Pause vom Lärm: Bei der „Stillen Stunde“ kommen Menschen zur Ruhe und kaufen entspannt ein

Weniger Geräusche sollen Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen

Ruhe statt Lärm: Während der „Stillen Stunde“ können Menschen mit psychischen Störungen ungestörter einkaufen gehen. ElasticComputeFarm auf Pixabay

Die „Stille Stunde“ verwandelt hektische Orte in Orte mit einer angenehmen Atmosphäre. In einer lauten Umgebung mit vielen Sinneseindrücken fühlen sich Personen mit psychischen Erkrankungen häufig überfordert. Weniger Reize helfen ihnen sich besser in die Gesellschaft einzugliedern.

Bei einer „Stillen Stunde“ werden überfordernde Sinnesreize minimiert

Stimmengewirr, Kassen piepen, grelles Licht beleuchtet die Ladentheken – das ist die typische Atmosphäre in jedem Supermarkt. Für viele Menschen stellen diese vielen Reize kein Problem dar, aber für Personen mit psychischen Behinderungen oder Erkrankungen können sie eine Überstimulation sein und abschreckend wirken. Manchmal wird für sie dadurch ein Einkauf unvorstellbar.

Die Idee der „Stillen Stunde“ kommt aus Neuseeland Alexa auf Pixabay

Während einer „Stillen Stunde“ soll die Überstimulation der Sinnesorgane aufgrund von Lärm oder Lichtquellen minimiert bzw. ausgeschlossen werden. Dies kann zum Beispiel durch das Dimmen der Lampen und das Ausschalten der Musik erzielt werden. Besucher:innen werden dazu aufgefordert leise zu sprechen und das Personal verzichtet für eine gewisse Zeit auf das Einräumen von Waren. 

Erstmals eingeführt wurde die „Stille Stunde“ 2019 von der Supermarktkette „Countdown“ in Neuseeland. Eine Arbeitskraft des Geschäftes machte den Vorschlag, um das Einkaufen auch für Personen mit psychischen Einschränkungen angenehmer zu gestalten. Erfahrung mit solchen Problemen hatte das Teammitglied aufgrund eines eigenen Kindes mit Autismus. 

Der Aufenthalt im Supermarkt oder Café kann erdrückend wirken

Der Leiterin der AWO Assistenzagentur Marie Eckle ist das Problem gut bekannt. Zurzeit betreut die AWO fast 400 Personen mit psychischen Erkrankungen und hilft ihnen im Alltag – beispielsweise auch beim Einkaufen im Supermarkt.

Marie Eckle leitet die Assistenzagentur der AWO. Foto: Alexander Völkel

„Viele von ihnen sind sensibel gegenüber dem Licht, Überangeboten oder zu vielen fremden Menschen“, sagt Eckle. An Orten wie hell beleuchteten Supermärkten oder auch in lauten Cafés können zu viele Eindrücke zu inneren Konflikten führen. 

Im Café Leuthardstraße neben der Assistenzagentur kommen Betreute der AWO zusammen. Häufig schauen hier auch Außenstehende vorbei und unterhalten sich bei einer Tasse Kaffee. Das Radio läuft, die Mitarbeiter:innen reden. Menschen pflegen hier ihre sozialen Kontakte, aber manchmal wird es auch da zu laut. 

Stille Stunde auch mal im Café Leuthardstraße?

„Ich könnte mir auch vorstellen, die ‚Stille Stunde’ im Café einzuführen“, sagt Eckle. „Oft haben Personen Mitteilungsbedürfnis, wenn sie zu uns kommen. Bei sensiblen Themen können wir ihnen dann auch hier Termine und eine Rückzugsmöglichkeit anbieten.“

Das Café Leuthardstraße ist ein Ort für Hilfe und Kontakte. Foto: Alexander Völkel

Eckle äußert sich positiv bezüglich der Idee einer „Stillen Stunde“ im Supermarkt. „Das Angebot ist gut, muss aber auch an die Personen herangetragen werden“, gibt sie zu bedenken.

„Man sollte die Aktion gut vorbereiten, damit sie nicht im Sande verläuft.“ Supermärkte müssten beispielsweise auf die Arbeitszeiten der Betroffenen in Werkstätten achten, sodass sich keine Überschneidungen ergeben.

Die Idee ist gut – aber nicht ohne Risiko für den Handel

Doch wie sieht es mit der Idee in Dortmund aus? Gibt es schon Supermärkte, die eine „Stille Stunde“ durchführen? Thomas Schäfer, Geschäftsführer des Handelsverbandes Westfalen-Münsterland, ist unter anderem auch verantwortlich für die Betriebe des Einzelhandels in Dortmund.

Der Handelsverband sieht in der „Stillen Stunde“ einen Vorteil für Personen mit psychischen Erkrankungen, aber auch für die Arbeitenden Steve Buissinne auf Pixabay

Die Idee findet er riskant, kann aber das Ziel und das Anliegen dahinter verstehen:„Einerseits ist die ‚Stille Stunde’ etwas wagemutig, vor allem weil das gedimmte Licht dazu führen kann, dass Menschen denken, es sei nichts los“, sagt Schäfer.

„Andererseits sind wir alle durch Lärm und Lichteinflüssen, die uns umgeben, sehr überfrachtet. Deshalb ist es vor allem für Menschen, die sehr sensibel auf solche Reize reagieren, ein sinnvolles Angebot. Sie können beruhigter einkaufen gehen und auch die Beschäftigten im Einzelhandel arbeiten dann in einer ruhigeren Umgebung“, so Geschäftsführer des Handelsverbandes.

Schäfer stellt klar: Jeder Betrieb müsse für sich entschieden, ob er eine „Stille Stunde“ einführt, darauf habe der Verband keinen Einfluss. Aktuell ist ihm kein Supermarkt in Dortmund bekannt, der diese Aktion regelmäßig durchführt.

Die „Stille Stunde“ gibt es in Supermärkten in der Nähe von Dortmund

Blickt man über die Stadtgrenzen findet man in NRW einige Supermärkte, die regelmäßig die „Stille Stunde“ durchführen. Beispielsweise in Wuppertal, Bergisch Gladbach, Iserlohn, Wickede und Aachen befinden sich geräuscharme Einkaufsmöglichkeiten. 

Auf der Webseite der „Stillen Stunde“ können Interessierte nach Teilnehmern des Konzeptes in ihrer Nähe suchen. Dort sind nicht nur Supermärkte, sondern auch Cafés, Schwimmbäder, Buchhandlungen und andere Unternehmen zu finden. 


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