Die größte Sprengung des Jahres in Deutschland wartet am Sonntag um 10 Uhr auf Sprengmeister Michael Schneider. Er wird den Scheibengas-Behälter der DEW21 in Lindenhorst „umlegen“.
Sprengmeister hat 35 Jahre Erfahrung: Volkswohlbundgebäude hat er auch gesprengt
Keine leichte Aufgabe: Denn der 93 Meter hohe Gasspeicher mit einem Durchmesser von über 51 Metern steht nur 15 Meter neben der Zufahrtsstraße.
Auch auf der anderen Seite ist nicht wesentlich mehr Platz – ganz abgesehen vom rund 30 Meter hohen Kugelgasbehälter. Daher muss der 1500 Tonnen schwere Stahlkoloss punktgenau zu Boden kommen.
Sorgen macht sich der 54-jährige Experte sich aber nicht, auch wenn er selbst noch kein Gasometer dieser Größe gesprengt hat.
Doch Aufregung ist immer – vor jeder Sprengung. Und nicht nur, weil erst vor wenigen Tagen ein britischer Kollege in Glasgow gepatzt hat. Zwei von sechs Gebäuden blieben halb zusammengesackt stehen.
„Das arme Schwein, habe ich da gedacht“, sagt Schneider. Natürlich sei ihm sofort durch den Kopf geschossen, wie es ihm dabei wohl gehen würde. Bislang ist ihm das aber erspart geblieben.
Er gehört zu den Sprengmeistern mit der meisten Erfahrung in Deutschland. Seit 35 Jahren ist er im Geschäft. Auch in Dortmund hat er schon gearbeitet und vor Jahren das alte Volkswohlbund-Gebäude in der Innenstadt punktgenau zu Boden gebracht.
Konventioneller Abriss wäre zu aufwändig und schwierig gewesen
„Uns war es wichtig, ein Unternehmen mit sehr großer Erfahrung zu haben“, betont Sabine Schumacher, als Projektleiterin für den Abriss des Gasometers zuständig. Für den Dortmunder Gasversorger ist es die erste Sprengung.
Denn ein konventioneller Abriss wäre wegen der Höhe des Gebäudes und der räumlichen Enge schwierig. Dies wäre nur im Sommer und bei wenig Wind möglich gewesen. Außerdem hätte dies Monate gedauert.
Vor einigen Jahren gab es einen schweren Unfall im Dortmunder Hafen – zwei große Kräne waren bei einem Sturm umgestürzt. Das Risiko wollte die DEW21 vermeiden. Sie hat sich daher für eine Sprengung und die Firma Liesegang aus Hürth bei Köln entschieden.
13 Monate Planung für eine Acht-Sekunden-Aktion
Vor über einem Jahr hatten die Planungen für den Abriss mit einer Machbarkeitsstudie begonnen. Ein aufwändiger Abstimmungsprozess mit Bezirksregierung und Stadt war nötig: Mehr als 20 Behördenvertreter waren involviert, bis der Plan für die Sprengung stand.
Seit vier Wochen laufen nun die vorbereitenden Arbeiten. Denn am Behälter werden viele Einschnitte gemacht. Außerdem wurde ein „Sprengmaul“ geschaffen. Die klaffende Lücke im Stahlkoloss ist so etwas wie die Sollbruchstelle – hier soll der Gasbehälter bei der Sprengung einknicken.
Es wird übrigens zwei Explosionen geben: Die erste wird dafür sorgen, dass das Dach des Gasometers einklappt. 80 Prozent der Dachumrandung sind wie bei einer Konservendose aufgeschnitten bzw. werden mit einer Schneidladung geteilt.
Würde dies nicht vor dem Umstürzen gemacht, stünde im schlechtesten Fall eine mehr als 50 Meter hohe Stahlplatte senkrecht im Boden. In einem anderen ungünstigen Szenario könnte sie auch unkontrolliert abreißen.
Durch das vorherige Einklappen sollte der Deckel parallel mit der Außenwand platt auf dem Boden landen.
1500 Tonnen Stahl sollen in einem großen Fallbett aus Erde landen
Die äußere Wand selbst wird zwei Sekunden später gesprengt und so destabilisiert, dass die Stahlhülle durch das Eigengewicht in sich zusammenfällt.
Nach maximal acht Sekunden soll dann alles vorbei sein – wenn es alles planmäßig verläuft.
Dann werden 1500 Tonnen Stahl in einem eigens angelegten Fallbett aus Erde zum Liegen kommen – aber nicht in einer großen Staubwolke versinken.
Denn Staub gibt es hier kaum: Denn das Gebäude besteht nur aus Stahl und war im inneren versiegelt. Ganz anders als beispielsweise bei Kühltürmen von Braunkohlekraftwerken – da würde das ganze Areal in einer dicken Wolke versinken.
Schneidladungen gehen durch Stahl wie ein heißes Messer durch Butter
Worin besteht die Herausforderung bei einem Gasometer? Anders als bei einem klassischen Bauwerk mit Beton oder Stein kann der Sprengstoff nicht in Bohrlöchern platziert werden.
Die Sprengladungen – genauer gesagt die Schneidladungen – werden auf der Oberfläche angebracht. 98 Punkte haben die Experten ausgesucht. Bis Sonntag werden die Ladungen angebracht und verdrahtet.
Zusätzlich wurden eine Vielzahl von Schnitten in den Stahl gebracht. Um einen Brand zu vermeiden – im Inneren des Gasbehälters gibt es ölige Schmiermittel – wurden alle Löcher gesägt. Schneidbrenner kamen nicht zum Einsatz.
Aber kann denn eine Schneidladung einen Brand auslösen? Sprengmeister Schneider winkt ab: Mit einer Geschwindigkeit von 8500 Metern pro Sekunde brennt sich der explosive Stoff durch den Stahl.
„Das geht durch Stahl wie ein heißes Messer durch Butter“, verdeutlichtet der 54-Jährige. Weil es so immens schnell geht, kann sich der Stahl auch nicht erhitzen und somit auch keinen Brand auslösen.
Abräumarbeiten bis Ende November – Unterhaltungskosten führten zur Abrissentscheidung
Doch mit der Sprengung ist es nicht getan: Bis etwa Ende November wird es dauern, bis das Gasometer komplett zerlegt und abtransportiert ist. 1500 Tonnen Stahl müssen abtransportiert werden.
Insgesamt rund 1,1 Millionen Euro kostet die gesamte Maßnahme – die Sprengung selbst macht nur einen Teil der Kosten aus. Die ließe sich rechnerisch aus dem Verkauf des Stahlschrotts begleichen.
Warum spart sich die DEW21 nicht einfach das Geld für den Abriss und lässt die riesige Landmarke als Werbeträger für das Unternehmen stehen? Weil es dies auch nicht zum Nulltarif gibt, macht Schumacher deutlich.
Die Unterhaltungskosten sind immens: So muss allein alle zehn Jahre ein kompletter Anstrich von außen sowie des Dachs von innen erfolgen. Die Kosten dafür betragen auch rund 1,1 Millionen Euro. Dazu kommen noch die Personal- und Wartungskosten. Außerdem stünde eine Sanierung an – sie würde einen zweistelligen Millionenbetrag verschlingen.
Genieteter Stahlbehälter ist nicht mehr zeitgemäß – Gasometer seit drei Jahren außer Betrieb
Früher hat der Gasspeicher in Lindenhorst das Geld für Wartung, Pflege und Unterhaltung noch selbst erwirtschaftet. Doch der riesige Gasbehälter ist seit drei Jahren außer Betrieb.
Denn das Bauwerk aus dem Jahr 1956 wird nicht mehr benötigt. Der Gasspeicher diente dazu, um Verbrauchsspitzen abzufangen. Doch durch geänderte Lieferverträge wird der Koloss auch dafür nicht mehr benötigt.
Ganz abgesehen davon, dass das 93 Meter hohe Bauwerk zwar eine bedeutende Dortmunder Landmarke ist, aber „nur“ eine Speicherkapazität von 150.000 Kubikmetern Gas hat.
Die Gasometer-Konstruktion wird mit unzähligen Nieten zusammengehalten und kann nicht mit so hohem Druck befüllt werden wie neuere Behälter, die zusammengeschweißt wurden.
Zum Vergleich: Der 20 Jahre jüngere und „nur“ 30 Meter hohe Kugelgasbehälter im Schatten des drei Mal höheren Gasometers ist geschweißt worden und fasst 240.000 Kubikmeter Gas.
Interessierte sollen am Sonntag vom Deusener Berg aus zuschauen
Der heimische Energieversorger rechnet natürlich mit Schaulustigen. Allerdings ist aus Sicherheitsgründen ein 250-Meter-Radius um den Ort der Sprengung gezogen worden. Daher werden die anliegenden Straßen gesperrt.
Die Anlieger in Lindenhorst sind informiert worden und müssen ihre Häuser verlassen. Auch der Fredenbaumpark ist nördlich der Westerholzstraße nicht mehr begehbar.
Sabine Schumacher rät daher allen Interessierten, sich auf dem Deusener Berg einzufinden. Von der Halde gibt es einen freien Blick auf den rund 800 Meter entfernten Gasbehälter.
Außerdem gibt es durch den erhöhten Standpunkt einen Blick auf das Dach – man kann gut sehen, wie der Deckel eingeklappt werden soll.
Wer sich das Spektakel nicht anschauen möchte, sich aber in der Nähe aufhält, muss um 10 Uhr mit zwei sehr lauten Detonationen rechnen. Eine Gefahr geht davon allerdings nicht aus, versichert Schneider.
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