Von Alexander Völkel
Wenn im Juli der beliebte Dortmunder Rabbiner Avichai Apel (40) nach Frankfurt wechselt, wird es keine Vakanz geben. Denn sein Nachfolger steht schon fest. Auch er ist in Dortmund kein Unbekannter: Baruch Babaev. Der 39-Jährige ist selbst Mitglied der Jüdischen Kultusgemeinde.
Der „Neue“ ist seit 2,5 Jahren Wanderrabbiner des Landesverbandes
Mit ihm wird am 1. August der Wunschkandidat von Apel seine Nachfolge antreten. Denn er hatte ihn als Wanderrabbiner zum Landesverband geholt, wo Babaev seit zweieinhalb Jahren für neun Gemeinden in Westfalen-Lippe zuständig ist. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen als Flüchtling in Deutschland, seinen Weg zum Glauben und die Arbeit eines Wanderrabbiners gesprochen.
Treue Dortmunder Gottesdienstbesucher kennen den neuen Rabbiner. Unter der Woche kommt es häufiger vor, dass Babaev in der ersten Reihe der Synagoge sitzt. Er spricht ihre Sprache – russisch, aber auch deutsch und hebräisch. Allerdings stammt er nicht wie Apel aus Israel, sondern aus Tadschikistan. Er kam wie viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunion 1991 als Kontingentflüchtling nach Deutschland – wie auch die meisten seiner Gemeindemitglieder.
Die sechsköpfige Familie Babaev kam nach Leipzig: „Ich war 15 Jahre alt und wurde sofort eingeschult“, sagt der heute 39-Jährige. „Ich war der einzige Ausländer. Aber wir sind sehr sehr freundlich aufgenommen worden – sowohl in der Gemeinde als auch in der Nachbarschaft und Schule. Ich hatte viel Glück.“ Dennoch war aber nicht leicht: Denn einen Deutschkurs bekam er nicht. „Ich habe immer alles 1:1 von der Tafel abgeschrieben und nach und nach dabei Deutsch gelernt.“
Von der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe in den kalten deutschen Osten
Den „Westen“ hatte er sich anders vorgestellt: „Ich dachte, dass Deutschland viel entwickelter wäre. Aber wir kamen ja in die ehemalige DDR. Viele alte Häuser, die nicht saniert waren. Durch die Kohleheizung war alles pechschwarz und gräulich“, erinnert er sich. „Es war Winter: Das Wetter war grau, die Gebäude waren grau und es war kalt.“
Ganz anders als in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe – 800 Meter hoch gelegen und deutlich wärmer als der deutsche Osten. Es ist eine Stadt mit heute 780.000 Einwohnern. Sie ist politischer, kultureller und wirtschaftlicher Mittelpunkt des zentralasiatischen Landes.
Dort gab es sogar jüdisches Leben – zumindest bis zur Öffnung des „Eisernen Vorhangs“. „Wir konnten unsere Religion ausleben, auch wenn es im Konflikt mit dem Staat passierte“, so Babaev. „Aber je weiter weg man vom Zentrum und von Moskau war, desto mehr konnte man seine Freiheiten genießen.“
Und Tadschikistan ist ziemlich weit weg von Moskau: „Wir hatten eine große Gemeinde, eine Synagoge und Infrastruktur. Jüdische Hochzeiten wurden gefeiert, es gab koscheres Fleisch“, erinnert er sich. Heute ist das Gemeindeleben dort Geschichte: Bis auf wenige Familien sind alle Juden nach Israel, in die USA oder nach Deutschland ausgewandert.
Viele gingen nicht ganz freiwillig: Denn die Unabhängigkeit wurde erkämpft – es gab Krieg. Daher verließ auch Familie Babaev das Land.
Die Familie wollte eigentlich nach Israel – nicht nach Deutschland
Eigentlich wollten sie nach Israel. Aber es war die Zeit des Golfkriegs und Saddam Hussain beschoss Israel mit Raketen. Die Familie wollte nicht vom Regen in die Traufe kommen. Daher gingen sie nach Deutschland. „Für ein oder zwei Jahre. Das war der Plan.“
Doch es kam anders: Weil die Familienmitglieder die deutsche Sprache gelernt, Ausbildung, Arbeit oder Studium begonnen hatten, wurde die „Aliah“ nach Israel immer wieder vertagt. Sie arrangierten sie sich mit Leipzig.
Dort kamen sie in eine deutlich kleinere jüdische Gemeinde: Sie hatte nur 30 Mitglieder – die meisten waren Überlebende oder gleich nach der Shoa geborene Menschen. Jugendliche gab es nicht.
Doch nach Ausbildung und Studium sind Baruch Babaev und seine Geschwister nach Israel gegangen. Rabbiner zu werden standen für Baruch nie auf dem Plan – zumindest nicht in Deutschland. Er studierte in Berlin Wirtschaft und schloss als Diplom-Kaufmann ab.
Wunsch nach einem Thorastudium führte ihn nach Jerusalem
„Ich stamme aus einer traditionellen Familie. Aber ich hatte nie die Möglichkeit, die Thora zu studieren. Ich hatte viele Fragen. In Deutschland fand er nicht genügend Antworten. Daher entschloss er sich, in Israel für ein Jahr an eine Thoraschule zu gehen.
Der Schulleiter überzeugte ihn, auch Prüfungen abzulegen. „Dann lernt man intensiver“, berichtet der 39-Jährige. Er nahm das Studium ernst und blieb. Er studierte, heiratete, wurde Rabbiner. Auf einem Kongress in Jerusalem traf er Avichai Apel. „Wir kannten uns schon aus Berlin. Er hat mich gefragt, ob ich mich als Wanderrabbiner in Westfalen-Lippe sehe. Das klang sehr nach Abenteuer.“
Es ist eine schwierige und fordernde Aufgabe: Man ist für mehrere Gemeinden zuständig – mit vielen unterschiedlichen Wünschen, Traditionen und Charakteren. Allerdings kommt man eher als Gast – für einen Shabbat-Gottesdienst oder einen Feiertag. Mitunter vergehen vier bis sechs Wochen zwischen den Gottesdienstbesuchen – abgesehen von Hochzeiten oder Beerdigungen.
Arbeit als Wanderrabbiner stellt ihn und seine Familie vor Heraussetzungen
Außerdem stellen die jüdischen Vorschriften einen Wanderrabbiner vor sehr spezielle Herausforderungen. Denn anders als beispielsweise ein Priester im ländlichen Raum, der auch für mehrere katholische Gemeinden zuständig ist, kann sich ein Rabbiner nicht einfach ins Auto setzen und von Gottesdienst zu Gottesdienst fahren. Am Shabbat oder an Feiertagen ist orthodoxen Juden das Autofahren verboten.
Also müssen er und Familie für einen Tag – mitunter auch für mehrere Tage – in einem Gäste- oder Hotelzimmer bleiben. Allerdings gibt es nirgends Quartiere, die den jüdischen Vorschriften entsprechen. Daher müssen sie quasi den halben Hausstand mitnehmen: Lebensmittel und Getränke, Kochutensilien und Geschirr, Kleidung und Wäsche sowie Bücher.
„Das macht es so schwierig. Es ist nicht für Jedermann“, räumt Babaev ein. „Man wird sehr schnell müde.“ Vor allem für die Familie wird das zur Belastung. Im Fall vom Babaev ist es eine Belastung für seine Frau – Kinder waren dem Paar bisher nicht vergönnt.
Dennoch habe er sich bewusst für die Aufgabe des Wanderrabbiners entschieden, weil er mit Avichai Apel arbeiten wollte. Der Vorsitzende des orthodoxen Rabbinerverbandes ist charismatisch und genießt einen hervorragenden Ruf: „Ich wollte von ihm lernen.“
Die Nachfolge von Avichai Apel ist eine Ehre und eine Herausforderung zugleich
Dass er nun sein Nachfolger in Dortmund wird, ist eine Herausforderung und Ehre für Babaev. Er und seine Frau Shulamit (37) sind zwar Gemeindemitglieder, kennen aber noch nicht so viele Juden in Dortmund.
Denn bei den Shabbat-Gottesdiensten und Feiertagen waren sie ja bisher meist auswärts in einer der neun Gemeinden des Wanderrabbiners. Das wird sich ab 1. August ändern. Dann tritt er offiziell seine neue Aufgabe in Dortmund an.
Seine Frau – sie ist in der dritten Generation Israelin – freut sich darauf. Denn da sie bisher noch nicht so gut deutsch und kein russisch spricht, sondern „nur“ englisch und hebräisch, konnte sie in Deutschland nicht in ihrem erlernten Beruf arbeiten.
Als Frau des Gemeinderabbiners kann sie nun Aufgaben übernehmen. Sie will regelmäßige Angebote für Frauen organisieren und sie auch begleiten. Außerdem wird sie sich um das „Offene Haus“ kümmern. Eine Aufgabe, die man bei Christen so nicht kennt. Denn ein Rabbiner-Ehepaar lebt den Gästen die jüdischen Traditionen und dem Umgang mit den Koscher-Regeln vor und laden die Menschen zu sich ein.
Fortsetzen will Babaev auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Christen und Muslimen: „Es ist wichtig, dass Miteinander zu pflegen. Und das wollen wir. Wir dürfen verschieden sein, aber müssen mit einander auskommen.“
Reader Comments
Annette Krisper Beslic
SCHALOM! GANZ HERZLICHEN DANK FÜR DIE MITTEILUNG ,FÜR VERTRAUEN NÄHE UND TAPFERE HOFFNUNG,BITTE BLEIBEN SIE STARK,WIR BRAUCHEN SIE ALLE,DER SEGEN DES HÖCHSTEN BEGLEITE SIE!
SCHALOM!
MIT ALLEN GUTEN WÜ NSCHEN
VON GANZEM HERZEN!
ANNETTE KRISPER
Christel Baumann
Ich würde mir wünschen das Sie Andreas Zumach zuhören.
Wir müssen die Möglichkeit haben die Politik Israels zu kritisieren ohne als Antisemiten beschimpft zu werden.
Es geht nicht gegen Israel und schon gar nicht gegen Juden.
11.12.2019