Von Thomas Engel
Wie mit endlichen Ressourcen umgehen? Das Problem hat es natürlich in sich, ist letztlich von weltpolitischer Dimension. Keine Frage. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist in aller Munde. Ja, er wird fast inflationär als Schlagwort und zumeist nicht sehr präzise gebraucht. Aber was können wir als einzelne Bürger tun? Da kann es unabhängig von akademischen Diskursen recht konkret werden. Und spannend, innovativ, visionär – bei „Trash Up!“ in der Nordstadt.
Ein buntes Programm rund um das Thema: Nachhaltigkeit praktisch machen
Zu bestaunen, oder um mitzuwirken, an diesem Wochenende, Samstag und Sonntag, 11.-12. November, in der Halle im Depot Dortmund und weiteren Räumen dort.
Nach dem großen Erfolg des letzten Jahres – an die 2000 Besucher fanden seinerzeit den Weg ins Dortmunder Depot – eröffnet das zweite Trash Up!-/ Upcycling-Festival nun an Ort und Stelle wieder seine Tore. In Kooperation mit „Die Urbanisten“ und gefördert durch die „Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW“.
Worum geht es? Kurz gesagt darum, wie wir aus dem, was normalerweise achtlos – und bestenfalls entsorgungsgerecht getrennt – im Müll, dem „Trash“ landet, wieder etwas für uns Wertvolles („Up“) machen können. Was auch immer.
In diesem Sinne können BesucherInnen unter fachkundiger Anleitung in zahlreichen Workshops in der Depothalle eigenständig gestalterisch tätig werden. Zu erstehen oder einfach nur zu bewundern bei insgesamt 20 AusstellerInnen sind zugleich deren Ideen in Form upgecycelter Waren und Produkte.
Stofflich verwertet, innovativ gestaltet: mit Phantasie aus „Müll“ zum Gegenstand
Ein unübersehbares Feld erstaunlicher Möglichkeiten eröffnet sich. Da muss der Mensch erst einmal drauf kommen: Aus scheinbar nutzlosen Wegwerfmaterialien entstehen neue, handfeste Gebrauchsgegenstände oder einfach Artefakte der Kunst zur Freude des Gemüts – zu denen die BetrachterInnen ihr je eigenes, ganz persönliches Verhältnis einrichten können.
Da werden wie von Zauberhand von „Obsoletgoods“ aus altem 35mm Film-Material und Videotapes Lichtobjekte, Teelichthalter, Schmuck, Taschen. Oder es wird von „Circuit Accessories“ Elektroschrott wie Leiterplatten oder ausgediente Computerplatinen zu außergewöhnlichem Trash Up!-Schmuck für jede Geschlechterfraktion aufgewertet.
Die Upcycler von „Tanz auf Ruinen“ und andere Aussteller bieten ein breites Repertoire an Accessoires, Gebrauchsgegenständen über Kunstobjekte bis hin zu Designerarbeiten an. Alles ressourcenschonend hergestellt aus Materialien, die ansonsten weitgehend auf den Müllhalden der sog. Zivilisationsgesellschaft gelandet wären: Kronkorken, alte Reifen, Sperrmüll, Ölfässer, Stoffreste usw. usf. Der Phantasie sind keinerlei Grenzen gesetzt.
Aber das war noch lange nicht alles …
Denn an den Galeriewänden setzen Künstler mit Fotos und Kalligraphien ihren Umgang mit „Müll“, und was daraus werden kann, in Szene. In Sitzecken, bei Café etc., Bananenbrot und anderen Leckereien, kann entspannt geplaudert oder nach Gusto heftig gestritten werden. Für ein angemessen bedürfnisorientiertes musikalisches Begleitprogramm ist ebenfalls gesorgt: Dj „AMI BREAK“ Stjepan legt auf, was schlicht gefällt. Ganz einfach.
Wer es kognitiv gerne etwas nuancierter und dazu von Aktivisten und Fachleuten variantenreich aufbereitet hätte, dem sei anempfohlen, sich für zahlreiche Vorträge, theorieorientierter oder praxisnäher, sowie für zwei Filmaufführungen rund um das Thema Nachhaltigkeit und Upcyceln zwischendurch einmal ins anliegende sweetSixteen-Kino zu begeben.
Für das Programm des gesamten zweitägigen Trash Up!-Festivals im Einzelnen, siehe unter: https://trash-up.jimdo.com/programm-2017/
Workshops und Infostände: es darf gewerkelt und diskutiert werden!
Der Markt und andere Installationen auf den 2000 Quadratmetern nachhaltig zur Erhaltung einer politischen Kultur umgenutzter Industriefläche in der Halle des Depots sind zwar ein wichtiger Teil des Programms, das die BesucherInnen erwartet. Aber: „Wir haben in diesem Jahr den Bildungsteil bewusst herausgehoben“, erklärt Frank Haushalter vom Depot Dortmund – wegen der guten Erfahrungen mit den Workshops und Infoständen verschiedener Organisationen zum Thema Nachhaltigkeit im letzten Jahr.
In den einzelnen Workshops werden die BesucherInnen vor allem zum Mitmachen animiert. Lachen und dabei Spaß haben: gern gesehen. Mit Hilfe erfahrener Institutionen und Upcycling Labels kann beispielsweise aus allem, was vom Aufbau des Festivals in diesen Tagen übriggeblieben ist und einigem mehr, „postapokalyptischer Schmuck“ hergestellt werden – Schmuckstücke aus einer Idee und wie aus dem Nichts. Denn die Materialien wären sonst wahrscheinlich in der Versenkung auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
Auch der Herstellung alternativer Geschenkverpackungen mit Altpapier unter Anleitung von Greenpeace-Aktivisten oder von Etuis aus alten LKW-Planen bei Freitag© steht nichts im Wege. Und wer es lieber eher für EinsteigerInnen mag: Die Urbanisten bieten einen Upcycling-Schnupperworkshop an, wie ganz einfach aus haushaltsüblichem Abfall kleine Geschenke, Mitbringsel und alltägliche Gebrauchsgegenstände entstehen können. Konkret soll es um die Herstellung von hochwertigen Produkten aus alten Fahrradschläuchen, Kronkorken und Getränkekartons gehen.
Na ok, für alle Handwerksmuffel, endlich ein wenig Theorie
Wer sich für derlei praktisches Getue weniger erwärmen kann, z.B. ob zweier mutmaßlich linker, möglicherweise gar schmutzig werdender Hände – auch dem/der sei geholfen. Jetzt geht es richtig zur Sache, es wird – zumindest teilweise – theoretischer. Die Moderation der verschiedenen Vorträge übernimmt wie im letzten Jahr Sabrina Schramme, Rehabilitationswissenschaftlerin von der TU Dortmund.
Dabei soll es teils locker, teils sehr seriös zugehen. In kurzen Impulsvorträgen schildern an beiden Tagen Aussteller, Non-Profitorganisationen und andere Akteure ihre Motive für die Teilnahme am Festival. Daneben gibt längere Beiträge zu spezifischen Themen.
Gleich an beiden Tagen dabei: Thomas Zighan, von „Tanz auf Ruinen“, Urbanist und ebenfalls Reha-Wissenschaftler/TU-Dortmund, jeweils mit Gedanken zum Zusammenhang Upcycling – Nachhaltigkeit und zum Problem des Plastikmülls. Zu rechtlichen Aspekten des Abfalls, der da verwertet werden soll, bis zur Verpackungsverordnung spricht Jens Schmitt.
Und wer wissen möchte, weshalb das eigene Essen Bio…, der Strom Öko, aber das Bankkonto radioaktiv ist, und ob es überhaupt so etwas wie faire Bankgeschäfte geben kann, der/die möge sich einfinden zum Vortrag von Alfred Zimmermann, freiberuflicher Dozent, Rechercheur und Journalist zu Themen der Nachhaltigkeit.
Mit Spannung erwartet: ein scharfer Kritiker der heiligen Kuh unserer Zeit – der Wachstumslogik
Der Mann selbst hat wenig Zeit, verbringt vermutlich (oder angeblich) sein halbes Leben im Zug. Hat es sich aber nicht nehmen lassen, zwischendurch mal vorbeizuschauen und vorzutragen. Gerne auch etwas provokativer.
Die Rede ist von Niko Paech. Thema seines Vortrages : „Upcycling aus wachstumskritischer Sicht“. Kritische Sicht? – Da war doch so ein Gefühl, wir wären mit dem Upcycling oder Trash-Up!, oder wie das verflixte Ding heißt, endlich auf der sicheren Seite, also bei den Guten. Und nun?
Also nichts für schwache Nerven oder für die Freunde von Lösungen auf den ersten Blick. Im Programmtext heißt es klipp und klar: „Der Klimawandel, Schuldenkrisen, die Verknappung jener Ressourcen, auf deren kostengünstiger Verfügbarkeit das industrielle Wohlstandsmodell bislang basierte, sowie Befunde der Glücksforschung zeigen, dass die Wachstumsparty vorbei ist.“ Schade eigentlich. Aber das wussten wir schon. Oder nicht?
„Upcycling“ – Wo ist denn das Haar in der Suppe?
Aber was ist nun der kritische Punkt? Also am Upcycling? Dass die privatkapitalistische Verwertungslogik unter Konkurrenzverhältnissen mit dem ihr inhärenten Wachstumsdruck in den Ruin führt, wenn nicht die Glocken sozialistischer Erweckung rechtzeitig läuten, ist ‘nen einfacher Gassenhauer für alle, die sich damals fleißig im Kollektiv die drei berüchtigten blauen Bde, 23 bis 25, reingezogen haben. – Haben aber nicht geläutet. Beziehungsweise falsch gespielt.
Die Antwort aus der Programmvorschau ist ein wenig rätselhaft: Demnach ist ein prägnanter Rückbau geldbasierter Versorgungssysteme vonnöten. Suffizienz, moderne Subsistenz und kürzere Versorgungsketten seien dann wichtige Gestaltungsoptionen. – Und dann? Vielleicht ein bisschen Tauschkommunismus als lokale Utopie?
Zudem sei die Postwachstumsökonomie durch Sesshaftigkeit gekennzeichnet, siehe kürzere Wege, also ein Leben ohne Kerosin. Das Upcycling materieller Artefakte kratze daher bestenfalls an der Oberfläche. Die Wertschätzung des nahegelegenen Raumes zu reaktivieren, um die globale Mobilität einzudämmen, wäre die primär zu erbringende U(p)cycling-Leistung.
Also immer schön daheim bleiben und mit W-LAN in der Hinterhand am eigenen Feuer vegan brutzeln? Sozioökonomische Voraussetzungen im Makroformat, egal? Aber immerhin gib‘s ja multimediale Vernetzungen. Wie die allerdings bei relativer Sesshaftigkeit und ohne Bestimmung weiterer Randbedingungen allen beteiligten Bedürftigen was auf die Gabel bringen sollen, erschließt sich nicht unbedingt. – Einige Detailfragen könnten demnach durchaus strittig bleiben. Wie auch immer: Niko Paech wird sich sicherlich nicht scheuen, darüber eine differenzierte Auseinandersetzung zu führen. Der Auftritt verspricht spannend zu werden. Und er ist sicherlich ein Highlight des Festivals.
Bei allen strittigen Fragen um Nachhaltigkeit und mögliche Annäherungen an sie:
Der in den gegenwärtigen Weltwirtschaftsstrukturen fest verankerte Wachstumsfetischismus ist ersichtlich am Ende. Einzig denkbare Alternative mit Niko Paech: das Wachstum radikal runterzufahren. Bei allen anderen Optionen scheint die Apokalypse bereits zu lächeln. Es sei denn, Technik bzw. technisches Handeln könnte mit seinen eigenen Mitteln seine eigenen desaströsen Effekte „nachhaltig“ umkehren. Und danach sieht es leider nicht aus. Weltweit eigentlich eher gar nicht.
„Wichtig ist es, das Upcycling in Nachhaltigkeitszusammenhänge zu bringen“, fordert Thomas Zighan. Und da mögen auch schon kleine Beiträge hilfreich sein. Kratzen an der Oberfläche hin oder her. Sammeln und verwerten, statt wegschmeißen. So erhält auch in diesem Jahr jede(r) BesucherIn mit mindestens drei leeren Behältnissen von Hygieneartikeln den ermäßigten Eintritt.
Auch Gerald Knauf, von der Bonner „Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW“, sieht in dem Festival „eine Keimzelle, die größer werden“ kann/sollte. Upcycling sei ein „zukunftsweisender Weg in Richtung Nachhaltigkeit“, so der Projektreferent der Stiftung, und betont die Relevanz, über einen breit angelegten gesellschaftlichen Diskurs zu einem Konsens darüber zu gelangen, was denn eigentlich unter Nachhaltigkeit im Einzelnen zu verstehen sei.
Um abschließend zu betonen, dass solche Entwicklungen (einer vielgestaltig-praktischen Annäherung an ein sinnvolles und tragfähiges Nachhaltigkeitskonzept) eben seine Zeit bräuchte. Wichtig sei es, so Knauf, dass überhaupt etwas in Gang käme.
Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit bedingen einander
Mit Blick auf aktuelle und zukünftige Ressourcen müsse die gesamte Mitwelt, d.h. alle Menschen an Nachhaltigkeit partizipieren, lenkt Sabrina Schramme, Moderatorin der Vortragssektion, die Debatte auf einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt von nachhaltigem Handeln: den Aspekt der Gerechtigkeit.
Eine ethisch schlüssig begründbare Partizipation aller beim Geben und Nehmen, so ließe sich diese Forderung verstehen. Denn eine signifikante Reduktion des Ressourcenverbrauchs, da waren sich alle Diskussionsteilnehmer beim Pressegespräch offenbar einig, könne es bei keiner gerechtigkeitstheoretischen Schieflage geben. Soviel müsse klar sein.
Sicher, es dürfen keine Menschen beim Prozess hin zu einem nachhaltigeren Wirtschaften verloren gehen. „Aber es wird auch Verlierer geben. Und die müssen benannt werden“, fordert Frank Haushalter vom Depot. – Und vielleicht gibt es auch irgendwann keinen Müll mehr. Aber das wäre nur der Anfang: Abcycling allein wird nichts ändern. Einigkeit darin bei allen. Aber es ist ein Schritt, immerhin.
Erhoffte Synergie-Effekte von Upcycling-Festivals
Florian Artmann von den Urbanisten Dortmund weist zum Schluss auf eine weitere wichtige Komponente und anvisierte Wirkung eines Trash Up!-Festivals wie jetzt am Wochenende im Depot hin.
Durch die neu entstehenden Kontakte von aktiven Gruppen untereinander, der Dynamik innerhalb sich ausweitender Netzwerke müsste/sollte es zu Synergieeffekten kommen, mit denen ein Wandel im Umgang mit unseren Ressourcen eingeleitet werden könnte. Und schlussfolgert und nicht ohne Hoffnung: „Dann haben wir mehr geschafft, als wir sind.“
Und mit einem Augenzwinkern sekundiert Frank Haushalter: „Das Depot kann nachhaltig weiterbetrieben werden, auch über solche Projekte. Es ist keine Industriebrache.“ Es ist ein gelebtes und lebendiges Beispiel, verantwortlich wie kulturkritisch mit der Welt umzugehen.
Mehr Informationen:
- Tagesticket: 5,00 € | 4,00 € ermäßigt (Schüler, Studenten, Dortmund-Pass Inhaber). Kinder bis einschl. 13 Jahre und die Begleitpersonen von Menschen mit Schwerbehindertenausweis haben freien Eintritt.
- Das Depot ist weitestgehend barrierefrei. Weitere Infos unter www.trashup-dortmund.de
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