Junge Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung hätten in normalen Berufsschulen vielleicht nie eine Chance. AutistInnen etwa bliebe eine Berufsausbildung deswegen vermutlich verschlossen. Das Berufsbildungswerk des CJD in Dortmund-Oespel bietet mit seiner Konzeption eine erfolgreiche Alternative. Die SPD-Landtagsabgeordnete Anja Butschkau informierte sich vor Ort.
Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands: über 150.000 Fördereinrichtungen bundesweit
Das Berufsbildungswerk (BBW) des CJD Dortmund im Stadtteil Oespel: hier befinden sich gegenwärtig insgesamt 260 junge Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung in Ausbildung. Nicht wenige von ihnen haben eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS; ICD-10: F84); eine Personengruppe, für die seit etwa acht Jahren im BBW die Möglichkeit bestünde, verschiedene Ausbildungen zu machen, erklärt Stefanie Gunkel. Leiterin der Einrichtung.
Viele der jungen Leute hier sind in dem angrenzenden Internat untergebracht, das 115 Plätze bietet. Manche AutistInnen bräuchten den Weg, um nach Hause zu kommen, sagt die Leiterin des BBW Dortmund; andere wiederum nicht. Dem sei Rechnung zu tragen. – Überhaupt, so der Eindruck, spielt Individualität, spielen individuelle Voraussetzungen und Förderbedarfe hier im Ausbildungszentrum des CJD eine große Rolle.
Die Einrichtung ist eine von vielen des Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD): bundesweit unterhält das Jugend-, Bildungs- und Sozialwerk für über 150.000 Jugendliche und Erwachsene gut 150 Fördereinrichtungen mit fast 10.000 MitarbeiterInnen. Darunter sind viele für benachteiligte Menschen, aber auch anerkannte Schulen verschiedener Typen sowie Einrichtungen der Sportförderung und Erwachsenenbildung.
Junge Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen brauchen feste, verlässliche Bindungen
Junge Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung (im Bereich der Sinne, der Psyche oder körperlich) bräuchten ein festes Angebot, erläutert Stefanie Gunkel.
Daher gäbe es in diesem Handlungsfeld auch kein Ausschreibungsverfahren, so die BBW-Leiterin auf Nachfrage der SPD-Landtagsabgeordneten Anja Butschkau, die hier in Oespel auf ihrer sozial- und frauenpolitischen Herbsttour Station gemacht hat, um sich über die Einrichtung zu informieren.
Die Auszubildenden kämen vielmehr über die Reha-Beratung der Arbeitsagentur. Viele müssten dafür allerdings ihren Wohnort verlassen. Aus diesem Grund seien feste Bindungen besonders wichtig. Deshalb werden im BBW die Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch feste AnsprechpartnerInnen während ihrer Ausbildung, in Schule und Freizeit betreut und begleitet.
Ausgestaltung des Geländes und der Gebäude auf besondere Bedürfnisse von AutistInnen hin ausgerichtet
Das ganze Gelände, einschließlich der Inneneinrichtungen, besonders auch die Werkstätten sind stark auf die Bedürfnisse von AutistInnen hin gestaltet. Sichtbar etwa an den vielen Hinweisschildern oder an einigen Trennwänden bei den Arbeitsplätzen.
Entsprechend karg eingerichtet ist die Kantine in dem Gebäudekomplex Am Oespeler Dorney: betont schlicht gestaltet, die Wände in einfachem Grün gehalten, das Buffet abgeschottet mit Sichtschutz, runde Gegenstände auf ein Minimum reduziert. Jemand, der hier wohnt, sei vom Leben genug gestraft und solle es gemütlich haben, sagt Stefanie Gunkel.
Und bloß kein unnötiger Stress: auf dem Gelände selbst gibt es beispielsweise viele Türen mit einem Glasschlitz als Sichtmöglichkeit, um zu vermeiden, dass jemand unkontrolliert panisch reagiert, wenn sich nach dem Anklopfen nicht sofort die Tür öffnet.
Verzahnte Ausbildung beim Berufsbildungswerk in Dortmund-Oespel soll zukünftigen Arbeitsplatz sichern
Strategischer Ansatz des Ausbildungskonzeptes selbst ist es, dass das Oespeler BBW des CJD seine Fachkompetenz bei der Ausbildung behinderter oder beeinträchtigter Menschen mit Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes verzahnt. Daher wird diese Ausbildungsform hier als „Verzahnte Ausbildung“ (VamB) bezeichnet.
Die Ausbildung dauert zwei- bis dreieinhalb Jahre, wonach es den Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt geben soll – was in etwa 78 Prozent der Fälle gelingt. Einschließlich berufsvorbereitender Maßnahmen zur Entwicklung einer beruflichen Perspektive werden vom BBW Ausbildungsberufe im Handwerk, Wirtschaft und Verwaltung, Logistik, Körperpflege (FriseurIn; KosmetikerIn) und IT angeboten.
90 Prozent der Auszubildenden bestünden die erste Prüfung; nur im IT-Bereich sei die Quote schlechter – das sei aber überall so, schränkt Stefanie Gunkel ein. Psychisch Behinderte müssten hier allerdings nicht weniger leisten als ein Abiturient, macht die BBW-Chefin in Oespel klar.
Manchmal gäbe es Unterbrecher der Ausbildung, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen, sicher. Die Abbrecherquote ist aber erstaunlich niedrig: neun von 260 Auszubildenden seien es gewesen. Zum Vergleich: bundesweit schmeißen mittlerweile gut ein Viertel aller Auszubildenden frühzeitig das Handtuch.
BBW des CJD Dortmund: „Individualität der Förderplanung das Ausschlaggebende“
Wichtig sei das Zusammenspiel aller Akteure, sagt Stefanie Gunkel. Die entsprechende Abteilung beim BBW spräche immer mit der ARGE und stünde in Kontakt mit potentiellen Arbeitgebern.
Die Unternehmen haben bei der VAmB den Vorteil, motivierte Jugendliche kennenzulernen und deren Ausbildung mitzugestalten. Dadurch wüssten sie so zum Beispiel frühzeitig, wie ein passender Arbeitsplatz später beschaffen sein müsse.
Ziel ist es, die berufliche Förderung wie die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen stets an die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Einzelnen anzupassen. Im BBW sei „Individualität der Förderplanung das Ausschlaggebende“, so Stefanie Gunkel.
Anspruch der Einrichtung, fasst sie zusammen: dass jemand, der/die geht, auch selbstbestimmt leben kann. Festgeschrieben sei in der Konzeption zudem, dass nach Abschluss der Ausbildung noch eine halbjährige Betreuung vorgesehen ist.
Neben der Berufsausbildung: Bildung der Persönlichkeit gleichermaßen relevanter Schwerpunkt
Neben der Ausbildung ginge es stark um Persönlichkeitsbildung; diese beinhaltet eine musische Komponente (Angebote etwa: Theater, Chor, Vorlesungen, eine Band), Sport- und Gesundheitspädagogik, Religionspädagogik (freiwillig!) und natürlich politische Bildung.
Würden solche besonderen Berufsschulen aufgelöst: die meisten könnten nicht in eine normale Berufsschule gehen. Im Endeffekt hieße dies: sie machten gar keine Ausbildung und müssten bis an ihr Lebensende Hilfstätigkeiten verrichten. Stattdessen gibt es hier die Chance, sich zu qualifizieren und Fähigkeiten wie Fertigkeiten zu weiterzuentwickeln.
Aber es funktioniert nicht alles: Ein Modellprojekt, „Chance Zukunft“, des Trägerverbandes der BBW NRW zusammen mit dem Jobcenter für junge Erwachsene mit multiplen Vermittlungshemmnissen – das sei in Dortmund schlicht gescheitert, muss Stefanie Gunkel eingestehen; in Düsseldorf-Mettmann dagegen liefe es bislang sehr erfolgreich.
Weitere Informationen:
- CJD Berufsbildungswerk Dortmund, hier:
- Zur „Verzahnten Ausbildung“ mit dem CJD BBW Dortmund, hier:
- Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD), hier:
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