Alles hat ein Ende – der Satz gilt auch für das Stipendiat:innen-Programm der Akademie für Theater und Digitalität. Zum letzten Mal präsentierten Ende Juni 2024 zwei Teams noch einmal eindrücklich wohin die Begegnung von Schauspiel und künstlicher Intelligenz führen kann. Und zumindest hier ist das Ende noch nicht abzusehen.
Neun Fellowships, 45 Projekte und 73 Stipendiat:innen aus 20 Ländern
Nach fünf Jahren Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes ist Schluss mit dem bundesweit einmaligen Forschungsangebot an der Akademie für Theater und Digitalität. Die Bilanz: neun Fellowships, 45 Projekte und 73 Stipendiat:innen aus insgesamt 20 Ländern.
Eine Million Euro war der Stiftung dieses Angebot wert und Julian Stahl, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kultur & Digitalität, freut sich „dass so viele internationale Künstler:innen an der Akademie experimentieren und ohne Produktionsdruck arbeiten konnten“. ___STEADY_PAYWALL___
Er ist überzeugt: „Die Fellowships konnten entscheidende Impulse zur Kultur der Digitalität in den Darstellenden Künsten geben.“ Wie es nach diesem Anschub weitergeht ist offen, aber einige der ehemaligen Stipendiat:innen sind auch heute gekommen, um sich die Neuen und ihre Projekte anzuschauen und über Trends und Ideen zu diskutieren.
„Mit Hamlet verbindet uns die Frage: Ist da mehr?“
Das US-amerikanische Duo Michael Rau und Michael Yates Crowley und die in Berlin lebende Kunstschaffende Janne Kummer sind die letzten Fellows des Programms.
Rau, Crowley und der Programmierer Asa Wember haben sich für ihre Experimente Shakespeares Hamlet vorgenommen, denn „mit Hamlet verbindet uns die Frage: Ist da mehr?“, erzählt Crowley, selbst Schriftsteller und Schauspieler.
Innerhalb eines geschlossenen Systems wurden simultan verschiedene KI Bild- und Textgeneratorkonzepte gekoppelt und mit dem Originaltext von Shakespeare gefüttert. Nun führen sie dem Publikum vor, was so geht in Sachen „Theaterkollaboration mit KI“.
Crowley steht allein vor der grünen Leinwand, mit Brokatumhang und einer Kaffeetasse – Wember bestimmt die Parameter und befiehlt dem System „Hamlet“.
Die KI generiert Bilder mit Krone, majestätische Gewänder, die Tasse wird zum Totenschädel. „Sein oder nicht sein?“ spielt offenbar keine Rolle mehr, denn bereits aus dem Muster des Umhangs konstruiert das System ganze Landschaften. „Ist das Kreativität oder Zufallsrauschen?“ fragt sich nicht nur Crowley.
Die KI als Co-Autor? Worin besteht der Benefit für das Theater?
Das Publikum hat zumindest Spaß, vor allem mit dem KI-Textgenerator. Es bleibt beim Thema Hamlet, zusätzliche Parameter: zwei weitere Charaktere, der Aspekt „Zugverspätung“ und alles im Dialogstil „Star Trek“.
Wenige Minuten vergehen, die Schauspieler:innen erhalten den Text über Kopfhörer: Hamlet und Ophelia befinden sich im verspäteten ICE, die Macht ist mit ihnen und der kuriose Textmix sorgt für Gelächter bei den Zuschauer:innen.
Untertitel, Übersetzungen, neue inhaltliche Aspekte – die künstliche Intelligenz arbeitet live mit dem Team, aber hat sie deswegen den Status eines Co-Autors? Gewinnen wir dem Hamlet durch ihren Einsatz etwas Neues ab?
„Der Arbeitsprozess und die Diskussionen waren für uns interessanter als die Ergebnisse“, so Crowley. Er findet es „creepy“ und aus der Perspektive des Autors sagt er „Nein, das ist nicht auch Hamlet. Aber vielleicht bin ich ja ein wenig rückwärts gerichtet.“
Wer füttert das System? Daten und Bilder als Ausdruck von Machtverhältnissen
Ist die KI nun selbst kreativ oder nur Werkzeug? Hier und da überrascht sie, Input ist nicht gleich Output – doch ist das schon künstlerisch? Wie arbeite ich mit diesem Werkzeug? Was gebe ich hinein und auf welche Daten greift die KI dann zurück?
Fragen, die Janne Kummer beschäftigen. Sie hat sich das Thema Körper bzw. Körperbilder für ihre künstlerische-Forschung ausgesucht und findet die KI-Systeme geradezu reaktionär: „Es sind immer die gleiche Bilder von Frauen, konservative Schönheitsideale, optimierte Körper – was die KI hier generiert ist eindimensional und aus feministischer Sicht ein großer Rückschritt“, so Kummer.
Das wundert sie nicht, „denn in den Daten und Normen auf die aktuell zurückgegriffen wird, drücken sich auch Machtverhältnissen aus. Sie basieren auf Vorstellungen, die in erster Linie von weißen Männer definiert wurden.“
Kummer will mit ihrer Arbeit dagegen halten, anderen Input liefern und die Chance erhöhen neue Bilder zu generieren.
Künstlerische Interaktion mit einer neuen Form des Avatars
In den Mittelpunkt ihrer Performance stellt sie an diesem Abend ihren eigenen Körper, ausgestattet mit einem Motion Capture-Anzug. Sensoren übertragen ihre Bewegung und werden zu denen des Avatars auf der Leinwand über ihr.
Er selbst erscheint als schillernde, fragile Figur aus Licht und bunten Scherben. Ein vielschichtiger und fluider Charakter, der seinen Platz zwischen Spiegeln sucht. Er ist das Gegenteil des sonst üblichen perfekten und optimierten Selbst und damit zweifellos das passendere künstlerische Äquivalent für die Akteurin.
Entwickelt hat sie den Avatar gemeinsam mit Warja Rybakova und sie „fühlt sich wohl mit ihm“. Die Blicke des Publikums richten sich abwechselnd auf das Geschehen auf dem Screen und die Bewegungen der Performerin im Dunkel des Bühnenraums
Später sagt sie, es sei nicht wichtig, wohin wir schauen, aber der Körper auf der Bühne, der sei der verletzbarere. Am Ende steht sie wieder allein im Rampenlicht, verschwitzt und ein wenig erschöpft. Die Magie dieser Performance, sie lag irgendwo im Dazwischen.
Kummer wird weiter an ihren Themen arbeiten, im Oktober hat sie ein Engagement am Theater HAU in Berlin. Auch die anderen Fellows machen sich auf den Weg. „Hier ist ein Netzwerk entstanden“, sagt Dramaturg Michael Eickhoff „die Kompetenz die wir hier geschult haben ist europaweit verteilt und auch wenn das Programm endet – die Arbeit geht weiter.“
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!