Immer wieder flüchten Frauen vor ihrem gewalttätigen Partner. In einigen Fällen finden sie Zuflucht in Frauenhäusern. Doch was ist, wenn sie das gewohnte Umfeld nicht alleine verlassen, sondern auch Schutz für ihre Kinder suchen? Auch für diese bieten Frauenhäuser eine Unterkunft, in der sie begleitet werden, wie sie die Ereignisse verarbeiten. Dies wird jedoch häufig nicht so zentral betrachtet wie die Betreuung der betroffenen Frauen.
Ein Ort, an dem nicht nur erwachsene Frauen zur Ruhe kommen
Das Frauenhaus Dortmund bietet insgesamt rund 32 Plätze an. Diese sind jedoch nicht ausschließlich für Frauen aus gewalttätigen Partnerschaften oder Haushalten vorgesehen, sondern auch für ihre Kinder, die sie mitbringen. Aktuell bringt das Frauenhaus 13 Kinder und Jugendliche unter, was sich jedoch häufig ändert, so Eva Grupe, Diplompädagogin im Frauenhaus.
Denn nicht nur die Frauen finden im Frauenhaus erstmals Ruhe. Häufig wird unterschätzt, wie viel Kinder tatsächlich wahrnehmen, auch wenn sich die Gewalt direkt nur gegen die Kindesmutter richtet, erklärt Grupe. „Wenn Kinder kommen, sind sie meistens total erleichtert Die nehmen die Gewalt schon wahr.
Ganz kleine Kinder im Alter von zwei oder drei Jahren haben natürlich kein Gefühl für die Situation. Die merken nur: Auf einmal ist es ruhiger, hier ist es schöner, Mama ist nicht mehr so aufgewühlt. Und damit geht es ihnen auch besser. Wenn es der Mutter nicht gut geht, geht es den Kindern auch nicht gut. Und wenn es der Mutter gut geht, dann stabilisieren sich auch die Kinder.“
Weitreichende Auswirkungen der Gewalt auf Kinder und Jugendliche
Laut der Zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser (ZIF) prägen Gewalterlebnisse die kindliche Entwicklung grundlegend: Das Sicherheits- und Schutzbedürfnis leidet in einem gewalttätigen Umfeld, was sich ebenso negativ auf das Konzentrationsvermögen und die schulische Leistung auswirken kann.
Kinder in unsicheren Familienverhältnissen übernehmen oft zu früh zu viel Verantwortung. Sie leiden häufig an Schlafstörungen, Alpträume oder ihre Entwicklung ist verzögert. Oft verhalten sich die Kinder bis ins Erwachsenenalter aggressiv oder ziehen sich zurück, was sich auf ihre eigenen Beziehungen auswirkt.
„Was wir auch manchmal beobachten, ist, dass sich die Kinder dann so verhalten, wie sich Kinder in dem Alter eigentlich nicht verhalten würden. Wir hatten zum Beispiel auch mal ein zweijähriges Kind, das einem anderen Kind mit der gehobenen Hand gedroht hat.
Das ist ja auch eher untypisch, dass man mit zwei Jahren den Impuls hat. Das ist eine Sache, die sich das Kind abgeguckt hat“, erzählt die Sozialarbeiterin Lena Dockhorn. Häufig nehmen Grupe und Dockhorn in ihrer Arbeit wahr, wie Kinder die Schuld des gewalttätigen Vaters auf sich selbst nehmen und sich für die Mutter verantwortlich fühlen.
„Es ist auch oft ein Thema, gerade bei kleinen Kindern, ob sie vielleicht schuld daran sind, dass die Mama geschlagen wurde. ‚Ich habe vielleicht die Tasse fallen lassen, dann wurde der Kakao verschüttet und dann war der Papa sauer auf die Mama, hat sie angeschrien oder vielleicht auch geschlagen‘“, berichtet Grupe.
Dass die Kinder ein Verantwortungsgefühl gegenüber der Mutter verspüren, sei laut Grupe und Dockhorn kein seltenes Phänomen: „Viele Kinder versuchen auch, ihre Mutter zu schützen, indem sie sich dazwischenstellen oder sagen, ‚Papa, sei jetzt lieb‘“, so Grupe.
Kontakt zwischen den Vätern und Kindern stellt keine ungefährliche Herausforderung dar
Eine zentrale Herausforderung, mit der die Mütter im Frauenhaus konfrontiert sind, sind die Umgangskontakte mit dem Kindesvater. Häufig sind die Väter mit der Trennung von der Frau und den Kindern nicht einverstanden, weswegen sie sich an das Jugendamt wenden, um den Kontakt zum Kind wiederherzustellen. In einigen Fällen liegt der Kontakt zum Kind dem Vater wirklich am Herzen. „Oft ist es aber auch so, dass er noch weiter Macht und Einfluss auf die Frau ausüben möchte“, erklärt Grupe.
In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt werden dann Umgangskontakte vereinbart. So bleibt das Kind zwar bei der Mutter, doch hat der Vater das Recht, in regelmäßigen Abständen sein Kind zu sehen. Zwar seien laut Grupe die Frauen nicht dazu verpflichtet, den Zugang für den Vater zum Kind zu gewährleisten. Doch häufig werde ihnen gesagt, dass, wenn sie sich nicht kooperativ zeigen, sie aktiv zur Ablehnung des anderen Elternteils beitragen und es negative Auswirkungen auf das Kind habe.
Die Gefahr hinter diesem ganzen Konzept ist dabei der Zeitraum, in dem alles passiert, wie Grupe erklärt: „Die gefährlichste Zeit für eine Frau bei häuslicher Gewalt ist die Trennungsphase. Wenn der Mann dann extrem aggressiv und aufgebracht ist, hat er weiterhin die Möglichkeit, die gemeinsamen Kinder und auch die Mutter zu kontaktieren und dabei auch einzuschüchtern oder zu bedrohen.“
Traumasensible Arbeit soll Stabilität bei Kindern und Jugendlichen herstellen
Der Schwerpunkt der Unterstützung der Kinder und Jugendlichen liegt laut Grupe auf der traumasensiblen Zusammenarbeit. Zum einen werden feste Strukturen und Regeln gesetzt, die den Kindern und Jugendlichen die bislang fehlende Routine wiederherstellen sollen, was zur persönlichen Stabilisierung beiträgt. Des Weiteren wird in der Zusammenarbeit mit den Kindern oft auf Rollenspiele zurückgegriffen, in denen die Kinder spielerisch das Erlebte wiedergeben und so besser verarbeiten können.
Auch für Jugendliche gibt es Angebote, wie die Jugendgruppe. Dort werden Freizeitangebote geplant, wie Ausflüge oder gemeinsame Aktivitäten, in denen sich die Jugendlichen einbringen können. Wichtig sei es für die Mitarbeiter:innen, den Kindern und Jugendlichen in ihrer Arbeit zu vermitteln: „Ihr seid nicht alleine mit diesen Gefühlen, anderen geht es auch so“, so Grupe.
Therapien werden jedoch im Frauenhaus nicht angeboten. Kinder und Jugendliche, die laut Einschätzung der Mitarbeiter:innen gravierend belastet sind, werden jedoch an therapeutische Angebote vermittelt.
„Manchmal würde ich mir wünschen, dass wir Therapien anbieten könnten, weil man ewig lange Wartezeiten auf Therapieplätze hat. Aber ich weiß auch, dass es nicht sinnvoll ist, weil es immer wieder passieren kann, dass die Frau ganz schnell von heute auf morgen ausziehen muss, zum Beispiel, wenn der Mann herausfindet, dass die Frau hier untergebracht ist“, fügt Grupe an.
Nicht nur interne Maßnahmen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen
Auch außerhalb des Frauenhauses müssen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen Maßnahmen getroffen werden. Beispielsweise muss in einigen Fällen ein Schulwechsel vorgenommen werden, was jedoch versucht wird, weitgehend zu vermeiden, wie Grupe erklärt. Abgewogen wird dabei immer die potenzielle Bedrohung, die der Kindsvater darstellen könnte.
Häufig wird dann ein Sicherheitskonzept mit dem Kind entwickelt, wie es zu agieren hat, wenn der Vater das Kind an der Schule abfangen möchte. Ebenso ist es ein Ziel, weitgehend mit der Schule zu kooperieren, um auch hier ein mögliches Zusammentreffen zu vermeiden. Eine Möglichkeit ist, dass das Kind zu abweichenden Zeiten den Unterricht verlässt. Doch wenn das Kind trotz Maßnahmen in der Schule Angst hat, muss ein Schulwechsel erwogen werden, erklärt Grupe.
Aufklärungsarbeit in Kitas und Schulen, um mögliche Gewalt zu erkennen
Wie wichtig die Aufklärung über Gewalt im Haushalt in den Kitas und Schulen ist, macht ein Beispiel deutlich, von dem Grupe erzählt: Eine Erzieherin wurde durch die gewaltvollen Erzählungen eines Kindes in der Kita hellhörig, woraufhin sie die Kindesmutter darauf ansprach und diese die Flucht ins Frauenhaus in Betracht zog. So konnte sich die Frau aus der Situation lösen.
Das Frauenhaus und die dazugehörige Frauenberatungsstelle bieten zur Aufklärung Vorträge in Kitas und Schulen an, soweit die Kapazitäten es ermöglichen, erzählt Grupe.
„Da wir nicht so viele Kapazitäten haben, reagieren wir, wenn jemand auf uns zukommt. Aktiv auf andere zugehen machen wir nicht. Das macht aber unsere Frauenberatungsstelle. Die haben dafür mehr Kapazitäten und bieten auch Schulungen und Veranstaltungen zum Thema häusliche Gewalt an.“
Trotz der hohen Belegung der Frauenhäuser appelliert Grupe, sich bei Bedarf dennoch telefonisch zu melden. Weitere Kontaktinformationen finden sich auf der folgenden Seite: https://frauenhaus-dortmund.de/
Weiterführende Informationen der ZIF zu Maßnahmen gegen Gewalt an Kindern in Frauenhäusern: https://autonome-frauenhaeuser-zif.de/wp-content/uploads/2021/11/ZIF-Broschuere-Istanbul-Konvention-2021.pdf
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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Weiblicher Blick auf den Krieg – SI-Frauennetzwerk lädt am „Tag der Menschenrechte“ zum Talk im Rathaus und zur Ausstellung in der Petrikirche (PM)
Der 10. Dezember ist der internationale „Tag der Menschenrechte“ – und das Ende der „Orange Days“ gegen Gewalt an Frauen. Die drei Dortmunder Clubs des weltweiten Frauen-Netzwerks Soroptimist International (SI) rücken aus diesem Anlass die Perspektive von Frauen in Kriegen in den Fokus.
Vom 11. Dezember 2024 bis 12. Januar 2025 zeigen sie die Ausstellung „Frauen geben Frieden ein Gesicht. Frieden und Versöhnung in Bosnien und Herzegowina“ in der Petrikirche. Die Ausstellung porträtiert 20 bosnische Friedensaktivistinnen, die nach dem Bosnienkrieg (1992-1995) viele verschiedene Initiativen zur Versöhnung und für Frieden ergriffen haben.
Eröffnet wird die Ausstellung mit einem Podiumstalk am Dienstag, 10. Dezember, 18:30 Uhr in der Bürgerhalle im Rathaus (Friedensplatz 1, 44137 Dortmund). Auf dem Podium sprechen drei der porträtierten Frauen aus Bosnien sowie eine deutsche Frau mit Moderatorin Britt Lorenzen über ihre Erfahrungen mit dem und nach dem Krieg.
Es begrüßen Bürgermeisterin Barbara Brunsing und Corinna Guzinski, Präsidentin von SI Dortmund Hellweg. Die Moderation übernimmt Britt Lorenzen. Musikalische Begleitung: Migen Begolli (Violine) und Memela Alija (Klavier), IMB Dortmund
Der Eintritt ist frei. Der Spendenerlös des Abends geht an ein Projekt gegen Genitalverstümmelung in Gambia an den Verein Human.Hope e.V..
„Wir gehören einer globalen Bewegung von Frauen an, die fordern, dass die Geschichte nicht nur aus Sicht von Männern erzählt wird, sondern auch aus der Sicht von Frauen.“ (Ausstellungsmacherin Radmila Žigić)
Informationen zur Ausstellung
„Frauen geben Frieden ein Gesicht – Frieden und Versöhnung in Bosnien und Herzegowina“
11. Dezember 2024 – 12. Januar 2025
Ev. Stadtkirche Sankt Petri, Petrikirchhof, 44135 Dortmund
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 11 bis 17 Uhr, Samstag von 10 bis 16 Uhr.
Der Eintritt ist frei.
Die Ausstellung stellt 20 bosnische Friedensaktivistinnen mit ihren Lebensgeschichten vor. Sie stammen aus unterschiedlichen Teilen des Landes. Als der Krieg in Bosnien und Herzegowina 1992 ausbrach, standen die meisten von ihnen mitten im Leben. Sie alle haben Schreckliches erlebt, viele verloren ihre liebsten Menschen, wurden vergewaltigt, erlitten dauerhafte gesundheitliche Schäden, flohen, wurden vertrieben oder in schrecklichen Lagern interniert.
Die Frauen, die in der Ausstellung zu Wort kommen, wollen an diese Grausamkeiten erinnern, die sie während des Krieges von 1992 bis 1995 erleben mussten. Auf ihre Initiativen hin entstanden nach Ende des Bosnienkrieges zahlreiche Projekte, die Frauen helfen, ihren eigenen Weg zu gehen und selbstbestimmt zu leben.
Die Ausstellung entstand aus der Zusammenarbeit des bosnischen Friedensbündnisses „Mir sa zenskim licem“ (Frauen geben Frieden ein Gesicht) mit dem Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) in Sarajevo und der fachlichen Unterstützung des Historischen Museums von Bosnien-Herzegowina in Sarajevo. Pax christi Aachen hat die Ausstellung aus dem Bosnischen übersetzen lassen und hergestellt. Sie wird interessierten Gruppen und Organisationen zur Verfügung gestellt. In Kooperation mit der Ev. Stadtkirche Sankt Petri Dortmund hat das Frauennetzwerk Soroptimist International Dortmund Hellweg die Ausstellung nach Dortmund geholt.
Förderer und Unterstützer
Die Veranstaltung wird unterstützt von unseren Partnern. Wir danken herzlich:
DORTMUND KREATIV / Stadt Dortmund, Sparkasse Dortmund, Ringhotel Drees, Therapiezentrum Nord, „Der Frisör“ (Kaiserstraße), Hausarztpraxis Beethovenstraße (Oer-Erkenschwick), Urologische Praxis am Hansaplatz; Fliesen Kühnast, Arsenovic Fliesen, Hadi Gassem (Grafikdesign)