Text und Fotos von Roland Klecker
Wenn sich PolitikerInnen mehrerer Parteien zusammen setzen fliegen oftmals die Fetzen. Deshalb erstaunt es zumindest im Wahlkampf, dass es anscheinend auch anders geht. Vielleicht lag es den zwei Themen selbst, die bei der von der Interessengemeinschaft Sozialgewerblicher Beschäftigungsinitiativen e.V. (ISB) organisierten Podiumsdiskussion im Probsteiforum im Mittelpunkt standen. VertreterInnen der CDU, SPD, FDP, Grünen, Linken und Piraten waren eingeladen, ihre und ihrer Parteien Standpunkte zu den beiden Problemfeldern Langzeitarbeitslosigkeit und Schulsozialarbeit zu vertreten.
Zweigeteilte Diskussion zu Langzeitarbeitslosigkeit und Schulsozialarbeit
Nach einführenden Worten von Hausherr Georg Rupa, Vorstand des Caritasverbandes Dortmund e.V., übernahm NGG-Sekretär Manfred Sträter souverän die Moderation der Veranstaltung.
Die Atmosphäre war im ersten Teil merklich aufgeheizt, da viele Wortmeldungen von Betroffenen des Themas Schulsozialarbeit auf den zweiten Teil der Diskussion verwiesen wurden, was viel Unmut erzeugte.
Allerdings wurde die Diskussion über die Möglichkeiten der Mittel gegen Langzeitarbeitslosigkeit genau so lebhaft geführt, die Parteienvertreter wurden mit vielen direkten Fragen konfrontiert. So manch einer musste zur Antwort das Wahlprogramm seiner Partei zur Hand nehmen, um nicht aus Versehen falsche Versprechungen zu machen.
Trotz der vorweg geführten Kurzinterviews und abgegebenen Statements zu den Themen schien der eine oder andere Politiker ein wenig unvorbereitet, entweder im Thema oder im emotionalen Umgang damit.
BesucherInnen konnten sich auch per „Whatsapp“ an der Debatte beteiligen
Die besucherfreundliche Moderationstechnik blendete bei jedem Redebeitrag eines Politikers eine Folie mit Namen und Statements aus den vorab geführten Interviews ein, was sichtlich flüssigeren Gesprächen führte. Die Menschen auf der Bühne konnten zielgerichtet angesprochen werden, die Dispute waren dadurch sehr persönlich.
Per Whatsapp konnten sich auch die BesucherInnen, die gerade keinen Redebeitrag hatten, an der Diskussion beteiligen. Einzelne Statements davon wurden von den Technikern zur passenden Zeit auf die große Leinwand gebracht. Eine lobenswerte Interaktivität, die auch zu einer lebendigen, ungestörten Diskussion beitrug.
Zum Beginn eröffnete allerdings erst einmal Andreas Koch, Vorstand und Gründungsmitglied des ISB e.V., die offizielle Stellungnahme seiner Organisation und bringt damit die Besucher auf den gleichen Stand und die Diskussion ins Rollen.
Langzeitarbeitslosigkeit führt zu Verarmungstendenzen ganzer Bevölkerungsgruppen
„Auch in Zeiten sinkender Arbeitslosigkeit und guter wirtschaftlicher Entwicklung profitieren Langzeitarbeitslose nicht alle vom wirtschaftlichen Aufschwung. Langzeitarbeitslosigkeit verstetigt sich. Die Folge sind Verarmungstendenzen ganzer Bevölkerungsgruppen, die sich zudem auf einzelne Stadtquartiere konzentrieren. Regionen im Strukturwandel sind davon besonders betroffen. Öffentlich geförderte Beschäftigung ist oft die einzige Chance für Betroffene.“
Welche Hilfesysteme greifen? Welche Rolle spielt dabei auch Schulsozialarbeit? Diesen und anderen Fragen werden sich unsere Politiker heute stellen müssen. „Wir müssen uns auf Problemprioritäten einigen“, führt Koch von einem Problem zum anderen weiter aus.
Laut aktueller Studien und Befragungen der Wirtschaft sei das größte Problem in den Unternehmen heute der Fachkräftemangel – noch vor Lohnnebenkosten und Fehlzeiten. Jemand, der keine Wohnung habe, werde nicht von der Straße in einen Job vermittelt werden können.
Es mangelt an Einfacharbeitsplätzen für ungelernte Arbeitskräfte
Maßnahmen dürften auch nicht bundes- oder gar europaweit ausgeschrieben werden. „Da kommen dann so Heuschrecken, grasen den Markt ab mit schlecht bezahlten Kräften und hauen wieder ab. Es macht keinen Sinn, auf noch mehr ziellose Maßnahmen setzen. Wir müssen individuelle Talentschätze heben“, so Koch.
Ungefähr ein Drittel der SGBII-Empfänger stamme aus sogenannten „bildungsfernen Schichten“, es mangele an Teilhabe am öffentlichen Leben für „Langzeit-Hartzer“. Auch wenn die Angebote da seien, sie erreichen oft nicht die Betroffenen. Es mangele an Einfacharbeitsplätzen für ungelernte Arbeitskräfte, auch wenn Ikea und demnächst Amazon schon viel dazu beitragen.
Weiter forderte Koch die öffentliche Hand auf, in Ausschreibungen nicht mehr nur auf den günstigsten Anbieter zu setzen, sondern auch die sozialen Aspekte zu fordern: Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und Einfacharbeitern. Der Staat und die Verwaltungen seien der größte und mächtigste Arbeit- und Auftragsgeber in diesem Land, es sei an der Zeit diese Macht zu nutzen und damit langfristig Perspektiven zu schaffen für einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt.
35.000 Arbeitslose in Dortmund und zu wenige freie Stellen – Gibt es Arbeit für alle?
Um die Diskussion anzustoßen, warf Koch ein paar Zahlen in den Raum. Laut aktueller Statistik (aus April) gibt es derzeit 35.000 Arbeitslose in Dortmund. Moderator Manfred Sträter nahm diese Steilvorlage auf und verlängerte sie in die Politiker-Riege.
„35.000 Arbeitslose sind sehr viel mehr als es freie Stellen gibt in Dortmund. Und natürlich sind nicht die Fachkräfte darunter vertreten, die in der Wirtschaft für die meisten offenen Stellen gesucht werden. Angebot und Nachfrage decken sich in großen Bereichen nicht. Was ist zu tun? Wie schaffen wir Arbeit für alle?“, fragte Sträter in die Runde.
SPD-Kandidatin Anja Butschkau nimmt als erste diese Frage auf und erweitert das Problem: „Das Problem der Kinderarmut liegt mir sehr am Herzen, und die liegt nun mal in der Familie. Ohne Arbeit für die Eltern fehlt es an Einkommen, droht Armut. Aber nicht nur deshalb brauchen wir neue Jobs, denn Arbeit hat auch was mit Würde zu tun. Wir fordern einen sozial geförderten Arbeitsmarkt anstatt der bisherigen befristeten Maßnahmen.“
Diese würden oft zu einem Drehtüreffekt führen, die TeilnehmerInnen an Beschäftigungsmaßnahmen kämen zwar kurz in Bewegung, aber würden direkt wieder in der Arbeitslosigkeit abgeliefert. Es sei schon geholfen, wenn bei den Ausschreibungen für längere Maßnahmen gewisse Standards eingeführt würden: Tariftreue, Mindestlöhne, Beschäftigung von Mitarbeitern mit Einschränkungen oder Langzeitarbeitslosen.
Förderung von Arbeit statt der Finanzierung der Arbeitslosigkeit gefordert
Ulrich Langhorst von Bündnis 90/die Grünen fordert einen Paradigmenwechsel: Von der Finanzierung der Arbeitslosigkeit hin zur Förderung von Arbeit.
„Es gibt genug Leute die trotz aller Maßnahmen nie im ersten Arbeitsmarkt ankommen. Denen können wir Geld zahlen fürs Nichtstun oder sie in teure Maßnahmen stecken, wir können ihnen aber auch langfristig Arbeit schaffen“, so Langhorst.
Auch er betonte, dass Arbeit viel mit Würde zu tun habe. Wer arbeite, habe einfach auch einen höheren Anspruch an sich selbst und an seine Lebensführung. Ein erster Ansatz sei gemacht: Derzeit würden 250 Stellen im sozialen Bereich gefördert, mit insgesamt zehn Millionen Euro für die nächsten Jahre.
Das sei zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es sein ein Anfang. „Der Helfer-Arbeitsmarkt wird nicht reichen, trotz Amazon und IKEA. Wir kommen nicht an Qualifizierung und Weiterbildung vorbei. Stichwort: Lebenslanges Lernen“, so der Grünen-Kandidat.
„Soziale Marktwirtschaft ist das Schaffen von Arbeit, nicht von Arbeitsplätzen“
Friedrich Löhrer von der FDP fordert mehr und bessere Förderung von Gründern: „Soziale Marktwirtschaft ist das Schaffen von Arbeit, nicht von Arbeitsplätzen. Dazu braucht es unternehmerischen Mut.“
In Baden-Württemberg sei der Anteil an Selbständigen fünfmal höher als bei uns. Jeder, der darin gefördert werde, ein Unternehmen zu gründen, schaffe im Schnitt sieben bis neun Arbeitsplätze. „Und wir brauchen einen Plan für Überbrückungshilfen. Wir mussten im letzten Jahr ein Unternehmen schließen, weil eine einfache, vom Land geforderte Sicherheit für saisonale Überbrückung nicht kurzfristig ausgestellt wurde“, so Löhrer.
„Hannelore Kraft hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern. Deshalb sind letztlich 95 Menschen arbeitslos geworden. Das ist der derzeitigen Regierung egal“, wettert der FDP-Kandidat.
Manfred Sträter ergänzt, dass bei Insolvenzen ja nicht nur privates Vermögen verbrannt werde, sondern natürlich auch öffentliches. Jeder, der seinen Job bei einer Insolvenz verliere, erhalte erst einmal drei Monate lang Insolvenzgeld und komme danach natürlich in die Tretmühle der Arbeitssuche.
Linken-Kandidat fordert die 30-Stunden-Woche bei vollen Lohnausgleich
Der Vertreter der Linken, Ingo Meyer, fordert die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, eine Mindestsicherung von 1050 Euro und einen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde.
Dazu fordert er einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt und Maßnahmen für Arbeitslose, die auf freiwilliger Teilnahme basierten und gut bezahlt würden. Das rechne sich in sich, so Meyer. Mit dieser Aussage konnte er allerdings keinen der anderen Diskussionsteilnehmer überzeugen.
Claudia Middendorf, Kandidatin und Mitglied des Landtags, führt die wichtigsten Punkte aus dem Wahlprogramm der CDU ins Feld. Wirtschaft und Arbeit dürften nicht getrennt voneinander zu sehen sein, es sei wichtig beides in der Politik intensiv zu verzahnen. Ferner setzt sie auf die Ansiedlung von Firmen, durch die Freigabe von Flächen – und damit auf den Zuzug von Arbeitsplätzen.
Middendorf ernet viel Kritik für Äußerungen zum Klimaschutz
Sie äußerte ihr Unverständnis, dass der Flughafen derzeit Flächen aufgrund von Klimaschutzgründen nicht frei gäbe, die ihr nicht ausreichend begründet seien. Zudem führt sie Chancengleichheit durch Bildung, die Vorbereitung auf die Ausbildung bereits in der Schule und als ein Beispiel die Landesinitiative Starke Seelen an.
Die letzten Punkte kamen allerdings beim Publikum nicht an, denn mit ihren Ausführungen stieß Middendorf auf heftigen Protest. In Zeiten wo Donald Trump die Erderwärmung verneine und Arbeitsplätze durch neue Braunkohlekraftwerke schaffen will sei diese Argumentation von einer deutschen Politikerin wohl äußerst unpassend, wenn nicht gar bedenklich, fasste es ein Kommentar aus dem Publikum zusammen. So sei das ja nicht gemeint gewesen, sagte die Abgeordnete. Man müsse halt alles Liebgewonnene auf den Prüfstand stellen.
Dasselbe gelte für Maßnahmen, die auf ihre Wirkung überprüft werden müssten. Was nicht überzeugt muss weg, dafür gehören neue geschafft und gute müssen dauerhaft eingerichtet werden. Hier richtete sie das Hauptaugenmerk auf das Problem der prekären Maßnahmen und ihrer Träger. Wichtig sei auch eine gezielte Förderung im Bereich Ausbildung für Kinder und Jugendliche, die in Bedarfsgemeinschaften leben.
1:150: Kritik an den Betreuungsquoten in den Arbeitsagenturen
Torsten Sommer, der für die Piraten im Landtag sitzt, beklagt die Betreuungsquoten bei der Agentur für Arbeit. Bei einem Verhältnis von 1:150 könne man nur noch verwalten – von Betreuung könne gar keine Rede mehr sein.
Über eine Co-Finanzierung durch den Europäischen Sozialfonds müsse man auf Quoten von 25:1 kommen, im Einzelfall sogar auch 1:1. Anstatt viel Geld ohne Wirkung auszugeben könne ein wenig mehr wirkliche Effekte erzielen.
Er suchte den Widerspruch zur FDP: Er halte es für falsch, fünf Prozent in die Selbständigkeit zu fördern und damit die restlichen 95 Prozent links liegen zu lassen. Zudem kritisierte Sommer, dass selbst gute Projekte und Maßnahmen nicht in den Regelbetrieb kommen, sondern am Ende ihres Finanzierungszeitraumes einfach abgesetzt würden.
Immer Neues statt Bewährtes nachhaltig umzusetzen sei der falsche Weg, so Sommer. „In den letzten 20 Jahren ist da einfach nichts passiert. Ich fordere Entscheidungen nach Evidenzen anstatt wie es in der Politik üblich ist aus dem Bauch heraus zu agieren.“
Intensives Coaching für Langzeitarbeitslose bracht „Kalle“ die Festanstellung
Sabine Kremer, Jobcoach im Christlichen Jugenddorf, hatte einen ihrer „Schützlinge“ mit zur Diskussion gebracht: Karl-Heinz „Kalle“ Steffen (46) hat dieses intensive Coaching für Langzeitarbeitslose genossen.
Mit 16 habe er noch aktiv beim VfL Bochum Fußball gespielt, von einer Karriere als Profikicker geträumt und sich um nichts weiter gekümmert. Als der Traum platzte, kamen Sozialamt und Arge gerade richtig, um das laue Leben zu finanzieren. Er lebte insgesamt 20 Jahre von der Stütze, bis auf ein paar Jobs für Zeitarbeitsfirmen.
Irgendwann kam dann die Einladung zur Maßnahme. „Eigentlich hatte ich keinen Bock“, gesteht Kalle. „Bis dahin habe ich in den Tag hinein gelebt. Bis um drei geschlafen und um fünf schon wieder müde, vom Schlafen. Ich hab zu meiner Frau gesagt: Jetzt haben wir die ersten 40 Jahre mit Hartz IV rum gekriegt, die nächsten schaffen wir auch noch.“ Aber er habe sich dann dennoch entschlossen, zu der Maßnahme zu gehen.
Da habe er dann das erste Mal Vertrauen erlebt, wurde für voll genommen, auf Augenhöhe behandelt „Das war in den Zeitarbeitsfirmen nicht so, da wirst du immer wie ein Untergebener behandelt, wie minderwertig.“ Während der ersten Zeit gab es zwar immer noch Probleme mit der Pünktlichkeit und dem Eifer. Aber als im ein bisschen Verantwortung gegeben wurde, habe sich das auch gebessert.
Dann kam das Angebot, festangestellt als Anleiter zu arbeiten. „Da ist der Knoten dann geplatzt und ich war richtig stolz auf mich. Und wo ich den Festvertrag gekriegt hab da habe ich, mit 45 Jahren, noch geweint. Das war toll.“
Schulsozialarbeit war das zweite große Diskussionsthema
Schulsozialarbeit, das ist so ein Begriff mit dem die wenigsten in Kontakt kommen. Dabei verbirgt sich dahinter ein wichtiges Instrument schulischer Förderung. Den älteren ist vielleicht noch der Schulpsychologe ein Begriff. Eine Person pro Schule (wenn es denn diese Stelle überhaupt gab), die für alle „Problemkinder“ als Betreuer neben den Elternhaus fungierte.
Heutzutage sind die Probleme der SchülerInnen augenscheinlich deutlich komplexer und treten auch viel häufiger auf. Der höhere Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund und die steigende Anzahl von Kindern aus wirtschaftlich schwachen Familien sind nur zwei Entwicklungen, die ungeahnte und vom Lehrkörper nicht lösbare Folgen mit sich bringen.
Dazu kommt die stark angestiegene Zahl von Schulverweigerern und Abgehängten, die dem Unterricht nicht mehr folgen wollen oder können, die sich ausgegrenzt fühlen. Die Folgen davon sind Schulabbrüche, ungelernte Hilfskräfte, mangelhafter Nachwuchs für Ausbildungsstellen, „ausbildungsunfähige“ BewerberInnen und eine halbe Generation von potentiellen Dauerarbeitslosen.
All das sind Gründe, die für eine sozialpädagogische Betreuung von SchülerInnen neben und außerhalb des Unterrichts sprechen. In Gesamtschulen war und ist die Einrichtung von Stellen für Schulsozialarbeit aufgrund der Heterogenität der SchülerInnen schon immer Pflicht. Jede Gesamtschule in NRW hat mindestens eine feste Stelle dafür.
Seit 2003 gibt es Schulsozialarbeit verstärkt an allen Schulformen in NRW
Seit 2003 engagiert sich das Land NRW verstärkt an Hauptschulen. Zunehmend wird Schulsozialarbeit aber auch an Förderschulen, Realschulen und Gymnasien installiert. Dabei gibt es viele verschiedene Projekte und, man muss es so sagen, Experimente.
Hierin liegt auch ein großes Problem: Laufen diese meist kurzzeitig angelegten Projekte aus, stehen die SozialarbeiterInnen wieder auf der Straße, die angefangene Betreuung bricht zusammen. Zum Teil müssen Jugendliche mitten in einem Aufwärtstrend wieder allein gelassen werden. Da brechen unter Umständen Vertrauen und Hoffnungen vollends zusammen.
Aber auch vorher kristallisieren sich dieselben Muster heraus wie bei den Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit: Prekäre Arbeitsverhältnisse der notwendigerweise gut ausgebildeten Sozialpädagogen bei Maßnahmenträgern, deren Herz nicht in den Projekten liegt.
So werden hier mitunter keine ansprechenden Gehälter gezahlt und die Zukunft ist immer ungewiss. Auch wenn es hier und da Bestrebungen gebe, zum Beispiel eine Lehrerstelle umzuwandeln in eine Beratungsstelle, so findet sich einfach keine einheitliche Lösung. Letztlich stehen derzeit in Dortmund aufgrund auslaufender Finanzierungen 80 hochqualifizierte Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Schulleiterin beklagt mangelnde Perspektiven für die Schulsozialarbeit
Schulleiterin Christel Stegemann von der Albert-Schweitzer-Realschule, die mit ihren Schülersprechern angereist ist, verschafft ihrer Empörung Luft: „Was ist denn nun mit diesen Stellen? Keiner scheint zuständig, niemand macht klare Aussagen, wir werden völlig hängen gelassen. Dabei sind diese Leute so wichtig.“
In diese Richtung steuert auch eine Whatsapp-Frage aus dem Publikum: „Wie können Projekte/Maßnahmen die sich bewährt haben in eine Regelförderung überführt werden?“
Torsten Sommer griff die Frage auf und schilderte gleich das Problem: Die Förderung vom Bund sei immer zeitlich begrenzt, danach wären Gesetzesänderungen notwendig. Die GroKo stehe sich dabei wie bei so vielem selbst im Weg.
Der spontane Vorschlag von Frieder Löhrer, die Schulsozialarbeit mit dem Ehrenamt zu verknüpfen, stieß auf heftige Proteste. Ansonsten stieß er ins selbe Horn wie alle: Arbeit dürfe nicht immer kurz befristet sein, dies sei eine Katastrophe für Beschäftigte und Betreute.
Butschkau: Präventive Arbeit darf nicht mit dem Ehrenamt verknüpft werden
Anja Butschkau betont dann auch direkt, dass diese wichtige präventive Arbeit auf keinen Fall ehrenamtlich geleistet werden dürfe. Geld gibt es vom Bund auch nur für ausgebildete Fachkräfte, das sei die Grundlage für jede Schulsozialbetreuung. Das Ziel müsse immer die Gleichberechtigung und -befähigung aller Schüler sein.
Ulrich Langhorst meint ganz pragmatisch: „Natürlich muss das Land solange in die Bresche springen bis der Bund den Arsch hochkriegt. Ob dann letztlich Bund, Land oder Kommune das Geld gibt, oder alle zusammen, ist doch egal, es darf nur jetzt nicht wegfallen.“
Claudia Middendorf versprach: „Wir machen das zur Ländersache, damit die Projekte weiter gefördert werden.“
„MitarbeiterInnen in der Schulsozialarbeit müssen als Landesbeschäftigte mit Tarifbindung nach dem Landespersonalvertretungsgesetz bezahlt werden. Die Dienstaufsicht liegt dann bei der Schule, die Fachaufsicht beim zuständigen Jugendamt“, forderte Ingo Meyer.
Eine Besucherin, Ute Lohde von Grünbau, weist auf folgenden Umstand hin: „Junge Zurückgelassene sind oft Flüchtlinge oder stammen aus Osteuropa. Sie müssen erst mal alphabetisiert werden, brauchen Sprachförderung. Es fehlt an ausbildungsbegleitenden Hilfen. Da gibt es keinen Sozialbezug“, berichtet Lohde.
Prekäre Beschäftigung lässt die zu betreuenden Jugendlichen im Regen stehen
„Da muss ich als Beraterin sagen: Raus aus der Maßnahme, such Dir einen Minijob, dann bist Du wenigstens versichert und hast später Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein“, ärgert sich die Mitarbeiterin von Grünbau.
Anja Butschkau schlägt für dieses Problem eine Verstärkung des Landesjugendplans vor, aus dem diese begleitenden Hilfen finanziert werden könnten.
Jan Oliver Schünke, Bildungs- und Teilhabeberater bei der dobeq, stellte die wohl überfälligste Frage: „Was ist billiger, 80 Stellen zu finanzieren oder tausende nicht unterstützte Kinder später jahrzehntelang durchzufüttern?“
Klare und kurze Wahlversprechen von allen Parten eingefordert
Zum Ende der Veranstaltung bittet Manfred Sträter noch einmal alle KandidatInnen um eine kurze, klare Wahlaussage zu diesem Thema.
Ulrich Langhorst (Grüne) meint, die Schulsozialarbeit sei von SPD und Grünen vorschriftsmäßig finanziert. Er glaubt, dass es mit der Finanzierung weitergeht.
Frieder Löhrer (FDP) betont dass Bildung das Hauptthema für die FDP sei. Soziale Arbeit wäre im Programm explizit genannt. Er verweist noch einmal auf Folgekosten fehlender Sozialer Arbeit durch zum Beispiel Kriminalisierung oder lebenslange Förderung.
Ingo Meyer (Linke) sieht ganz klar das Land in der Pflicht, kurzfristig die Maßnahmen zu bezahlen, egal wo es sich das Geld herholt. Schulsozialarbeit müsse weiter gehen. Sie einzustellen wäre genau so dumm wie Steuern für Reiche abzuschaffen.
„Es steht so in unserem Wahlprogramm, als klare Ansage: Das ist Ländersache“, betont Claudia Middendorf (CDU).
Auch Torsten Sommer (Piraten) bestätigt, nachdem er extra noch mal kurz übers Smartphone sein Wahlprogramm gecheckt hat: „Jawohl, steht im Wahlprogramm“.
„Das Ziel muss immer die Gleichberechtigung und -befähigung aller SchülerInnen sein. Deshalb darf es keinen Bruch in der Betreuung geben, das Angebot muss dauerhaft aufrecht erhalten werden. Wir werden die Mittel dafür bereit stellen“, fasst Anja Butschkau (SPD) zusammen.
„Wir sind uns einig: Schulsozialarbeit muss bleiben, und befristete Beschäftigung ist keine artgerechte Arbeitnehmerhaltung“, schließt Moderator Manfred Sträter die Veranstaltung.