Premiere von „Zombification“ im Theater im Depot: Wie viel Mensch steckt im Zombie – wie viel Zombie in uns?

Szene der Proben zu Zombification im Theater im Depot: Fotos: Theresa Mielich
Szene aus den Proben zu Zombification im Theater im Depot: Fotos: Theresa Mielich

Von Thomas Engel

Wer sich mit der Zombi-Thematik als „Lecture Performance mit Hirn“ auseinandersetzen möchte und ihre leibhaftige Nähe nicht scheut, der/die mag sich auf eigene Gefahr am Freitag, 27. Oktober, um 20 Uhr im Theater im Depot einfinden. Ein beträchtlicher Teil der Darstellenden sind garantiert „Fetzenfressen“.

Wollen wir überhaupt etwas über Zombies wissen?

Bei Tanz, Videos, Sprachstücken und Action-Painting. Die genaue Zusammensetzung des ebenfalls beteiligten Dortmunder Sprechchors aus dem Schauspielhaus bleibt offen. Das Mitbringen von Gegenständen zur Selbstverteidigung ist untersagt. Aber wieso dieses Risiko überhaupt eingehen?

Menschen neigen bekanntlich dazu, ihren Sehnsüchten und Ängsten eine Gestalt zu geben. Das macht sie griffiger, aber auch beherrschbarer. Dies ist vor allem wichtig gegenüber dem Undurchschaubaren in uns. Bei dem, was sich der Kontrolle durch Vernunft in gefährlicher Weise entzieht. Und nicht in Passivität verharrt, sondern in uns sein Unwesen treibt.

Deshalb brauchen wir diese hässlichen Gestalten der Dunkelheit, des Dämmerlichts, des Nebels. Die Dämonen und Blutsauger, die Hexe und die Hydra und allerlei andere zwielichtige Wesen. Wie den Zombie. Als Teil dieser unübersichtlichen Gesellschaft von Figuren mit zweifelhaftem Ruf ist er selbstverständlich auch ein Teil von uns. Oder woher sollten sonst diese triebgesteuert-fleischfixierten und ansonsten ziellos umherirrenden Horden Hoffnungsloser auf Leinwänden, Bildschirmen oder Theaterbühnen kommen?

Der Zombie begegnet mithin als verrottende Fleischwerdung der dunklen Seiten unserer Seele. Abstoßend und faszinierend zugleich. Grund genug, sich dem Thema zu nähern, mehr zu erfahren. Dafür gibt es Zombitologen. Hier wird eifrig an der Front geforscht.

Was wissen wir über Zombies? Antworten eines Wissenschaftlers

Wolfram Kowalewski ist Zombitologe vom Institut für Seuchenkontrolle und Prävention. Als Studiogast in einer Fernsehsendung („Wo brennt‘s gerade?“) gibt er der Moderatorin, Helene Tomatscheck, Auskunft zu seinen Forschungsergebnissen. Es geht um Objektivität, wertfreie Informationen. Anfangs.

Der Zombitologe figuriert wie in einem Mikrokosmos auf seinem Forschungsgelände als eine Art Survival-Typ, quasi als Lonely Rider in einer dystopischen Welt voller Untoter. Sein Auftrag ist von gesellschaftlicher Bedeutung. Es geht ums Überleben.

Was können Zombies tatsächlich? Wie können wir uns vor ihnen schützen? Brauchen wir Notfallversorgungspläne im Falle einer Invasion? Können sie uns vielleicht als Arbeitssklaven nützlich sein? Sind sie konditionierbar, und wenn ja, wie?

Immerhin: Der Begriff Zombie entstammt dem Kreolischen; in der Karibik war die Versklavung und Ausbeutung von Schwarzen in ihren grausamsten Formen zu beobachten. Die Opfer von Kolonialismus und Sklaverei sahen aus wie Zombies. Die weißen Herren hatten ganze Arbeit geleistet. Und der Scheintot (bzw. die Angst davor), hervorgerufen durch ein Gift des Kugelfisches, ist auf Haiti heute noch Thema. In Bräuchen, Kulten, Ritualen.

Zombies aller Länder vereinigt Euch!

Auf der Bühne müssen sie schuften. Als namenlose Bühnenarbeiter, sind also bedingt ansprechbar, können eventuell Anweisungen entgegennehmen. Es verschränken sich Fiktion und Realität. Wie überhaupt in den filmischen Inszenierungen der letzten Jahre eine Versubtjektivierung der BeißerInnen zu verzeichnen ist. Und der Zuschauer ist gehalten, Entwirrungsarbeit zu leisten.

Die Zombies sind gegeneinander nicht gewaltig; sie führen keine Kriege, belügen sich nicht, schmieden keine Intrigen, verursachen keinen Klimawandel. Von Massenvernichtungslagern ganz zu schweigen. Sicher, sie kommen als Nimmersatt-Kreaturen ein wenig animalisch rüber, aber welcher Mensch wollte da schon den ersten Stein werfen? Sind sie nicht gewissermaßen die besseren Menschen?

Doch sie sind zugleich entpersönlicht, allenfalls noch restbegabt. Von damals her, bevor sie in die Katastrophe schlitterten. Jetzt sind es Pariah, ausgegrenzt, beleidigt und erniedrigt. Die uns Fremden, jene, die uns (vermeintlich) bedrohen: Flüchtlinge, Drogensüchtige am Ende der Fahnenstange, bettelnde Obdachlose. Insofern ist die Rede über Zombies die Rede über uns. Das Gespräch mit dem eigenen Zerrspiegel auf der Bühne. Irgendwie pathologisch und kritisch zugleich. Der Zombie in uns und wir in ihm. Dialektik lässt grüßen.

Was wissen wir über uns? Antworten der Zombies

Tacheles: Die entseelte Verdinglichung in Zombiegestalt, das sind unserer Untaten aus (kapitalorientierter) Gier, mit denen wir ebenso seelenlos die Welt der Apokalypse näherbringen. Die Frage danach, wie wir uns vor der großen Katastrophe wappnen können oder was uns im Falle des Scheiterns postapokalytisch bevorsteht, wird so zur Frage, wie wir uns vor uns selbst schützen.

Man darf gespannt sein, wie über das Auftreten unserer karnivoren Freunde und durch den Umgang mit ihnen menschliches Wirken in einer immer fremder werdenden Welt interpretiert wird. Wie das alltägliche Debakel, das Unglück in Szene gesetzt wird.

Und wie unser Verhältnis zu uns selbst dabei wegkommt. Versöhnung könnte hier nur bittere Satire sein.

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