
Cihan Sügür war in seiner Jugend kurz davor, auf die schiefe Bahn zu geraten. Heute ist er unter Deutschlands Topmanagern gelistet. In der Veranstaltungsreihe „Wirtschaft hautnah“ der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund zeichnet er seinen Werdegang nach. Mit einigen klaren Apellen im Gepäck.
Wie verwandelt sich ein Problemschüler in einen der erfolgreichsten Jungmanager Deutschlands? Diese Frage beantwortet Cihan Sügür ungeschönt, motivierend – und ermutigend. „Unser Gast ist ein junger Mann, doch seine Lebensgeschichte finde ich schon jetzt sehr inspirierend“, begrüßt ihn IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber im Großen Saal der IHK zu Dortmund. „Ich bin sicher, das wird heute Abend vielen so gehen.“
Rund 150 Menschen hören dem Topmanager zu, der über sein Leben erzählt. Immer wieder wird sein Beitrag von spontanem Applaus begleitet. Seine Botschaft kommt beim Publikum an. Sie lautet: „Deutschland steht für ein Versprechen. Streng‘ dich an, und du bekommst deinen Teil vom Kuchen. Streng‘ dich mehr an, und dein Teil wird größer. Egal, woher du stammst.“ Das ist es, was er später den „German Dream“ nennt. Sein wichtigster Apell: „Sorge dafür, dass der Kuchen größer wird – dann haben alle etwas davon.“
Sügür muss es wissen. 1990 geboren, wuchs er im Dortmunder Norden auf. Seine Vorfahren kamen einst von Georgien in die Türkei, seine Eltern von der Türkei nach Deutschland. Nicht alle Gerüchte über den Dortmunder Norden entsprächen der Wahrheit, erzählt er. Aber sie kämen auch nicht von ungefähr. Sich selbst nimmt er dabei nicht aus: „Probleme in der Schule, Probleme zuhause – mit 15, 16 Jahren war ich kurz davor, auf die schiefe Bahn zu geraten.“ Heute ist der 34-Jährige Associated Partner bei der Management- und IT-Beratung MHP, einer Tochtergesellschaft der Porsche AG. Zuvor war er in führenden Rollen bei Porsche, IBM, der Deutschen Bahn sowie Olympus Europa tätig und trieb als Lead Digital Strategy maßgeblich die digitale Transformation von Porsche voran. Sein Werdegang führte von Dortmund über Stuttgart, Santa Barbara und Istanbul bis in die Liste der „Capital 40 Under 40“ des Magazins „Capital“. Er ist Gewinner des CIO Young Talent Awards 2020 und Stipendiat der CIO Stiftung.
Wie kam es zu dem Wandel? Sügür nennt zuerst seine Eltern. Die Mutter arbeitete am Fließband, der Vater war Schlosser. „Eines Abends kam meine Mutter völlig erschöpft von der Arbeit und sagte zu mir: Junge, lass‘ es nicht umsonst gewesen sein.“ Gemeint habe sie damit all die Anstrengungen, um der Familie und damit auch ihm selbst ein besseres Leben zu ermöglichen. „Da hat es Klick gemacht!“ Das habe seiner Energie die richtige Richtung gegeben. Sügür nennt auch seine Lehrerinnen und Lehrer, die ihn nicht aufgaben. Für viel Heiterkeit im Saal sorgt eine kleine Anekdote, wie er mit einem Lehrer um eine bessere Note feilschte. „Ich wollte 15 Punkte in der Endnote haben, also eine Eins Plus, aber meine schriftlichen Leistungen reichten dafür nicht aus.“ Der Lehrer habe ihm allerdings einen Deal angeboten: Er solle eine vorstandstaugliche Präsentation abliefern, dann sehe man weiter. Der Ansporn zog. Sügür habe sich daraufhin erst einmal einen Anzug gekauft und sei dann im Anzug in die Schule gekommen, um die Präsentation zu halten. „Vorstandstauglich heißt eben vorstandstauglich“, sagt er lachend. Die Präsentation war ein Erfolg, der Plan ging auf, die 15 Punkte standen auf dem Zeugnis. Es ging steil bergauf. „Wenn Menschen etwas in dir erkennen, das du selbst nicht siehst, und an dich glauben, dann ist das ein ungeheurer Schub!“
Das Publikum ist neugierig, stellt ihm im Anschluss viele Fragen – auch zur wirtschaftlichen Entwicklung im Land. Beispielsweise diese: Was könne Deutschland tun, um sich gegen den wachsenden Druck aus China zu behaupten? Man habe sich mittlerweile ein wenig in die Wohlstandsblase begeben, antwortet Sügür, und „mit Bequemlichkeit ist noch keiner Weltmeister geworden“. Aber auch die Politik sei gefragt und müsse mehr Planbarkeit gewährleisten. Allein die Entwicklung der E-Mobilität laufe in China seit gut drei Jahrzehnten: „Zunächst Forschung und Entwicklung, dann Aufbau der nötigen Infrastruktur. Erst nachdem der Unterbau geschaffen wurde, kamen die Fahrzeuge auf den Markt.“ Für die meisten Menschen sei das Auto – abgesehen von einer eigenen Immobilie – die teuerste Anschaffung im Leben. Und niemand investiere viel Geld in etwas, dessen Entwicklung unsicher sei. „Daher müssen die Autobauer im Schulterschluss mit der Politik dafür sorgen, dass die Verbraucher Sicherheit haben.“ So dürfe beispielsweise nicht jeder Autobauer sein eigenes Ladenetzwerk aufbauen, sondern es müsse einheitliche Standards geben. Deutschland sei vermutlich noch nicht im „Tal der Tränen“ angelangt. Baustellen sieht der Manager noch viele – beispielsweise beim Thema Rentensicherung. Doch „die Zutaten, um den Kuchen weiter wachsen zu lassen, sind in Deutschland da“, schließt er. „In diesem Land aufzuwachsen, ist ein Privileg.“ Sein finaler Appell ans Publikum: „Denken Sie darüber nach, wen Sie selbst fördern können. So, wie auch ich Menschen hatte, die mein Talent erkannt haben, bevor ich es selbst erkannte.“
Auf dem Bild zu sehen: Cihan Sügür (vorne) beim Eintrag ins Goldene Buch der IHK mit Katrin Hüpler (Gesellschafterin Hülpert GmbH, Mitglied der IHK-Vollversammlung), IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber (2.v.r.), Michael Webels und Maximilian Mergenthaler (l., beide Geschäftsführung Hülpert Shared Service GmbH).