Das Westfälische Schulmuseum Dortmund bietet monatlich eine besondere Sprechstunde für alte deutsche Handschriften an. Wer Tagebücher, Briefe oder andere historische Dokumente besitzt, die in Kurrent, Sütterlin oder ähnlichen Schreibschriften verfasst sind, kann sich dort Unterstützung beim Lesen holen. Diese Schriften, die besonders im 19. und frühen 20. Jahrhundert weit verbreitet waren, stellen für viele eine Herausforderung dar. Früher wurden sie in der Schule unterrichtet, oft als verbindliche Schreibweise – und das lange vor der Einführung von Schreibmaschinen. Etabliert hat sich das Angebot durch die Ausstellung „Oma, kannst du das lesen?“, welche vom 19. Mai 2019 bis 12. Januar 2020 im Westfälischen Schulmuseum stattfand.
Monatlich gibt es Sprechstunden für alte deutsche Schriften
Die Expert:innen des Schulmuseums helfen, Texte aus der alten Schrift in die heutige zu übertragen. „Viele Besucher:innen bringen Dokumente mit, die für sie eine persönliche oder historische Bedeutung haben, aber sie können die Texte nicht selbst lesen“, erklärt Michael Dückershoff, der Museumsleiter und einer der Schriftleser.
„Ich habe die Sütterlinschrift selbst als Schönschrift in den 1970er Jahren gelernt“, erzählt Dückershoff. Früher mussten Schüler:innen die Kurrent- oder Sütterlinschrift mit der Hand und mit Feder und Tinte schreiben – eine Herausforderung, die viel Übung verlangte. ___STEADY_PAYWALL___
Im Westfälischen Schulmuseum sind viele Originaldokumente in Sütterlin oder Kurrent verfasst, weshalb das Personal diese Schriften ebenfalls beherrschen muss. „Es ist nicht nur ein fachliches Interesse, sondern eine Notwendigkeit, diese Schriften zu lernen, um mit den Beständen des Museums und den Anfragen der Besucher:innen umgehen zu können“, so Dückershoff.
Häufige Fundstücke: Briefe, Verträge und persönliche Erlebnisse
„Die Dokumente die am häufigsten mitgebracht werden, sind Briefe und Postkarten, insbesondere aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs“, sagt Dückershoff. „Viele Menschen haben solche Schriftstücke von ihren Eltern oder Großeltern, die oft bewegende Geschichten erzählen.“
Neben diesen Erinnerungsstücken kommen auch Kaufverträge, Taufzettel und rechtliche Vereinbarungen aus dem 19.Jahrhundert immer wieder ins Museum. „Diese Dokumente haben nicht nur rechtliche Bedeutung, sondern auch eine historische Relevanz“, erklärt er.
„Es ist auch sehr berührend, wenn Menschen durch diese alten Schriften ihre Vorfahren besser kennenlernen. Manchmal kommen sie mit Dokumenten, in denen Paare aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs Karten oder Briefe aneinander geschrieben haben“, berichtet Dückershoff. „Diese persönlichen Einblicke in die Vergangenheit sind für viele Besucher:innen sehr wertvoll.“
Alte Dokumente und bewegende Geschichten
Eine Besucherin brachte beispielsweise Kaufverträge ihres Urgroßvaters aus dem Jahr 1871 mit, die sie selbst nicht lesen konnte. „Es ging um ein Grundstück, das auf der Grenze zweier Flächen lag – das war nicht nur rechtlich von Interesse, sondern auch historisch bedeutend“, berichtet der Museumsleiter.
Einer anderen Besucherin wurde ein Feldpostbrief aus dem Zweiten Weltkrieg vorgelegt. Darin schrieb ihre Großmutter an ihren Sohn an der Front.
Sie erzählte von selbstgebackenen Spekulatius, einem Paket mit Zigaretten und der Hoffnung, bald wieder zusammen feiern zu können.
„Für mich sind diese Briefe wie Botschaften aus der Vergangenheit“, sagte die Besucherin. „Es fühlt sich an, als würde ich mit meiner Oma sprechen.“
Auch Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg finden ihren Weg ins Museum. Ein Besucher brachte die Kriegstagebücher seines Vaters mit, der damals in einer Nachrichtenabteilung während des Zweiten Weltkriegs tätig war.
Neben den ernsten Einträgen fand sich darin auch ein heiterer Hinweis: Der Vater hatte in seinen Mitschriften auch Anleitungen über den Schnapsbrau, die dem Besucher nicht unbekannt waren. „Es war, als würde ich meinem Vater durch diese Zeilen noch einmal begegnen“, sagte er mit einem Lächeln und Tränen in den Augen.
Eine Arbeit, die nicht spurlos an einem vorbeigeht
„Die Menschen kommen nicht nur mit Dokumenten, sondern auch mit Geschichten, die sie teilen möchten“, sagt Michael Dückershoff. „Es ist eine große Freude, ihnen zu helfen, ihre Wurzeln zu entdecken und einen tieferen Einblick in ihre Familiengeschichte zu bekommen.“
„Es ist nicht immer einfach, die alten Texte zu entziffern. Manchmal werden wir richtig mitgerissen von den Erlebnissen, die uns durch diese Schriften begegnen“ ergänzt Dückershoff.
„Als Historiker und jemand, der sich mit dem Kriegsalltag beschäftigt hat, weiß ich, dass diese Geschichten nicht spurlos an einem vorbeigehen. Es ist sehr berührend, den Besucher:innen helfen zu können, die Geschichte ihrer Familien zu entdecken – auch wenn sie ihre Verwandten nicht mehr persönlich fragen können.“
Weitere Informationen:
- Die Sprechstunde für alte deutsche Schriften findet jeden ersten Dienstag im Monat im Westfälischen Schulmuseum Dortmund, An der Wasserburg 1, statt.
- Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung wird unter der Telefonnummer 0231 613095 gebeten.
- Aufgrund anstehender Sanierungsarbeiten ist das Museum selbst seit Januar 2025 geschlossen. Besucher:innen werden gebeten, vor Ort zu klingeln, um eingelassen zu werden.
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