Wenn „Alis“ Professor werden – ein guter Grund, ein Buch über sich zu schreiben? – Eine Lerngeschichte als Programm

Achmet Toprak bei Maybrit Illner
Achmet Toprak zur Gast bei Maybrit Illner im Zweiten Deutschen Fernsehen. Foto: privat

Nein, es ist keine Autobiographie vom Schlage der bei Verlagslektoren so gefürchteten Lebenserinnerungen pensionierter Philologen, die vor allem zu einem ermuntern: zum Gähnen. Das Persönliche ist in dem nun von Ahmet Toprak veröffentlichten Buch „Auch Alis werden Professor“ vielleicht sogar nur der Aufhänger, um seine Botschaft zu vermitteln: Integration geht nicht nur anders als gewöhnlich, sondern dazu noch mit Erfolg. – Lesen lohnt sich allemal. In doppelter Hinsicht.

Ethnisch-religiöse Herkunft deutlich suboptimal: alevitischer Kurde inmitten sunnitischer Türken

Hineingeworfen in die Gesellschaft Zentral-Anatoliens, Provinz Kayseri. Dort, wo sich Fuchs und Hase nicht einmal mehr Gute Nacht sagen und der Großteil der Bevölkerung aus sunnitischen Türken besteht. Schön konservativ hier, heute Bastion der AKP. Mittendrin einige kurdische Dörfer. Allesamt alevitisch.

Wir schreiben das Jahr 1970 – „unser Ali“ erblickt das Licht der Welt. Als alevitischer Kurde. Das ist strategisch gesehen ungefähr so, wie vor einigen Jahrhunderten als protestantischer Rumäne auf Sizilien zu leben. Oder so ähnlich.

Anfangs erlernt er inmitten seiner Familie in dem kleinen kurdischen Heimatdorf allein seine Muttersprache. Später in der türkischen Kleinstadt, ein paar Kilometer entfernt, darf er sie nicht mehr sprechen. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Im Laufe seines Lebens wird er das Kurdische fast verlernen.

Der Zwang zur Anpassung in der Fremde: In der Türkei wie in Deutschland

Das neu erschienene Buch von Achmet Toprak: autobiographisch, aber nicht nur.
Das neu erschienene Buch von Achmet Toprak: autobiographisch, aber nicht nur.

Dies ist nur ein Akt auf einem langen, verschlungenen Weg der Assimilation und des Widerstandes in häufig stramm xenophoben sozialen Umgebungen. Aber nur, um letztendlich wieder durch die Hintertür zu erscheinen. Von diesem seinen Weg handelt das bemerkenswerte Buch.

Es ist eine Geschichte, die Ahmet Toprak mit Witz und Humor, manchmal mit einem fast noch jungenhaften Erstaunen erzählt. Als könnte er es immer noch nicht glauben.

Es ist aber von Anfang an auch die eines jungen Kurden, der sich gegen alle möglichen Vor-Urteile und Benachteiligungen wegen seiner Herkunft zur Wehr setzt. Und sich zugleich anpassen muss. In der Türkei, wo sein Volk seit langer Zeit blutig unterdrückt wird. Wo es darüber hinaus immer wieder zu Spannungen zwischen der sunnitischen Mehrheit und der alevitischen Minderheit kommt.

Aber auch in Deutschland, wo er nur „der Ali“ ist, ein Türke eben. Form- und gestaltlos mit allen anderen Migranten aus der Türkei von vielen über einen Kamm geschert. So fast entmenschlicht. – Was ihm in Deutschland geholfen hat, dies durchzustehen, seien von Anfang an seine Erfahrungen in der Türkei als Kurde gewesen, sagt er. Seine Lerngeschichte dort. Und seine Familie.

Der Rückhalt, den sie ihm gab: Seine warmherzige Mutter, die Zeit ihres Lebens Analphabetin bleibt und später, nach vielen Jahrzehnten in Deutschland, dennoch in der Türkei beerdigt werden möchte. Der weltoffene Vater, der seinen Sohn unterstützt. – Eltern, die versuchen, ihre Kinder laizistisch, im Geiste universeller Werte zu erziehen und selbstständiges Denken fördern. Und das enges Verhältnis zu seinen Geschwistern, insbesondere zu seiner Schwester. Zu seinen Tanten und Onkel. Der Zusammenhalt aller untereinander, Solidarität.

Aus einem anatolischen Dorf zum Professor an einer deutschen Fachhochschule

„Der Ali“, wie er patriarchalisch-gönnerhaft genannt wird – das ist heute Professor Dr. Ahmet Toprak, Lehrstuhlinhaber für Erziehungswissenschaft und zudem Dekan an der Fachhochschule Dortmund. Hochangesehen, ja, auch ein wenig rumgereicht. Als lebendiges Beispiel für gelungene Integration. Muss nicht gleich verkehrt sein.

Aber warum veröffentlicht der Mann jetzt ein autobiographisches Buch? Dazu als Atheist – woraus er im Gespräch keinen Hehl macht – beim traditionell katholischen Lambertus-Verlag?

Ganz einfach: Weil dem Stammtischgeschwätz von „unserem Ali“ und ähnlichen Redewendungen aus dem Repertoire der Vor-Urteile ein deutlich rassistischer Unterton innewohnt. Und der Ausdruck damit zum gängigen Sprachbild für Diskriminierung und Ausgrenzung wird. Und natürlich, weil in Zeiten der Melange von Kulturen auch ein katholisches Verlagshaus sich nicht mehr einfach in eine weltanschauliche Zwingburg zurückziehen kann.

Ankunft in Deutschland: Ein Leben wie auf einem anderen Stern

Im Februar 1980 – ein gutes halbes Jahr vor dem letzten Militärputsch in der Türkei, der diese zweifelhafte Bezeichnung verdient – kommt Ahmet nach Deutschland. Er lebt mit seiner Familie in Köln, landet in der türkischen Vorbereitungsklasse einer Hauptschule im Vorort Vogelsang. Eine „ausgewogene Mittelschichtgegend“, wie Toprak mit ironischem Unterton bemerkt. Praktischerweise sind deshalb auch gleich die Gebäude und Schulhöfe der MigrantInnenklassen von denen der deutschen Regelklassen getrennt. Ordnung muss sein.

Pünktlichkeit auch: Busse kommen auf die Minute, irgendwie verstörend. Und in der Schule gibt es keine Ohrfeigen. Ein guter Schüler wird Ahmet anfangs dennoch nicht. Beteiligt sich an den üblichen kleinen Streichen, aber lernt schnell und gut Deutsch, treibt Sport.

Und wie es nun mal so ist, bei Ghettoisierung und Deprivilegierung und woanders in der Schule auch, gibt‘s hier und da Zoff. Gewalt ist faktisch an der Tagesordnung. Ahmet schafft es weitestgehend, sich da raus zu halten. Sein Glück. Oder sein Charakter. – Stichwort: richtige Entscheidungen treffen.

Wechselvolles Leben und dorniger Marsch durch deutsche Institutionen

Statt eine Schlosserlehre zu beginnen, kehrt Ahmet schließlich nach Abschluss der neunten Klasse zurück in die Türkei. Macht in Ankara in Obhut des in der Türkei lebenden Teils seiner Familie das Abitur und beginnt ein Studium der Anglistik. Bricht aber seine Zelte dort nach der Trennung von seiner türkischen Jugendliebe wieder ab und studiert – nach einigen Irrungen und Wirrungen – letztendlich und ziemlich flüssig in Regensburg Pädagogik, Psychologie und Politikwissenschaften.

Dann die Promotion mit 31 Jahren im Fach Pädagogik an der Universität Passau. Abschluss der Prüfungen pikanterweise an 9/11. Da gab es nicht wirklich was zu feiern.

Sechs Jahre später, nach obligatorischer Lehrtätigkeit und Publikationen, war es soweit: Berufung zum Professor an der Fachhochschule Dortmund auf eine Planstelle an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften. Mit allen Präzisionen des deutschen Universitätswesens. – Ahmet hat es geschafft. Hat sich durchgesetzt gegen eine Unzahl von MitbewerberInnen. Die ganze Familie ist stolz auf ihn.

Inneres Kopfschütteln, wo deutsche Beamte ihre Bleistifte spitzten

Ali Toprak an der FH Dortmund
Achmet Toprak an der FH Dortmund

Aber der äußere Glanz ist das Eine: die Würdigung seiner Arbeit in einem ursprünglich fremden Land durch eine ordentliche Professur. Das Andere sind die persönlichen, verletzenden Erfahrungen eines jungen, vermutlich hochbegabten Migrantenkindes aus der ersten Generation. – Jener Menschen, ohne die der Reichtum Deutschlands, auf den wir heute so stolz sind, nicht denkbar wäre.

Eher zum Schmunzeln vielleicht noch, wenn dem jungen Akademiker mit türkischen Wurzeln eine Öffentliche Verwaltung voller und nicht immer wirklich – vernünftig – nachvollziehbarer Hürden begegnet. Deutsche Beamte nehmen es eben genau.

Bei seinem Antrag auf Einbürgerung nach dem Universitätsabschluss beispielsweise lässt sich der zuständige Beamte in München nicht davon beeindrucken, dass Ahmet ein Prädikatsexamen vorweisen kann. Stattdessen braucht es ein Zeugnis aus der Schulzeit, in dem Deutsch und Gesellschaftskunde mindestens mit befriedigend beurteilt worden sind. – Aha. Und natürlich die Ausbürgerungsurkunde der Türkei usf.

Die Banalität fortgesetzter, fast alltäglicher Erniedrigung

Vollständig aber hört der Spaß auf bei den latenten Nickligkeiten. Angefangen mit der wenig freundlich-kumpelhaften, sondern klar herablassenden Anrede durch das direkte „Du“ im alltäglichen Umgang miteinander. Durch jene blasierten deutschen Staatsbürger, denen alles Fremde Angst macht. Und die sich deswegen lieber gleich den kleinen Ali hinstellen, der sowieso nichts zu melden hat.

Deutsche, die sich so verhalten, als stünde dort kein Mensch, dem man/frau Respekt zu zollen hat, wie jedem anderen auch. Bis hin zum mehr oder minder unverhohlenen Rassismus.

Wenn er sich etwa nach seinem Studium vom Seminarleiter bei einer Ausbildung zum Anti-Aggressivitäts-Trainer – als er in Begleitung einer sehr flüchtigen Bekannten mit ein paar Minuten Verspätung zum Seminar erscheint – anhören muss: „Typisch Türke, kommt zu spät und krallt sich auch noch die Blondine!“

Oder da sind die Kontrollen während der häufigen Zugfahrten als Doktorand zwischen München und Passau – Racial Profiling heißt das heute. Im Befehlston mit: „Ausweis!“ Und wehe Ahmet klagt freundlich Höflichkeit ein – dann wird er wieder ganz schnell zum richtigen „Ali“ und die Beamten werden noch respektloser, fangen an, ihn zu filzen.

Die unvermeidlichen Narben bei allem Erfolg: dennoch keine Resignation, sondern Mut machen

Dieses Andere, die Fratze Deutschlands gewissermaßen, hinterlässt Spuren in der Seele. Zu denen sich Professor Achmet Toprak offen bekennt. Im Gespräch wie in seinem Buch. Das zeugt von Stärke.

Sein Buch zu lesen, lohnt sich genauso wie im Sinne seiner Geschichte fürs Leben zu lesen, zu studieren, an sich zu arbeiten. Als MigrantInnen sich nicht unterkriegen zu lassen. Sich Chancen durch Bildung zu eröffnen. Die Sprache zu lernen in dem Land, in dem wir alle leben wollen. Und nicht bei jedem Stolperstein gleich die Nerven zu verlieren. Eine gewisse Leichtigkeit zu bewahren, Widrigkeiten mit Humor zu begegnen. Mit einem Lächeln, aber unnachgiebig.

Weitere Informationen:

  • Ahmet Toprak, Auch Alis werden Professor. Vom Gastarbeiterkind zum Hochschullehrer. Freiburg i.B. 2017.
  • Offene Fachhochschule. Veranstaltungsreihe: „Sind Türkeistämmige integrationsfähig?“ Teil 2. Donnerstag, 7. Dezember, 18-20.30 Uhr. Ort: FH Dortmund, Emil-Figge-Str. 44. Raum – 1.01, Eingang Anbau.

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