Auch nach Jahren leiden Menschen in Dortmund an den Auswirkungen einer Corona-Erkrankung

Long Covid als Folge: Eine Selbsthilfegruppe reicht nicht aus

Für viele Dortmunder:innen sind die Folgen von Corona noch immer Alltag. Foto: pixabay

Fünf Jahre ist der Beginn der Corona-Epidemie her. Im März 2020 ging die Welt in den ersten Lockdown. Bei strahlendem Wetter liefen einzelne Menschen durch die verwaiste Innenstadt, um in der einzigen offenen Drogerie nach Klopapier zu suchen. Damals war die Hoffnung, dass wenige Woche reichen würden, um das Schlimmste abzuwenden. Fünf Jahre später wissen alle: So schnell wird das nicht gehen. Die letzte Corona-Welle tauchte nicht mal in den Medien auf, Masken könnten gegen Grippe helfen, aber sind kaum im Stadtbild sichtbar. Allein die Desinfektionsspender hängen weiter in Arztpraxen.

Auch mit einer Impfung langfristig geschädigt

Corona bestimmt aber für viele Menschen heute noch den Alltag, jede Stunde an jedem Tag. Ihre neue Normalität ist Long Covid. Sie haben sich nie von einer Corona-Infektion erholt und kämpfen täglich mit den Auswirkungen. In Dortmund versammeln sie sich in Selbsthilfegruppen und versuchen sich gegenseitig Mut zuzusprechen. Denn eine Heilung ist nicht in Sicht. „Es ist in der Gruppe schon gut, wenn man zumindest nicht erklären muss, dass man wirklich Long-Covid hat“, erzählt Sven. Er möchte, wie alle Interviewpartner von Nordstadtblogger, nicht mit vollem Namen auftreten.

Für viele der Anfang einer langen Krankheit: ein positiver Corona-Test
Für viele der Anfang einer langen Krankheit: ein positiver Corona-Test. Foto: Privat

Der Informatiker ist 45 und wirkt bis heute sportlich und energiegeladen. Er arbeitet für eine große Versicherung und hat dort einiges angeleiert. „Ich habe dort einiges angestoßen und über die Zeit eine neue Abteilung aufgebaut.“ Mit ihr wollte er den Laden auf links drehen. Denn optimieren ist seine Leidenschaft.

„Ich bin eigentlich immer dabei irgendwas zu machen. Wenn ich nicht arbeite, dann renoviere ich das Haus. Meine Frau und ich haben drei Kinder, dann ist es eh nicht langweilig. Also früher“, erzählt er.

Bis Corona war er körperlich fit und dreifach geimpft. Entsprechend machte er sich keine Gedanken um eine Ansteckung. Bei drei Kindern im Schulalter hielt er sie eh für unvermeidlich. Im Juni 2022 war es dann so weit – und es dauerte sechs Wochen, bis er die ersten Symptome überstanden hatte. „Das war extrem heftig und bei mir ging gar nichts.“

Das normale Alltagsleben wird zu anstrengend

Laut Studien an der Charité gibt es kaum Hoffnung auf Heilung für Long Covid. Wer nach sechs Monaten noch an Symptomen wie Konzentrationsschwäche, Erschöpfung und geringe Belastbarkeit oder Schmerzen leidet, muss sich in einem neuen Leben einrichten. Arbeiten ist schwierig, Hobbies sind kaum möglich. Das Tückischste an dem Symptom: Es gibt keinen Trainingseffekt, um die Ausdauer wieder zu steigern. Jede Anstrengung kann zu einem sogenannten Crash führen und Fortschritte wieder zunichte machen.

Das normale Leben wird zu anstregend. Symbolfoto: depositphotos.com

Die einzige Methode für die Patienten ist „pacing“ – auf Deutsch würde man sagen: Mach mal halblang! Was erstmal entspannt klingt, führt jedoch im Alltag zu reichlich Schwierigkeiten. In schweren Fällen können die Betroffenen nicht mehr aufstehen oder einer Unterhaltung folgen.

Geräusche und Licht können schon zu viel sein. In der Dortmunder Selbsthilfegruppe sammeln sich Menschen, die nur noch Teilzeit oder gar nicht mehr arbeiten können, aber zumindest noch teilweise am Leben teilnehmen können. Wie Claudia.

„Ich würde so gerne mal wieder tanzen gehen“, antwortet sie auf die Frage, was sie sich für ihr Leben wünscht. Die Verkäuferin in einem Inneneinrichtungsladen steckte sich bei ihrer Arbeit an. „Ich konnte während der Infektion nichts. Gar nichts“, erzählt sie. Und seitdem ist es auch nicht mehr gut geworden. Seit zwei Jahren und neun Monaten ist sie krank, die ersten anderthalb Jahre war sie krankgeschrieben und versuchte wieder auf die Beine zu kommen.

Die Medizin hat bisher keine Angebote

Aber das Gesundheitssystem hatte keine Angebote für sie. „Das Problem ist, dass man beispielsweise auf Rehas geschickt wird, aber die gar nichts für Long-Covid bringen“, erzählt sie. Bei einer Reha bekommt sie ihre zweite Covid-Infektion. Aber arbeitsfähig oder belastbar wird sie dadurch nicht.

In Arztpraxen fehlt es an Schutzbekleidung - Betroffene sollen sie daher häufig nicht mehr betreten.
Bei Long-Covid ist die Medizin oft ratlos. Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger

Finanziell wird es auch bald eng. Wer lange ausfällt, kann nur 18 Monate auf Krankengeld hoffen, danach kommt die Erwerbsminderungsrente. Claudia blieb mit rund 40 Jahren nur der Schritt in Rente zu gehen – derzeit noch befristet. „Das reicht vorne und hinten nicht. Wenn ich meine Fixkosten gedeckt habe, bleibt nichts mehr übrig.“

Aber eine Verbesserung ist weiterhin nicht in Sicht. Zu der Frustration eines Lebens auf Pause kommt auch der Schock, was alles nicht mehr funktioniert. „Ich konnte zum Beispiel einfachste Rechenaufgaben nicht mehr lösen. Mein Hirn hat einfach gestreikt. Und dann sagen Leute ‚Vielleicht konntest du das ja in Wirklichkeit noch nie.‘ Aber ich hatte Mathe Leistungskurs im Abi. Ich glaube schon, dass ich das mal konnte.“ Das zeige, dass die Beschwerden nicht ernst genommen werden.

Sven hat über verschiedene Eingliederungsmaßnahmen versucht, wieder in den Beruf zu kommen. Aber trotz mehrerer Anläufe konnte er nicht vollständig wieder einsteigen. Heute hat er einen Schwerbehindertenausweis, die Leitung seiner Abteilung musste er aufgeben. Derzeit arbeitet er Teilzeit. „Aber wenn ich 20 Minuten ins Büro fahren muss, statt im Homeoffice zu arbeiten, dann kann das schon zu viel sein“, sagt er über seine fehlende Ausdauer. Dabei fühlt er sich bei seinem Hausarzt im Gegensatz zu vielen Long-Covid-Betroffenen gut aufgehoben. „Mein Arzt liest viel und bildet sich weiter. Aber am Ende gibt es einfach keine wirksame Behandlung.“

Selbsthilfe heißt auch Verständnis haben

In der Selbsthilfegruppe tauschen sich die Betroffenen aus. Manche konnten zu Corona-Ambulanzen, aber diese sind inzwischen wieder geschlossen. Termine bei Fachärzten sind selten und mit langen Wartezeiten verbunden. Mit jedem Arztwechsel beginnt die Erklärung von vorne, erzählen sie. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Theorien zu Behandlungsansätzen, die zumindest eine Verbesserung versprachen. „Aber davon kommt oft gar nichts bei den Ärzten an. Wir sprechen sie an, aber sie haben davon noch nie gehört“, so Claudia.

Austausch und Verständnis hilft dabei, den Alltag zu bewältigen Symbolbild: pixabay

Teilweise schien die Impfung die Symptome zu lindern, dann gab es wieder Behandlungen, die verschiedene Medikamente kombinierten. Aber als nachhaltig hat sich bislang kein Ansatz erwiesen. Oft werden nur Symptome behandelt, beispielsweise Botox gegen chronische Kopfschmerzen eingesetzt. Was fehlt? „Es sollte mehr Forschung geben. Das war angekündigt und das ist notwendig. Nach jeder Corona-Welle gibt es neue Fälle. Aber wir sind irgendwie vergessen worden“, so Claudia und Sven einhellig.

Die Selbsthilfegruppe von Sven und Claudia kann keine Mitglieder mehr aufnehmen. Zu viele suchen nach Unterstützung.  Im vergangenen Herbst gründete sich eine zweite Gruppe. Denn nach jeder Corona-Welle bleiben ein paar Leute zurück, die sich nie vollständig erholen. Menschen, die Hilfe suchen, können sich in Dortmund an die Selbsthilfe Kontaktgruppe des Paritätischen Bundes wenden.

Kontakt: selbsthilfe-dortmund.de


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