(Bezirks-)Bürgermeister in der Nordstadt? Das klingt mehr nach Belastung als nach Freude. Siegfried Böcker (58) sitzt für die SPD in der Bezirksvertretung der Innenstadt-Nord und übt das Ehrenamt des Bezirksbürgermeisters aus. „nordstadtblogger.de“ sprach mit ihm über die Nordstadt, deren Potenziale und Probleme.
Böcker: „Auf die Nordstadt können wir stolz sein“
Eins ist für Siegfried Böcker – alle nennen ihn nur liebevoll „Siggi“ – klar: „Die Nordstadt wird immer noch unter Wert gesehen.“ Bei allen nicht zu verschweigenden Problemen kann der oberste Bürger der Nordstadt klar die Stärken des jüngsten aller Dortmunder Stadtbezirke benennen: „Viele Menschen bekennen sich zur Nordstadt und engagieren sich“, betont Böcker. Die Verleihung des Titels „Engel der Nordstadt“ ist nur eins von vielen guten Beispielen. Auf die Nordstadt könne man auch stolz sein. „Wir machen eine gute Jugendarbeit, haben eine gute Verkehrsanbindung, einen hohen Freizeitwert, viele kulturelle Angebote und viel Grün. Das Wohnen ist erschwinglich und der Hafen ist eben auch Nordstadt“, listet der Bezirksbürgermeister auf.
Die Nordstadt trägt viele gesamtstädtische Lasten für Dortmund
Allerdings muss die die nördliche Innenstadt viele gesamtstädtische Aufgaben übernehmen und Lasten tragen. Nicht wenige Menschen blicken mit Sorge auf den 1. Januar 2014. Dann gibt es die vollständige Freizügigkeit für die Menschen aus Bulgarien und Rumänien. „Keiner weiß genau, wer oder was dann kommt“, sagt Siegfried Böcker. Klar sei nur, dass die Menschen und der Stadtbezirk mit der jüngsten Bevölkerung in Dortmund Hilfestellungen bräuchten.
Dabei hat der Bezirksbürgermeister der nördlichen Innenstadt vor allem die Kinder im Blick: „Sie brauchen ein entsprechendes Umfeld. Sie dürfen nicht darunter leiden, was andere verbockt haben.“ Allerdings stellt sich Böcker auch die Frage, ob überhaupt etwas passiert: „Kommen noch viele oder sind sie schon da?“
Bildung und Ausbildung als Schlüssel zur erfolgreichen Integration
Ob es um neue Zuwanderer geht oder um die Menschen, die jetzt schon da sind: Sie brauchen Hilfe: „Sprache ist der gemeinsame Schlüssel und der Türöffner. Da bin ich wieder bei den Kindern“, betont der Sozialdemokrat. „Kinder und Jugendliche brauchen Bildung und Ausbildung. Das fängt schon bei der Kita an.“ Doch dafür bedürfe es mehr als nur Zuspruch in Sonntagsreden. Denn die Nordstadt müsse fast alleine die Integrationsaufgabe für ganz Dortmund tragen.
Die Hilfesuchenden müssten daher über das gesamte Stadtgebiet verteilt werden. Die Nordstadt alleine könne nicht die ganze Last der Aufgabe schultern: „Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind sehr engagiert. Sie leisten eine tolle Arbeit und machen deutlich mehr als ,nur‘ ihren Job“, findet der Bezirksbürgermeister. Viel Lob gibt es auch für die außerschulischen Aktivitäten. In den Kitas und Jugendeinrichtungen werde ausgezeichnete Arbeit geleistet, findet Böcker. „Die pädagogische Arbeit ist vorbildlich.“
Doch die Schulen und der Stadtbezirk seien zu lange mit der Armutszuwanderung aus Südosteuropa allein gelassen worden. „Das Problem ist ja nicht vom Himmel gefallen. Seit 2006 reden wir über die Mallinckrodtstraße und das Schleswiger Viertel“, verdeutlicht Böcker die Situation und richtet den Blick auf den sogenannten „Schwarzarbeiterstrich“. „Das wurde lange nicht gesehen oder aber es wurde weggeguckt.“
Stabilisierung der Quartiere als wichtige Aufgabe
Die Stabilisierung der Quartiere ist ein großes Thema. Hier wurde und wird viel getan. Doch immer neue Probleme kommen hinzu. So hat die Armutszuwanderung viele Bemühungen, beispielsweise im Schleswiger Viertel, konterkariert. „Wir brauchen Unterstützung. Es gibt viele Baustellen und es bedarf zwingender Korrekturen“, so Böcker. Viele Probleme seien hausgemacht, Beispiel Straßenstrich. Die Nordstadtpolitiker hatten ihn vehement abgelehnt. Doch der Rat stimmte für die Ravensberger Straße – wohl auch, weil die Politiker aus den anderen Stadtbezirken froh waren, dass dieser Kelch an ihnen vorüber ging.
Vor zwei Jahren wurde der Straßenstrich mit großem Aufwand wieder geschlossen, weil die Belastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner der Nordstadt viel zu hoch waren.
Allerdings findet der SPD-Politiker auch hier lobende Worte: Die Verwaltung bringe sich immer stärker ein. Vor allem Birgit Zoerner habe viel auf den Weg gebracht. „Unsere Sozialdezernentin hat sich Gehör verschafft – bis nach Berlin hinein.“
Neue Belastungen statt neuer Leuchttürme
Wenn es um Wohltaten und Leuchttürme geht, bleibe die Nordstadt leider in der Regel außen vor. „Beim Fußballmuseum geht mir das Messer in der Tasche auf“, sagt Böcker. Nicht, weil er kein Fußball mag. Im Gegenteil. Ihn stört, dass es nun doch auf der Südseite des Hauptbahnhofs gebaut wird. Die Nordseite war ebenfalls im Gespräch. Doch statt des Museums bekam die Nordstadt nun den Zentralen Busbahnhof.
Der Verkehr dort nimmt durch die neuen Fernsbuslinien massiv zu. Eine neue Belastung. „Da ist nicht ehrlich gespielt worden“ kritisiert Böcker. „Von den Fernbuslinien war nie die Rede.“ Er hofft jetzt, dass nach dem Bahnhofsumbau der Busbahnhof auf die Gleisanlagen oder Richtung Treibstraße verlagert werden könne. „Aber dafür brauchen wir einen langen Atem.“
Schaffung von Arbeitsplätzen hat eine hohe Priorität
Während in ganz Dortmund die Deindustrialisierung voranschreitet, ist dies in der Nordstadt nicht der Fall. Ob im Hafen oder auf der Westfalenhütte, hier wird ausgebaut und Brachflächen erneut industriell genutzt. In Hörde – Stichwort Phoenix-Ost und -West – oder in Brackel werden neue attraktive Wohnformen und saubere Technologien implantiert. In der Nordstadt wird das Containerterminal erweitert und auf Logistik und Industrie gesetzt. Die Folge: Noch mehr Dreck und Verkehr.
Allerdings stößt sich der 58-Jährige nicht an der industriellen Weiternutzung: „Arbeitsplätze haben eine hohe Priorität. Wir brauchen neue Jobs für die jungen Menschen“, findet der Bezirksbürgermeister. Er weiß, was harte Arbeit ist. Er ist „einer von hier“, ein Malocher, ein Hoeschianer. Daher weiß er um die Bedeutung der Firmen für die Quartiere: „Wir brauchen die Arbeitsplätze so schnell wie möglich. Sie sollen den Menschen in der Nordstadt ihr Auskommen sichern. Daher brauchen wir keine 08/15-Jobs.“
Statt „Kohle, Stahl und Bier“ nun „Arbeit, Wohnen, Freizeit“
Dennoch oder gerade deswegen setzt er aber auf gezielte Fortentwicklungen. Früher hieß es: „Kohle, Stahl und Bier“. Das war gestern. „Arbeit, Wohnen, Freizeit“ – diesen Dreiklang braucht die Nordstadt heute. So auch im Bereich der Westfalenhütte. Allerdings braucht die Nordstadt auch eine Entlastung vom Schwerverkehr. Böckers Hoffnung ruht dabei auf der Nordspange.
Böcker: „Viele Mühen und Bemühungen tragen Früchte.“
Ein langer Weg. Auf die Verantwortlichen und damit auch auf den Bezirksbürgermeister warten noch viele Herausforderungen. Doch für Böcker lohnt der Einsatz: „Trotz aller Schwierigkeiten haben wir unsere Pfunde, mit denen wir wuchern können“, bilanziert Böcker. „Viele Mühen und Bemühungen tragen Früchte.“ In der öffentlichen und medialen Wahrnehmung ist das aber häufig noch nicht angekommen. Dort werde zugespitzt, verzerrt, teils auch reißerisch einseitig berichtet. Natürlich gebe es viele Probleme. Die müssten benannt und gelöst werden. Doch auch die Erfolge müssten dargestellt werden: „Da müssen die Leute nur mal genauer hingucken“, findet Böcker.