Am Ende zählt nur eines: ein gutes Abitur. Die SchülerInnen tun alles dafür. Es geht um das eigene Prestige, dafür nehmen die Mädchen und Jungen alles in Kauf Und dann der große Knall, über den alle sprechen: die fiese Lehrerin. – Zuerst war sie nur die hilf- und ratlose Autoritätsperson, die sich nicht hatte durchsetzen können und alle SchülerInnen mit Note sechs bestrafen wollte. Das lässt sich freilich niemand gefallen – mit Konsequenzen. Aber auf die kommt es weniger an, sondern vielmehr auf die kollektiv-psychische Ausgangssituation. Zu erleben im KJT-Dortmund: was treibt sie um, heutzutage, die AbiturientInnen
Situationsanalyse der Abiturzeit ohne feste Handlung: Kollektivpsychologie notengeiler Jugendlicher?
Was geschah? Ein Mob hat sich unter der Schülerschaft gebildet, der die als ungerecht geltende Lehrerin regelrecht an die Wand klatscht. Nun liegt sie im Krankenhaus. Selbst taucht die Lehrerin aber nie auf der Bühne auf. Warum auch, Kollateralschaden, es geht um mehr.
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So beginnt es, so vermittelt es sich – im Stück „Klatschen“ von Tina Müller und Corinne Maier. Die Tat selbst wird nicht gezeigt, aber die SchülerInnen unterhalten sich während des ganzen Stücks darüber. Wie konnte es nur zu so einem heftigen Unglücksfall kommen? Welche Konsequenzen werden daraus gezogen?
Das Stück „Klatschen“ hat keine durchgehende Handlung, muss es nicht. Es „handelt“ davon, wie die Situation der SchülerInnen so kurz vor dem Abitur eben (im „Normalfall“) ist, welche Bedeutung ein Schulabschluss hat. Deshalb könnte diese Zeitepisode im realen Leben Monate, Wochen, oder nur Tage dauern.
Leistungsdruck in einer Gesellschaftsordnung der Konkurrenz gibt es überall: Schule ist keine Ausnahme
Aber, wo ist das Problem? Es scheint zunächst klar: der Druck ist hoch, eine möglichst gute Note zu bekommen. Doch warum eigentlich? Nur, um danach zu studieren? Oder gibt es noch mehr im Leben, eine Alternative zum Leistungsdruck? Nur Leistung zu bringen, das kann doch nicht das Leben sein!
Ein Schüler stellt diese Frage explizit, er ist ein Außenseiter in der schulischen Leistungsgesellschaft. Die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung macht auch vor der Schule als Ort, wo man erfolgreich zu sein hat, nicht halt. Wenn sich jede/r immer nur der oder die nächste ist, zerbrechen Freundschaften – ist es das wirklich wert, um das Abitur zu erlangen?
„Heute zählt vor allem die Leistung und die Arbeit dafür. Früher war es auch was wert, wenn man während des Studiums jobben ging. Man lernte für’s Leben“ erläutert Regisseurin und Dramaturgin Isabel Stahl.
Der Stoff sei nah am realen Leben der Jugendlichen, das habe man beim ersten Lesen des Stücks gemerkt und „Klatschen“ deshalb für das Kinder- und Jugendtheater Dortmund ausgewählt.
Bühnenbild nicht naturalistisch wie bei Hauptmann, sondern episch: gleichsam ein Nicht-Ort
Nur wenige Passagen sind Kunstsprache, eine Art von Jugendsprache („Krass“ , „Packen“), die auch rhythmisch gesprochen werden. Außerdem wird getanzt, was die Bedeutung der Worte unterstützt.
Das Bühnenbild ist dabei nicht unbedingt ein Schulgebäude. „Wir wollten keinen naturalistischen Schulhof gestalten“, sagt Dramaturgin Lioba Sombetzki. Vielmehr ist das Bühnenbild ein Transit-Ort wie ein Bahnhof oder Flughafen oder Wartezimmer, wo niemand sein will.
Auch das Abitur sei so ein „Nicht-Ort“: eigentlich nur eine Durchgangsstation, die man bewältigen müsse, um weiter im Leben zu kommen. Dann vielleicht ein Kunst-Raum, aufgespannt durch die Prämatura-Zeit und in Gestalt nach Noten lechzender Jugendlicher, die ausrasten, gibt es Schwierigkeiten?
Besonderheiten bei den Proben zu „Klatschen“: Arbeit mit LaienschauspielerInnen ist anders
Die Proben zu „Klatschen“ stellten für die Regiseurinnen, die gleichzeitig Dramaturginnen sind, eine echte Herausforderung dar. Es gab innerhalb der Gruppe viel Fluktuation, was wohl an der Unbestimmtheit liege, die diese Generation von Jugendlichen habe. Andere Dinge seien dann wichtiger, meint Sombetzki.
Der „Hauptberuf“ der DarstellerInnnen ist immer noch die Schule oder das Studium, Schauspiel ist nicht ihre Profession. Mit der Zeit habe sich dann ein festes Ensemble gebildet, das inzwischen auch gefestigt sei.
Insgesamt hat „Klatschen“ viel Text, der gelernt werden muss. Daher braucht man SchauspielerInnen, die verlässlich seien. Die Arbeit als SchauspielerInnen macht den Jugendlichen Spaß, auch wenn es schwierig sei, gemeinsame Probentermine zu finden.
Das Ensemble ist international, auch syrische Jugendliche spielen mit. Für sie war der deutsche Text, noch dazu die Passagen der Jugendsprache, eine besondere Anforderung. Sie übernehmen deshalb weniger textlastige Rollen. Außerdem war es für sie neu, dass so hart gegen Autoritätspersonen wie LehrerInnen rebelliert wird, gleich körperlich verletzt; Ehre und Respekt spielen in der syrischen Kultur eine ganz andere Rolle als in Deutschland.
Theaterstück: nah am realen Leben der Jugendlichen – mit gewissen Auswirkungen
Mit Jugendlichen als SchauspielerInnen muss man anders arbeiten als mit professionellen KünstlerInnen. Nicht jeden Tag sind Proben möglich. Die Mädchen und Jungen stellen direkte Fragen: so wollten sie z.B. anfangs wissen, was ein Transit-Ort ist.
Zu Beginn sei das Stück trotz des spannenden Themas schwer zu greifen gewesen, weil es keine durchgehende Handlung gibt. Manchen gehe das Stück dann aber doch sehr nahe: so hatte ein Teilnehmer abgesagt, weil im eigenen Leben tatsächlich die Abiturprüfung anstehe.
Für den jüngsten in der Gruppe (16 Jahre) ist das Thema Abitur egal, noch weit weg. Doch irgendwann wird für jede-/n die Entscheidung anstehen, ob man das Abitur absolviert oder nicht.
Weitere Informationen:
- „Klatschen“ von Tina Müller und Corinne Maier, Jugendclubproduktion des Kinder- und Jugendtheaters Dortmund
- Premiere: Samstag, 10. März 2019, 18 Uhr.
- Termine: 16. März 19 Uhr, 17. und 24. März 2019, jeweils 18 Uhr.
- Kinder- und Jugendtheater Dortmund; hier.