „Wirtschaftliche Gewalt hängt eng mit unbezahlter Care-Arbeit zusammen, die Frauen in Abhängigkeiten und Altersarmut bringt. Viele Frauen stehen bei einer Trennung vor der Wahl zwischen Gewalt oder Armut, und das ist strukturelle Gewalt. Laut Bundesstiftung Gleichstellung können fast zwei Drittel der berufstätigen Frauen nicht dauerhaft für sich selbst sorgen, vier Fünftel nicht für sich und ein Kind“, so Hedayati.

Stetige Schuldumkehr: „Wer ist Opfer, wer ist Täter?“

Ein Muster, das die Gewalt gegenüber Frauen auf verschiedenen Ebenen häufig herunterspielt, ist die Täter-Opfer-Umkehr, wie Hedayati in ihrem Buch beschreibt. „Sie sollen sich anpassen, keine kurzen Kleider tragen, nicht so viel trinken, sie sollen auf den Ex-Partner eingehen, wenn er sie nachstellt, aber gleichzeitig sollen sie ihn nicht provozieren“, so eine Textpassage aus dem Buch.

Auch die Polizei ist laut Hedayati nicht frei von männlich geprägten Machtstrukturen. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Zugleich schreibt Hedayati über einen Fall, in dem eine Frau, deren Ehemann jede Nacht in einer Bar gegenüber ihrer Wohnung saß, von der Polizei gefragt wurde, warum sie nicht an einen weiter entfernten Ort gezogen sei. Die Polizei schlug vor, dass sie sich zurückziehen solle, anstatt den Mann zu konfrontieren.

So nahm laut der Autorin der Täter ungehindert seinen Raum ein, was durch die Reaktion der Polizei verstärkt wurde. Aus Sicht von Hedayati ist dies ein deutliches Versagen des Staates, wenn dieser keine Grenzen für männliche Gewalt setzt und Frauen so nicht schützt.

Auch Bockrath erlebte bereits Situationen im Berufsalltag, die sie als „paradox“ betitelte: „Nach einem Polizeieinsatz wegen Gewalt wird das Jugendamt eingeschaltet, denn es muss geprüft werden, ob das Kindeswohl gesichert ist. Doch damit entstand von außen auch Druck auf die Frau. Die Botschaft lautete: Die Kinder sind in dieser Gewaltsituation nicht sicher. Und wieder lag der Fokus auf der Frau: Du musst die Kinder schützen, du musst gehen. Wenn du nicht gehst, nehmen wir dir die Kinder. Was dabei oft verloren geht: Wer ist Opfer, wer ist Täter?“

Präventionsangebote sollen Gewalt erst gar nicht entstehen lassen

„Könnte ein präventiver Ansatz darin bestehen, Anlaufstellen für Männer anzubieten, die merken, dass sie der Gefahr ausgesetzt sind, einer anderen Person Schaden zuzufügen?“, fragte eine Person aus dem Plenum. Bisher liege der Fokus der Präventionsarbeit jedoch auf Angeboten für Täter, die bereits aktiv geworden sind, erklärte er.

Bereits beim Straßenfest 1987 war Gewalt an Frauen ein Thema. Foto: Frauenberatungsstelle Dortmund

Bockrath erklärte, dass es ein Trugschluss sei, dass gewalttätige Männer sich im Voraus eingestehen würden, anfällig dafür zu sein, jemandem etwas anzutun. Auch Ebbers stimmte dem zu: „Präventionsangebote sollten viel früher ansetzen. Schulen sind gefragt, bereits dort zu beginnen, um Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen und um Beziehungen auf gleicher Augenhöhe und ohne Geschlechterungleichheit zu fördern.“

Hedayati sprach sich ebenfalls für mehr Aufklärungsarbeit aus, ist sich jedoch der bestehenden strukturellen Hindernisse bewusst: „Es fällt mir schwer zu sagen, dass wir einfach eine Diversitätsfortbildung für Institutionen brauchen und damit das Thema erledigt ist. Ich weiß nicht, inwiefern wir Institutionen wirklich von innen heraus verändern können. Dennoch müssen wir mit Fortbildungen arbeiten – bei der Polizei, der Justiz, den Jugendämtern und allen anderen Akteur:innen, die mit gewaltbetroffenen Menschen zu tun haben. Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt.“


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