Die „Mobile Beratung NRW“ schlägt Alarm: Die von der Bundesregierung genannten Zahlen zu Übergriffen gegen Geflüchtete und deren UnterstützerInnen sind alarmierend. Vor allem deshalb, weil die BeraterInnen im Rahmen eines eigenen Monitorings feststellen müssen, dass die wirkliche Zahl noch höher liegt. „Es gilt nun, diese Angriffe wahrzunehmen und das Thema ,Flucht und Asyl’ nicht im Wahlkampf zu instrumentalisieren“, so Heiko Klare von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW.
In NRW gab es 499 Straftaten gegen Geflüchtete, Helfende und Einrichtungen
Die Anzahl der Übergriffe gegen Geflüchtete und deren UnterstützerInnen ist 2016 im Vergleich zum Vorjahr bundesweit erneut gestiegen. Alleine in NRW gab es 499 Straftaten gegen Geflüchtete, Helfende und Einrichtungen.
Die Zahlen, die die Bundesregierung Ende Februar auf Anfrage („Proteste gegen und Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte“) der Fraktion DIE LINKE veröffentlichte, sind alarmierend.
Die Mobile Beratung (MBR) berät und unterstützt AkteurInnen vor Ort bei der Entwicklung von Strategien gegen Rechtsextremismus und Rassismus. In NRW gibt es ein Beratungsteam in jedem Regierungsbezirk. Für das Jahr 2016 hat die Mobile Beratung NRW darüber hinaus ein eigenes Monitoring rechter und rassistischer Straftaten gegen Geflüchtete, sowie extrem rechter und rassistischer Demonstrationen und Kundgebungen durchgeführt.
Um „Dunkelfelder“ besser erfassen zu können, sind darin neben den von offizieller Seite veröffentlichten Statistiken zu politischer motivierter Kriminalität Rechts (PMK Rechts) und Polizeipressemitteilungen auch eigens recherchierte Fälle und Medienberichte eingeflossen.
Beleidigungen, Steinwürfe, Schüsse, Brandanschläge, Hetze und körperliche Gewalt
Die Bandbreite der Übergriffe und Anfeindungen in NRW reicht von Steinwürfen, Schüssen und Brandanschlägen über Beleidigungen, Drohungen, Schmierereien und Hetze bis hin zu körperlicher Gewalt.
Die Vorfälle verteilen sich über ganz NRW, gerade im ländlichen Raum kommt es immer wieder zu „kleineren“ Vorkommnissen, die in der Regel öffentlich kaum thematisiert werden.
Auffällig sei zudem, dass die mutmaßlichen TäterInnen häufig nicht zu rechten Gruppierungen gehörten, sondern vielmehr aus einem „bürgerlichen“ Milieu kämen und zuvor noch nicht in diesem Kontext aufgefallen seien.
Die TäterInnen sähen sich selbst als VertreterIn bzw. BeschützerIn einer schweigenden Mehrheit, so die Analyse der Mobilen Beratung NRW. Sie inszenierten sich als VollstreckerInnen eines angenommenen „Volkswillens.“
122 Straftaten dokumentiert im Regierungsbezirk Arnsberg dokumentiert
Für das Jahr 2016 wurden von der MBR Arnsberg 122 Straftaten dokumentiert. Neben zahlreichen Fällen von Sachbeschädigung und Volksverhetzung finden sich auch vereinzelte Körperverletzungen.
So kam es in der Stadt Dortmund u.a. zu einem Messerangriff und mehreren Fällen von (versuchter) Körperverletzung durch Flaschen- und Böllerwürfe auf politische GegnerInnen der extremen Rechten. In der Gemeinde Wilnsdorf (Kreis Siegen-Wittgenstein) kam es zudem zu einem versuchten Mordanschlag, als ein Brandsatz vor einer Geflüchtetenunterkunft gelegt wurde.
Insgesamt waren die Hälfte der dokumentierten Vorfälle (66) Übergriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte. Neben 23 Fällen von Sachbeschädigung und 14 Fällen von Körperverletzung wurden vor allem auch neun Brandanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten dokumentiert.
Wenngleich auch hier die meisten Vorfälle auf das Gebiet der Stadt Dortmund entfallen (18), sind die ländlichen Gebiete des Regierungsbezirks in Anbetracht ihrer relativ gering ausgeprägten rechten Strukturen auffällig.
31 Demonstrationen und Kundgebungen gegen Flüchtlinge – Schwerpunkt Dortmund
Für den Bereich der Demonstrationen und Kundgebungen lassen sich für den RB Arnsberg 31 Veranstaltungen anführen, die sich zu einem großen Teil auf die Stadt Dortmund konzentrieren.
Im Schwerpunktgebiet der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ wurden vom Dortmunder Kreisverband im Jahr 2016 allein 21 Kundgebungen (bzw. „Mahnwachen“) und Demonstrationen ausgerichtet.
Der sogenannte „8. Tag der deutschen Zukunft“ am 4. Juni 2016 mit knapp 900 Teilnehmenden aus dem gesamten Bundesgebiet war dabei die weitaus größte Veranstaltung im gesamten Regierungsbezirk.
Hinzu kommt eine Kundgebung mit ca. 500 Teilnehmenden von „Gemeinsam stark Deutschland e.V.“ im Oktober 2016, die auch überwiegend vom neonazistischen Spektrum getragen wurde.
Andere Rechtsaußen-Parteien überlassen „Der Rechten“ das Feld
Obwohl die durchgeführten Demonstrationen und Kundgebungen von „Die Rechte“ im Vergleich zum Vorjahr um gut ein Drittel zurückgegangen sind (35 Veranstaltungen für 2015), besitzt die Partei mit ihren knapp 100 Mitgliedern in Dortmund und Hamm nach wie vor das größte Mobilisierungspotential aller rechten Parteien im Regierungsbezirk.
So hat die NPD in Dortmund, Hamm und im Kreis Unna ihr längst die Führungsrolle überlassen und 2016 selbst nur eine Veranstaltung in Bochum (170 Teilnehmende) ausgerichtet. Auch die AfD zeigte in den Großstädten kaum Präsenz: neben Veranstaltungen in Lippstadt und Unna ist einzig eine „spontane Demonstration“ in Dortmund dokumentiert (20 Teilnehmende).
Auffallend ist für den gesamten Regierungsbezirk die partei- und spektrenübergreifende Fokussierung auf das Thema „Flucht und Asyl“ – mit der offenen Hetze gegen Geflüchtete mobilisierten rechte AkteurInnen zu 16 Demonstrationen und Kundgebungen.
Verbindung zwischen Straftaten und polarisierender gesellschaftlicher Stimmung
„Aus unserer Sicht besteht ein Zusammenhang zwischen den flüchtlingsfeindlichen Straftaten und einer sich seit Ende 2015 weiter polarisierenden gesellschaftlichen Stimmung“, so Heiko Klare von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW.
„Diese ist geprägt von kaum noch sachlich geführten Debatten. Die Hemmschwelle sinkt, Hetze und Diskriminierung immer offener und selbstbewusster geäußert“.
Zusätzlich verstärkt und vielfach mit polemischen, verkürzenden und rassistischen Positionen aufgeladen wurden diese Diskussionen in Folge der sexualisierten Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln.
Die Mobile Beratung NRW warnt mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen zum Landtag im Mai und zum Deutschen Bundestag im September, das Thema „Flucht und Asyl“ für rechtspopulistische Parolen zu missbrauchen. Heiko Klare appelliert daher an alle Parteien: „Unter keinen Umständen darf der Wahlkampf auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen werden.“