Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat heute ihre aktuellen Schätzungen zur Zahl der Wohnungslosen in Deutschland veröffentlicht. 860.000 Menschen haben demnach keine Wohnung, im kommenden Jahr könnten es mehr als eine Million sein. 52.000 leben komplett ohne Obdach auf der Straße. Die Wohnungsloseninitiative bodo e.V. sieht die Entwicklung mit Sorge.
Prognosen gehen von über einer Million obdachloser Menschen im kommenden Jahr aus
Die Zahl der wohnungslosen Menschen hat sich damit seit 2014 mehr als verdoppelt ‑ und auch in ihrer Prognose für 2018 geht die BAG W jetzt von einer doppelt so hohen Zahl an Betroffenen aus wie noch vor drei Jahren. Der starke Anstieg spiegelt sich auch in NRW und im Lokalen. In Dortmund verzeichnete die landesweite Wohnungsnotfallstatistik innerhalb eines Jahres einen Zuwachs um die Hälfte, auch in Bochum leben nach Angaben der Diakonie Ruhr mehrere hundert Menschen ohne Obdach.
Der krasse Mangel vor allem an bezahlbarem Wohnraum ist nicht vom Himmel gefallen, sondern seit Jahren bekannt. Die Mieten steigen, gleichzeitig sinkt das Angebot an bezahlbaren und an Sozialwohnungen massiv. Versuche von Bund, Ländern und Kommunen, hier gegenzusteuern, gelingen nur unzureichend.
„Mittlerweile hat sich die Situation derart verschärft, dass Menschen, die ihre Wohnung verlassen müssen oder sie in einer Krisensituation verlieren, quasi keine Chance haben, schnell Ersatz zu finden“, sagt Oliver Philipp von bodo. „Noch vor wenigen Jahren konnten wir Menschen, die zu uns kommen, manchmal innerhalb von wenigen Wochen helfen, eine Wohnung zu finden. Heute ist das häufig aussichtslos.“ Aus Sicht von „bodo“ fehlt günstiger und bezahlbarer Wohnraum.
Verantwortlich sind nicht die Flüchtlinge, sondern die verfehlte Wohnungspolitik
Die Fluchtzuwanderung der vergangenen Jahre, räumt die BAG W ein, habe die Gesamtsituation weiter verschärft. Rund die Hälfte der 860.000 Wohnungslosen sind Asylsuchende, die in Sammelunterkünften, ehemaligen Schulen oder Turnhallen auf ihre Anerkennung warten.
„Daraus konstruieren RassistInnen eine Not durch Zuwanderung. Schuld sind aber nicht die Flüchtlinge, sondern eine verfehlte Wohnungspolitik, die seit den 2000er Jahren auf die Privatisierung staatlicher Wohnungsbestände setzte, um kurzfristig leere Kassen zu füllen“, so Oliver Philipp. „Am Beispiel Hannibal zeigt sich in Dortmund gerade sehr eindrücklich, welche Folgen das hat.“
Was aus Sicht des bodo e.V. auch fehlt, ist eine funktionierende Nothilfe. In Dortmund können wohnungslose Männer die Übernachtungsstelle nutzen, wenn sie Sozialleistungen beziehen und Sozialamt oder Jobcenter die Übernachtung zahlen ‑ alternativ zahlen Betroffene selbst. EU-Zuwanderer, die keinen Anspruch auf Leistungen haben, gelten ohnehin als freiwillig obdachlos und sind von der Nutzung der Unterkünfte häufig quasi ausgeschlossen.
Laut der BAG W ist jeder zweite Obdachlose in den Metropolen aus einem EU-Land eingewandert. „Es kann nicht sein, dass Menschen in Not weggeschickt werden, weil ein Bundesgesetz das vorgibt. Zur Erinnerung: Kommunen sind ordnungsrechtlich zur Unterbringung verpflichtet. Diese Pflicht darf nicht beim Blick auf den Pass enden.“
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CDU-Fraktion
CDU-Fraktion will Aufenthaltsmöglichkeit für Obdachlose in der Innenstadt
Mit Einzug der kalten Temperaturen wird es auch für obdachlose Menschen schwieriger, sich tagsüber warm zu halten. Während in den warmen Monaten das Gebiet rund um den Hansaplatz als Aufenthaltsmöglichkeit für Wohnungslose genutzt wird, ziehen sich diese bei den jetzt einsetzenden kalten Temperaturen zurück in geschlossene warme Räume, wie beispielsweise die Passage zwischen Balkenstraße und Alter Markt oder die Karstadt-Tiefgarage. Das kann aber, so die sozialpolitische Sprecherin der CDU Justine Grollmann, nicht die Lösung auf Dauer sein.
„Ein Aufenthalt im Freien bei kalten Temperaturen ist nicht nur sehr unangenehm, er kann für Obdachlose auch schnell zum Fallstrick werden. Denn – schläft man bei Minusgraden auf der Straße ein, kann das auch tödlich enden. Die Lösung kann aber nicht sein, dass diese Menschen sich dann in Passagen oder Parkhäusern zurückziehen, um sich dort vor der Kälte zu schützen und dort auf dem Boden zu kauern. Eine Übernachtungsstelle für Obdachlose gibt es bereits. Darüber hinaus sollte aber auch über eine Aufenthaltsmöglichkeit nachgedacht werden, die den Obdachlosen in den kalten Wintermonaten die Möglichkeit gibt, sich tagsüber im Warmen aufzuhalten“, so Justine Grollmann.
Grollmann will in der nächsten Sitzung des Sozialausschusses das Problem thematisieren und hofft, dass für die Obdachlosen eine Lösung gefunden werden kann.
Fraktion Linke & Piraten
Linke und Piraten: „Die Stadt Dortmund hat kein Herz“
Köln. Frankfurt. Berlin… In all diesen Städten sind im Winter Kältebusse unterwegs, in denen obdachlose Menschen heißen Tee, Kekse, warme Kleidung oder auch einen Schlafsack erhalten. Auch im reichen Düsseldorf oder im noch reicheren München. Doch in Dortmund sind derartige Kältebusse nicht nötig. „Wir haben in unserer Stadt ja kaum Obdachlose. Und die paar wenigen sind total gut versorgt“, höhnt Nadja Reigl, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE & PIRATEN. Nach der Sitzung des Sozialausschusses, in der es um das Thema Obdachlosigkeit ging, kochte die Sozialpolitikerin vor Wut.
„Es gibt Schätzungen, wonach weit über 400 Menschen ohne Obdach in Dortmund unterwegs sind. Tendenz steigend“, sagt Nadja Reigl. „Und natürlich hat die Politik auch eine Verantwortung für wohnungslose Menschen, gerade im Winter. Da reichen die rund 70 Betten in der Dortmunder Männer-Übernachtungsstelle einfach nicht aus, zumal eine solche Übernachtung mit Bürokratie und natürlich auch mit Kosten verbunden ist, und diese Betten auch nicht allen Personen zur Verfügung stehen.“ Ein unbürokratischer Kältebus wäre da eine Lösung, sagen die Linken & Piraten. Doch auch eine geöffnete U-Bahn-Haltestelle – so wie in Bochum –, das Aufstellen von Boxen aus Spanplatten – wie in Köln –, oder die Übernachtung in einer leer stehenden Flüchtlingsunterkunft könnten Lösungen sein, meint Nadja Reigl.
Ideen gibt es viele. Vorschläge auch. „Alles waren nur Prüfaufträge. Wir wollten wissen, welche Lösung denn überhaupt realisierbar wäre“, sagt Nadja Reigl. Doch die hefttigen Gegen-Argumente der Verwaltung haben sie fast umgeworfen. „Angeblich gibt es ausreichend Angebote in Dortmund. Und am härtesten war die Aussage, dass das Thema seit 25 Jahren immer wieder aus Tapet komme, und dass es doch nun einmal gut sein müsse.“
„Das heißt im Umkehrschluss, dass wir bei Veränderungen keine Anträge mehr stellen dürfen, weil wir sonst der Verwaltung auf die Nerven gehen“, sagt Nadja Reigl. „Wenn mehr Kinder geboren werden, dürfen wir keine Kita mehr bauen. Es wurde ja schon eine vor 25 Jahren gebaut. Und für die steigende Zahl an Senioren dürfen auch keine Heime mehr gebaut werden. Es gab ja schon welche vor 25 Jahren.“
„Ich bin entsetzt und empört, mit welcher Eindringlichkeit das Sozialamt die Problematik Obdachlosigkeit klein- und auch schönredet“, sagt Nadja Reigl. „Dieses Sozialamt hat kein Herz. Und leider viele Politiker auch nicht.“ SPD und CDU lehnten den Antrag nach den Erläuterungen durch die Verwaltung ab. Die CDU zog nach der Diskussion einen eigenen Antrag zu dem Thema zurück.