Eine gelungene Inszenierung zwischen Vaterlosigkeit, Migration und Behördenfrust

Premiere von „Vatermal“ im Schauspielhaus in Dortmund:

„Vatermal“ erzählt von Familientraumata, Migration und dem Stress mit deutschen Behörden Foto: Birgit Hupfeld

Julia Wisserts neue Inszenierung „Vatermal“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Necati Öziri, feierte am Schauspiel Dortmund jetzt Premiere. Zwischen Erinnerungen, Vaterlosigkeit und Warteschlangen auf der Ausländerbehörde gelingt Wissert ein intensives Stück über Verlust, Identität und die tiefen Wunden, die Rassismus hinterlässt. Anwesend waren der Autor Necati Öziri sowie Kulturstaatsministerin Claudia Roth.

Die Suche nach der eigenen Identität

Arda (gespielt von Mouataz Alshaltouh) liegt mit Leberversagen auf der Intensivstation. In einem Brief an seinen Vater Metin, der in seiner Kindheit plötzlich verschwunden ist und den er nie kennengelernt hat, verarbeitet er Erinnerungen an eine Kindheit, geprägt von Armut, Rassismus und dem Gang zur Ausländerbehörde. ___STEADY_PAYWALL___

Arda (Mouataz Alshaltouh) ist bis zu seinem 18. Lebensjahr staatenlos und dem Gutdünken seines Sachbearbeiters ausgesetzt.

Foto: Birgit Hupfeld

Das Trauma der Familie steht im Mittelpunkt: Ardas Vater Metin flüchtete aus politischen Gründen aus der Türkei, arbeitete später in Deutschland in einer Fleischfabrik, war seiner Frau gegenüber gewalttätig und spielsüchtig – später verlässt er die Familie spurlos.

Mutter Ümran (Lucia Peraza Rios) blieb allein zurück, musste den Alltag allein bewältigen und zerstreitet sich mit ihrer Tochter Aylin (Fabienne-Deniz Hammer).

Besonders an der Inszenierung ist die Einbindung des Dortmunder Frauenchors „Kadinin sesi“ vom Migrantinnenverein Dortmund e.V. Unter der Leitung von Kemal Ding bereichern die Sängerinnen mit ihrem Gesang die Aufführung.

„Chor der Deutschen“ als Fremdkörper auf der Bühne

Dem Frauenchor gegenüber steht der „Chor der Deutschen“, der im Jogginganzug mit Deutschlandflagge auftritt. Schon zu Beginn werfen sie das Publikum zurück in die doch etwas dröge Atmosphäre des Deutschunterrichts, indem sie Goethe „Faust II“ rezitieren.

Der „Chor der Deutschen“: Sarah Quarshie
Lukas Beeler und Alexander Darkow. Foto: Birgit Hupfeld

Während dieser Chor einerseits gekonnt Rassismus und Spießbürgertum verkörpert, wirkt er andererseits wie ein Fremdkörper im Stück – in keinem negativen Sinne. Immer wieder markieren sie das vermeintliche „Deutschtum“, welches Arda – bis zu seinem 18. Lebensjahr staatenlos – vor allem auf der Ausländerbehörde mit seiner Überkorrektheit begegnet.

Auf der Ausländerbehörde muss Arda viel Zeit verbringen und ist dem Gutdünken Herrn Kowalskis ausgeliefert, der hier auch durch den „Chor der Deutschen“ ironisch in Szene gesetzt wird, zum Beispiel wenn Ardas Dokumente in Papierflieger verwandelt werden.

Starke Schauspielleistungen tragen das Stück

Besonders herausragend sind Mouataz Alshaltouh als Arda und Fabienne-Deniz Hammer als Aylin, Ardas Schwester. Beide verleihen dem Stück emotionale Tiefe und überzeugen durch Authentizität. Alshaltouhs Darstellung Ardas, der nicht weiß, ob er die Krankheit überleben wird, bereichert das Stück durch seinen pointierten Sarkasmus.

Aylin (Fabienne-Deniz Hammer) und Arda (Mouataz Alshaltouh) Foto: Birgit Hupfeld

Ein Szene im Stück, die Gänsehaut auslöst, ist Ardas verzweifelter Ausruf, er habe schon früh der „Mann im Haus“ sein müssen, da der Vater fehlte. Mouataz Alshaltouh verleiht diesem Moment eine berührende Kraft, die lange nachhallt.

Ebenso überzeugend ist Fabienne-Deniz Hammer in der Rolle von Aylin. Sie spielt auf authenthische den Schmerz, den eine von ihrem Vater verlassende, von der Mutter ignorierte und von der Gesellschaft ausgegrenzte Frau empfindet.

Zwei Bühnenebenen verschwimmen und ergänzen sich

Die Inszenierung von Julia Wissert spielt geschickt auf zwei Bühnenebenen: Arda erzählt in der vorderen Ebene aus seinem Krankenbett, während sich auf der hinteren Bühne zentrale Erinnerungen aus seiner Kindheit entfalten.

Das Spiel mit den zwei Ebenen in „Vatermal“. Foto: Birgit Hupfeld

Immer wieder verschwimmen beide Ebenen miteinander – etwa, wenn Arda verzweifelt und wiederholt jene Szene durchlebt, in der seine Schwester Aylin die Familie verlässt und er sich Vorwürfe macht, nicht anders gehandelt zu haben.

Diese dramatische Struktur betont den fragmentarischen Charakter von Ardas Erinnerungen und verdeutlicht eindringlich, wie tief Familiengeschichte in den Körper und das Leben von Menschen mit Migrationsgeschichte eingeschrieben sind.

Wer die Premiere verpasst hat, hat am Samstag, den 29. März um 18 Uhr im Rahmen des RuhrBühnen*Spezial erneut Gelegenheit, dieses lohnenswerte Stück am Schauspiel Dortmund zu erleben.


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