Von Thomas Engel
Auch vor den engagiertesten Pflegeeltern machen Alterungsprozesse nicht halt und sie gehen irgendwann einmal in „Rente“. Oder sie orientieren sich um. Jährlich hat die Stadt Dortmund daher einen Bedarf an ca. 70 neuen Plätzen für Kinder in Pflegefamilien, der mit den vorhandenen Kapazitäten nicht gedeckt werden kann. Nun sucht das Jugendamt mit der Kampagne „Alltagshelden gesucht“ neue Pflegemütter und -väter.
Kinder werden Teil einer anderen Familie: Neue Pflegeeltern gesucht!
Kinder in Not, Kinder suchen ein neues Zuhause. Aus den unterschiedlichsten Gründen kann es für ein Kind zu einem besonders einschneidenden Lebensereignis kommen und es muss in einer Pflegefamilie untergebracht werden. Weil das Kindeswohl in der Herkunftsfamilie vielleicht gefährdet ist oder die leiblichen Eltern sich nicht um ihr Kind kümmern wollen. Oder es nicht (mehr) können.
Ein fremdes Kind in die eigene Familie aufnehmen – man lässt es damit „in das Intimste rein, was man hat“, antwortet die erfahrene Pflegemutter, Angelika U., auf die Frage im Jugendamt, wie die anfängliche Distanz zu einem solchen Kind denn überwunden würde. „Die Distanz schluckt sich deshalb schnell weg“, fügt sie hinzu. Wolfgang S., auch seit vielen Jahren Pflegevater von zwei Kindern, bestätigt dies: Quasi automatisch ginge man daheim mit dem Neuankömmling um, „als wenn es Dein Kind wäre“.
Pflegeeltern zu sein, ist eine höchst verantwortungsvolle Tätigkeit. „Viele Menschen stellen sich bereits dieser Aufgabe“, sagt Jugenddezernentin Daniela Schneckenburger. Aber es komme auch darauf an, bei potentiellen Pflegeeltern etwaig vorhandene „Schwellenängste zu beseitigen“. Deshalb die jetzt gestartete Kampagne des Kinderpflegedienstes beim Dortmunder Jugendamt. Um dringend benötigte neue Eltern zu werben und die Wertschätzung für die bereits aktiven Pflegepersonen zum Ausdruck zu bringen.
Die Geborgenheit in einer Familie ist unersetzbar – Pflegekinderdienst sucht Alltagshelden
Der Pflegekinderdienst sucht händeringend weitere Pflegepersonen im Bereich der Vollzeitpflege, Bereitschaftspflege und sozialpädagogischer Pflegestellen (mit pädagogischer Ausbildung) für die Aufnahme von Pflegekindern, um die familienanalogen Angebote des Jugendamtes bedarfsorientiert zu sichern.
Laut Statistik lebten im Jahr 2016 in Dortmund 1085 Kinder in Pflegefamilien. Damit habe man im Verhältnis zu anderen Ballungsräumen eine „relativ hohe Quote von Kindern in Familien“ statt in Heimeinrichtungen, betont Klaus Burkholz, Leiter des Jugendamtes. Sicherlich keine schlechte Nachricht. Denn kein Heim für Kinder, auch keine betreute Wohngemeinschaft dürfte die Geborgenheit, die Liebe und den Halt einer familiären Atmosphäre ersetzen können.
Bereits seit 50 Jahren betreut und berät der Kinderpflegedienst des Jugendamtes die Aufnahmefamilien und ist damit einer der größten und ältesten Dienste dieser Art in Deutschland. Betreuung, Beratung, Fortbildungen – die assistierende Begleitung der Pflegefamilien ist dabei eine der zentralen und zwingend notwendigen Aufgaben des Kinderpflegedienstes.
Sich professionelle Hilfe suchen, wo Pflegeeltern allein nicht mehr weiter wissen
Denn die meisten Kinder, die in die Aufnahmefamilien kommen sind gleich doppelt traumatisiert: Einmal wegen der Erschütterung durch ihre Notsituation, die überhaupt zu der Unabdingbarkeit geführt hat, zur Sicherung des Kindeswohls in eine andere Familie eingegliedert zu werden.
Andererseits stellt der Wechsel in eine neue Familie selbst eine psychische Belastung da, die ebenfalls verarbeitet werden muss. Und die postraumatischen Reaktionsweisen unterscheiden sich häufig von Kind zu Kind. Wie bei Erwachsenen eben.
Alle Kinder trügen etwas „im Gepäck“, bestätigen die beiden erfahrenen Pflegeeltern, und es sei natürlich nicht immer leicht mit ihnen. Und das war ziemlich sicher noch recht moderat ausgedrückt. „Ich musste lernen, mir Hilfe zu holen“, sagt Angelika U., selbst Mutter dreier erwachsener Kinder und nun seit längerem Pflegemutter von drei weiteren Kindern, von denen das älteste mittlerweile durch Adoption auch rechtlich in der eigenen Familie vollständig angekommen ist.
Hilfsangebote nach den jeweils konkreten Erfordernissen fürs Kindeswohl
Vorwiegend Kinder im Alter von 0 bis 12 Jahren werden in Familien aufgenommen. Ältere Kinder sind meist in Heimen oder Wohngruppen untergebracht. Grundsätzlich können in Pflegefamilien aber Kinder jeder Altersgruppe und unterschiedlicher Herkunft vermittelt werden. Neben der Vollzeitpflege – im Unterschied zur Kurzzeitpflege 24/7, sozusagen – gibt es eine Bereitschaftspflege, in der Kinder nur vorübergehend betreut werden. Hier sind für Notfälle Aufnahmefamilien Tag und Nacht in Rufbereitschaft, erläutert Alexander Ewers, Teamleiter Vollzeit- und Bereitschaftspflege im Jugendamt. Etwa 50 solcher Plätze gäbe es in Dortmund.
Zusätzlich seien seit rund fünf Jahren besondere sozialpädagogische Pflegestellen für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf eingerichtet, etwa für alkoholgeschädigte Kinder oder für solche mit psychischen Störungen. Seit 2015 gibt es zudem sogenannte Gastfamilien für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit etwa 30 Pflegestellen – zumeist für Jugendliche. In all diesen Bereichen sucht das Jugendamt augenblicklich Menschen, die sich engagieren wollen.
Wer ein ein Pflegekind aufnehmen möchte, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Die Personen dürfen keine Vorstrafen haben und müssen frei von lebensbedrohenden, ansteckenden Krankheiten sein. Darüber hinaus wird eine gewisse finanzielle Sicherheit und geeigneter Wohnraum vorausgesetzt. Und natürlich sollten die Menschen psychisch belastbar sein.
Zudem wird die Bereitschaft vorausgesetzt, bar irgendwelcher Eifersüchteleien und wo dies möglich ist, den Kontakt zur Herkunftsfamilie zu fördern und eine eventuelle Rückkehr in diese zu begleiten. Also dem aufgenommenen Kind ohne zu große Tränen Lebewohl zu sagen, wenn es zu seinen Wurzeln zurückkehren mag.
Stimmt die Chemie? Zwischen Pflegekind und Pflegefamilie? In der Pflegefamilie?
Wer Kinder hat, kann sich vorstellen, was dies im Kern bedeutet – nämlich den Wahnsinn des Alltags zu organisieren. Deshalb werden ja auch „Alltagshelden“ gesucht.
Und wer Erfahrung im Umgang mit traumatisierten Kindern oder Erwachsenen hat, erst recht. „Aber man bekommt jede Menge zurück“, stellt Pflegevater Wolfgang S. klar. Bei aller besonderen Verantwortung, welche die Pflegeeltern tragen – die Herausforderung bzw. ihre Bewältigung ist für sie selbst auch eine ebenso erfüllende wie sinnstiftende Aufgabe.
Passen muss es allerdings, darüber waren sich alle ExpertInnen und Engagierte einig. Die Kinder in die Familien wie die Familien zu den Kindern. Und innerhalb der Aufnahmefamilie: „Alle müssen dafür offen sein“, so Angelika U., „vor allem die Ehepartner. Wichtig sei es zudem, so die anwesenden Pflegeeltern, ehrlich zu sein. Vor allem auch zu sich selbst: Was kann ich mir wirklich zumuten? Wo sind meine Grenzen? Was will ich nicht?
„Wir versuchen das natürlich so passend wie möglich zu machen“, sagt Alexander Ewers. Aber Ausnahmen gibt es immer, d.h. es läuft etwas schief. Die „Natur der Sache“ ließe auch nichts anders erwarten. Zumal dann, wenn die Auswahl an möglichen Pflegefamilien recht überschaubar ist. Deswegen freut sich das Jugendamt Dortmund ausdrücklich über jede Bewerbung, Pflegeeltern zu werden.
Mehr Informationen:
- Wer sich näher über die einzelnen Anforderungsprofile bei den verschiedenen Pflegeformen informieren möchte oder Interesse hat, ein Kind aufzunehmen – Link: Info Pflegeeltern werden
- Oder direkt mit Herrn Ewers beim Jugendamt Dortmund (Ostwall 64, Z. 307) in Verbindung setzen: 0231 – 50 23712.
- Zweimal im Jahr findet in Dortmund übrigens an je sieben Abenden ein Seminar für NeubewerberInnen mit je 25 Teilnehmern statt.