Die von Dr. Sahra Wagenknecht im September 2018 initiierte Bewegung „Aufstehen“ hat nach eigenen Angaben mittlerweile 170.000 UnterstützerInnen. Doch so richtig rund läuft es noch nicht. Selbst Oskar Lafontaine, einer der Mitinitiatoren und Ehemann von Wagenknecht, schätzte kürzlich realistisch ein, da sei noch „Luft nach oben“. Er sprach auch von organisatorischen Schwierigkeiten.
Florian Kirner, Mitstreiter der ersten Stunde, wollte beinahe hinschmeißen
Diese Feststellung unterstrich der nicht nur davon arg genervte Florian Kirner (aka Prinz Chaos II) am Rande der Veranstaltung im Gespräch mit Nordstadtblogger.
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Kirner – Journalist, Kabarettist und Liedermacher – war eigens aus dem thüringischen Hildburghausen, wo er seit Jahren das Schloss Weitersroda, nach und nach restauriert, per Zug nach Dortmund angereist, bewohnt.
Die Zukunft von Aufstehen sah er skeptisch. Vielleicht sogar ein wenig hoffnungslos. Auf der Zugfahrt ins Ruhrgebiet sei ihm, dem Mitstreiter von Aufstehen der ersten Stunde, sogar der Gedanke durch den Kopf gegangen am Sonntag alles hinzuschmeißen.
Gegenüber den TeilnehmerInnen des Aufstehen AktionsCampus revidierte er später zu deren mit kräftigem Applaus unterstrichener Freude und Erleichterung diesen Gedanken wieder. Kirner war einfach von der Energie und der Entschlossenheit der angereisten Menschen überwältigt.
Marco Bülow: Es ist noch nicht gelungen, den Protest auf die Straße zu tragen
Am Samstag fand im BierCaféWest in Dortmund, Lange Straße, am Rande des Westparks ein Aufstehen-AktionsCampus“ statt. Im Gespräch mit Nordstadtblogger berichtet der aus der SPD ausgetretene Bundestagsabgeordnete Marco Bülow – er gehört dem vorläufigen Vorstand von Aufstehen an – von der Existenz von bundesweit ca. 200 Basisgruppen.
Allerdings teilte sich diese meistens in Stadtteilgruppen. In Dortmund gebe es mehrere Stadteilgruppen, die alle unterschiedlich aktiv seien. Dennoch müsse man sagen, dass es schon relative viele aktive Gruppen gibt.
„Was wir halt noch nicht geschafft haben, ist, den Protest und unsere Position auf die Straße zu bringen. Es wird gearbeitet. Aber die richtige Entfaltung fehlt noch“, betont Bülow.
Sabrina Hofmann: Mit einer Grundsatzkampagne das Profil schärfen
Sabrina Hofmann, ebenfalls im vorläufigen Vorstand von Aufstehen Dortmund, ergänzte, dass man mit einer Grundsatzkampagne anfangen möchte, „die ein bisschen das Profil schärft“. Bei Aufstehen müsse es sich um die soziale Frage drehen.
Die Kampagne die man starte, heiße #Würdeist und baue auf der #unten-Kampagne von Christian Baron in der Wochenzeitung „der Freitag“ auf. Da sei über die Klassengesellschaft diskutiert worden.
Aufstehen, so Sabrina Hofmann, werde zunächst einmal eine Mitmach-Aktion im Internet ins Laufen bringen. Dabei sollen Definitionen gesammelt werden, was Mensch unter Würde verstünden.
Marco Bülow kündigte für den Sommer einen Aufstehen-Bundeskongress an
Sinn der Veranstaltung im BierCafé sei es vor allem, erklärte Marco Bülow, „die Leute ein bisschen zu ertüchtigen“. Und zu erörtern, was man für Aktionen, welche Kampagnen machen könne. Auch während des AktionsCampus wolle man Ideen für die #Würdeist – Kampagne sammeln, um herauszufinden, wie das Thema am Besten zu besetzen wäre.
In Dortmund beispielsweise sei die Aktion zur Obdachlosigkeit – äußerst passend zum Thema Würde – gemacht worden. In der Hauptsache gehe es an diesem Samstag um Vernetzung und darum, aufzufordern, aktiv zu werden.
Zu einer nächstens geplanten Großveranstaltung befragt, nannte Marco Bülow einen ins Auge gefassten und auch durchgesetzten Bundeskongress in Berlin. Dort solle die Basis von Aufstehen auch entscheiden wie es weiter geht. Dazwischen gebe es sicher auch die eine oder andere Demo oder Kundgebung im Lande, so Bülow.
Der vorläufige Vorstand ist zunächst einmal bis zum Sommer eingesetzt, bis die Basis im Sommer selbst bestimmt wer die Bewegung führen soll. Bülow: „Es wird Delegierte geben, denke ich mal, die die Basis aufstellt.“ Die Bewegung, in der bis jetzt alles informell gewesen sei, werde demokratisiert. Die Initiatoren hätten einen Arbeitsausschuss einberufen.
Probleme: Kein Geld, nur Ehrenamtliche und Reibereien – jetzt werden Spenden gesammelt
Angesprochen auf im Augenblick aufgekommene Kritik u.a. in den Sozialen Netzwerken an der schlechter Organisation innerhalb der Sammlungsbewegung, erklärte Bülow, dass bis jetzt kein Geld dafür gebe. Ehrenamtliche Leute stemmten quasi alles.
Feste MitarbeiterInnen – wie in Parteien üblich – habe man eben nicht. Großes Geld hab der Verein bis jetzt nicht akquiriert können. In Sachen weiterer Demokratisierung von Aufstehen gebe es Diskussionen. Dabei sei es zu Reibungen gekommen. Einige wollten diesen Prozess beschleunigen, andere eher nicht.
Spenden würden jetzt gesammelt. „Reichlich spät zwar“, wie Bülow einräumte. Eigentlich wäre das Sache des Vereins. Nun betreibe man das als Vorstand.
Florian Kirners musikalische Einstimmung: „Nur zusammen wird es gehen“
Musikalisch stimmte Florian Kirner, wacker in die Saiten seines Instrument greifend, auf den AktionsCampus ein. Und zwar mit einem Lied, dessen Hauptaussage „Nur zusammen wird es gehen“ lautet, das als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden werden konnte.
Marco Bülow freute sich in seiner Begrüßungsansprache auf einen guten gemeinsamen Austausch, um so Ideen zu sammeln, die die Bewegung voranbrächten. Geplant waren im nicht öffentlichen Teil der Veranstaltung verschiedene Camps, wo unterschiedliche Themen diskutiert werden sollten.
Die Ergebnisse würden im weiteren Verlauf des Tages bekanntgeben und zusammengeführt. Als Abschluss war ein „Workout“ geplant, wo alle sich noch einmal miteinander austauschen können sollten.
Bülow: Die Mehrheit der Bevölkerung sei in Wirklichkeit total unzufrieden
Aufstehen sei gegründet worden, um eine „Themenhoheit zurückzugewinnen in dieser Gesellschaft“, so Bülow. Viele Jahre habe man in diesem Lande erlebt, dass von Alternativlosigkeit gesprochen worden sei, „die die ganze Gesellschaft erfasst hat“. „Das in einer Zeit wo eigentlich die Soziale Marktwirtschaft abgeschafft worden ist! Wo Ungleichheit extrem groß geworden ist.“
Der Soziologe Oliver Nachtwey habe davon gesprochen, dass aus einer Aufstiegsgesellschaft eine Abstiegsgesellschaft geworden sei. Dass habe gewiss auch die Bewegung Aufstehen entstehen lassen. Marco Bülow machte klar, „dass die Menschen nicht politikmüde, sondern, dass sie frustriert sind von der Politik“. Davon was im Bundestag und in der Bundesregierung passiere. Die Mehrheit der Bevölkerung sei in Wirklichkeit total unzufrieden mit der derzeitige Politik und wolle eine ganz andere Politik.
Bülow: „Das ist einerseits natürlich eine Gefährdung der Demokratie, andererseits aber auch ein Auftrag, sozusagen die Politik zu verändern.“ Diesen Auftrag wolle Aufstehen annehmen, um genau diesen Politikwechsel helfen herbeizuführen. Die Mehrheit der Menschen hierzulande sei parteilos. Es gelte, den Parteien auf die Füße zu treten, um besagten Politikwechsel ins Werk zu setzen.
Sabrina Hofmann skandalisierte die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft
Es wundere sie, dass nach den letzten von Oxfam veröffentlichten Zahlen alle auf der Straße seien, betonte Sabrina Hofmann. Denn das reichste Prozent der deutschen Bevölkerung besäße so viel wie 87 Prozent der ärmeren in unserer Gesellschaft. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebe in Armut. Jede zweite Rente liege unter 800 Euro.
Die Würde des Menschen werde hierzulande nicht nur täglich angetastet, sondern mit Füßen getreten. Hofmann: „Wir haben uns entschieden eine Grundsatzkampagne zu starten.“ Diese baue auf der #unten-Kampagne von Christian Baron in der Wochenzeitung „der Freitag“ auf.
Alle Aufstehen-Mitstreiter sollten ihr persönliche Definition von einen würdevollen Leben kommunizieren. Hier gehe es immerhin um die Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Die #Würdeist-Definitionen und dementsprechende Forderungen sollten gesammelt und auch in den sozialen Netzwerken geteilt werden.
Mitstreiterin Vivienne machte auf das kleine Foto-Set aufmerksam, dass am Ende eines Korridors aufgebaut worden war. Dort könnten Campus-TeilnehmerInnen ein Porträt von sich machen lassen. Dies später mit der eigenen Würde-Vorstellung beschriften bzw. auf den eigenen Kanälen (Facebook-Aufstehen-Kanal, Twitter, Instagram posten: „Damit das ein richtiger Sturm wird.“
Steve Hudson: Eine Bewegung muss von unter wirken und von dort ihre Kraft beziehen
Bevor der nichtöffentliche Teil des AktionsCampus‘ begann, machte der in der Aufstehen-Bewegung sehr aktive Steve Hudson (aus Köln), Co-Vorsitzender von Labour Germany, Aktivist bei Jeremy Corbyns Momentum-Bewegung und kritisches SPD-Mitglied den Anwesenden eindrücklich klar: Eine Bewegung müsse unbedingt von unten her wirken und ihre ganze Kraft auch von dort beziehen und so nach Oben und in die Gesellschaft hineinwirken.
Streitereien untereinander (etwa auf Facebook) oder gar ein verbales Herabsetzen von MitstreiterInnen seien nicht nur ungehörig, sondern auch über die Maßen kontraproduktiv. Sie könnten eine Bewegung ziemlich schnell vergiften und am Ende sogar deren Vernichtung herbeiführen. Unstimmigkeiten und das dabei entstandene Gezerre solle vergessen und nach vorne geblickt werden
Den weitesten Weg nach Dortmund hatte an diesem Samstag wohl ein Aufstehen-Akivist aus Konstanz am Bodensee. Zirka 120 TeilnehmerInnen hatte den Aufstehen AktionsCampus an diesem sonnigen Samstag im Dortmunder Westpark besucht.
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