Antikriegstag-Gedenken in Dortmund: Nach 20 Jahren Schweigen ergreift Erhard Eppler wieder das Wort

Mahnende Worte sprach Ehrengast Dr. Erhard Eppler in Dortmund.
Mahnende Worte sprach Ehrengast Dr. Erhard Eppler in Dortmund. Fotos: Alex Völkel

Von Claus Stille

Im zehnten Jahr fand in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund eine Gedenkveranstaltung zum Antikriegstag statt, auf die Liedermacher Fred Ape mit seinem Lied „Ich will meine Stadt nicht braun“ auf die gut besuchte Veranstaltung in der Nordstadt eingestimmte.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ als „unumstößliche Lehre aus Faschismus und Krieg“

Liedermacher Fred Ape.
Liedermacher Fred Ape.

Ihre Begrüßungsansprache leitete Jutta Reiter, Vorsitzende des DGB Region Dortmund Hellweg, mit einem Zitat des Artikels (1) ein: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, der, so Reiter, eine „unumstößliche Lehre aus Faschismus und Krieg“ sei..

Reiter benannte das Datum des Kriegsbeginns, den 1. September 1939 – der Überfall des faschistischen Deutschlands auf Polen – und die Zahl der an dessen Ende zu beklagenden Todesopfer: 60 Millionen. Erinnerte aber sogleich auch an die schrecklichen Kriege der Gegenwart weltweit, in denen unzählige Menschen Opfer von politischer, ethnischer und religiöser Verfolgung wurden.

Das schocke uns zwar, zeige jedoch gleichzeitig, „dass wir keine wirklichen Lehren aus den Kriegen“ der Vergangenheit gezogen hätten, „die den Grundsatz, dass die Würde des Menschen wirklich unantastbar ist, über andere definierte und nicht definierte Interessen stellt“.

Beim Gedenken in der Steinwache habe man diese Interessen immer wieder benannt. Dennoch spitze sich die Lage weiter zu. Und mit den Geflüchteten seien die Auswirkungen von Krieg und Verfolgung zu uns herangerückt.

Rechtspopulisten untergraben Gemeinwesen – „Krieg: Stell dir vor, er wäre hier“

Die DGB-Vorsitzende Jutta Reiter.
Die DGB-Vorsitzende Jutta Reiter.

Statt man hier die Unantastbarkeit der Würde auch der Geflüchteten schütze, nützten Rechtspopulisten diese aus, um Stimmung zu machen, Hass zu sähen, unsere Gesellschaft zu spalten und unserer solidarisches Gemeinwesen zu untergraben. „Das dürfen wir nicht zulassen.“

Jutta Reiter sprach vom Buch „Krieg: Stell dir vor, er wäre hier“ der Autorin Jane Teller. Darin schildere die Dänin verständlich für Kinder und Jugendliche wie Krieg sich bei uns anfühlen würde. Wenn man etwa gezwungen sei vor einer faschistischen Diktatur hier in den Nahen Osten zu flüchten.

Wie der 14-jährige Protagonist des Buches aus Deutschland. Ohne Aufenthaltsgenehmigung und Möglichkeit die arabische Sprache zu erlernen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, schloss die DGB-Vorsitzende, „das ist eine historische Überschrift, die für unser Gemeinwesen Geltung haben muss.“

Ein ergreifendes Gedicht des syrischen Flüchtlings Mohamad Srour

Mohamad Srour
Mohamad Srour

Als nächste griff der syrische Zahnarzt Mohamad Srour zum Mikrophon. Er war Ende 2014 nach Deutschland gekommen. Im April 2015 hat er einen Sprachkurs an der Auslandsgesellschaft Dortmund begonnen und zehn Monate später mit Bravour abgeschlossen.

Bald schon begann er, Gedichte auf Deutsch zu schreiben. Eines dieser Gedichte trug Srour dann vor den Versammelten vor.  Dieses Gedicht hat er Aylan gewidmet.

Wir kennen dessen Bild alle: das Flüchtlingskind, dass 2015 ertrunken an einen türkischen Strand gespült worden war. Ein ergreifender Text, für welchen Mohamad Srour verdienten Applaus erhielt.

Hauptredner war Dr. phil. Erhard Eppler 

Mit überaus herzlichem Applaus ist dann auch das SPD-Urgestein Dr. phil. Erhard Eppler (Jahrgang 1926), Bundesminister a.D., der Hauptredner der Gedenkveranstaltung, begrüßt worden. Zunächst drückte Eppler seinen Respekt vor der Leistung von Mohamad Srour aus: „So ein reines Deutsch bekomme ich das als Schwabe gar nicht hin.“

Mahnende Worte sprach Ehrengast Dr. Erhard Eppler in Dortmund.
Mahnende Worte sprach Ehrengast Dr. Erhard Eppler in Dortmund.

Alle Einladungen der letzten 20 Jahre, zum Antikriegstag zu sprechen, so Eppler, habe er abgelehnt. Weil er meinte, nun könnten mal jüngere ran. Auch habe er nicht gewusst was er sagen sollte. Nach 1990 sei Krieg „für uns weit weg“, der Kalte Krieg zu Ende gewesen.

Sogar die Weltmächte, wobei eine – Russland –  keine mehr war, seien gut miteinander ausgekommen. Als einstiger deutscher Wehrmachtssoldat weiß Eppler was Krieg bedeutet.

Wenn er nun dennoch wieder zum Antikriegstag spreche, dann weil er glaube, es gibt etwas Neues zu sagen. Erhard Eppler sprach die Erinnerungen von vor zwei Jahren an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren an.

Viel Kluges sei da gesagt worden zur „eigentlichen Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“.  Doch etwas Wichtiges meist vergessen worden: Der grundsätzliche Unterschied zwischen damals und heute. Der Erste Weltkrieg sei begonnen worden, weil es starke selbstbewusste, wohl gerüstete Staaten gab.

Krieg als Auseinandersetzung zwischen souveränen Staaten. Heute dagegen fände man auf dem Globus überall grausige und rechtlose Gewalt. Dies habe oft mit dem Zerfall von Staaten zu tun. Religiöse Fanatiker und politische Extremisten oder einfach Kriminelle bewaffneten sich, um „so etwas wie einen Krieg“ führten.

In Syrien etwa habe man seit fünf Jahren schlimme Gewaltexzesse. Frieden zu machen gelänge deshalb nicht, „weil  es zu viele Akteure gibt“. Etwa zwanzig unter verschiedenen Kommando stehende Gruppierungen.

Der Zerfall von Staaten werde u.a. auch vom USA-dominierten Internationalen Währungsfonds ausgelöst, der verschuldeten Ländern marktradikale Bedingungen stelle, um diesen zu „helfen“. Die Staaten, dadurch „schlank“ gemacht, werden dadurch letztlich „schwindsüchtig“ und könnten zerfallen.

Gefährliche Kluft zwischen Arm und Reich – sie wird immer tiefer

Gut besucht war das Antikriegstag-Gedenken in der Steinwache.
Gut besucht war das Antikriegstag-Gedenken in der Steinwache.

Aber auch die reichen Staaten kämen in Schwierigkeiten, weil die Kluft zwischen Arm und Reich größer werde. In seiner Ministerzeit errechnete Eppler das die Vorstände eines Konzerns das Zwanzigfache eines Arbeiters verdienten.

Heute das 200-Fache. Eppler: „Und niemand regt sich auf.“ Aber es gebe „einen Punkt wo die Kluft zwischen Arm und Reich so tief ist, dass man einen geordneten Staat nicht mehr aufrechterhalten kann“.

Ein Staat werde aber umso stärker, wenn die Bereitschaft in allen Schichten der Bevölkerung besteht, diesen demokratischen Staat zu stützen und zu beleben und zu benutzen. Mit dafür zu sorgen, sei Aufgabe der Gewerkschaften.

Wer ehrliche Arbeit leiste, müsse auch davon leben können. Und später in die  Lage versetzt werden auch als Rentner würdig zu leben. Nicht hinnehmbar sei die Art wie bei uns diese Kluft zwischen Arm und Reich vertieft werde.

„Lasst euch nicht mehr aufhetzen gegen wen auch immer.
Es sei denn gegen den Terror, der kein Gesetz kennt“

Mahnende Worte sprach Ehrengast Dr. Erhard Eppler in Dortmund.
Mahnende Worte sprach Ehrengast Dr. Erhard Eppler in Dortmund.

„Mit welcher Schnodderigkeit man darüber redet, mit welchem Selbstbewusstsein manche Leute auftauchen, das ist für mich ein Zeichen, dass wir hier in eine gefährliche Richtung gehen.“ Mit seinem Kommen wolle er einen Dienst am Frieden – auch dem inneren – leisten, dass nicht geschossen wird.

Der Terror habe  inzwischen eine Form erreicht, sodass er ganz schwer zu bekämpfen sei.

Auch Russland habe ein Interesse daran ihn zu bekämpfen. Ein Wettrüsten zwischen der NATO und Russland nannte Ehrhard Eppler „einfach Torheit“. Das sei „der reine Schwachsinn“.

Das SPD-Urgestein beschwor die Menschen: „Lasst euch nicht mehr aufhetzen gegen wen auch immer. Es sei denn gegen den Terror, der kein Gesetz kennt.“

Tobias Falke (Jugendring Dortmund): Krieg darf nicht Normales sein 

Tobias Tacke von Jugendring.
Tobias Tacke von Jugendring.

Zu Putin gab Eppler zu bedenken, dass dieser verhindert habe, „dass aus diesem riesigen Russland nach der Jelzin-Ära ein zerfallender oder gar zerfallener Staat wird.“  Eppler weiter: „Lassen Sie uns nüchtern bleiben. Wer über einen anderen Staatsmann nichts als nur böses zu sagen hat, hat immer Unrecht.“

Und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass der DGB seine Aufgabe auch als Friedensaufgabe betrachte.  Lang anhaltender Applaus.

Tobias Falke vom Jugendring Dortmund versuchte in seiner Ansprache zu ergründen, wie Kindern und Jugendlichen Krieg zu erklären sei.  Doch die eine Antwort darauf gebe es gar nicht. Eines aber sei klar: Krieg dürfe nichts normales sein.

Gedenken an Homosexuelle, die in Dortmund dem Nazi-Terror zum Opfer fielen

Frank Siekmann (SLADO)
Frank Siekmann (SLADO)

Frank Siekmann (SLADO e.V.) erinnerte in seinem Redebeitrag an das Schicksal der 650 seinerzeit unter den Nazis in Dortmund verhafteten Homosexuellen, dass nach Kriegsende jedoch kaum Beachtung gefunden habe.

Sowie an den unsäglichen Paragrafen 175, unter dem lange noch nach dem 2.Weltkrieg Bürger der Bundesrepublik leiden mussten. Immerhin, so Siekmann, habe der Bundesjustizminister inzwischen eine Rehabilitierung der damals in der BRD verurteilten Menschen in Aussicht gestellt.

Desweiteren informierte Frank Siepmann über den diesjährigen Christopher Street Day (CSD) am 10. September. Für diesen habe man bewusst jemand mit Migrationshintergrund als Schirmherrin ausgewählt.

Nämlich die Politikerin Fatma Karacakurtoglu, engagiert auch im Verein „Train of Hope Dortmund“. Siekmann kritisierte heftig die Reaktion darauf: Dümmliche, absurde und offenbar rassistisch motivierten, unmenschlichen Anwürfe eines AfD-Politikers.

Kranzniederlegung im Innenhof der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache

Zum Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus wurde ein Kranz niedergelegt.
Zum Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus wurde ein Kranz niedergelegt.

Im Anschluss an die Veranstaltung wurde an der Wand des einstigen Gestapo-Gefängnisses Steinwache ein Kranz niedergelegt und gemeinsam in Stille der   Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transidenten gedacht, welche dem Nazi-Terror in Dortmund zum Opfer gefallen waren.

Die Gedenkveranstaltung organisiert der DGB in Kooperation mit der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, der Auslandsgesellschaft, dem „Förderverein Gedenkstätte Steinwache – Internationales Rombergpark-Komitee e.V.“, dem Jugendring Dortmund, „Slado e.V.“ sowie unterstützt durch den „Arbeitskreis Dortmund gegen Rechtsextremismus“.

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