Von Angelika Steger
Es ist nur eine kleine Runde, die sich im Familienzentrum in der Dürener Straße eingefunden hat, verglichen mit der Anzahl an Menschen, die im Quartier Borsigplatz wohnen. Mindestens die Hälfte der 20 Teilnehmer*innen sind Vertreter*innen von Institutionen. Martin Gansau vom Quartiersmanagement Nordstadt eröffnet die Gesprächsrunde, die dem Austausch unter den Bewohner*innen dienen soll: was läuft gut, was läuft schlecht? Was kann verbessert werden? Im Laufe des Abends wurden verschiedene Sichtweisen aufgrund verschiedener Ansprüche der Bewohner*innen dieses Stadtteils deutlich.
Familienzentrum schafft Grundlage für ein gutes Leben von Kindern und Jugendlichen in der Nordstadt
Die Leiterin des Familienzentrums Dürener Straße kann eine positive Entwicklung einer für Kinder und Jugendliche wenig positiven Umgebung vermitteln: bis zum Sommer würden alle Räume renoviert sein, es wird zusätzlichen Platz für bis zu 130 Kinder geben, auch sechs Plätze für Kinder unter drei Jahren.
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Die Kinder, die in Sachen Kindergarten noch völlig unerfahren sind, stellen dabei eine extra Herausforderung dar, weshalb diese nach und nach aufgenommen würden. Von April dieses Jahres an bis zum März 2020 werden 110 neue Kinder aufgenommen, auf die unterschiedlichen Sprachkenntnisse wird ebenfalls Rücksicht genommen.
In Zusammenarbeit mit dem Dortmunder U gibt es außerdem Kulturangebote, bei denen Trickfilme produziert wurden, jetzt soll das Angebot mit Musikangeboten ausgebaut werden. „Wir versuchen, den Bedarf abzudecken“, so die Leiterin Sabine Braun. Jungen und Mädchen sind nach Geschlechtern getrennt in Gruppen zusammengefasst, weil es, so die Überzeugung der Leitung Sabine Braun, zuviele Raufereien gäbe. Nur abends, beim gemeinsamen Snack seien alle zusammen in einem Raum.
Nach 16.30 Uhr sei der Bolzplatz auf dem Außengelände auch für Nicht-Angehörige des Familienzentrums nutzbar. Das Engagement dieses Hauses für die Bewohner*innen des Quartiers Borsigplatz ist beträchtlich.
Kriminalität auch Thema auf Spiel- und Bolzplätzen durch fremde Personen außerhalb des Familienzentrums
Stichwort Außengelände des Familienzentrums. Ein Spielplatz und Bolzplatz ist vorhanden, Kinder und Jugendliche müssen auch mal toben, sich ausleben können. Die Umgebung lässt dies aber nur bedingt zu, wie eine Anwohnerin und Mitglied des Elternbeirats berichtet.
„Ich kann meinen 14-jährigen Sohn nicht auf den Bolzplatz lassen, weil dort Gleichaltrige mit Bierflasche in der Hand ihm Zigaretten anbieten. Wenn er „nein“ sagt, drohen sie ihm Schläge an.“ Die Erzieher*innen des Familienzentrums müssen regelmäßig morgens Spritzen aus dem Sandkasten holen. Der Spielplatz wird leider nicht nur von Kindern und Jugendlichen genutzt.
Nicole Kowalski, Leiterin des Bezirksdienstes der Polizei Dortmund Wache Nord, kennt das Problem. Die Polizei würde immer kommen, Platzverweise erteilen, könne aber auch nicht viel machen, wenn der Beschuldigte nicht gehe. Das ganze sei ein gesellschaftliches Problem.
Polizistin: „Man kann die Leute auch nicht zwingen, ins Café Berta zu gehen!“
Die Vertreterin des Elternbeirats beklagt auch störende Personengruppen auf dem Spielplatz. Trinker, die oft genug in Streit geraten, rauchen – was eigentlich dort verboten ist und belagern einen Ort, an dem sich Kinder eigentlich wohl fühlen sollen.
„Die Kinder bekommen das alles mit.“ Morgens, wenn sie ihre Kinder zum Kindergarten bringe, stünden massenweise Bierflaschen auf dem Spielplatz.
Diese Personengruppen, mag sich mancher von ihnen auch belästigt fühlen, existieren ebenfalls – nicht nur im Quartier Borsigplatz. Aber es stellt sich die Frage, warum es nicht ein zweites „Café Berta“ gibt, in dem sich diese Menschen treffen können. Polizistin Kowalski widerspricht: „Ich hatte mal einen, den ich mit behördlicher Unterstützung in eine feste Wohnung bringen wollte. Er hat das abgelehnt. Man kann die Leute auch nicht zwingen, ins Café Berta zu gehen!“
Allerdings kann es auch nicht als alltäglich und normal gelten, wenn diese Trinkergruppen sich auf Spielplätzen aufhalten. Ein zweites Café Berta wäre mehr als notwendig, damit diese Menschen einen festen Treffpunkt haben, an dem sie die Kinder und Eltern nicht belästigen. Denn diese Trinkergruppen existieren nunmal, lösen sich nicht in Luft auf.
Thema Wohnen und Gentrifizierung: viel passiert bei der Haussanierung, wenig auf den Wegen von A nach B
Vivawest-Vertreter Maurizio Lindemann betont, wie sich sein Unternehmen in der Nordstadt engagiert habe. Tatsächlich können sich die Mietshäuser in der Straße Lütgenholz sehen lassen: Fassaden wurden neu gestrichen, die Innenhöfe gesäubert und einladend gestaltet. Um das Sicherheitsgefühl von Passant*innen und Mieter*innen zu erhöhen, hat Vivawest im Bereich Dreher- und Schlosserstraße eine Fassadenbeleuchtung installiert. „Angsträume sollen entschärft werden“, so der Immobilienunternehmer.
Schöne Häuser, anständige Wohnungen sind wichtig für das Quartier, ohne Frage. Das Problem bleibt die Situation auf den Wegen zwischen dem Zuhause und der Kindertagesstätte, der Schule u.a. Die Vertreterin des Elternbeirats vom Familienzentrum moniert, dass ihre Kinder regelmäßig von Fremden angesprochen würden, wenn sie mit ihnen unterwegs sei.
Nicole Kowalski kennt das Problem, dass Drogenhändler z. B. vor der Pizzeria am Borsigplatz herumstünden. Man sei auch mit zivilen Kräften vor Ort, doch: die Nachfrage sei da und sobald man einen Teil der Drogendealer festgesetzt und kontrolliert habe, komme schon der nächste auf die Straße. Drogendealer verschwinden nicht und kommen wieder wie die Köpfe der Hydra in der griechisch-antiken Sage.
Viele Häuser wurden neu gestaltet und wirken sich positiv auf das Stadtbild aus: Beispiel Lütgenholz
Die renovierten Mietshäuser in der Straße Lütgenholz können sich durchaus sehen lassen. Dem Vermieter Vivawest sei dabei auch die Gestaltung der Innenhöfe wichtig gewesen: Menschen sollen sich dort begegnen können, alteingesessene Mieter*innen nicht durch Gentrifizierungsprozesse plötzlich ausziehen müssen.
„Micro-Quartiere“ nennt Lindemann das, Nachbarn sollen sich vernetzten, Innenhöfe etwas positives nach außen tragen. Dies müsse professionell begleitet werden. Dabei arbeitet Vivawest eng mit GrünBau zusammen, um z.B. Nachbarschaftsfeste oder Baumscheibenbepflanzungen zu veranstalten. Demnächst soll auch ein Bienenstock im Lütgenholz entstehen.
Weniger ansehnlich und manchmal auch als gefährlich wird allerdings die Straße Lütgenholz selbst empfunden: viele Schlaglöcher, Müll am Straßenrand und auf der Straße, immer wieder schwierige Zeitgenossen, die Passant*innen anbetteln oder auch bedrohen, wenn sie nicht das geforderte Geld etc. bekommen.
Der „Schweinetunnel“, die Bahnunterführung am Ende der Straße Lütgenholz, die zur Heroldstraße führt, ist kein schöner Ort. Dort soll es in der kommenden Woche wieder eine Saubermach-Aktion geben. Ob sich aber auch manche Passant*innen dann daran halten, diesen Ort sauber wieder zu verlassen, ist fraglich. Baumscheibenpflanzungen kämen immer gut an, ist sich Martin Gansau vom Quartiersmanagement sicher. Der Müll, der vorher dort lag, läge dann an der benachbarten Baumscheibe.
Wohnen können und wohnen bleiben können: Image-Pflege für den Stadtteil Nordstadt Dortmund
Eine gute Nachbarschaft wirke sich immer auf den Zustand der Umgebung aus, davon ist man bei Vivawest überzeugt. Maurizio Lindemann erläutert dazu die Mieter*innenbefragung, die sie durchgeführt hätten: welche Art von Mieter*in wohnt bei uns? Wie lange schon wohnen diese Menschen bei uns? Man hätte in seinem Beruf ein geschultes Auge, wie Menschen seien. Man wolle dem Vorurteil einer „No-Go-Area“ entgegenwirken.
So würden auch in Bestandswohnungen keine Modernisierungen durchgeführt, damit es keine Verdrängungsprozesse gebe. Raumplanungs-Student Max kritisiert jedoch, dass der Quadratmeterpreis Gentrifizierungsprozesse bewirken würde. Deshalb würde man mit langjährigen Mieter*innen verhandeln, damit die Miete bezahlbar bleibe, entgegnet Lindemann von Vivawest.
„Wir wurden aufgeklärt, es waren aber nur drei Leute bei der Infoveranstaltung da“, sagt eine anwesende Mieterin. Die Miete sei noch im Rahmen dessen, was man bezahlen könne. Die Nordstadt ist ein Stadtteil für wenig begüterte Menschen, die eben auf niedrige Mieten angewiesen sind. Für Bezirksbürgermeister Ludwig Jörder sind 30 Prozent Hartz-IV-Empfänger*inne aber für die Nordstadt zuviel. Wie er jedoch die Anzahl dieser Personengruppe verringern will, erklärte er beim nachbarschaftlichen Austausch nicht.
Was also tun gegen Gentrifizierung? Gemischte Wohnformen von verschiedenen Personengruppen wurden ins Gespräch gebracht. Die Forderung, dass der Vermieter Vivawest besser mit den Mieter*innen kommunizieren müßte, wurde laut.
Gesellschaftliche Strukturen dürften bei der Vermietung nicht außer acht gelassen werden. Für Rats-Vertreter Thomas Bahr von der CDU führt hingegen eine Mietpreissteigerung nicht zwangsläufig zur Gentrifizierung, ebenso wie Hartz-IV-Bezug nicht zur Verdrängung führe.
Schöne Hausfassaden – hässliche Plätze: Borsigplatz zeigt das Problem bei der Gestaltung des öffentlichen Raums
Es gibt keine Tages- oder Nachtzeit, zu der wirklich Ruhe auf dem Borsigplatz herrscht. Durchgangsverkehr, der von der Brackeler Straße in die Stadt strömt, macht es fast unmöglich, das eigene Wort zu verstehen. Die Belastung durch die Abgase ist enorm, Dortmund ist einer der am meisten mit Stickoxid belasteten Kommunen in NRW.
Manche LKW-Fahrer*innen nutzen auch die Wambeler Straße, um das Fahrverbot für Fahrzeuge mit einem Gewicht von über 2,8 t zu umgehen. Eine unzumutbare Belastung für die Antwohner*innen. „Es gibt keine Begegnungsräume“, kritisiert Maren, die Soziale Arbeit an der FH studiert. Auch Raumplanungs-Student Max moniert die Gestaltung des Borsigplatzes: zwei breite Fahrspuren, eine Minispur für Fahrräder, durchgehend eine Parkplatzspur. Viel Platz für Fußgänger*innen bleibt nicht.
Bei diesem Verkehrslärm möchte man sich auch nicht unbedingt auf die wenigen vorhandene Bänke setzen. Max bringt einen Vorschlag ins Spiel: die Straße von außen nach innen zu planen, sprich: erst Wege für den Fuß- und Radverkehr zu planen, dann für Autos. Eine schöne Vorstellung, die heute wie eine Utopie erscheint: zu oft wird man mit dem Rad abgedrängt, angehupt, der ohnehin schmale Radstreifen wird zu oft von Autofahrenden zugeparkt, weil diese „nur mal schnell Zigaretten holen“ wollen.
Weitere Austauschveranstaltungen sind geplant
Von seiten des Ordungsamtes erfolgt keine Kontrolle, auch von der Polizei nicht. Überhaupt haben Radfahrende keinen Platz im Quartier Borsigplatz: die Straße Oestermärsch ist mit ihren vier Straßenbahnschienen und Parkbuchten auf jeder Straßenseite eine große Gefahrenquelle für Unfälle. Die ohnehin schmale Straße wird durch Schienen und parkendes Blech noch schmaler, die Fahrradreifen können in die Schiene geraten, sich plötzlich öffnende Autotüren könnten zu Stürzen führen. Zukunftsgerichtete Mobilität sieht anders aus: Stärkung des Radverkehrs statt Parkplätze für Blech.
Am Ende der Diskussion wurde deutlich: alle Räume, ganz gleich ob es sich um Innenhöfe, Wohnungen oder den öffentlichen Raum auf der Straße und neben der Straße, auf den Plätzen handelt, müssen eine vernünftige Aufenthaltsqualität haben. „Man muss den Raum annehmen können und sich mit dem eigenen Wohn-Ort identifizieren können“, ist Lindemann von Vivawest überzeugt. Raumplaner Max wendet aber ein: „Das muss auch für den Weg Wohnung zur Schule, Kita u.a. zutreffen, so dass subjektive und objektive Sicherheit entsteht.“ Für die Zukunft ist ein zweiter Nachbarschaftlicher Austausch Borsigplatz geplant.
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