Von Klaus Winter
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lag der Steinplatz an einer verkehrsreichen Kreuzung, war von verschiedenen Geschäftslokalen umgeben und besaß eine Straßenbahnhaltestelle. Bekannt geworden war er allerdings vor allem durch ein ausgeprägtes Umfeld bestehend aus Schankwirtschaften und Vergnügungsstätten, die schon damals auf eine teilweise vieljährige Tradition zurückblicken konnten und in erster Linie, aber nicht nur in den Abend- und Nachtstunden ihr Publikum fanden. Ein neuer Frequenzbringer siedelte sich 1898 hier an und sollte über viele Jahre den Geschäftsbetrieb am Tage beleben.
„Geschäftseröffnung mit Konzert ist das neueste hier auf dem Gebiete der Reklame“
Ende August 1898 erschienen Anzeigen einer bis dahin nicht bekannten Fa. Meyer & Günther, die damit die Eröffnung ihrer „großer Geschäftslokalitäten“ am Steinplatz für Anfang Oktober bekannt machten – ohne ihr Geschäftsfeld anzugeben.
Es kam jedoch zu Verzögerungen, denn in einem Inserat vom 9. Oktober hieß es zwar, dass die Abteilung für „Herren-Garderobe nach Maass“ eingerichtet sei, doch befand sich das „Lager“ etwas entfernt vom Steinplatz im Haus Mühlenstraße 8.
Gut zwei Wochen später wurde die Geschäftseröffnung für „bestimmt Anfang November“ angekündigt, und tatsächlich fand sie statt am Wochenende 18./19. November mit einer Präsentation „sehenswerter Eröffnungs-Dekoration“. In den Abendstunden konzertierte am neuen Geschäftshaus die damals in der Stadt sehr bekannte Giesenkirchensche Kapelle und zog reichlich Neugierige an.
„Geschäftseröffnung mit Konzert ist das neueste hier auf dem Gebiete der Reklame“, stellte die „Dortmunder Zeitung“ zu diesem Anlass fest. Die in mehreren Tageszeitungen erschienene Werbung zur Eröffnung von Meyer & Günther nahm jeweils beinahe die ganze Seite ein und war geschmückt mit einer großen, detaillierten Grafik des Geschäftshauses „Steinplatz 1“, Ecke Steinstraße. Der erste Verkaufstag war dann Montag, der 21. November.
Kundenmagnet: Das Kaufhaus am Steinplatz wuchs stetig weiter
Das Kaufhaus Meyer & Günther entwickelte sich rasch und sehr erfolgreich. Bereits nach wenigen Jahren wurde die erste Erweiterung des Geschäftshauses in Angriff genommen. Deswegen kaufte man die Nachbargrundstücke Steinstraße 3 und Zimmerstraße 2, legte die Häuser nieder und errichtete Neubauten, die mit dem bisherigen Geschäftslokal verbunden wurden und ein großes Geschäftslokal bildeten.
Ab November 1901 bestand die Schauerfensterfront von Meyer & Günther aus acht großen Fenstern. Diese Geschäftserweiterung war allerdings gegenüber der, die zehn Jahre später in Angriff genommen wurde, eher eine kleinere Angelegenheit.
Im Herbst 1911 begannen die Arbeiten an einer weiteren Vergrößerung des Kaufhauses. Sie sollte das Erscheinungsbild des Steinplatzes vollkommen verändern. Das Unternehmen hatte nochmals benachbarte Immobilien gekauft und zwar Zimmerstraße 4 und Leopoldstraße 3 und 5. Auf diesen Grundstücken wurde nach Niederlegung der dort stehenden Häuser mit einem Neubau begonnen.
Vierstöckiger moderner Kaufpalast mit 7.000 Quadratmeter Verkaufsfläche
Nach dessen Fertigstellung im Oktober 1912 erfolgte der Umzug vom Alt- in den Neubau. Dann wurde der alte Gebäudetrakt vollständig umgestaltet.
So war auf einer Grundfläche von 1.250 Quadratmeter ein das Umfeld dominierender vierstöckiger moderner Kaufpalast mit 7.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, mehreren Eingängen, hohem Satteldach und zwei Lichthöfen entstanden. Die Frontlänge betrug 95 Meter, und 25 Schaufenster lockten die Kundschaft an. Die Neueröffnung von Meyer & Günther fand am 29. September 1913 statt.
Der Umbau sollte sich rechnen. Das große Textilkaufhaus am Steinplatz war ein bedeutender Konkurrent der Häuser am Westen- und Ostenhellweg und zog auch Kundschaft aus anderen Dortmunder Vierteln und der Umgebung in den nördlichen Stadtteil.
Im Eckhaus Steinplatz/ Münsterstraße entstand eine zusätzliche Schaufensterpassage
Zeitweise wurde in der Werbung in der Tagespresse darauf hingewiesen, dass das Kaufhaus nur „drei Minuten vom nördlichen Ausgang des Hauptbahnhofs“ entfernt lag. Mitte der 1920er Jahre betrug der Jahresumsatz stolze fünf Millionen Mark.
Das Kaufhaus Meyer & Günther lag an der Westseite des Steinplatzes. Die zahlreichen Passanten, die die Münsterstraße an der Ostseite des Platzes entlang gingen, sahen natürlich das imposante Gebäude, doch für einen Blick in die Schaufensterauslagen waren sie zu weit entfernt.
Deshalb kam man auf die Idee, in dem Eckhaus Steinplatz /Münsterstraße eine zusätzliche Schaufensterpassage einzurichten, um die Passanten neugierig zu machen auf das, was im eigentlichen Kaufhaus geboten wurde. Die „M & G“-Passage wurde im April 1929 eröffnet.
Jüdische Eigentümer ab 1933 der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt
Das Ende des Erfolges kam in den frühen 1930er Jahren und hatte seinen Grund in den neuen politischen Verhältnissen. Denn die Inhaber von Meyer & Günther waren Juden und deshalb schon ab 1933 Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung.
Mehrfach sah er sich politisch motivierten Angriffen und Erpressungsversuchen ausgesetzt. Nach der „Machtübernahme“ blieb es am Steinplatz nicht bei dem Aufstellen von SA-Männern vor den Eingängen, um die Kundschaft am Betreten des Kaufhauses zu hindern.
Offensichtlich wurden gezielt geschäftsschädigende Gerüchte gestreut, gegen die Meyer & Günther sich wehren musste. So erschien Mitte April 1933 eine Anzeige in der Tagespresse, in der ausdrücklich bestritten wurde, „daß seitens unserer Firma bezw. seitens des Inhabers Herrn Bernhard Meyer Geldbeträge an die Kommunistische Partei gezahlt“ worden seien.
Zwar erschienen in der Folgezeit wieder normale Werbeanzeigen, aber die Verfolgung des Bernhard Meyer wurde fortgesetzt. Infolge der starken Bedrängnis erlitt seine Ehefrau einen völligen Nervenzusammenbruch, der sie über verschiedene Sanatorien schließlich in eine Nervenheilanstalt bei Koblenz führte, wo sie verstarb.
Nach Festnahme nahm sich Eigentümer Bernhard Meyer das Leben
Auch Bernhard Meyer selber war zu der Zeit in sehr schlechter Verfassung und konnte nicht einmal an der Beerdigung seiner Frau teilnehmen. Längst wohnte er nicht mehr in seiner großen Villa am Südwall, sondern anonym in einem Haus an der Mallinckrodtstraße. Er hatte seine Emigration vorbereitet und tatsächlich die dafür notwendigen Dokumente in den Händen, doch als er Deutschland wollte, wurde er in Düsseldorf verhaftet.
„Am 31.8.1936 hat Herr Bernhard Meyer nach seiner Überführung nach Dortmund Selbstmord begangen, wenn er nicht an Mißhandlungen seitens der Gestapo verstorben ist.“ (Über das Schicksal seines Partners Siegmund Günther konnte bislang nichts festgestellt werden.)
Schon 1933 war Meyer & Günther an den Kaufmann Kurt Drahota übergegangen. Die Umstände und Bedingungen des Verkaufs sind heute weitestgehend unklar, doch zweifellos standen sie unter dem Eindruck der politischen Situation. Die Neueröffnung unter der Firma „D. T. K. Dortmunds Textil Kaufhaus“ wurde am 4. Oktober 1933 begangen.
Das Kaufhaus wurde im Verlauf des Zweiten Weltkrieges durch Bomben zerstört
Vorübergehend benutzte der neue Inhaber noch den Zusatz „vormals Meyer & Günther“. Bald darauf war dann aber nur noch von dem Kaufhaus „Drahota“ die Rede, (obwohl der Vorname Kurt noch klein in das Logo eingebunden war).
Das Kaufhaus wurde im Verlauf des Zweiten Weltkrieges durch Bomben zerstört und nach Kriegsende in vereinfachter Form aufgebaut. Die monumentale Wirkung des Gebäudes von 1913 erreichte der Wiederaufbau nicht, aber die Geschäfte liefen wieder an. So wurde 1951 Jahren sogar die „Textil-Import und Großhandel Drahota und Geismann KG“ ins Leben gerufen, um auch im lukrativen Großhandelsbereich tätig sein zu können.
Im September 1957 zog nach völliger Umgestaltung das Kaufhaus Kogge in das Drahota-Gebäude ein. Der Chef des in Westdeutschland bedeutenden Unternehmens hoffte, dass der Steinplatz durch städtebauliche Maßnahmen wieder eine hervorragende Stellung im Gesamtbild der Stadt einnehmen würde.
Nachfolgebetrieb Kogge wurde 1962 geschlossen –
„Kaufhof Nord“ funktionierte nicht
Diese Erwartungen wurden nicht erfüllt, und die Umsätze blieben hinter den Erwartungen zurück. Kogge, das zuletzt 68 Mitarbeiter beschäftigt hatte, schloss 1962 seine Pforten. Millionen sollten investiert werden, um hier den „Kaufhof Nord“ zu eröffnen – ein Haus, das sich ebenfalls nicht durchsetzen konnte.
Im Rahmen der Stadtsanierung Nord wurde das Geschäftshaus abgerissen und der gesamte Steinplatz umgestaltet, so dass heute nur noch der – neu errichtete – Eisengießerbrunnen und die Einmündung der Zimmerstraße als Anhaltspunkte auf den ehemaligen Standort des Kaufhauses Meyer & Günther dienen können.
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Reader Comments
Bebbi
Welchen heutigen Häusern entspricht der Standort? So ganz klar ist mir das nicht.
Klaus Winter
Der alte Steinplatz ist, obwohl er nicht verlegt wurde, in dem heutigen nicht wiederzuerkennen. Von der Vorkriegsbebauung steht seit dem großen Sanierungsprojekt Nord II in den 1960er und 1970er Jahren nichts mehr.
Um die Lage des alten Kaufhauses am besten zu beschreiben, verlängert man die Linienführung der Zimmerstraße nach Süden (Eisenbahn) bis etwa zum heutigen Grünstreifen der Steinstraße, wendet sich dort nach Westen (Richtung Feuerwache) und biegt auf der Kreuzung in die Leopoldstraße nach Norden ein. In dem so skizzierten Raum befand sich einst das große Kaufhaus.
Bebbi
Danke. Es stand also an der Südseite, würde also heute quasi die Seitenwand des Sexkinos bedecken?
Interessante Serie auf jeden Fall.
Auswärtsspiel
Eine tolle Serie. Bitte unbedingt weiterführen! Nostalgie ist meistens fehl am Platz. Und die alte, sowohl bürgerliche als auch proletarische Nordstadt wird nicht wiederkommen. Aber es gibt auch Grund zur Wehmut, wenn traditionsreiche Plätze und Gebäude nicht nur dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen sind, sondern auch der städtebaulichen Sanierungswut und dem Autovorang.
Ursel Decker
Meine Mutter, Jahrgang 1915, Ausbildung zur Textilverkäuferin bei Meyer & Günther, erzählte mir, dass sich ihr Chef in der Firma durch Erhängen das Leben nahm.
Sie erzählte auch Begebenheiten aus dem Firmenalltag.